Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2012, Az. 5 StR 433/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 9860

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5 [X.]/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM [X.] DES VOLKES

URTEIL

vom 24. Januar 2012
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

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2
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Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 24. Janu-ar
2012, an der teilgenommen haben:

[X.] Dr. Raum als Vorsitzender,

[X.] Dr. Brause,
[X.] [X.],
[X.]in Dr. [X.],
[X.] Prof. Dr. König

als beisitzende [X.],

Oberst[X.]tsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt W.

als Verteidiger,

Rechtsanwalt Ko.

als Vertreter der Neben-
und Adhäsionsklägerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. Mai 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

[X.] n d e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Körperverletzung, sowie wegen Nöti-gung, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Kör-perverletzung, wegen Körperverletzung und wegen Beleidigung zu einer Ge-samtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von dieser Strafe hat es ein Jahr Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt. Die [X.] hat den Angeklagten ferner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Ne-benklägerin in Höhe von 10.000

verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der unter anderem
wegen Vergewaltigung im Jahre 1989 zu einer Bewährungsstrafe vorverurteilte Angeklagte lernte im [X.] in einer 1
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Gaststätte in [X.] die 15-jährige Nebenklägerin und deren Freundin

L.

kennen. Der als Automatenaufsteller tätig gewesene Ange-klagte gab den Jugendlichen Getränke aus und der Nebenklägerin
Geld für Cannabis. Sie
begann in dieser [X.] mit dem [X.] von Alkohol. Sie erhielt später von dem Angeklagten auch längere [X.] Kokain. Sie
begleitete den Angeklagten auf seinen beruflichen Fahrten und wurde seine Freundin. Der Angeklagte vermittelte ihr in [X.] Unterkünfte und ließ sie in der von ihm .

B.

letzt 5

die Stunde arbeiten. [X.] besorgte der Angeklagte ihr eine Wohnung, die er
vorwiegend nachts aufsuchte, um mit ihr geschlechtlich zu verkehren. vielen Fällen mit diesen sexuellen Handlungen einverstanden. Wenn der An-geklagte jedoch angetrunken und aggressiv war, setzte er sein Ansinnen ge-gen den erklärten Willen der Geschädigten häufig mit Gewalt durch. In [X.] Situationen kam es auch zum Analverkehr gegen den Willen der [X.]. Der Angeklagte drückte der Geschädigten bei diesen Vorfällen z.
B. ein Kissen auf ihren Kopf, damit ihre Schreie nicht zu hören waren, und legte sich mit seinem Gewicht auf sie. Obwohl die Geschädigte dann schrie und vor Aufregung schwitzte, drückte er ihre Beine auseinander und vollzog den Analverkehr. Die Geschädigte hatte bei diesem Vorgehen starke Schmerzen und ließ den Übergriff geschehen, bis der Angeklagte ejakuliert

([X.]).

b) Das [X.] hat sich von folgenden Taten des Angeklagten überzeugt:

Im [X.] 2003 oder 2004 schlug der alkoholisierte Angeklagte im Schlafzimmer der Nebenklägerin zweimal gegen deren Kopf. Er drückte ge-gen
den Widerstand der jungen Frau deren Beine auseinander und vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr. Die Nebenklägerin erlitt Hämatome und Kopfschmerzen (Fall 1: Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung).

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In der ersten [X.] 2005 riss der alkoholisierte Angeklagte an den H[X.]ren der Nebenklägerin, spreizte
gegen ihren Widerstand ihre Beine und vollzog den Geschlechtsverkehr (Fall
2: Vergewaltigung).

Nach einer von der Nebenklägerin am 21. Juli 2005 veranlassten [X.] drängte der Angeklagte noch am gleichen Tag oder einen Tag spä-[X.]

B.

riss fortwährend an ihren H[X.]ren und vollzog nach einem Gerangel
im Ste-hen den vaginalen Geschlechtsverkehr an
ihr (Fall 3: Vergewaltigung).

Am 23. Juli 2005 hielt der Angeklagte der Nebenklägerin unter Todes-drohungen eine Schusswaffe an deren Kopf und verlangte die [X.]. Er sagte, sie solle
unterschreiben, damit sie in seiner Schuld stünde und vom ihm nicht
loskäme (Fall 4: Nötigung).

[X.]

B.

Nebenklägerin. Er nahm einen großen gläsernen Aschenbecher und warf ihn in Richtung der Frau. Sie wich aus und flüchtete. Der Angeklagte verfolgte sie, schlug ihr ins Gesicht, stieß ihren Kopf gegen die Wand, riss an ihren
H[X.]ren und würgte sie (Fall 5: vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung).

