Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 08.03.2023, Az. XII ZR 37/22

12. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 2977

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Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 31. März 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Maut für die Benutzung [X.] Autobahnen.

2

Die Klägerin ist eine [X.] Gesellschaft, deren Geschäftszweck die Eintreibung der [X.]n Autobahnmaut ist. Der Beklagte ist Halter dreier Kraftfahrzeuge, mit denen im Zeitraum vom 11. Mai bis zum 4. September 2018 insgesamt zehnmal an verschiedenen Tagen ein Abschnitt der [X.]n Autobahn befahren wurde, für den auf Grundlage des [X.]n Gesetzes Nr. I von 1988 über den Straßenverkehr (im Folgenden: Straßenverkehrsgesetz) i.V.m. der Verordnung des [X.]n Ministers für Wirtschaft und Verkehr Nr. 36/2007 (III. 26.) [X.] über die Maut von Autobahnen, Autostraßen und Hauptstraßen (im Folgenden: [X.]) eine Straßenmaut zu entrichten ist.

3

Schuldner der Maut ist nach § 15 Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz der Halter des Fahrzeugs. Wird die Maut nicht vor der Benutzung des Straßenabschnitts durch Kauf einer virtuellen Vignette (e-Matrica) entrichtet, ist gemäß § 33/A Abs. 1 des [X.] in Verbindung mit § 7/A Abs. 10 und Anlage 1 [X.] eine [X.] von 14.875 [X.]n [X.] ([X.]) bei Zahlung innerhalb von 60 Tagen nach Zahlungsaufforderung zu zahlen bzw. eine erhöhte Zusatzgebühr von 59.500 [X.] bei einer Zahlung nach mehr als 60 Tagen.

4

Mit mehreren Schreiben forderte ein im Inland ansässiges Inkassounternehmen den Beklagten zur Zahlung der [X.] für die jeweiligen [X.] auf. Nachdem der Beklagte diese nicht beglichen hatte, forderte die Klägerin ihn mit weiteren Schreiben zur Zahlung der erhöhten Zusatzgebühren auf.

5

Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung von 1.855,29 € nebst Zinsen sowie von 790,86 € außergerichtlichen Inkassokosten verlangt. Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, abgesehen von einer Reduzierung der Inkassokosten auf 172,60 €. Das [X.] hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen; hiergegen richtet sich dessen zugelassene Revision.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

7

Über das Rechtsmittel ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung in der mündlichen Revisionsverhandlung nicht anwaltlich vertreten war; inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis der Klägerin, sondern auf einer umfassenden Würdigung des Sach- und Streitstandes (vgl. [X.]surteil vom 7. November 2018 - [X.]/17 - [X.], 824 Rn. 3 mwN).

I.

8

Das [X.] hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Klägerin habe gegen den [X.]n als Halter der Fahrzeuge einen Anspruch auf Zahlung einer erhöhten Zusatzgebühr für das Befahren der [X.] an zehn Tagen in Höhe von - abhängig vom Wechselkurs - jeweils 183,23 € bis 188,01 € gemäß Anlage 1 [X.]. Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien sei als ein vertragliches Schuldverhältnis anzusehen, auf das gemäß Art. 4 Abs. 2 [X.] I-VO das [X.] Recht anzuwenden sei. Die Klägerin könne die erhöhte Zusatzgebühr nach Anlage 1 [X.] verlangen, da die Fahrzeuge des [X.]n mautpflichtige Straßen befahren hätten, ohne dass die Maut vorher bezahlt worden sei. Ein Verstoß gegen den ordre public, der zur Nichtanwendung der Vorschriften der [X.] führen könnte, liege nicht vor. Die Heranziehung des Fahrzeughalters als Mautschuldner sei dem [X.] Recht nicht wesensfremd. Auch begründe die erhöhte Zusatzgebühr keinen Verstoß gegen die [X.] öffentliche Ordnung, da sie mit einer auch dem [X.] Recht bekannten Vertragsstrafe vergleichbar sei. Der Sache nach handle es sich um eine Sanktionierung des Zahlungsverzugs. Darin liege kein Verstoß gegen das Verschuldensprinzip, da der [X.] die - als angemessen anzusehende - Zahlungsfrist von 60 Tagen nicht eingehalten habe.

II.

9

Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung insoweit nicht stand, als es an Feststellungen zur Berechtigung der Klägerin fehlt, die Zahlung in inländischer Währung zu fordern.

1. Die Klage ist zulässig erhoben. Insbesondere liegt die internationale Zuständigkeit [X.]r Gerichte vor (vgl. [X.]surteil vom 28. September 2022 - [X.] - NJW 2022, 3644 Rn. 9 mwN).

2. Zur Anwendung kommt im vorliegenden Fall [X.]s Sachrecht (vgl. [X.]surteil vom 28. September 2022 - [X.] - NJW 2022, 3644 Rn. 18 ff.).

