Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.11.2014, Az. 4 StR 497/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 1208

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 497/14

vom
19. November
2014
in der Strafsache
gegen

wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 19.
November
2014
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 27.
Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.] zurück-verwiesen.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körper-verletzung, wegen Körperverletzung in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Bedrohung und davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, sowie wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung

zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt.
Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der 1
-
3
-
[X.] ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist
sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
I.
Das [X.] hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getrof-fen:
1.
Der zur Tatzeit 22
Jahre alte Angeklagte ist in ungünstigen Verhältnis-sen aufgewachsen und leidet an einer mittelgradigen Intelligenzminderung mit deutlichen Verhaltensstörungen
gemäß ICD
10

F
71.1. Ab dem 15.
Juli 2013 war er in
einer Wohneinrichtung der Lebenshilfe in H.

untergebracht. Zum
Schutz der Mitbewohner und des Personals war er zuletzt auf einer eigenen Etage isoliert und wurde von einem [X.] rund um die Uhr bewacht.
In der [X.] zwischen dem 26.
September 2013 und dem 16.
Januar 2014 kam es zu neun Angriffen des Angeklagten auf Mitarbeiter der Wohneinrichtung und des [X.]es. In sieben Fällen (Fälle
1 bis 7 der Urteilsgründe) misshandelte und verletzte er dabei eine oder mehrere Personen (Schläge, Trit-te, kurzzeitiges Würgen, Verdrehen eines Fingers). In den Fällen
5 und 7 der Urteilsgründe bedrohte der Angeklagte die von ihm körperlich angegangenen Geschädigten zusätzlich mit dem Tod. Die Drohungen wurden [X.]. Bei der Auseinandersetzung mit zwei Mitarbeitern der Einrichtung am 14.
Dezember 2013 ergriff der Angeklagte eine etwa 20
cm lange spitze Glas-scherbe und stach damit in Richtung des Zeugen R.

. Dieser konnte eine
Verletzung nur durch ein rechtzeitiges Ausweichen vermeiden (Fall
6 der Ur-teilsgründe, UA
10). In einem weiteren Fall ging der Angeklagte in [X.] mit einem in Hüfthöhe gehaltenen Tafelmesser auf den [X.]-2
3
4
-
4
-
mitarbeiter F.

zu, der ihn jedoch entwaffnen konnte (Fall
8 der Urteils-
gründe). Ein weiterer Versuch des Angeklagten, den Zeugen F.

zu verletz-
ten, wurde ebenfalls abgewehrt (Fall
9 der Urteilsgründe). Außerdem beleidigte der Angeklagte in zwei Fällen seine Opfer (Fälle
7 und 9 der Urteilsgründe).
2.
Das sachverständig beratene [X.] ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Taten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung erheblich vermindert gewesen sei (§
21 StGB). Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus habe angeordnet werden müssen, weil die psychopathologische Disposition des Angeklagten auch in alltäglichen Situationen geeignet sei,
eigen-
und fremdaggressives Verhalten auszulösen. Weitere Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit anderer Menschen seien mit hoher Wahrschein-lichkeit zu besorgen.
II.
Die Revision hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg.
1.
Die Schuldfähigkeitsprüfung des [X.] begegnet durchgreifen-den rechtlichen Bedenken.
a)
Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass die [X.] bei der Ent-scheidung der Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne von §
20 StGB vollständig aufgehoben war, gegen den Zweifelsgrundsatz verstoßen hat.
5
6
7
8
-
5
-
aa)
Bleiben nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf die Art und den Grad des psychi-schen Ausnahmezustandes beziehen, ist zugunsten des [X.] zu entscheiden (vgl. [X.], Urteil vom 26.
August 1999

4
StR
329/99, [X.], 24, 25;

Urteil vom 18.
Mai 1995

4
StR
698/94, [X.]R StGB §
21 Ursachen, mehre-re
13; Urteil vom 26.
April 1955

5
StR
86/55, [X.]St 8, 113, 124).
bb)
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr.
L.

, denen sich
die [X.] ohne Einschränkung angeschlossen hat, war die Steuerungs-fähigkeit des Angeklagten aufgrund der bei ihm festgestellten erheblichen Ver-haltensstörung und der erkennbar herabgesetzten Intelligenzleistung im Sinne von §

e Steuerungsfähigkeit sogar im Sinne von §
20 StGB aufgehoben gewesen sei,

11). Diese Wendung deutet darauf hin, dass durchaus tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sachverhalts ge-geben waren, der zu einer vollständigen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit geführt haben kann, das [X.] aber eine Schuldunfähigkeit des Ange-klagten schon deshalb für ausgeschlossen erachtet hat, weil dafür kein eindeu-tiger Nachweis erbracht werden konnte.
b)
Die Ausführungen, mit denen das [X.] die Annahme einer er-heblich verminderten Schuldfähigkeit begründet hat, weisen nicht die für eine revisionsgerichtliche Nachprüfung erforderliche Begründungstiefe auf.
aa)
Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung aufgrund der festgestellten Störung
im Sinne des §
21 StGB
erheblich vermindert war,
ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter unter Darlegung der fachwissenschaftlichen
Beurteilung durch den Sachverständigen,
aber letztlich ohne Bindung an des-9
10
11
12
-
6
-
sen Äußerungen,
in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (vgl. [X.],
Beschluss vom 2.
Juni 2010

5
StR
171/10, NStZ-RR 2011, 4 mwN). Schließt er sich dabei der Beurteilung des Sachverständigen an, muss er dessen
wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüs-sigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 17.
Juni 2014

4
StR
171/14, [X.], 305, 306; Beschluss vom 2.
Oktober 2007

3
StR
412/07, [X.], 39 mwN).
bb)
Daran fehlt es hier. Das [X.] beschränkt sich darauf, die r--
und fremdaggressives Verhalten zu forcieren und sich bei den Tathandlungen da-hingehend ausgewirkt habe, dass die Steuerungsfähigkeit im Sinne von §
21 StGB deutlich vermindert gewesen sei
(UA
11). Soweit in der rechtlichen Wür-digung davon die Rede ist, dass die Verminderung der Steuerungsfähigkeit i-ven Impulsivität des Angeklagten, im normativen Sinne erheblich sei

13), fehlt
es an den dafür erforderlichen Belegen. Denn die Urteilsgründe legen nicht näher dar, welcher Art die diagnostizierten Verhaltensstörungen sind und wel-chen Einfluss das Störungsbild auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklag-ten in den konkreten [X.] hatte.
Der [X.] kann daher nicht überprü-fen, ob die Annahme einer
sicher gegebenen erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf einer tragfähigen Grundlage beruht.
2.
Da in Betracht kommt, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten schuldunfähig war, bedarf die Sache schon aus diesem Grund neuer tatrich-terlicher Prüfung und Entscheidung. Die Feststellungen zu
den rechtswidrigen 13
14
-
7
-
Taten
bleiben hiervon unberührt und können deshalb bestehen bleiben. Die [X.] war aufzuheben, weil sie zu der [X.] in einem untrennbaren Zusammenhang steht.
3.
Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] darauf hin, dass eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren [X.], wie sie bei dem

h-esondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten ist (vgl. [X.], Beschluss vom 5.
September 1996

1
StR
416/96, [X.], 199; [X.], StGB,
61.
Aufl.,
§
20 Rn.
35; [X.] in: [X.] Kommentar zum StGB, 12.
Aufl.,
§
20 Rn.
150 mwN).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke

Mutzbauer
Quentin
15

Meta

4 StR 497/14

19.11.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.11.2014, Az. 4 StR 497/14 (REWIS RS 2014, 1208)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1208

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