Am 8. Mai 2006 trank die Nebenklägerin in einer Bäckerei Kaffee. Der Angeklagte trat hinzu, riss an ihren H[X.]ren und schlug ihr gegen den Kopf (Fall 6: Körperverletzung).

Am 2. Juli 2006 bezeichnete der Angeklagte die Nebenklägerin als Schlampe

(Fall 7: Beleidigung).

c) Nach der Todesdrohung des Angeklagten floh die Nebenklägerin zu Verwandten nach [X.]. Der Angeklagte entschuldigte sich. Die Neben-klägerin kehrte nach [X.] zurück und war wieder mit dem Angeklagten 6
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zusammen. Am 8. Mai 2006 erstattete die Nebenklägerin Anzeige gegen
den Angeklagten.

d) Das [X.] hat sich hinsichtlich der Taten 2
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der Urteils-gründe ausschließlich aufgrund der als uneingeschränkt glaubhaft bewerte-ten Aussage der Nebenklägerin überzeugt.

Hinsichtlich
des Falles
1
hat das [X.] eine Stütze der belas-tenden Aussage der Nebenklägerin in der Aussage der Zeugin L.

gefun-den, wonach diese zur Tatzeit in der Wohnung anwesend war und von einem im Schlafzimmer fortgesetzten Streit zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin berichtet hat und davon, dass diese
ihr weinend mitgeteilt ha-be, dass der Angeklagte sie geschlagen und mit ihr geschlafen habe.

Hinsichtlich des Falles 5
hat das [X.] zusätzlich auf die

zwar in ihrer Beschränktheit nicht insgesamt glaubhafte

Aussage der Zeugin N.

abgestellt, wonach der Angeklagte die Nebenklägerin beschimpft und einen großen Aschenbecher ergriffen habe. Aus weiteren, als glaubhaft be-werteten [X.] hat sich das [X.] ersichtlich vom Cha-rakter der von Unterdrückung und Gewaltausübung geprägten Beziehung des Angeklagten zu der Nebenklägerin überzeugt. Es hat insoweit auf die Aussage der Zeugin L.

abgestellt, die schilderte, dass der Angeklagte in [X.]

B.

benklägerin auf der Straße verfolgt, sie mit Fäusten geschlagen und sie getreten habe, als sie auf dem Boden gelegen habe, ferner auf
die Aussage der Zeugin [X.].

, die eine
Beleidigung der Nebenklägerin durch den Angeklagten miterlebt habe und die [X.] für Schläge und Beschimpfungen des Angeklag-ten geworden sei.

Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten und geltend gemacht, er habe lange [X.] den Lebensunterhalt der Nebenklägerin finanziert. Er habe
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sich wegen einer anderen Frau von ihr getrennt. Daraufhin habe sie ihm [X.], ihn fertig zu machen.

Das [X.] hat Rache als Falschbelastungsmotiv ausgeschlos-sen, weil die Nebenklägerin zum [X.]punkt der Anzeigeerstattung vom 8.
Mai
2006 schon mehrere Monate keine Beziehung mehr zum Angeklagten gehabt habe
und sich keine Hinweise darauf ergeben hätten, dass die Ne-benklägerin den Angeklagten hätte fertig machen

wollen.

2. Soweit das [X.] in den Fällen 2
bis 4 die Verurteilung aus-schließlich auf die belastenden Angaben der Nebenklägerin stützt, offenbart die Beweiswürdigung sachlichrechtliche Fehler. Sie bezieht festgestellte Um-stände nicht ein, die nach den hier aufgrund der gegebenen Beweissituation geltenden Anforderungen mit hätten bewertet werden müssen (vgl. [X.], Urteil vom 29. Juli 1998

1 StR 94/98, [X.]St 44, 153, 158 f.). Ferner bleibt die Darstellung der Entwicklung der Aussagen der Nebenklägerin zumindest unvollständig.

[X.] bewertet (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Mai 2010

5 [X.]; [X.], Urteil vom 27. März 2003

1 StR 524/02, [X.] 2003, 312).

[X.]) Zwar mag ein [X.]ablauf von
fünf Monaten
nach der

vom [X.] hinsichtlich des Verursachers gar nicht aufgeklärten

Trennung eine Eifersucht auf die neue Beziehung des Angeklagten als Quelle einer aus Ra-che erfolgten Falschbelastung ausschließen können. Dies gilt aber nicht für die weiter festgestellte, indes nicht gewürdigte Empfindung der Nebenkläge-rin, durch ihr Leben mit dem Angeklagten fühle sie sich vorgealtert, kraftlos und habe das Gefühl, ihrer Jugend beraubt zu sein.

