Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.03.2019, Az. IX R 44/17

9. Senat | REWIS RS 2019, 9484

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Gegenstand

Aufstockungsbeträge zum Transferkurzarbeitergeld


Leitsatz

Aufstockungsbeträge zum Transferkurzarbeitergeld, die auf der Grundlage eines Transfer-Arbeitsverhältnisses und mit Rücksicht auf dieses von der Transfergesellschaft geleistet werden, sind regelmäßig keine Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG, sondern laufender Arbeitslohn i.S. des § 19 EStG .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. November 2017  7 K 2635/16 E aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit mehr als 24 Jahren als Arbeitnehmer bei der [X.] beschäftigt. Am 17. Oktober 2014 schloss die [X.] mit dem Kläger und der [X.] --einem rechtlich eigenständigen Unternehmen ohne gesellschaftsrechtliche Verbindung zur [X.]-- aufgrund der Stilllegung des [X.]-Werkes zum 31. Dezember 2014 einen dreiseitigen Vertrag. Nach Art. 1 dieses [X.] wurde das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der [X.] zum 31. März 2015 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 157.747,23 € aus betriebsbedingten Gründen aufgehoben. Ferner begründeten der Kläger und die [X.] ein befristetes Arbeitsverhältnis vom 1. April 2015 bis zum 31. März 2017 (Art. 2 des [X.]). Geschäftsgrundlage für dieses Arbeitsverhältnis war die Gewährung von [X.] von § 111 des [X.] ([X.]) für diesen Zeitraum. Die [X.] verpflichtete sich zur Zahlung eines Zuschusses zum Transferkurzarbeitergeld. Einen Anspruch auf Beschäftigung gegenüber der [X.] hatte der Kläger nicht. Das befristete Arbeitsverhältnis bei der [X.] hatte zum Ziel, dem Kläger Qualifizierungsmöglichkeiten zu eröffnen und dessen Arbeitsmarktchancen zu verbessern.

2

Der Kläger erhielt im Jahr 2015 (Streitjahr) von der [X.] bis zum 31. März 2015 laufenden Arbeitslohn sowie die vereinbarte Abfindung. Ferner erhielt er vom 1. April 2015 bis zum 31. März 2016 Transferkurzarbeitergeld gemäß § 111 [X.] von der [X.]. Die [X.] zahlte hierzu [X.] in Höhe von 6.825,35 [X.] und in Höhe von 7.686,40 € im Jahr 2016.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) erfasste im Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 2. Mai 2016 für die Kläger sämtliche von der [X.] und von der [X.] an den Kläger geleisteten Zahlungen als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Abfindung in Höhe von 157.747,23 € unterwarf das [X.] als außerordentliche Einkünfte i.S. von § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dem ermäßigten Tarif, die [X.] zum Transferkurzarbeitergeld erfasste es dagegen als laufenden Arbeitslohn.

4

Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) gab der hiergegen erhobenen Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2018, 120 veröffentlichten Urteil statt und unterwarf die Einkünfte des [X.] in Höhe von 6.825,35 € unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids des Streitjahres dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 EStG.

5

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung von § 24 Nr. 1, § 34 EStG.

6

Das [X.] beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des [X.] Münster vom 15. November 2017  7 K 2635/16 E die Klage als unbegründet abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Unrecht entschieden, dass die [X.] zum [X.] in Höhe von 6.825,35 € nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ermäßigt zu besteuern sind.

9

1. Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG in Betracht.

Eine Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ist eine Leistung, die "als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen" gewährt wird, d.h. an die Stelle [X.] oder wegfallender Einnahmen tritt. Sie muss u.a. unmittelbar durch den Verlust von steuerbaren Einnahmen bedingt, d.h. durch den Fortfall der erwarteten oder zu erwartenden Einnahmen sachlich begründet sein, und dazu bestimmt sein, diesen Schaden auszugleichen sowie auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruhen (vgl. z.B. [X.]surteile vom 10. Juli 2008 IX R 84/07, [X.], 130, unter II.2., m.w.N., und vom 13. März 2018 IX R 16/17, [X.], 258, [X.] 2018, 709, Rz 9, m.w.N.).

