Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.12.2022, Az. 1 StR 408/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 8461

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Gegenstand

Rücktritt vom unbeendeten Versuch: Vorstellungsbild des Täters bei mehraktigem Geschehen


Tenor

1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 15. März 2021 werden verworfen.

2. Die Angeklagten haben jeweils die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Der Staatskasse fallen die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten [X.]hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]        wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten [X.]          hat es wegen gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verhängt. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen.

2

Die hiergegen gerichteten, jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben erfolglos. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten [X.]            wegen versuchten Totschlags. Dem vom [X.] vertretenen Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.

I.

3

1. Nach den Feststellungen des [X.]s hatte der Angeklagte [X.]          auf dem Werksgelände des Geschädigten [X.]           in [X.]        unter anderem einen Personenkraftwagen der Marke [X.] abgestellt und dem Geschädigten die Fahrzeugpapiere nebst Autoschlüssel übergeben. Im November 2019 hatte der Angeklagte [X.]         die Herausgabe seines Fahrzeugs gefordert, was [X.]           unter Geltendmachung von Gegenforderungen verweigert hatte. Am Abend des 20. Dezember 2019 hatten sich der Angeklagte [X.]          und [X.]           erneut darüber gestritten. Im Verlauf der Auseinandersetzung hatte [X.]           dem Angeklagten [X.]           zwei wuchtige Schläge gegen den Kopf versetzt, wodurch dieser eine Gehirnerschütterung und eine Verletzung an der Oberlippe erlitten hatte.

4

Der Angeklagte [X.]         kam mit seinen [X.], dem Angeklagten [X.]            und dem nichtrevidierenden [X.]           , überein, das Fahrzeug von [X.]          zurückzuholen, notfalls unter gemeinschaftlicher Anwendung von Gewalt. Am 7. Januar 2020 fuhren sie zur Werkhalle des [X.]           . [X.]          wartete gemäß der Absprache vor der [X.], um seinen beiden [X.] im Bedarfsfall zu helfen. Der Angeklagte [X.]          führte eine mit mindestens fünf scharfen Zentralfeuerpatronen geladene Selbstladepistole und der Angeklagte [X.]            ein Klappmesser mit einseitig geschliffener Klinge mit sich, wobei keiner der Angeklagten von der Bewaffnung des jeweils anderen wusste. [X.]            verweigerte weiterhin die Herausgabe des Wagens und verwies die Angeklagten der [X.]. Da die Angeklagten dem nicht nachkamen, versuchte [X.]            , sie mit ausgebreiteten Armen in Richtung Ausgang der [X.] zu schieben. Der Angeklagte [X.]          begann gemäß dem [X.], auf [X.]           einzuschlagen, um die Rückgabe des Wagens zu erzwingen. Der Angeklagte [X.]            folgte ihm hierin. Während [X.]       sich mit Schlägen gegen den ihm frontal zugewandten Angeklagten [X.]      zur Wehr setzte, gelang es dem Angeklagten [X.]            , hinter [X.]      zu treten. Dort zog er, vom Angeklagten [X.]          unbemerkt, das von ihm mitgeführte Messer und versetzte dem Geschädigten in schneller Abfolge drei Stiche in den Rücken, wobei er ihn im Bereich beider Nieren sowie auf Höhe des unteren linken Lungenflügels traf. [X.]            s Tod nahm er hierbei billigend in Kauf.

5

[X.]        , dem es nach dem dritten Stich gelang, den Angeklagten [X.]         durch einen Schlag zu Boden zu bringen, rutschte aus und ging ebenfalls zu Boden. Der Angeklagte [X.]           , der die Stiche nicht bemerkt hatte, trat und schlug auf den am Boden liegenden Geschädigten zunächst allein ein. Als der Angeklagte [X.]            wieder aufgestanden war, versetzte er [X.]           ebenfalls Schläge. Dabei ging er aufgrund der weiterhin massiven Gegenwehr des [X.]           davon aus, diesen mit dem Messer nicht lebensgefährlich verletzt zu haben. Von einem weiteren Einsatz des Messers sah er dennoch ab und beschränkte sich auf die Ausführung von Schlägen, um den Geschädigten gemeinsam mit seinem Bruder zu verletzen.