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bb) Auch wenn es zu bedenken gilt, dass ein Vergewaltigungsopfer aus berechtigtem Zorn eine Bestrafung erstreben kann und deshalb
eine von
Belastungseifer getragene Aussage keineswegs zwingend
Glaubhaftigkeits-bedenken ausgesetzt ist (vgl. [X.]
[X.] [X.]O), hat es das [X.] hier in einem weiteren
Zusammenhang unterlassen, eine mögliche Falschaussa-ge der Nebenklägerin zu erwägen.

Die [X.] hat einerseits die Aussage der Nebenklägerin als glaubhaft angesehen, nie zu jemandem
gesagt zu haben, dass sie den [X.] habe fertig machen

wollen ([X.]). Andererseits hat das [X.] den Zeugenaussagen der Eheleute [X.]

, die Nebenklägerin habe
ihnen gesagt, dass sie bis zum Letzten gehen und den Angeklagten in den Knast bringen

würde, jeglichen
Beweiswert abgesprochen. Selbst wenn sich die Geschädigte in der Weise geäußert haben sollte, lasse dies keinen Rückschluss darauf zu, dass sie falsche Angaben über die Geschehnisse gemacht habe. Mit dieser Erwägung hat es das [X.] indes versäumt, eine im Raum stehende Falschaussage der einzigen Belastungszeugin über eigene Äußerungen gegenüber [X.] in die Prüfung der
Glaubhaftigkeit ih-rer Angaben im Übrigen einzubeziehen.

b) Das [X.] hat es ferner unterlassen, aus den Feststellungen sich als wahrscheinlich aufdrängende, indes von der Nebenklägerin unterlas-sene Handlungen in die Erwägungen einzubeziehen. Hierdurch sind festge-stellte Umstände lückenhaft bewertet geblieben (vgl. [X.], Urteil vom 18.
September
2008

5 [X.], [X.], 401).

Das [X.] hat die Aussage der Nebenklägerin

sie sei Opfer schwerster

freilich nicht angeklagter

anal ausgeführter schmerzhafter Vergewaltigungen geworden, bei denen ihre Schreie durch ein jeweils auf ihren Kopf gedrücktes Kissen unterdrückt worden seien, als glaubhaft bewer-tet. Es hat dabei nicht erwogen, warum
die Nebenklägerin den sich aus der Vornahme solcher Verbrechen entstehenden Impuls zur Flucht
überwunden
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hat
und

überdies
ohne Offenbarung gegenüber einer Vertrauensperson

bei dem Angeklagten verblieben ist. Die kritiklose Hinnahme der Erklärung der Nebenklägerin durch das [X.], sie sei aus der Beziehung [X.] nicht (vgl. auch [X.], Beschluss vom 13. November 2003

5 [X.]). Gleiches gilt hinsichtlich des Umstands, dass die Nebenklä-gerin nach ihrer Flucht zu Verwandten zu dem Angeklagten zurückgekehrt ist, ohne dass
erwogen worden ist, ob
es zu einer sich aufdrängenden [X.] über die Vernichtung der abgepressten
Blankoschuldscheine ge-kommen ist.

c) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin erweckt zudem die Besorgnis von deren Unvollständigkeit, was die gebotene umfassende Glaubhaftigkeitsprüfung nicht hinreichend erkennbar und nachvollziehbar macht (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Mai 2002

5 [X.]).

Es bleibt offen, ob die Bewertung des [X.], dass im Kernge-schehen keine Abweichungen vorhanden seien, sich allein auf die angeklag-ten Tatvorwürfe oder auch auf die analen Vergewaltigungen bezieht. Soweit die [X.] festgestellt hat, es sei im weiteren Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung

lediglich zu Erweiterungen der ursprünglich ge-machten Aussagedurch die Erweiterungen die Glaubhaftigkeit des ursprünglich Gesagten be-stärkt oder in Zweifel zu ziehen gewesen wäre.

3. [X.] entzieht nicht nur den [X.] die Grundlage, die ausschließlich auf der Aussage der Nebenklägerin beruhen. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei der

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gebotenen umfänglichen Bewertung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage der Nebenklägerin auch in den übrigen Fällen zu einer anderen Urteilung
gekommen wäre.

Raum

Brause

[X.]

[X.]

König

Meta

5 StR 433/11

24.01.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2012, Az. 5 StR 433/11 (REWIS RS 2012, 9860)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9860

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 433/11

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