Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.09.2017, Az. 1 StR 299/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5183

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:190917B1STR299.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 [X.]/17

vom
19. September 2017
in der Strafsache
gegen

wegen
Sachbeschädigung

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2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am
19. September 2017
nach Anhörung des Beschwerdeführers und des [X.]

zu 2. auf dessen Antrag

gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die
Revision des Angeklagten
wird
das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 7. März 2017 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, auf-gehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Sachbeschädigung zu [X.] Freiheitsstrafe von einem
Jahr verurteilt
und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach der seit 1. August 2016 geltenden Neufas-sung des § 63 StGB (§ 2 Abs. 6 StGB)
angeordnet
sowie ein sichergestelltes Feuerzeug eingezogen.
Die auf die
ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Schuld-
und Rechtsfolgenausspruchs (§ 349 Abs.
4 StPO); lediglich die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben [X.] (§ 349 Abs. 2 StPO).
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I.
1.
Nach den Feststellungen des [X.]
leidet der Angeklagte unter einer leichten Intelligenzminderung und betreibt
einen schädlichen Gebrauch von Alkohol. Er besuchte eine Sonderschule für geistig Behinderte und erwarb Grundkenntnisse des Lesens, Schreibens und Rechnens. Einen Beruf erlernte er nicht, sondern übte
einfache Tätigkeiten in speziellen Einrichtungen für Men-schen mit Behinderungen aus. Zuletzt sortierte und reparierte er für eine Firma Paletten. Für ihn ist eine Gebrechlichkeitspflegschaft/Betreuung
angeordnet.
Gegen den Angeklagten war aufgrund mehrfacher Brandlegungen in be-wohnten Gebäuden seit
August 1989 wiederholt die Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet
worden.
Während der Aussetzung der jeweiligen Unterbringung zur Bewährung folgten
stets neue Brandstiftungs-delikte, die der Angeklagte unter Alkoholeinfluss
beging. Bis zum [X.] befand er sich im Maßregelvollzug. Anschließend schloss sich
die Führungs-aufsicht mit engmaschiger Betreuung
an. Die angeordneten Maßregeln sind mittlerweile erledigt.
Der Angeklagte lebte seit 1. Mai 2014
in einer Wohngemeinschaft, war aber mit der
Wohnsituation unzufrieden und versuchte deshalb eine eigene Wohnung zu
finden. Dies misslang. Seine Arbeitsstelle musste er aus [X.] Gründen aufgeben. Er
verbrachte nun den größten Teil seiner [X.] bei seiner Mutter, die aber
seine Verlobte nicht
akzeptierte.
Aus Frustration über diese Situation trank er Bier, fürchtete dann
aber, er
werde
wegen des Alkoholkonsums Schwierigkeiten mit seiner Mutter bekom-men. Um seine Anspannung zu lösen,
zündete er nachts
in der Waschküche
des [X.] mit seinem Feuerzeug Kartons
an, die auf
Waschmaschi-3
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nen gestapelt waren und entfachte ein Feuer auf der Trommel eines Wäsche-trockners. Schließlich setzte
er
einen Notruf ab. Die
Feuerwehr löschte
den Brand. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von 20.212

seine BAK höchstens 2,23 Promille.
2. Das [X.] hat das Verhalten des Angeklagten rechtlich als Sachbeschädigung gewertet. Es hat

dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend

festgestellt, dass die Einsichtsfähigkeit des Ange-klagten uneingeschränkt erhalten, aber seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit aufgrund der Intelligenzminderung
in Verbindung mit dem Alkohol
erheblich vermindert war. Die Konfliktsituation in Verbindung mit der Intelligenzminderung und dem Alkohol habe den Angeklagten veranlasst,
Feuer zu legen.
Ohne [X.] werde der Angeklagte weitere Brandlegungen begehen, bei denen nicht nur schwerer wirtschaftlicher Schaden, sondern auch die Gefährdung von Personen naheliege. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus seien gegeben, weil die Intelligenzminderung
verbunden mit dem Alkoholkonsum und der auf
alltäglichen Ereignissen
beru-henden Konfliktsituation die erhebliche Beeinträchtigung der [X.] ausgelöst habe.
Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) scheide aus,
da bei dem Angeklagten kein Hang vorliege, alkoholische Getränke im Über-maß zu sich zu nehmen. Er konsumiere nur gelegentlich Alkohol und habe [X.] Neigung zum wiederholten Alkoholgenuss.

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II.

Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten hält revisionsge-richtlicher Überprüfung nicht stand. Die Ausführungen des [X.] zur er-heblich verminderten Schuldfähigkeit (§
21 StGB) als Grundlage für die Anord-nung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§
63 StGB) sind nicht ohne Rechtsfehler.
Die Anordnung der Maßregel gemäß §
63 StGB setzt voraus, dass der Ausschluss (§
20 StGB) oder die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit (§
21 StGB) auf einem länger andauernden psychischen Defekt des Täters be-ruht. Ein solcher Zustand
kann auch dann vorliegen, wenn die für die Maßre-gelanordnung erforderliche, sicher zumindest erheblich eingeschränkte Schuld-fähigkeit auf einem Zusammenwirken einer länger andauernden geistig-seelischen Störung und dem Konsum von Alkohol beruht ([X.], Urteile vom
17.
Februar 1999

2 StR 483/98, [X.]St 44, 369, 374 f. und vom [X.] 2015

1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; siehe auch [X.], Beschlüsse vom 1. April 2014

2 [X.], [X.], 207 und vom 6. Oktober 2009

3 [X.], [X.], 42). Insoweit genügt, dass bei länger an-dauernden Störungen im Sinne von §§
20, 21 StGB bereits geringer [X.] oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dieses getan haben ([X.] jeweils aaO).
Die Urteilsgründe ergeben aber bereits nicht zweifelsfrei, dass der Ange-klagte
bei Tatbegehung an einem geistigen oder seelischen Zustand litt, der die Voraussetzungen des §
21 StGB sicher begründete. Zwar kann eine Intelli-genzminderung ohne nachweisbaren [X.], wie das [X.] sie 9
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damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer [X.] darstellen (vgl.
[X.], Beschluss vom 19. November 2014

4 StR 497/14 Rn.
15, [X.], 71), die zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen kann. Die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung aber nicht (vgl. [X.], Beschluss
vom 24. Mai 2017

1 [X.]/17
Rn.
8, [X.], 270
mwN).
Wie sich die leichte Intelligenzminderung des Angeklagten über seine
Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechnen hinaus
konkret auswirkt, wird
im Urteil
nicht
näher beschrieben. Auch teilt das Urteil nicht mit, welchen Intelligenzquotienten der Angeklagte erreicht. Schon im Hinblick auf die denk-bare Schwankungsbreite dieser Behinderung (vgl. etwa
[X.], Beschluss vom 20. Juli 2010

ils-ausführungen wenig aussagekräftig und für die revisionsgerichtliche [X.] unzureichend, zumal nicht mitgeteilt wird, aufgrund welcher [X.] und Kriterien der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt ist. Die Annahme des [X.] darf sich auch nicht auf die Feststel-lung der Intelligenzminderung oder eines niedrigen Intelligenzquotienten be-schränken, sondern bedarf einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit (vgl. [X.], Beschluss
vom 5. Juli 2011

3 [X.], [X.], 209 mwN). Die im Urteil mitgeteilten Umstände

der Angeklagte hat einen Betreuer, sein
Entschluss,
die
Wohnsituation zu ändern und sein Bemühen,
eine neue [X.] zu finden, das Aufrechterhalten einer dauerhaften
Beziehung mit einer Frau seit dem [X.], das Eingehen eines Verlöbnisses, das Wahrnehmen des Besuchsrechts zu zwei aus der Beziehung hervorgegangenen und
nun in einer Pflegefamilie lebenden
Kindern,
und die Beschäftigung in einer Firma

rechtfertigen für sich die Annahme des [X.] nicht.
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Zudem fehlen Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzmin-derung auf die Handlungsmöglichkeiten des
alkoholisierten
Angeklagten
in der konkreten Tatsituation hatte (vgl.
[X.], Urteil vom 22. April 2015

2 StR 393/14, [X.], 306). Das [X.] hat den für die Annahme erheb-lich verminderter Steuerungsfähigkeit vorausgesetzten ursächlichen symptoma-tischen Zusammenhang der von dem Sachverständigen diagnostizierten leich-ten
Intelligenzminderung mit dem Tatgeschehen nicht ausreichend belegt.
Dies führt zur Aufhebung der getroffenen Feststellungen. Von der [X.] nicht betroffen (vgl. §
353 Abs.
2 StPO) sind indes die rechtsfehlerfrei ge-troffenen Feststellungen zum äußeren Geschehen der [X.]. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich. Da nicht völlig auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellun-gen getroffen werden, die eine Schuldunfähigkeit belegen, hat der [X.] auch den Schuldspruch aufgehoben.
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Die teilweise Aufrechterhaltung der Feststellungen bedingt die Verwer-fung der weitergehenden Revision des Angeklagten.
Raum Jäger Radtke

Fischer Bär
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Meta

1 StR 299/17

19.09.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.09.2017, Az. 1 StR 299/17 (REWIS RS 2017, 5183)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5183

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 55/17

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