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben, da das [X.] nicht alle maßgeblichen objektiven Umstände im Rahmen seiner Würdigung berücksichtigt hat.

a) Ohne Rechtsverstoß ist das [X.] davon ausgegangen, dass dem Kläger durch die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit der B-AG ein Schaden entstanden ist, der in dem Verlust seiner Einnahmemöglichkeiten bestand.

b) Nicht hinreichend geprüft hat das [X.] aber, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den [X.]n und der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit der B-AG bestand bzw. die Zuzahlungen gerade durch den Verlust der steuerbaren Einnahmen bedingt waren.

aa) Das [X.] hat einen solchen unmittelbaren Zusammenhang im Wesentlichen mit der Begründung bejaht, die Zahlungen könnten nicht Gegenstand einer laufenden Einkünfteerzielung sein, da sie nicht für laufende Arbeitsleistung gewährt worden seien. Der Kläger sei für die [X.] tatsächlich nicht tätig gewesen. Er habe auch keinen Anspruch auf Beschäftigung gehabt.

bb) Das [X.] lässt insoweit unberücksichtigt, dass ein Arbeitgeber auch gänzlich auf die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters verzichten kann, ohne dass dies der Annahme eines Arbeitsverhältnisses entgegenstünde (vgl. z.B. Urteil des [X.] --BFH-- vom 27. April 1994 XI R 41/93, [X.], 352, [X.] 1994, 653, unter [X.], m.w.N., zur Freistellung). Nicht hinreichend gewürdigt hat das [X.] zudem, dass den Kläger aus dem mit der [X.] geschlossenen Vertrag zahlreiche aktive Mitwirkungs- und Teilnahmepflichten trafen (vgl. z.B. Art. 2 § 8 des [X.]), er den Weisungen der [X.] zu folgen verpflichtet war (vgl. z.B. Art. 2 § 4 des [X.]) und ein beharrlicher Pflichtenverstoß die [X.] zur ordentlichen Kündigung des [X.] berechtigt hätte (vgl. Art. 2 § 15 des [X.]). Dass sich die Verpflichtungen des [X.] dagegen in erster Linie auf die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen, die Durchführung eines Profilings (§ 111 SGB III) oder sonstige Maßnahmen zur Verbesserung seiner Arbeitsmarktchancen bezogen haben, spricht nicht gegen die Annahme laufender Einnahmen i.S. des § 19 EStG. So sind z.B. auch Vergütungen im Rahmen eines Dienstverhältnisses, das der Ausbildung des betreffenden Leistungsempfängers dient, steuerrechtlich Arbeitslohn (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Juli 1985 VI R 93/80, [X.], 237, [X.] 1985, 644, unter 1., m.w.N.).

3. Die Vorentscheidung kann demnach keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Der [X.] kann die erforderliche Würdigung auf der Grundlage der vom [X.] getroffenen Feststellungen selbst vornehmen. Hiernach sind dem Kläger die [X.] im Streitjahr aus dem mit der [X.] (befristet) vereinbarten Arbeitsverhältnis zugeflossen und waren durch dieses unmittelbar veranlasst. Zwischen der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit der B-AG und der Zahlung der [X.] bestand indes allenfalls ein (mit-)ursächlicher Zusammenhang; dies genügt jedoch nicht im Rahmen des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 1. August 2007 XI R 18/05, [X.] 2007, 2104, unter [X.], 2. zu § 3 Nr. 9 EStG a.F.).

a) Nach dem vom [X.] in Bezug genommenen Sozialplan sollte den Arbeitnehmern der B-AG zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile, die sie infolge der geplanten Stilllegung des B-AG- Werkes zum 31. Dezember 2014 trafen, die Zahlung einer Abfindung zugesagt und ein Angebot zum Wechsel in eine Transfergesellschaft für maximal 24 Monate unter Aufstockung des [X.]es im [X.] und einer Nettoentgeltzusage für das zweite Jahr unterbreitet werden. Der Sozialplan stand unter der auflösenden Bedingung der Förderung der Transfergesellschaft durch die [X.].

b) Der Kläger hat mit Abschluss des [X.] das Angebot der B-AG zum Wechsel in die [X.] angenommen, d.h. das zwischen der B-AG und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis wurde zum 31. März 2015 aufgehoben. Im Rahmen dieses [X.] verpflichtete sich die B-AG gegenüber dem Kläger zur Zahlung einer einmaligen Abfindung in Höhe von 157.747,23 € brutto (vgl. Art. 1 § 1 des [X.]).

