Bundesfinanzhof, Urteil vom 06.08.2019, Az. VIII R 22/17

8. Senat | REWIS RS 2019, 4742

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zinsen aus der Stundung eines Ausgleichsanspruchs für den Pflichtteilsverzicht sind einkommensteuerbar


Leitsatz

Verzichtet ein Kind gegenüber seinen Eltern auf künftige Pflichtteilsansprüche und erhält es dafür einen fälligen Zahlungsanspruch, so führt die Verzinsung dieses Zahlungsanspruchs zu steuerpflichtigen Kapitalerträgen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 22.11.2017 - 3 K 3189/17 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Kläger und [X.] (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

2

Die Klägerin hat drei ältere Geschwister. Am [X.] schlossen die Eltern der Klägerin und die vier Kinder einen notariell beurkundeten [X.] ab. Die Eltern gaben an, sich wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt zu haben. Die Kinder verzichteten gegenüber dem überlebenden Elternteil auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von je 150.000 DM (umgerechnet [X.] €). Die Zahlung sollte bis zum 31.12.1994 erfolgen. Die Klägerin verzichtete in derselben Urkunde auf die Auszahlung der 150.000 DM (= [X.] €) zum 31.12.1994. An sie sollte der Betrag nebst 5 % Zinsen erst nach dem Ableben des [X.] Elternteils ausgezahlt werden. Zur Sicherung bewilligten und beantragten die Eltern die Eintragung einer Grundschuld in Höhe von 150.000 DM nebst 5 % Zinsen.

3

Mit gemeinschaftlichem Testament vom [X.] ordneten die Eltern unter Verweis auf den [X.] vom [X.] an, dass an die Klägerin die Auszahlung der 150.000 DM (= [X.] €) nebst 5 % Zinsen Zug um Zug gegen Löschung der Grundschuld erfolgen sollte. Am XX.11.2015 wurden der Klägerin 157.705,52 € (150.000 DM = [X.] € [X.] 81.011,74 € Zinsen für die [X.] vom [X.] bis XX.11.2015) ausbezahlt.

4

Die Kläger erklärten in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2015) aus dem Vorgang keine Einkünfte aus Kapitalvermögen. Sie stellten jedoch den Sachverhalt dar und vertraten die Auffassung, dass die Auszahlung für den geleisteten Pflichtteilsverzicht in Höhe von 157.705,52 € nicht der Besteuerung unterliege. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) vertrat dagegen die Auffassung, dass die Zahlung in Höhe von 81.011,74 € als Zinsen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Besteuerung unterliege. Der hiergegen erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg.

5

Mit ihrer Klage machten die Kläger geltend, dass der Klägerin von den Eltern insgesamt ein Betrag in Höhe von 157.705, 52 € als Schenkung zu Lebzeiten zugewendet worden sei, der nicht der Einkommensteuer unterliege. Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit Urteil vom 22.11.2017 - 3 K 3189/17 (Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2018, 379) statt. Zur Begründung führt es aus, dass in der Zahlung der Eltern kein steuerpflichtiger Zinsanteil enthalten sei. Aus dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 09.02.2010 - VIII R 43/06 ([X.]E 229, 104, [X.], 818) folge, dass die Klägerin aufgrund des Pflichtteilsverzichts lediglich einen Anspruch erhalten habe, der auf die Zahlung eines noch unbestimmten Gesamtbetrags gerichtet gewesen sei. Zuvor habe die Klägerin kein Kapital erhalten, das sie ihren Eltern hätte überlassen können. Wenn nach dem Urteil des [X.] vom 09.02.2010 - VIII R 35/07 ([X.]/NV 2010, 1793) selbst bei wiederkehrenden Zahlungen infolge eines Pflichtteilsverzichts keine Kapitalüberlassung vorliege, müsse dies bei einer Einmalzahlung erst recht gelten.

