Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.08.2020, Az. 6 StR 100/20

6. Strafsenat | REWIS RS 2020, 11263

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:260820U6STR100.20.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
6
StR
100/20

vom
26. August 2020
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 6.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom
26. Au-

gust
2020, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.]
am [X.]
Prof. [X.],

[X.]in am [X.] Dr. [X.],
[X.] am [X.]
Prof. Dr. König,
[X.]in am [X.] von [X.],
[X.] am [X.] Fritsche

als beisitzende [X.],

Staatsanwältin

als Vertreterin
des Generalbundesanwalts,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Amtsinspektorin

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

-
3
-

für Recht erkannt:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. November 2019 mit den Feststellungen aufgeho-ben, soweit er verurteilt wurde.

2.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Ur-teil mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a)
im Schuldspruch im Fall 2
der Urteilsgründe,
b)
soweit der Angeklagte im Fall 5 freigesprochen wurde,
c)
im Strafausspruch in den Fällen 1
und 4 sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Die weitergehende Revision wird verworfen.
3.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebungen
zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

-
Von Rechts wegen
-

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten
unter Freispruch im Übrigen we-gen Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung sowie vorsätzlicher Körper-verletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 1
-
4
-
neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die gegen das Urteil
gerichtete Revision des Angeklagten
hat mit der Sachrüge
Erfolg. Das
zuungunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf
den Schuldspruch im Fall 2,
den Freispruch im Fall 5 und
die Strafaussprüche in den Fäl-
len
1 und 4 der Urteilsgründe
beschränkte
Rechtsmittel der Staatsan-waltschaft ist ebenfalls begründet; für die darüber hinaus beantragte [X.] in den Fällen 2 und 5 war kein Raum.

I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen
getroffen:
1.
Im März oder April 2011 geriet der Angeklagte darüber in Wut, dass seine damalige Lebensgefährtin W.

seinem Empfinden nach zu einem Piz-zaboten zu freundlich gewesen war. Er schlug ihr den Pizzakarton aus der Hand, zog sie an den Haaren ins Schlafzimmer, warf sie aufs Bett, setzte sich auf sie und sagte, dass sie ihm gehöre und deshalb zu keinem anderen so nett zu sein habe. Sodann vollzog er
an
seiner weinenden Lebensgefährtin den un-geschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss
(Fall 1
der Urteilsgrün-de).
2.
Anfang Dezember 2017 besuchte der Angeklagte seine in B.

an einer Fortbildungsveranstaltung teilnehmende
Kollegin
[X.]

, mit der er seit Oktober 2017 eine intime Beziehung führte.
[X.]

hatte ihr Tagebuch offen im Hotelzimmer liegen lassen. Anders, als von ihr erwartet, las der Ange-klagte nicht den Eintrag über sein besitzergreifendes und gewalttätiges
Verhal-ten, sondern den über ihre Unzufriedenheit mit seinen

Der deswegen in Wut geratene Angeklagte stellte
sie nach
ihrer Rückkehr zur Rede, worauf
sie
die
Kritik wiederholte. Daraufhin
griff er sie an den Armen, 2
3
4
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5
-
drückte sie auf das Bett, setzte sich auf sie, beschimpfte sie, spuckte ihr mehr-mals in die Augen und versetzte ihr eine Kopfnuss; sie schrie und weinte. Als Wiedergutmachung

forderte er den Oralverkehr, den die Geschädigte aus Angst vor einer Eskalation ohne Gegenwehr und ablehnende Äußerungen bis zum Samenerguss durchführte
(Fall
2
der Urteilsgründe).

