Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.07.2014, Az. 2 StR 13/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 4217

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Gegenstand

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern: Gegenseitiges Urinieren in den Mund als sexuelle Handlung


Leitsatz

Ein zum Zweck sexueller Erregung vorgenommenes Urinieren des Täters in den Mund eines Kindes oder die Veranlassung des Kindes zum Urinieren in den Mund des Täters ist eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden und als beischlafähnlich zu werten ist (Fortführung von BGH, 19. Dezember 2008, 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118).

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Juli 2013 im Fall 4 der Urteilsgründe und im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen s[X.]hweren sexuellen Missbrau[X.]hs von Kindern in zwölf Fällen sowie wegen sexuellen Missbrau[X.]hs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von a[X.]ht Jahren verurteilt und im Übrigen freigespro[X.]hen. Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Re[X.]hts gestützte Revision hat mit der Sa[X.]hrüge den aus der Urteilsformel ersi[X.]htli[X.]hen Teilerfolg; im Übrigen war sie als unbegründet zu verwerfen.

I.

2

1. Na[X.]h den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte eng befreundet mit der Familie der 1996 geborenen       G.     , der späteren Ges[X.]hädigten. Erstmals im Alter von fünf Jahren überna[X.]htete sie bei dem Angeklagten, der si[X.]h fortan regelmäßig um sie kümmerte und si[X.]h zunehmend zu einer engen Bezugsperson der Ges[X.]hädigten entwi[X.]kelte. Immer häufiger überna[X.]htete sie das ganze Wo[X.]henende und in den S[X.]hulferien au[X.]h mehrere Wo[X.]hen bei dem Angeklagten. Beide s[X.]hliefen dann gemeinsam auf einer S[X.]hlaf[X.]ou[X.]h, wobei der Angeklagte die Ges[X.]hädigte veranlasste - wie er selbst - [X.] zu s[X.]hlafen. Der Angeklagte s[X.]haffte eine zunehmend sexualisierte Atmosphäre und vermittelte der Ges[X.]hädigten insbesondere den Eindru[X.]k, dass Sexualität zwis[X.]hen Erwa[X.]hsenen und Kindern normal sei. Im Einzelnen kam es zu na[X.]hfolgenden Tathandlungen:

3

Zwis[X.]hen dem 28. Januar 2004 und 27. Januar 2005 zeigte der Angeklagte der damals 8-jährigen Ges[X.]hädigten einen Pornofilm, in dem junge Mäd[X.]hen im Alter von ungefähr vier Jahren den Oralverkehr an erwa[X.]hsenen Männern ausführten. Der Angeklagte kommentierte die Szenen unter anderem dahin, wel[X.]he der Mäd[X.]hen ihm gefielen und dabei s[X.]hön aussähen (Fall 1). Bei einer weiteren Gelegenheit zeigte er der Ges[X.]hädigten einen Film, in dem [X.] einem jungen Mäd[X.]hen an der S[X.]heide le[X.]kte (Fall 2).

4

An einem Tag zwis[X.]hen [X.] 2004 und dem 27. Januar 2007 veranlasste der Angeklagte die maximal 10-jährige Ges[X.]hädigte, si[X.]h ausgezogen auf die Cou[X.]h zu legen und le[X.]kte ihre Vagina im Berei[X.]h der [X.] (Fall 3). Im glei[X.]hen Zeitraum und jedenfalls na[X.]h den Fällen 1 und 2 saß der Angeklagte mit der Ges[X.]hädigten [X.] in der Badewanne. Die Ges[X.]hädigte, die insbesondere aufgrund des Vorspielens der Filme (Fall 1 und 2) der Fehlvorstellung unterlag, Sexualität zwis[X.]hen Erwa[X.]hsenen und Kindern sei normal, nahm während des [X.] unvermittelt das Glied des Angeklagten in den Mund. Der Angeklagte fasste spätestens zu diesem Zeitpunkt den Ents[X.]hluss, si[X.]h von der Ges[X.]hädigten den Oralverkehr an si[X.]h ausüben zu lassen. Er unternahm daher ni[X.]hts, den Oralverkehr zu beenden, sondern ließ die Ges[X.]hädigte gewähren, um si[X.]h sexuell zu erregen (Fall 4).