c) Gleichzeitig vereinbarte der Kläger mit der [X.] ein befristetes, sozialversicherungspflichtiges [X.], das am 1. April 2015 begann und (spätestens) am 31. März 2017 enden sollte (vgl. Art. 2 § 1 des [X.]). Der Vertrag stand u.a. unter der aufschiebenden Bedingung der Zusage der [X.] zur Durchführung von Transferkurzarbeit (vgl. Art. 2 § 15 des [X.]). Geschäftsgrundlage für das Arbeitsverhältnis war zudem die Gewährung von [X.] i.S. des § 111 SGB III für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 31. März 2016 (vgl. Art. 2 § 1 des [X.]).

Für die Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses verpflichtete sich die [X.] gegenüber dem Kläger zur Zahlung der im Sozialplan vereinbarten Beträge (vgl. Art. 2 § 1, § 7 des [X.]). Den Kläger trafen demgegenüber während der Gesamtlaufzeit des Vertrages aktive Mitwirkungs- und Teilnahmepflichten (vgl. z.B. Art. 2 §§ 6, 8 und § 16 des [X.]), wobei das Weisungsrecht der [X.] zustand und der Kläger am Dienstort der betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit geführt und dort in die Arbeitsorganisation der [X.] eingegliedert werden sollte (vgl. Art. 2 § 4 des [X.]). Die Vereinbarung enthält weiterhin Bestimmungen zur (Wochen-) Arbeitszeit (vgl. Art. 2 § 10 des [X.]), Regelungen für den Krankheitsfall (vgl. Art. 2 § 8 des [X.]), zur Urlaubsgewährung (vgl. Art. 2 § 10 des [X.]), zu [X.] und Nebentätigkeiten (vgl. Art. 2 § 5 und § 14 des [X.]) und zur Einsatzmöglichkeit bei anderen Arbeitgebern (vgl. Art. 2 § 6 des [X.]). Sollte die Auszahlung von [X.] aus Gründen in der Person oder dem Verhalten des [X.] unterbleiben oder deshalb eine Rückforderung bereits gezahlten [X.]es durch die [X.] erfolgen, hätte kein Anspruch auf die Zahlungen der [X.] bestanden und wären bereits gewährte Leistungen vom Kläger unverzüglich an diese zurückzuzahlen gewesen (vgl. Art. 2 § 8 des [X.]).

4. Nach Maßgabe dieser Regelungen sind die Zuzahlungen der [X.] zum [X.] laufender Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, da sie mit Rücksicht auf das [X.] geleistet bzw. durch dieses veranlasst sind.

Im Sozialplan wurde zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile in Folge der Stilllegung des B-AG-Werkes nicht die Zahlung der [X.] an die Arbeitnehmer als Entschädigung vereinbart, sondern --neben einer Abfindung-- die Ermöglichung der Teilnahme an einer Transfergesellschaft. Erst in der Transfergesellschaft und auf der Grundlage des [X.] erhielt der Kläger im Streitjahr die [X.], die zudem mit der Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von [X.] verknüpft waren. Wie bereits unter [X.] bb ausgeführt, steht der Annahme laufender Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) nicht entgegen, dass der Kläger weder einen Anspruch auf Beschäftigung gegenüber der [X.] hatte noch diese zur tatsächlichen Beschäftigung des [X.] verpflichtet war, zumal den Kläger aus dem [X.] aktive Mitwirkungs- und Teilnahmepflichten trafen; die [X.] war zudem berechtigt, den Kläger im Rahmen ihres Weisungsrechts auch zur Erprobung an andere Arbeitgeber abzuordnen. Die [X.] zum [X.] stellen sich demnach --jedenfalls im weitesten [X.] als Gegenleistung dar. Unerheblich ist insoweit, dass die Finanzierung der [X.] aus [X.] der B-AG erfolgt ist.

5. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

IX R 44/17

12.03.2019

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 15. November 2017, Az: 7 K 2635/16 E, Urteil

§ 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, § 24 Nr 1 Buchst a EStG 2009, § 34 Abs 1 EStG 2009, § 34 Abs 2 Nr 2 EStG 2009, § 111 SGB 3, EStG VZ 2015

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.03.2019, Az. IX R 44/17 (REWIS RS 2019, 9484)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 2119 REWIS RS 2019, 9484

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