6

[X.]           , der noch immer am Boden lag, gelang es, den Angeklagten [X.]            zu Fall zu bringen und selbst wieder aufzustehen. Er stand nun dem Angeklagten [X.]          gegenüber, der spätestens jetzt den Entschluss fasste, die Schusswaffe zum Einsatz zu bringen, um nicht erneut eine Niederlage erleiden zu müssen. Er schoss dem Geschädigten in den rechten [X.]. Nach etwa einer Sekunde gab er mit direktem Tötungsvorsatz in schneller Abfolge vier weitere Schüsse ab, von denen je einer den Geschädigten im Gesicht, im Bereich des rechten [X.] sowie am Hinterkopf traf. Nach der letzten Schussabgabe ging der Angeklagte [X.]        davon aus, dass der Geschädigte versterben werde. Der Angeklagte [X.]           war mit den Schüssen nicht einverstanden und flüchtete nach dem letzten Schuss. Der Geschädigte überlebte schwer verletzt.

7

2. Das [X.] hat zugunsten des Angeklagten [X.]           einen Rücktritt vom unbeendeten versuchten Totschlag angenommen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB). Der Angeklagte [X.]           habe nach dem letzten mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Messerstich von weiteren möglichen Stichen abgesehen; die anschließenden Schläge habe er wiederum allein mit dem Vorsatz ausgeführt, den Geschädigten zu verletzen. Der Einsatz der Schusswaffe durch den Angeklagten [X.]         sei von seinem Vorsatz nicht umfasst gewesen und ihm nicht zuzurechnen. Das [X.] hat den Angeklagten [X.]            deshalb lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, § 25 Abs. 2 StGB) verurteilt.

II.

8

1. Die Revisionen der Angeklagten sind aus den zutreffenden Erwägungen der [X.] des [X.]s unbegründet. Insbesondere erweist sich die Strafzumessung betreffend den Angeklagten [X.]          nicht deshalb als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil das [X.] dem Einbehalt des Pkw [X.] durch den [X.]            in diesem Zusammenhang keine Bedeutung beigemessen hat; vielmehr beschwert es den Angeklagten [X.]         nicht, dass ihm diese „Selbstjustiz“ nicht straferschwerend zur Last gelegt worden ist.

9

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Der Schuldspruch allein wegen gefährlicher Körperverletzung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags durch den Angeklagten [X.]            ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

a) § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB ermöglicht den Rücktritt vom – wie von dem [X.] rechtsfehlerfrei angenommen – unbeendeten Versuch durch Aufgabe der weiteren Ausführung der Tat. Tat in diesem Sinne ist eine Straftat im Sinne eines materiell-rechtlichen Straftatbestandes, das heißt die in den gesetzlichen Straftatbeständen umschriebene tatbestandsmäßige Handlung und der tatbestandsmäßige Erfolg. Dementsprechend beschränkt sich beim unbeendeten Versuch der Entschluss, die weitere Tatausführung aufzugeben, auf die Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale (vgl. [X.], Urteil vom 13. Februar 1985 – 3 [X.], [X.]St 33, 142, 144; Beschluss vom 19. Mai 1993 – [X.], [X.]St 39, 221, 230). Erforderlich ist insoweit, dass der Täter von der konkreten Tatbegehung endgültig Abstand genommen hat. Nicht aufgegeben ist die Tat, solange er mit dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend innehält ([X.], Urteil vom 15. Juli 2021 – 3 [X.] Rn. 20 mwN).