5

In der Folgezeit bestärkte der Angeklagte die Ges[X.]hädigte in der Annahme, dass Sexualkontakt zwis[X.]hen ihnen beiden normal sei. Er äußerte wiederholt, dass sie für ihr Alter s[X.]hon besonders reif sei, worauf die Ges[X.]hädigte, die dem Angeklagten gefallen wollte, sehr stolz war. Der Angeklagte s[X.]hwärmte au[X.]h von zwei 13- und 17-jährigen Mäd[X.]hen, die mit ihm [X.] ausüben würden. Beeindru[X.]kt von den Erzählungen des Angeklagten und um ebenso erwa[X.]hsen zu sein, erklärte si[X.]h die zwis[X.]henzeitli[X.]h 12-jährige Ges[X.]hädigte an einem Tag zwis[X.]hen dem 28. Januar 2008 und 27. Januar 2009 dazu bereit, si[X.]h von dem Angeklagten in den Mund urinieren zu lassen. Sie legte si[X.]h [X.] auf den Boden, während si[X.]h der teilweise entkleidete Angeklagte über sie beugte und ihr in den geöffneten Mund urinierte, um si[X.]h sexuell zu erregen. Die Ges[X.]hädigte s[X.]hlu[X.]kte den Urin herunter, empfand jedo[X.]h den Ges[X.]hma[X.]k als ekelhaft und musste si[X.]h übergeben (Fall 5). Zu weiteren [X.]n war sie aufgrund dieser Erfahrung zunä[X.]hst ni[X.]ht bereit. Dem Angeklagten gelang es aber, die Ges[X.]hädigte ihrerseits zu veranlassen, ihm in den Mund zu urinieren. Er s[X.]hlu[X.]kte den Urin herunter, um si[X.]h sexuell zu erregen (Fall 6).

6

Da der Angeklagte weiterhin von Frauen s[X.]hwärmte, mit denen er mit Urinieren verbundene Sexualpraktiken na[X.]hgehe, und die Ges[X.]hädigte ihm unbedingt gefallen wollte, erklärte sie si[X.]h bald dazu bereit, es no[X.]h einmal auf umgekehrte Weise zu versu[X.]hen. Sie ließ es daher im Alter von 12 Jahren in mindestens einem Fall zu, dass ihr der Angeklagte in den offenen Mund urinierte, wobei sie den Urin au[X.]h herunter s[X.]hlu[X.]kte (Fall 7). Fortan kam es zu regelmäßigen entspre[X.]henden Praktiken, wobei der Angeklagte bei mindestens a[X.]ht Gelegenheiten die zwis[X.]henzeitli[X.]h 13-jährige Ges[X.]hädigte veranlasste, si[X.]h zu entkleiden und von ihm in den Mund urinieren zu lassen. Die Ges[X.]hädigte s[X.]hlu[X.]kte den Urin bei allen Gelegenheiten herunter (Fälle 8 bis 15). Bei mindestens drei Gelegenheiten (Fälle 13 bis 15) führte die Ges[X.]hädigte im [X.] hieran den Oralverkehr am Angeklagten bis zum Samenerguss dur[X.]h.

7

2. Das [X.] hat das Tatges[X.]hehen in den Fällen 1 bis 3 als sexuellen Missbrau[X.]h von Kindern gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 13. November 1998 (Fall 1), § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003 (Fall 2) bzw. § 176 Abs. 1 StGB (Fall 3) und in den Fällen 4 bis 15 als s[X.]hweren sexuellen Missbrau[X.]h von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet.

II.

8

Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Antragss[X.]hrift des [X.] unbegründet, die Sa[X.]hrüge dagegen teilweise begründet.

