Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.12.2023, Az. VIa ZR 857/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 9124

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des [X.] vom 8. Juni 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu I in Höhe von [X.] € nebst Zinsen und die [X.] zu III und zu IV zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der verstorbene Ehemann der Klägerin, dessen Alleinerbin sie ist, erwarb am 16. April 2013 für 31.961,91 € ein von der Beklagten hergestelltes, neues Kraftfahrzeug [X.], das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der [X.] (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3

Die Klägerin hat u.a. behauptet, die [X.] erfolge unter Verwendung eines die Abgasreinigung betreffenden Thermofensters, und die Auffassung vertreten, darin und in weiteren Vorrichtungen lägen unzulässige Abschalteinrichtungen. Das [X.] hat die auf Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Ersatz von [X.], Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge mit Ausnahme des die [X.] betreffenden Antrags zu II weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Die Voraussetzungen einer Schadensersatzhaftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB lägen nicht vor. Es fehle sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch am Schädigungsvorsatz der Beklagten. Dabei könne die Zulässigkeit der zur [X.] eingesetzten Vorrichtungen dahinstehen. Denn ein damit unter Umständen verbundener Gesetzesverstoß könne für sich genommen nicht die erforderliche besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten begründen. Darüber hinausreichende Umstände habe die Klägerin nicht hinreichend dargetan. Einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV stehe entgegen, dass es sich bei den in Frage kommenden Bestimmungen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeschlossen hat. Wie der [X.] nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]­FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemanns auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023  [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.;  III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023  [X.], juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Der Zurückweisungsbeschluss ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.

Insbesondere kann der [X.] entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des [X.] vom 26. Juni 2023 ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023  [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 59 ff.) ein Verschulden der Beklagten nicht ausschließen. Zwar müssen der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen (vgl. [X.], Urteil vom 5. Februar 2007 ­ II ZR 234/05, [X.]Z 171, 46 Rn. 8) und kommt es für die Frage, ob der Beklagten ein [X.] gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 61; Urteil vom 16. Oktober 2023  [X.] 1511/22, juris Rn. 12 f.). Dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, wie die Revisionserwiderung geltend macht, keine Zweifel an der Zulässigkeit von [X.] bestanden hätten, sondern erst durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] begründet worden seien, ließe  selbst wenn der Einwand der Revisionserwiderung zuträfe  das Verschulden indessen nicht entfallen. Dass sich ein Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten kann, hat der [X.] entschieden und näher dargelegt ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 69; zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums außerdem [X.], Urteil vom 25. September 2023  [X.] 1/23, [X.] 2023, 2064 Rn. 13 ff.). Dass ein [X.] durch gezogene Vorteile vollständig aufgezehrt sei, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.

Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Anlass, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der [X.] zu richten, hat der [X.] entgegen der Rechtsmeinung der Revisionserwiderung nicht. Das gilt auch mit Rücksicht auf die seitens der Klägerin behauptete Vorrichtung des "hard cycle beating". Weder hat das Berufungsgericht insofern Feststellungen im Sinne einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen, noch stützt der [X.] seine Entscheidung auf noch klärungsbedürftige Fragen des Unionsrechts.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben.

[X.]     

  

Möhring     

  

Götz

  

Rensen     

  

Vogt-Beheim     

  

Meta

VIa ZR 857/22

04.12.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 8. Juni 2022, Az: 3 U 2072/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.12.2023, Az. VIa ZR 857/22 (REWIS RS 2023, 9124)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9124

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Zitiert

II ZR 234/05

VII ZR 412/21

III ZR 267/20

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