Maßgeblich ist das Vorstellungsbild des [X.] nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung. Bei einem mehraktigen Geschehen, innerhalb dessen der Täter verschiedene Handlungen vornimmt, die auf die Herbeiführung eines strafrechtlich relevanten Erfolges gerichtet sind, kommt es auf das subjektive Vorstellungsbild des [X.] nach jedem Einzelakt an (vgl. [X.], Urteile vom 19. März 2013 – 1 [X.] Rn. 35 f. und vom 13. August 2015 – 4 [X.] Rn. 7; jeweils mwN). Bilden jedoch die Einzelakte untereinander und mit der letzten Tathandlung ein durch die subjektive Zielsetzung des [X.] verbundenes, örtlich und zeitlich einheitliches Geschehen, so ist für die Bestimmung des [X.]s allein die subjektive Sicht des [X.] nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgeblich (vgl. [X.], Urteile vom 8. Februar 2007 – 3 [X.] Rn. 8 und vom 17. Februar 2016 – 2 [X.] Rn. 18; Beschlüsse vom 3. Februar 2022 – 2 StR 317/21 Rn. 12 und vom 9. September 2014 – 4 [X.] Rn. 6). Hierfür müssen die tatgerichtlichen Feststellungen und die sie tragenden Beweiserwägungen einen Vorsatzwechsel ausschließen und belegen, dass nach der subjektiven Zielsetzung des [X.] ein solches einheitliches Geschehen anzunehmen ist ([X.], Beschluss vom 5. September 2019 – 4 StR 394/19 Rn. 6).

b) Gemessen hieran ist die – nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Prüfung unterliegende – Beweiswürdigung des [X.]s zu dem [X.] und Vorsatzwechsel des Angeklagten [X.]            im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zu Recht stellt die Strafkammer hierbei auf den Zeitpunkt ab, zu dem der Angeklagte von dem weiteren Einsatz des Messers absah. Die Messerstiche bildeten mit den sich anschließenden Schlägen und Tritten kein einheitliches Geschehen, welches es nach den vorgenannten Grundsätzen rechtfertigen würde, zur Bestimmung des [X.]s auf die letzte Ausführungshandlung des Angeklagten in dem Gesamtgeschehen abzustellen. Auch ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, dass das [X.] nicht die Überzeugung gewonnen hat, dass der Angeklagte die Schläge und die ihm nach § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnenden Tritte nicht mit Tötungsvorsatz ausführte. Denn weder enthalten die Urteilsgründe Anhaltspunkte dafür, dass es das Ziel des Angeklagten gewesen wäre, dem Geschädigten tödliche Verletzungen beizubringen, noch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang, dass die Schläge und Tritte – auch unter Berücksichtigung der vorher zugeführten Messerstiche – so gefährlich gewesen wären, als dass daraus auf einen bedingten Tötungsvorsatz zu schließen wäre. Vielmehr ließen sich die Kausalität dieser Tathandlungen für die Gesichtsverletzungen des Geschädigten, unter ihnen mehrere Knochenfrakturen, und damit einhergehend ihre Gefährlichkeit nicht aufklären; insoweit sind auch keine weitergehenden Feststellungen zu erwarten. Von einer Zurechnung der von dem Angeklagten [X.]           abgegebenen Schüsse hat das [X.] rechtsfehlerfrei abgesehen.

Es ist der Revision zwar zuzugeben, dass das [X.] die für ein Fortbestehen des bedingten Tötungsvorsatzes sprechenden Umstände im Zeitpunkt der gemeinsamen Tritte und Schläge, insbesondere die erhebliche Vorverletzung durch die Messerstiche, nicht ausdrücklich in seine Würdigung einbezogen hat. Die Aufgabe des vormals bestehenden Tötungsvorsatzes erschließt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Denn diese belegen neben der Abstandnahme von weiteren Messerstichen und der zeitlichen Abfolge des Geschehens insbesondere die fehlende Billigung des Einsatzes der Schusswaffe durch den Angeklagten [X.]           . Diese Umstände lassen in der Gesamtbetrachtung einen tragfähigen, revisionsgerichtlich nicht zu beanstandenden Rückschluss auf das Vorstellungsbild des Angeklagten zum Zeitpunkt der Schläge und Tritte zu.

Bellay     

  

Wimmer     

  

Leplow

  

Allgayer     

  

Munk     

  

Meta

1 StR 408/21

13.12.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 15. März 2021, Az: 1 Ks 117 Js 2483/20

§ 24 Abs 1 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.12.2022, Az. 1 StR 408/21 (REWIS RS 2022, 8461)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8461

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