9

1. Die auf § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen s[X.]hweren sexuellen Missbrau[X.]hs von Kindern im Fall 4 der Urteilsgründe begegnet dur[X.]hgreifenden re[X.]htli[X.]hen Bedenken. Die Feststellungen des [X.]s, wona[X.]h der Angeklagte es ledigli[X.]h ges[X.]hehen ließ, dass die Ges[X.]hädigte den Oralverkehr an ihm ausübte, belegen kein vorsätzli[X.]hes aktives Handeln des Angeklagten.

Die 2. Alternative des § 176 Abs. 1 StGB ist zwar bereits dann erfüllt, wenn der Täter sexuelle Handlungen „an si[X.]h von dem Kind vornehmen lässt”. Es handelt si[X.]h insoweit aber ni[X.]ht um ein e[X.]htes Unterlassungsdelikt, weshalb das rein passive Dulden zur Tatbestandsverwirkli[X.]hung ni[X.]ht ausrei[X.]ht. Erforderli[X.]h ist vielmehr, dass der beim eigentli[X.]hen Sexualkontakt si[X.]h passiv verhaltende Täter zuvor aktiv auf das Kind eingewirkt hat, etwa dur[X.]h Befehlen oder Überreden. Der Tatbestand kann darüber hinaus zwar au[X.]h erfüllt sein, wenn die Initiative zum Sexualkontakt - im Gegensatz etwa zum "Bestimmen" na[X.]h § 176 Abs. 2 StGB - vom Kind selbst ausgeht. Ein Gewähren-Lassen des [X.] ist aber au[X.]h in diesem Fall nur dann tatbestandli[X.]h erfasst, wenn es über die rein passive Duldung hinausgeht und zum Beispiel eine Bestärkung der vom Kind ausgehenden Initiative enthält (vgl. [X.], StGB 61. Aufl. § 176 Rn. 6; [X.] in LK, StGB, 12. Aufl. § 176 Rn. 11).

Die [X.] hat vorliegend weder Feststellungen dahin getroffen, dass der Angeklagte unmittelbar vor dem Tatges[X.]hehen auf die Ges[X.]hädigte eingewirkt no[X.]h dass er das auf Initiative der Ges[X.]hädigten in Gang gesetzte Ges[X.]hehen in irgendeiner Weise positiv kommentiert oder sonst die Ges[X.]hädigte in [X.] bestärkt oder ermuntert hätte. Na[X.]h den Feststellungen ging die Initiative der Ges[X.]hädigten vielmehr allein auf deren sexuelle Enthemmung zurü[X.]k, die der Angeklagte zuvor über einen längeren Zeitraum gefördert hatte. Zwar kann au[X.]h ein sol[X.]hes im weiten Vorfeld der Tat liegendes aktives Einwirken des [X.] auf das Opfer ein tatbestandli[X.]hes Handeln im Sinne der 2. Alternative des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB begründen. Dass der Angeklagte aber s[X.]hon im Vorfeld der Tat mit dem dafür erforderli[X.]hen Vorsatz handelte, hat die [X.] ni[X.]ht festgestellt; sie ist vielmehr davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Vorsatz, den Oralverkehr an si[X.]h ausüben zu lassen, erst fasste, als die Ges[X.]hädigte seinen Penis bereits in den Mund genommen hatte ([X.], 38). Ein vorsätzli[X.]hes tatbestandli[X.]hes Handeln des Angeklagten ist daher ni[X.]ht belegt.

Dies führt zur Aufhebung des S[X.]huldspru[X.]hs im Fall 4 der Urteilsgründe und entzieht der dazugehörigen Einzelstrafe sowie dem [X.] die Grundlage.

2. Die Na[X.]hprüfung des Urteils im Übrigen hat keinen Re[X.]htsfehler zum Na[X.]hteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

Das [X.] hat die den Fällen 5 bis 15 zugrunde liegenden Tathandlungen zu Re[X.]ht als s[X.]hweren sexuellen Missbrau[X.]h von Kindern na[X.]h § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt.