3. Nach den vom [X.] im Freibeweis (vgl. [X.]surteil vom 28. September 2022 - [X.] - NJW 2022, 3644 Rn. 22 mwN) getroffenen Feststellungen zum Inhalt des [X.]n Rechts ist, wenn die Maut nicht vor der Benutzung des Straßenabschnitts durch Kauf einer virtuellen Vignette entrichtet ist, gemäß § 33/A Abs. 1 des [X.] in Verbindung mit § 7/A Abs. 10 und Anlage 1 [X.] eine Grundersatzmaut von 14.875 [X.] bei Zahlung innerhalb von 60 Tagen nach Zahlungsaufforderung zu zahlen bzw. eine erhöhte Zusatzgebühr von 59.500 [X.] bei einer Zahlung nach mehr als 60 Tagen. Schuldner der nachträglich zu entrichtenden Maut ist nach § 15 Abs. 2 des [X.] der Halter des Fahrzeugs. Aufgrund von zehn Benutzungen von [X.] an verschiedenen Tagen, für die auf Grundlage der [X.] eine Straßenmaut anfällt, ergibt sich eine Forderung gegen den [X.]n als Halter des Fahrzeugs in Höhe von zehnmal der erhöhten Zusatzgebühr.

4. Die Anwendung der Vorschriften des [X.]n Rechts über die zu entrichtende erhöhte Zusatzgebühr kann auch nicht gemäß Art. 21 [X.] I-VO deshalb versagt werden, weil diese mit der inländischen öffentlichen Ordnung („ordre public“) offensichtlich unvereinbar wäre. Denn ein ordre public-Verstoß läge nur dann vor, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der [X.] Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stünde, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint. Dies ist jedoch, wie der [X.] bereits wiederholt in vergleichbaren Fällen ausgesprochen hat und auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen wird, nicht der Fall (vgl. [X.]surteil vom 28. September 2022 - [X.] - NJW 2022, 3644 Rn. 25 mwN).

5. Rechtlich zu beanstanden ist allerdings, dass das [X.] den [X.]n - wie von der Klägerin beantragt - zur Zahlung einer Geldschuld in inländischer Währung verurteilt hat.

Fremdwährungsschulden sind als solche, also in fremder Währung einzuklagen. Die Inlandswährung ist kein minus, sondern ein aliud dazu. Eine auf die falsche Währung gerichtete Zahlungsklage wäre somit abzuweisen ([X.]surteil vom 28. September 2022 - [X.] - NJW 2022, 3644 Rn. 38 mwN).

Für die Frage, in welcher Währung vertragliche Zahlungsansprüche geschuldet sind, gilt das Statut, das den Vertrag insgesamt beherrscht, hier also das [X.] Recht (vgl. [X.]surteil vom 28. September 2022 - [X.] - NJW 2022, 3644 Rn. 39 mwN). Insoweit fehlt es an Feststellungen, dass die Klägerin nach [X.]m Sachrecht dazu berechtigt ist, die [X.] in [X.] zu fordern. Aus der vom [X.] herangezogenen [X.] ergibt sich nur eine Zahlungspflicht in [X.]n [X.].

Denkbar wären allerdings vom [X.] nicht ermittelte Vorschriften im allgemeinen [X.]n Schuldrecht, die entweder einen Wechsel in eine andere Währung erlauben oder die eine Ersetzungsbefugnis entsprechend der inländischen Regelung des § 244 BGB enthalten, auf die hin auch eine stillschweigende Einigung im Prozess über eine Umwandlung in die Heimwährungsschuld in Betracht käme (vgl. [X.]surteil vom 28. September 2022 - [X.] - NJW 2022, 3644 Rn. 41 mwN).

III.

Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen zum ausländischen Recht hinsichtlich einer dort verankerten Berechtigung, den Zahlbetrag anstatt in [X.]n [X.] auch in [X.] zu verlangen, nicht selbst treffen kann. Hierzu ist den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.

Bei seiner erneuten Befassung wird das [X.] auch in den Blick zu nehmen haben, inwieweit die Regelung des § 33/B Abs. 5 Satz 4 des [X.] einer [X.] entgegensteht (vgl. [X.]surteil vom 28. September 2022 - [X.] - NJW 2022, 3644 Rn. 34).

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem [X.] zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils bei dem [X.], [X.] 45 a, [X.], durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

Guhling     

  

Klinkhammer     

  

Nedden-Boeger

  

Botur     

  

Pernice     

  

Meta

XII ZR 37/22

08.03.2023

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Kassel, 31. März 2022, Az: 1 S 110/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 08.03.2023, Az. XII ZR 37/22 (REWIS RS 2023, 2977)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2977

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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