Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.07.2017, Az. XI ZR 470/15

11. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 8621

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Gegenstand

Schriftliches Verfahren: Erneute Zustimmung der Parteien zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach Ablauf der Entscheidungsfrist


Leitsatz

Kann die Frist des § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO zunächst nicht eingehalten werden, kann das Gericht erneut die Zustimmung beider Parteien zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren einholen und auf dieser Grundlage gemäß § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO erkennen (Anschluss an Senatsurteil vom 17. Januar 2012, XI ZR 457/10, WM 2012, 312 Rn. 34).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 6. Zivilsenats des [X.] vom 6. Oktober 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auf die Anschlussberufung der Beklagten die Klage in Höhe von 483,16 € abgewiesen und die Berufung des [X.] in Höhe weiterer 31.438,27 € zurückgewiesen worden ist. Das Urteil wird insgesamt wie folgt neu gefasst:

Auf die Berufung des [X.] und die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil der 21. Zivilkammer des [X.] vom 2. September 2014 unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger [X.] € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 95% und die Beklagte 5%. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen der Kläger 62% und die Beklagte 38%. Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 49% und die Beklagte zu 51%.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Rechtsfolgen des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags.

2

Die Parteien schlossen am 23. Dezember 2005 einen Darlehensvertrag über ein Darlehen in Höhe von 580.000 €. Der Sollzins war für zehn Jahre festgeschrieben und betrug 3,6% p.a. Der effektive [X.] belief sich auf 3,66% p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der [X.]n dienten Grundschulden. Der Kläger erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von insgesamt 577.500 €. Unter dem 25. April 2013, der [X.]n am selben Tag zugegangen, widerrief er seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Anschließend erbrachte er bis zum 27. August 2014 weitere Leistungen an die [X.] in Höhe von 52.500 €, aus denen die [X.] Nutzungen in Höhe von 919,20 € zog.

3

Der Kläger hat zunächst Klage mit dem Antrag erhoben festzustellen, dass "der Darlehensvertrag […] durch Widerrufserklärung […] beendet worden" sei. Nachdem ihn das [X.] im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, es hege Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags, ist der Kläger zur Leistungsklage übergegangen. Seiner Klage zuletzt auf Zahlung eines angeblichen Saldos zu seinen Gunsten aus dem Rückgewährschuldverhältnis in Höhe von 31.227,97 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. April 2013, auf Zahlung von 52.500 € und auf Zahlung weiterer 919,20 € hat das [X.] in Höhe von 483,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. März 2014 entsprochen. Die weitergehende Klage hat das [X.] abgewiesen. Gegen die Entscheidung des [X.]s haben der Kläger Berufung und die [X.] Anschlussberufung eingelegt.

4

Der Vorsitzende des zuständigen Senats des Berufungsgerichts hat mit Verfügung vom 9. Juni 2015, ausgefertigt am 10. Juni 2015, die Parteien um Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren gebeten. Der Kläger hat am 15. Juni 2015 und die [X.] am 19. Juni 2015 zugestimmt. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Juni 2015 das schriftliche Verfahren angeordnet, Schriftsatzfrist bis zum 17. Juli 2015 gesetzt und Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 28. Juli 2015 bestimmt. Mit Verfügung vom 27. Juli 2015 hat der Vorsitzende den Termin zur Verkündung einer Entscheidung aus dienstlichen Gründen auf den 15. September 2015 verlegt. Zugleich hat er die Parteien gebeten, erneut ihre Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu erklären. Der Kläger hat am 4. August 2015 und die [X.] hat am 8. August 2015 zugestimmt. Das Berufungsgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 10. August 2015, ausgefertigt auf den 11. August 2015, erneut das schriftliche Verfahren angeordnet, Schriftsatzfrist bis zum 28. August 2015 gesetzt und den Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 22. September 2015 verlegt. Den [X.] hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 21. September 2015 aus dienstlichen Gründen nochmals auf den 6. Oktober 2015 verlegt.

5

Mit der am 6. Oktober 2015 verkündeten Entscheidung hat das Berufungsgericht die Berufung des [X.], mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt hat, soweit das [X.] die Klage abgewiesen hat, zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung der [X.]n hat das Berufungsgericht die Klage vollständig abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des [X.], mit der er zunächst auf der Basis von von der [X.]n mutmaßlich gezogenen Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz begehrt hat, die [X.] zur Zahlung von 31.006,52 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Mai 2013 sowie zur Zahlung weiterer 52.500 € und 919,20 € zu verurteilen. Zuletzt hat der Kläger im Revisionsverfahren eine Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen nur noch mit dem Ziel verfolgt, die [X.] zur Zahlung von 31.921,43 € zu verurteilen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des [X.] hat Erfolg.

I.