Der S[X.]huldspru[X.]h in den Fällen 13 bis 15 begegnet s[X.]hon deshalb keinen re[X.]htli[X.]hen Bedenken, weil die Ges[X.]hädigte in diesen Fällen zumindest au[X.]h den Oralverkehr an dem Angeklagten ausführte. Dabei handelt es si[X.]h ohne Weiteres um eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB verbunden war. Aber au[X.]h die Bewertung des in den Fällen 5 bis 12 festgestellten gegenseitigen Urinierens in den Mund als [X.]eils s[X.]hwerer sexueller Missbrau[X.]h von Kindern begegnet keinen re[X.]htli[X.]hen Bedenken.

Na[X.]h § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrau[X.]h von Kindern in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB als s[X.]hwerer sexueller Missbrau[X.]h mit Freiheitsstrafe ni[X.]ht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über a[X.]htzehn Jahren an einem Kind den Beis[X.]hlaf vollzieht (1. Alternative) oder ähnli[X.]he sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an si[X.]h von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (2. Alternative). Die Voraussetzungen der 2. Alternative liegen hier vor. Sowohl das Urinieren des Angeklagten in den Mund der Ges[X.]hädigten (Fälle 5, 7 bis 12) als au[X.]h das Urinieren der Ges[X.]hädigten in den Mund des Angeklagten (Fall 6), verbunden [X.]eils mit der oralen Aufnahme, stellt eine sexuelle Handlung gemäß § 176 Abs. 1 StGB (a) dar, die mit dem Eindringen in einen Körper verbunden (b) und die als „beis[X.]hlafsähnli[X.]h“ ([X.]) zu werten ist:

a) Tathandlung des § 176 Abs. 1 StGB ist die Vornahme einer sexuellen Handlung dur[X.]h den Täter an dem Kind oder aber das Vornehmen-Lassen von Handlungen des Kindes am Täter.

aa) Das gegenseitige Urinieren in den Mund stellt eine Handlung des [X.] „an” dem Kind bzw. des Kindes „am” Täter im Sinne dieser Vors[X.]hrift dar. § 176 Abs. 1 StGB erfasst zwar - im Gegensatz zu seinem Absatz 2 - nur sol[X.]he Handlungen, bei denen es zum Körperkontakt zwis[X.]hen dem Täter und dem Kind kommt ([X.], Urteil vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, [X.]St 38, 68, 70; Urteil vom 7. September 1995 - 1 [X.], 41, 242, 243; Urteil vom 31. Oktober 1995 - 1 StR 527/95, 285, 287; Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, [X.], 433; Bes[X.]hluss vom 26. August 1998 - 2 [X.]). Dies setzt eine körperli[X.]he Berührung voraus, d.h. der Täter muss mit seiner sexuellen Handlung auf den Körper des [X.] einwirken, ihn in Mitleidens[X.]haft ziehen. Allerdings ist mit „körperli[X.]her Berührung” bzw. „Körperkontakt” ni[X.]ht nur der unmittelbare Hautkontakt, d.h. die Berührung [X.]er Körperstellen gemeint (Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, [X.], 433 mwN). Vielmehr kann au[X.]h der Griff über der Kleidung oder die Berührung des Körpers mit einem Gegenstand eine sexuelle Handlung „an” einem anderen jedenfalls dann darstellen, wenn der Körper des anderen selbst - ni[X.]ht nur seine Kleidung und gegebenenfalls seine psy[X.]his[X.]he Verfassung - in Mitleidens[X.]haft gezogen wird (vgl. [X.], Urteil vom 10. Mai 1995 - 3 StR 150/95, [X.]R StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 8 mwN; Senat, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, [X.], 432; vgl. [X.] in [X.], Oktober 2012, § 184g Rn. 6; demgegenüber fordert [X.] an anderer Stelle - aaO, August 2012 § 176a Rn. 16 - einen unmittelbaren beidseitigen Körperkontakt). Entspre[X.]hend wird ni[X.]ht nur das Berühren des Körpers mit einem Gegenstand, sondern au[X.]h das Ejakulieren auf den ([X.]en) Körper des [X.] als ausrei[X.]hend era[X.]htet (Senat, Bes[X.]hluss vom 19. Dezember 2008 - 2 [X.], [X.]St 53, 118, 121; vgl. zu § 178 Abs. 1 StGB a.F. [X.], Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, [X.], 433 mwN).