3.
Anfang Februar 2018 suchte
[X.]

den Angeklagten auf. [X.] es zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr gekommen war, offenbarte sie ihm, die Beziehung beenden
zu
wollen. Daraufhin drückte der Angeklagte sie
wütend auf
das
Bett, setzte sich auf sie und fixierte ihre Arme. Als sie
zu schreien begann, legte er ihr beide Hände um den Hals und drückte zu. Die Geschädigte verspürte Luftnot, ihr wurde schwarz vor Augen und sie erlitt [X.]. Erst als sie sich nicht mehr wehrte, löste der Angeklagte den Griff, sodass sie nach einem Hustenanfall wieder zu Atem kam. Er verbot
ihr,
die
Wohnung zu verlassen.
Seinem Verlangen folgend legte sie sich ihren Schal um.
Er setzte sich auf ihren Schoß, küsste sie, wobei er ihr schmerzhaft in die [X.] biss, und zog den
Schal zu, worauf die Geschädigte erneut Luftnot ver-spürte (Fall 4
der Urteilsgründe).
4.
Im Juni 2018 kam es in der Wohnung des Angeklagten zu einem Streit mit
[X.]

, weshalb sie die Wohnung verlassen
wollte, was dem Ange-klagten jedoch missfiel. der Drohung,

werde, wenn sie das nicht mache, forderte er den Oralverkehr, den die Geschädigte ohne weitere Äußerungen oder Gegenwehr bis zum Samenerguss ausführte
(Fall 5
der Ur-teilsgründe).
5.
Ende Juni 2018 verlangte
der Angeklagte von [X.]

, sich vor den
gemeinsamen
Kollegen zu ihm zu bekennen. Als sie dies verweigerte,
be-schimpfte er sie. Nachdem er selbst Schwestern
der Station
die Beziehung of-
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-
6
-

fenbart hatte, begab er sich zu
[X.]

ins Arztzimmer und küsste sie, wobei er ihr schmerzhaft in die gesamte
Mundpartie biss. Hierdurch bildete sich ein Bluterguss an der Unterlippe (Fall 6 der Urteilsgründe).
II.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
Die
Beweiswürdigung hält

auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsrechtlichen [X.] (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschluss vom 7. Juni 1979

4 [X.], [X.]St 29, 18, 20 f. mwN)

sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Angesichts der schwierigen Beweislage hätte sich das [X.] nicht auf eine eher kursorische

Wür-digung
der Aussagen der Tatopfer beschränken dürfen. Namentlich wären [X.] zur Aussageentstehung und -entwicklung sowie weitere Feststellungen zum Verlauf und Ende der jeweils konfliktbehafteten
und von Gewalt begleiteten Beziehungen unabdingbar
gewesen, auch um etwaige Falschbelastungsmotive ausschließen
zu können. Dies gilt umso mehr, als die Tat
1 im [X.] bereits acht Jahre zurücklag, ohne dass aus dem Urteil hervorgeht, wodurch die zeitliche Differenz bedingt ist.
Anhand der Darlegungen des [X.]s ist dem Senat damit eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht
möglich, ob das [X.] mit Recht zur Verurteilung
des Angeklagten
gelangt ist.

III.
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10
-
7
-
Die Revision der
Staatsanwaltschaft führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Urteils.
1. Die Wertung des [X.]s, der Angeklagte habe sich im Fall 2 der Urteilsgründe nicht auch wegen Vergewaltigung strafbar gemacht, hält rechtli-cher Überprüfung nicht stand.
Die Strafkammer stützt die fehlende Erkennbarkeit des entgegenstehen-den Willens der Geschädigten darauf, dass der Angeklagte nicht ausschließbar davon ausgegangen sei, bei dem Oralverkehr handele es sich um eine

Wie-dergutmachung

von Seiten der Geschädigten für die vorangegangene [X.]. Angesichts der vorhergehenden Gewaltakte
und des vom Angeklagten strikt eingeforderten [X.] hätte das [X.] bei seiner rechtlichen Würdigung
in den Blick nehmen müssen, ob er
hinsichtlich des entgegenste-henden
Willens gleichgültig war,
was bedingten Vorsatz begründen würde.