6

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision rügt das [X.] eine Verletzung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Die im [X.] vereinbarten Zahlungsmodalitäten stellten eine Kreditgewährung der Klägerin an die Eltern im abgekürzten Zahlungsweg dar. Dementsprechend sei die vereinbarte Verzinsung eine Gegenleistung für die Kapitalüberlassung, die nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu besteuern sei. Den vom [X.] angeführten Urteilen lägen keine vergleichbaren Sachverhalte zugrunde.

7

Das [X.] beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9

Zur Begründung nehmen sie Bezug auf die vorinstanzliche Entscheidung.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die rechtliche Würdigung des [X.] vom [X.] durch das [X.] hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des [X.] handelt es sich bei dem an die Klägerin im Streitjahr ausgezahlten Betrag in Höhe von 81.011,74 € um Zinsen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Der Einkommensteuerbescheid ist danach rechtmäßig und die Klage abzuweisen.

1. Die Zahlung der im Vertrag über den Pflichtteilsverzicht vom [X.] vereinbarten Zinsen in Höhe von 5 % jährlich ab dem 01.01.1995 für die Stundung der Ausgleichszahlung in Höhe von 150.000 DM (umgerechnet 76.693,78 €) führt im Streitjahr zum Zufluss von [X.] § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in Höhe von 81.011,74 €.

a) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen [X.]en jeder Art, wenn die Rückzahlung des [X.] oder ein Entgelt für die Überlassung des [X.] zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage.

aa) [X.]en in diesem Sinne sind alle auf Geldleistung gerichtete Forderungen ohne Rücksicht auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Urteil vom 27.10.2015 - VIII R 70/13, [X.], 736, Rz 28). Ebenso unerheblich ist, ob die zugrunde liegende [X.] selbst steuerbar und die Kapitalüberlassung freiwillig erfolgt ist (vgl. [X.]-Urteile vom 13.11.2007 - VIII R 36/05, [X.], 35, [X.], 292, unter II.2.; vom 09.06.2015 - VIII R 18/12, [X.], 105, [X.], 523, Rz 12; vom 20.10.2015 - VIII R 40/13, [X.], 260, [X.], 342, Rz 26).

bb) Erforderlich ist aber in jedem Fall die Überlassung von privatem Geldvermögen an Dritte. Dabei kann die Kapitalüberlassung in unterschiedlicher Art und Weise erfolgen, etwa durch Hingabe als (endfälliges oder in Raten zu tilgendes) Darlehen, durch Novation eines bestehenden Zahlungsanspruchs in ein Darlehen oder durch zeitliche Streckung eines Zahlungsanspruchs mittels Verrentung ([X.]-Urteil in [X.], 104, [X.], 818, unter [X.], m.w.N.). Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören sodann alle [X.], die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die überlassene Kapitalnutzung sind ([X.]-Urteil vom 20.11.2012 - VIII R 57/10, [X.], 422, [X.], 56, unter [X.], m.w.N.).

b) Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem an die Klägerin im Streitjahr ausgezahlten Betrag in Höhe von 81.011,74 € um Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

aa) Das [X.] ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich aus dem notariell beurkundeten [X.] vom [X.] ergebe, dass in dem am XX.11.2015 ausgezahlten Betrag in Höhe von 157.705,52 € kein Entgelt für die Überlassung von Kapital enthalten sei. Die rechtliche Einordnung des von den Vertragspartnern Gewollten am Maßstab der jeweils einschlägigen Normen durch das [X.] ist für den [X.] als Revisionsgericht nicht nach § 118 Abs. 2 [X.]O bindend, sondern in vollem Umfang nachprüfbare Rechtsanwendung ([X.]-Urteil vom 17.05.2017 - II R 35/15, [X.]E 258, 95, [X.], 966, Rz 26 f.). Der [X.] ist danach an die unzutreffende rechtliche Würdigung der eindeutigen und somit nicht auslegungsfähigen Regelungen des [X.] vom [X.] durch das [X.] nicht gebunden.