bb) Das gegenseitige Urinieren in den Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins stellte s[X.]hon seinem äußeren Ers[X.]heinungsbild na[X.]h au[X.]h eine sexualbezogene Handlung im Sinne des § 176 Abs.1 StGB dar (allgemein zu den Voraussetzungen, vgl. [X.], Urteil vom 24. September 1980 - 3 [X.], [X.]St 29, 336; Urteil vom 20. Dezember 2007 - 4 [X.], [X.], 339), denn es erfolgte [X.]eils unter Einbeziehung eines Ges[X.]hle[X.]htsteils (vgl. insoweit [X.], Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, [X.], 672; Bes[X.]hluss vom 19. Dezember 2008 - 2 [X.], [X.]St 53, 118, 120 f.), wobei jedenfalls die Ges[X.]hädigte regelmäßig au[X.]h vollständig unbekleidet war; zudem handelt es si[X.]h bei dem Urinieren auf den Körper oder in den Mund eines anderen um eine ni[X.]ht ganz selten vorkommende sexuelle Praktik.

Das Handeln des Angeklagten war s[X.]hließli[X.]h au[X.]h - wie festgestellt - in allen Fällen sexuell motiviert.

[X.][X.]) Die Handlungen waren au[X.]h erhebli[X.]h im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB, denn sie lassen sowohl na[X.]h ihrer Bedeutung als au[X.]h na[X.]h ihrer Intensität und Dauer eine sozial ni[X.]ht mehr hinnehmbare Beeinträ[X.]htigung des dur[X.]h die §§ 174 ff. StGB ges[X.]hützten Re[X.]htsguts besorgen (zu den allgemeinen Voraussetzungen vgl. Senat, Bes[X.]hluss vom 12. September 2012 - 2 StR 219/12, [X.], 280; [X.], Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 [X.], [X.], 269, 270; Urteil vom 24. September 1980 - 3 [X.], [X.]St 29, 336). Das ist s[X.]hon deshalb anzunehmen, weil das Tatopfer bei den Handlungen regelmäßig vollständig entkleidet war und das Ges[X.]hehen in seinem Zusammenhang na[X.]h allgemeinem Empfinden weit entfernt ist von bloßen Taktlosigkeiten oder bagatellhaften Übergriffen.

b) Das Urinieren in den Mund des Opfers stellt ebenso wie das Urinieren des Opfers in den Mund des [X.] ein „Eindringen in den Körper” im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB dar.

aa) S[X.]hon der Gesetzeswortlaut setzt ni[X.]ht voraus, dass eine beteiligte Person mit einem eigenen Körperteil in den Körper einer anderen Person eindringt, sondern nur dass „etwas“ in den Körper des Anderen gelangt (vgl. [X.] in Mün[X.]hener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22; [X.] in LK, StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 28). Ausrei[X.]hend ist, dass eine sexuelle Handlung die Körpergrenze dur[X.]hdringt (vgl. [X.] in Kindhäuser/ [X.]/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. § 176a Rn. 4), weshalb sowohl das männli[X.]he Glied, andere Körperteile und feste Gegenstände als au[X.]h wei[X.]he Substanzen und Flüssigkeiten wie Sperma oder Urin vom Wortlaut erfasst sind (vgl. au[X.]h Senat, Bes[X.]hluss vom 19. Dezember 2008 - 2 [X.], [X.]St 53, 118, 120 f.; vgl. au[X.]h S[X.]hönke/[X.]/[X.], StGB 29. Aufl. § 176a Rn. 8a; [X.] in Be[X.]kOK StGB, Stand 22. Juli 2013, § 176a Rn. 11; [X.] in Mün[X.]hener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).

bb) Au[X.]h unter Berü[X.]ksi[X.]htigung der Entstehungsges[X.]hi[X.]hte und von seinem Sinn und Zwe[X.]k her erfasst § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB das Urinieren in den Mund als ein „Eindringen in den Körper”.