7

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ([X.], 2211) - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - ausgeführt:

8

Die Beklagte schulde dem Kläger Herausgabe mutmaßlich gezogener Nutzungen nur auf die vom Kläger erbrachten Zins-, nicht auch auf die Tilgungsleistungen, die nicht im Zuge des [X.] zu erstatten seien. Bei [X.] sei widerleglich lediglich zu vermuten, dass die Beklagte auf empfangene Zinsleistungen Nutzungen in Höhe von zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, nicht aber von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gezogen habe. Diese rechtliche Bewertung zugrunde gelegt sei nach Aufrechnung der wechselseitigen Ansprüche nicht die Beklagte dem Kläger, sondern der Kläger der [X.] zur Zahlung verpflichtet. Deshalb sei die Klage in Gänze abzuweisen.

II.

9

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Keinen Erfolg hat allerdings die Verfahrensrüge der Revision, mit der sie geltend macht, das Berufungsgericht habe entgegen § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO mehr als drei Monate nach Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren ein Urteil gefällt. Wie der [X.] bereits entschieden hat ([X.]surteil vom 17. Januar 2012 - [X.], [X.], 312 Rn. 34), kann das Gericht dann, wenn die Frist des § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO zunächst nicht eingehalten werden kann, erneut die Zustimmung beider Parteien zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren einholen und auf dieser Grundlage gemäß § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO erkennen. So ist das Berufungsgericht verfahren.

2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht indessen, wie die Revision zu Recht geltend macht, unterstellt, der Kläger habe nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (künftig: aF) in Verbindung mit § 346 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB keinen Anspruch auf Rückgewähr der von ihm auf den Darlehensvertrag erbrachten Tilgungsleistungen und daher auch keinen Anspruch aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB auf Herausgabe der mittels dieser Tilgungsleistungen mutmaßlich gezogenen Nutzungen. Zu dem Umfang der sich aus dem [X.] ergebenden Pflichten, die die Rückgewähr empfangener Tilgungsleistungen mit einschließen, hat der [X.] mit Beschluss vom 12. Januar 2016 ([X.] 366/15, [X.], 454 Rn. 12 ff., 18 ff.) umfänglich Stellung genommen und sich eingehend mit den für und wider diese Ansicht vorgetragenen Argumenten befasst. Gesichtspunkte, die dem [X.] Anlass gäben, von seiner dort niedergelegten Auffassung abzugehen, zeigt die Revision nicht auf (vgl. auch [X.]surteile vom 12. Juli 2016 - [X.] 564/15, [X.], 123 Rn. 50 und vom 25. April 2017 - [X.] 573/15, [X.], 1004 Rn. 27).

3. Aufgrund des vorgenannten Rechtsfehlers hat das Berufungsgericht dem Kläger eine Forderung gegen die Beklagte in Höhe von 31.921,43 € aberkannt, die dem Kläger tatsächlich zusteht.

Der Kläger hat an die Beklagte vor Zugang des Widerrufs Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 577.500 € erbracht. Der Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen - gerechnet mit zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz - auf diese Zins- und Tilgungsleistungen beläuft sich auf 67.306,81 €. Der Kläger hat nach Zugang des Widerrufs weitere 52.500 € geleistet, die von der [X.] zu erstatten sind (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB). Die Beklagte hat daraus nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien in der Revisionsinstanz Nutzungen in Höhe von 919,20 € gezogen. Daraus ergibt sich ein Gesamtanspruch des [X.] in Höhe von 698.226,01 €. Abzüglich der vom Kläger gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB geschuldeten Leistung von 580.000 € (Darlehensvaluta) und 86.304,58 € (Nutzungsersatz in Höhe des Vertragszinses) beläuft sich die restliche Forderung des [X.] nach Aufrechnung noch auf 31.921,43 €.

III.

Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit es über die vom Kläger nicht weiter verfolgte [X.] hinaus auf die Anschlussberufung der [X.] die Klage in Höhe von 483,16 € abgewiesen und die Berufung des [X.] in Höhe weiterer 31.438,27 € zurückgewiesen hat (§ 562 ZPO). In diesem Umfang ist die Beklagte zur Zahlung verpflichtet (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

Grüneberg     

      

Maihold

      

Menges     

      

Derstadt     

      

Meta

XI ZR 470/15

04.07.2017

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 6. Oktober 2015, Az: 6 U 148/14, Urteil

§ 128 Abs 2 S 1 ZPO, § 128 Abs 2 S 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.07.2017, Az. XI ZR 470/15 (REWIS RS 2017, 8621)

Papier­fundstellen: MDR 2017, 1346-1347 WM2017,1705 REWIS RS 2017, 8621


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XI ZR 470/15

Bundesgerichtshof, XI ZR 470/15, 04.07.2017.


Az. 6 U 148/14

Oberlandesgericht Köln, 6 U 148/14, 09.10.2014.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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