bb) Nach den Feststellungen des [X.] wurde in dem [X.] vom [X.] vereinbart, dass die Klägerin durch den Verzicht auf ihren Pflichtteil eine Forderung gegen ihre Eltern in Höhe von 150.000 DM (umgerechnet 76.693,78 €) erwarb, die am 31.12.1994 fällig war. Diese Forderung hatte sie zunächst bis zum Tod des [X.] Elternteils verzinslich gestundet. Aufgrund der Anordnung im gemeinschaftlichen Testament der Eltern vom [X.] wurde der gestundete Betrag ausgezahlt und es flossen der Klägerin die bis dahin entstandenen Zinsen von 5 % pro Jahr in Höhe von insgesamt 81.011,74 € zu. Zwar unterliegt das Entgelt für den Verzicht auf den Pflichtteil nicht der Besteuerung, da es sich bei der Regulierung der Vermögensnachfolge um einen erbrechtlich, bürgerlich-rechtlich und steuerrechtlich unentgeltlichen Vertrag handelt ([X.]-Urteile in [X.]/NV 2010, 1793; in [X.], 104, [X.], 818; in [X.], 422, [X.], 56). Anders verhält es sich bei den Zinsen, die die Eltern der Klägerin als Entgelt für die Stundung der Ausgleichsforderung gezahlt haben. Die Klägerin hatte den Eltern durch die Stundung einen Kredit in Höhe von 150.000 DM (umgerechnet 76.693,78 €) gewährt (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 260, [X.], 342). Die hierfür gezahlten Zinsen unterliegen der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

cc) Die [X.]-Urteile jeweils in [X.], 104, [X.], 818 und in [X.]/NV 2010, 1793 führen zu keiner anderen Beurteilung. Entgegen der Auffassung des [X.] kann aus diesen [X.]-Urteilen nicht der Schluss gezogen werden, dass wenn schon wiederkehrende Zahlungen keinen steuerbaren Zinsanteil enthalten, dies bei einer Einmalzahlung erst recht gelten müsse. Entscheidend ist, dass die Klägerin durch den Verzicht auf ihren Pflichtteil einen fälligen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung erhalten hat, den sie erst in einem zweiten Schritt gestundet hat. Hierdurch wurden die Eltern von ihrer Verpflichtung zur Auszahlung befreit, so dass eine Kreditgewährung vorliegt. Die hierfür gezahlten Zinsen in Höhe von 81.011,74 € unterliegen der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG .

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VIII R 22/17

06.08.2019

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 22. November 2017, Az: 3 K 3189/17, Urteil

§ 20 Abs 1 Nr 7 EStG 2009, EStG VZ 2015

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 06.08.2019, Az. VIII R 22/17 (REWIS RS 2019, 4742)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 4742

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII R 43/06 (Bundesfinanzhof)

(Zahlungen der Eltern an ihr Kind im Gegenzug für dessen Pflichtteilsverzicht sind nicht einkommensteuerbar - …


VIII R 35/07 (Bundesfinanzhof)

Zahlungen der Eltern an ihr Kind im Gegenzug für dessen Erbteilsverzicht und Pflichtteilsverzicht sind nicht …


VIII B 70/09 (Bundesfinanzhof)

Zinslose Stundung einer Zugewinnausgleichsforderung: Konkurrenz von Einkommensteuer und Schenkungsteuer - Ergehen eines geänderten Einkommensteuerbescheids während …


VIII R 57/10 (Bundesfinanzhof)

Zahlungen aufgrund eines vor Eintritt des Erbfalls erklärten Erb- und/oder Pflichtteilsverzichts sind nicht einkommensteuerbar - …


VIII R 40/13 (Bundesfinanzhof)

Einkünfte aus Kapitalvermögen: Testamentarisch angeordnete Verzinsung eines Vermächtnisanspruchs


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.