Der Begriff „Eindringen in den Körper” in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ums[X.]hreibt besonders na[X.]hhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, [X.]St 45, 131, 132). „Eindringen” erfordert zwar eine Penetration des Körpers, also ni[X.]ht nur die bloße Berührung ([X.], Bes[X.]hluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, [X.], 27, 28). Er ist aber ni[X.]ht ausdrü[X.]kli[X.]h auf den Beis[X.]hlaf, den Anal- und Oralverkehr bes[X.]hränkt ([X.], Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, [X.], 672).

Dafür spri[X.]ht s[X.]hon seine Entstehungsges[X.]hi[X.]hte. Der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wurde als § 176a Abs. 1 Nr. 1 dur[X.]h das [X.] vom 26. Januar 1998 ([X.] I S. 164) in das Strafgesetzbu[X.]h eingeführt. Na[X.]h der Begründung des Gesetzentwurfs sollte dieses qualifizierende Merkmal im Wesentli[X.]hen dem dur[X.]h das [X.] vom 1. Juli 1997 ([X.] I S. 1607) in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB (heute § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) eingeführten Regelbeispiel eines besonders s[X.]hweren Falls der Vergewaltigung na[X.]hgebildet werden (BT-Dru[X.]ks. 13/8587, S. 31 f.). Hierna[X.]h sollte „vor allem das Eindringen des Ges[X.]hle[X.]htsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst” werden (BT-Dru[X.]ks. 13/2463, [X.] und BT-Dru[X.]ks. 13/7324, [X.]; [X.], Bes[X.]hluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, [X.], 27). Mag dana[X.]h der Gesetzgeber in erster Linie an den Anal- und Oralverkehr geda[X.]ht haben, so hat er die Anwendung des Tatbestandes neben dem Beis[X.]hlaf ni[X.]ht auf diese Arten sexueller Betätigung bes[X.]hränkt. Dies folgt s[X.]hon daraus, dass ausdrü[X.]kli[X.]h au[X.]h „das Eindringen mit Gegenständen” erfasst werden sollte, das „eine in glei[X.]her Weise belastende und erniedrigende Verhaltensweise darstellen (kann)” (BT-Dru[X.]ks. 13/2463, [X.], BT-Dru[X.]ks. 13/7324, [X.], [X.]. zu § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des [X.]; vgl. [X.], Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, [X.], 672). Demzufolge ist na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des Bundesgeri[X.]htshofs ni[X.]ht nur das Eindringen des männli[X.]hen Glieds erfasst, sondern au[X.]h das Eindringen jedes anderen Körperteils oder von Gegenständen (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, [X.], 672; Urteil vom 30. September 2004 - 4 [X.], [X.], 152, 153 - [X.]eils zum Finger; Urteil vom 15. Juni 2005 - 1 StR 499/04, [X.], 195, 196; Bes[X.]hluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, NJW 2011, 3111 - Zunge; Bes[X.]hluss vom 12. März 2014 - 4 StR 562/13 - Vibrator).

Ein Eindringen in den Körper ist daher na[X.]h dem Sinn und Zwe[X.]k der Vors[X.]hrift au[X.]h dann gegeben, wenn [X.] oder Auss[X.]heidungsprodukte in Körperöffnungen gelangen und gerade (au[X.]h) hierin jedenfalls aus Si[X.]ht des [X.] die Sexualbezogenheit des Vorgangs liegt. Anders als das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB stellt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ni[X.]ht auf die besondere Erniedrigung des Opfers ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, wel[X.]hes - soweit beis[X.]hlafähnli[X.]h - als s[X.]hwerwiegende Beeinträ[X.]htigung der körperli[X.]hen Integrität anzusehen ist (Senat, Bes[X.]hluss vom 19. Dezember 2008 - 2 [X.], [X.]St 53, 118, 120).

[X.][X.]) Das gilt au[X.]h für sol[X.]he Fälle, in denen das Urinieren in den Mund des [X.] vorgenommen wird, denn tatbestandli[X.]h erfasst wird sowohl das Eindringen in den Körper des Opfers als au[X.]h in den des [X.] (vgl. Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, [X.]St 45, 131, 133 ff. m. Anm. [X.], [X.], 310; Bes[X.]hluss vom 19. Dezember 2008 - 2 [X.], [X.]St 53, 118, 119; vgl. [X.] in S[X.]hönke/[X.], StGB 27. Aufl., § 176a Rn. 8a; [X.] in Mün[X.]hener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).