Der Rechtsfehler zieht die Aufhebung der Verurteilung wegen Körperver-letzung nach sich.
2. Das [X.] hat bei Tat 5 zugrunde gelegt, der Angeklagte sei
gangen. Diese Annahme leitet es
wesentlich daraus ab, dass er die Zeugin in aufgefordert

habe, ihn sofort und in der von ihm gewünschten Weise zu [X.] die Geschädigte trotz inneren Vorbehalts dann jeweils getan habe (UA S.
14).
Andererseits betont es, dass der Angeklagte bis dahin stets d Drohungen einsetzen zu [X.].
Abgesehen davon, dass für die Würdigung dieser Darlegung notwendige Details zu den früheren Vorfällen nicht mitgeteilt werden, blendet das [X.]
damit
weitgehend den Umstand aus, dass der Angeklagte

anders als 11
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14
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8
-
zuvor

hier gerade eine massive Drohung eingesetzt hat, um sein Ziel zu errei-chen. Bei dieser Sachlage
bedürfte es
aussagekräftiger
Anhaltspunkte im äuße-ren Tatgeschehen, aufgrund derer der Angeklagte tatsachenfundiert hätte an-nehmen
können, die Geschädigte sei der Aufforderung nicht unter dem [X.] der von ihm geäußerten Drohung nachgekommen. Solche sind den [X.] nicht zu entnehmen.
3. Die Strafaussprüche in den Fällen 1 und 4
weisen durchgreifende
Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten
auf.
a) [X.] hat bereits deswegen keinen Bestand, weil das [X.] mit der insoweit ausgeurteilten Freiheitsstrafe von lediglich einem Jahr und drei Monaten den durch § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB in der bis 9.
November 2016 geltenden Fassung eröffneten und mangels Entkräftung der Regelwirkung zwingend anzuwendenden Strafrahmen von nicht unter zwei [X.] unterschritten hat.

b) Der
Strafausspruch im Fall
4 begegnet
ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Das [X.] hat
zugunsten des Angeklagten
als wesentlichen [X.] gewichtet, dass ihm die Geschädigten
nicht frühzeitig klare Grenzen aufgezeigt und ihn dadurch in seiner Fehleinstellung bestärkt hätten. Zwar kommt bei [X.] der Entstehung, Entwicklung und konkreten Ausgestaltung der Beziehung sowie
einem etwa ambivalenten Verhalten des Tatopfers
und der hierdurch möglicherweise herabgesetzten Hemmschwelle für die Begehung der Tat Relevanz für die Strafzumessung zu (vgl. [X.], [X.] vom 7.
Juli 2009

5
StR 204/09, [X.], 308, 309; vom 10.
September 2009

4
StR 366/09, [X.], 9, 10; differenzierend LK-StGB/[X.], 13. Aufl.,
§ 46 Rn. 212). Die strafmildernde Berücksichtigung eines in der Beziehung wurzelnden Mitverursachungsbeitrages erfordert aber 15
16
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18
-
9
-
diesbezügliche konkrete Feststellungen. Daran mangelt es, weil das [X.] zum Verlauf der jeweiligen Beziehung nähere Einzelheiten nicht mitteilt.
Der Senat kann
nicht ausschließen, dass das [X.] zu höheren Strafen
gelangt
wäre, wenn es diesen Aspekt nicht
zugunsten des Angeklagten
gewer-tet
hätte.

4. Die Aufhebungen
entziehen der Gesamtstrafe die Grundlage.
IV.
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1.
Das neue Tatgericht wird im Falle der erneuten Verurteilung des An-geklagten
unter anderem wegen Verbrechen der Vergewaltigung bei der [X.] erkennbar zu bedenken haben, dass
dem Angeklagten neben [X.] Folgen der Widerruf der [X.] gemäß §
5
Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO
drohen kann (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 16. Okto-ber 2003

5
StR 377/03, [X.], 71; vom 19.
März 2019

5 [X.],

[X.], 441).
2.
Bei nochmaliger Annahme konkreter Lebensgefahr (vgl. [X.]) aufgrund des Auftretens von Petechien wird das Tatgericht seine eigene Sach-kunde näher darzulegen haben.

Sander
[X.]
König

von [X.]

Fritsche
Vorinstanz:
19
20
21
22
-
10
-
Stralsund, [X.], [X.] -
526 [X.] 22 KLs 16/19

Meta

6 StR 100/20

26.08.2020

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.08.2020, Az. 6 StR 100/20 (REWIS RS 2020, 11263)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11263

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5 StR 684/18

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