[X.]) Bei den in den Fällen 5 bis 12 festgestellten sexuellen Handlungen handelt es si[X.]h au[X.]h um sol[X.]he, die einem Beis[X.]hlaf ähnli[X.]h sind.

Die gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB erforderli[X.]he Beis[X.]hlafähnli[X.]hkeit der mit einem Eindringen in den Körper verbundenen sexuellen Handlung setzt ni[X.]ht unbedingt äußerli[X.]he Ähnli[X.]hkeit mit dem Bewegungsablauf beim Vollzug des Beis[X.]hlafs voraus (vgl. [X.] in [X.], 12. Aufl. § 176a Rn. 26, 28; [X.], aaO Rn. 8; a.A. [X.] in [X.], StGB, August 2012, § 176a Rn. 16). Eine Ähnli[X.]hkeit mit dem Beis[X.]hlaf liegt vielmehr regelmäßig s[X.]hon dann vor, wenn die sexuelle Handlung ihrem äußeren Ers[X.]heinungsbild na[X.]h entweder auf Seiten des Opfers oder des [X.] unter Einbeziehung des (primären) Ges[X.]hle[X.]htsteils ges[X.]hieht (vgl. [X.], Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, [X.], 672; Bes[X.]hluss vom 19. Dezember 2008 - 2 [X.], [X.]St 53, 118, 121; Bes[X.]hluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, [X.]St 56, 223, 225; [X.], aaO Rn. 8 a; [X.] in S[X.]hönke/[X.], StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a). Sie ist aber vor allem au[X.]h an dem Gewi[X.]ht der Re[X.]htsgutverletzung zu messen (Senat, Bes[X.]hluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, [X.]St 56, 223, 225; a.A. [X.] in [X.], StGB August 2012, § 176a Rn. 16), also an ihrer Erhebli[X.]hkeit im Hinbli[X.]k auf das in § 176a StGB ges[X.]hützte Re[X.]htsgut der sexuellen Selbstbestimmung und ungestörten sexuellen Entwi[X.]klung des Kindes. Ents[X.]heidend ist mithin, dass das Ausmaß der insoweit zu besorgenden Re[X.]htsgutverletzung mit einem Beis[X.]hlaf verglei[X.]hbar ist und diese Re[X.]htsgutverletzung ebenfalls von einem Eindringen in den Körper herrührt. Ri[X.]htigerweise ist darin ein (weiteres) Erhebli[X.]hkeitsmerkmal zu sehen, wodur[X.]h die zweite [X.] angesi[X.]hts des weiten Begriffs des Eindringens die notwendige Bes[X.]hränkung erfährt (vgl. [X.] in Be[X.]kOK StGB § 176a Rn. 12; [X.], aaO Rn. 8; [X.] in S[X.]hönke/[X.], StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a).

Gemessen daran, handelt es si[X.]h bei dem unter Einbeziehung eines Ges[X.]hle[X.]htsteils erfolgten Urinieren in den geöffneten Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins sowohl von seinem äußeren Ers[X.]heinungsbild her als au[X.]h im Hinbli[X.]k auf die Intensität des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und vor allem aber die ungestörte sexuelle Entwi[X.]klung des zur Tatzeit 12- bis 13-jährigen Kindes ohne Weiteres um eine dem Beis[X.]hlaf ähnli[X.]he sexuelle Handlung.

[X.]                   S[X.]hmitt                          Krehl

               Ott                       Es[X.]helba[X.]h

Meta

2 StR 13/14

09.07.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 15. Juli 2013, Az: 65 KLs 201 Js 1014/12 - 13/13

§ 176 Abs 1 StGB, § 176a Abs 1 Nr 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.07.2014, Az. 2 StR 13/14 (REWIS RS 2014, 4217)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4217

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