Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. III R 18/15

3. Senat | REWIS RS 2016, 9940

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Gegenstand

Kindergeld: Keine Übertragung des Kinderfreibetrags sowie des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf eines minderjährigen Kindes


Leitsatz

Allein der Umstand, dass ein sorgeberechtigter Elternteil, der sein minderjähriges Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, für sich und sein Kind Leistungen nach dem SGB II bezieht, rechtfertigt nicht die Übertragung des diesem für sein Kind zustehenden Kinderfreibetrags und des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf auf den anderen Elternteil, der den Barunterhalt für das gemeinsame Kind leistet.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 14. Juli 2015  4 K 4233/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die im [X.]treitjahr (2013) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Klägerin ist die leibliche Mutter der im [X.]eptember 1996 geborenen Tochter [X.]. Für diese leistete sie im [X.]treitjahr Barunterhalt. Die ledige [X.] lebte im [X.]treitjahr im Haushalt des sorgeberechtigten [X.]; sie war dort polizeilich gemeldet. [X.] bezog für sich und [X.] Leistungen zur [X.]icherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch [X.]ozialgesetzbuch ([X.]GB II).

2

Mit ihrer für das [X.]treitjahr abgegebenen gemeinsamen Einkommensteuererklärung beantragten die Kläger für [X.] den Abzug des doppelten Freibetrags für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) und des doppelten Freibetrags für den [X.] ([X.]) i.[X.]. des § 32 Abs. 6 [X.]ätze 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes in der im [X.]treitjahr geltenden Fassung (E[X.]tG).

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) lehnte in dem Einkommensteuerbescheid für 2013 die beantragte Übertragung der Freibeträge des [X.] ab.

4

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das [X.] mit Einspruchsentscheidung vom 22. [X.]eptember 2014 als unbegründet zurück. [X.] sei seiner Verpflichtung zum Unterhalt nachgekommen, weil er [X.] in seinen Haushalt aufgenommen und dadurch Betreuungsunterhalt geleistet habe, der dem von der Klägerin geleisteten Barunterhalt gleichwertig gegenüberstehe.

5

Mit der dagegen beim Finanzgericht ([X.]) erhobenen Klage begehrten die Kläger die Berücksichtigung weiterer Freibeträge für [X.] in Höhe von insgesamt 3.504 €. Das [X.] wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2015, 1814 veröffentlichten Urteil ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, eine Übertragung des Kinderfreibetrags scheitere daran, dass [X.] unstreitig seiner Verpflichtung zur Leistung von Betreuungsunterhalt nachgekommen sei; eine Verletzung der Unterhaltspflicht liege nicht vor. Deshalb scheide auch die Übertragung des Kinderfreibetrags wegen fehlender Leistungsfähigkeit aus. Eine Übertragung des [X.] komme nicht in Betracht, weil [X.] nicht in der Wohnung der Klägerin gemeldet gewesen sei; zudem habe [X.] die Tochter [X.] im [X.]treitjahr nicht nur unerheblich betreut.

6

Die Kläger rügen mit ihrer Revision eine Verletzung materiellen Rechts.

7

[X.]ie beantragen sinngemäß,
das Urteil des [X.] Berlin-Brandenburg vom 14. [X.]uli 2015 4 K 4233/14 und die Einspruchsentscheidung vom 22. [X.]eptember 2014 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2013 vom 7. August 2014 dahingehend abzuändern, dass der weitere auf den anderen Elternteil entfallende Kinder- und [X.] für die Tochter [X.] in Höhe von insgesamt 3.504 € berücksichtigt wird und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für die Übertragung des Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 [X.]atz 1 Alternative 1, [X.]atz 6 E[X.]tG (dazu unter 1.) sowie des [X.] nach § 32 Abs. 6 [X.]atz 1 Alternative 2, [X.]atz 8 E[X.]tG (dazu unter 2.) auf die Kläger nicht vorliegen.

1. Nach § 32 Abs. 6 [X.]atz 6 E[X.]tG wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 [X.]atz 1 E[X.]tG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist.

a) Die Unterhaltspflicht i.[X.]. dieser Vorschrift bestimmt sich nach bürgerlichem Recht. Für den Unterhalt, der den gesamten Lebensbedarf umfasst (§ 1610 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--), haften Eltern als gleich nahe Verwandte ihren Kindern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (§ 1606 Abs. 3 [X.]atz 1 BGB; z.B. [X.]enatsurteil vom 24. März 2006 III R 57/00, [X.], 1815, unter [X.], zu § 32 Abs. 6 [X.]atz 4 E[X.]tG in der für das [X.] gültigen Fassung). Nach § 1606 Abs. 3 [X.]atz 2 BGB erfüllt der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung. Der andere, nicht betreuende Elternteil hat den Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren (§ 1612 Abs. 1 [X.]atz 1 BGB). Die gesetzliche Regelung geht mithin davon aus, dass ein Elternteil das minderjährige Kind betreut und versorgt und der andere Elternteil die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen hat (Beschluss des [X.] --BGH-- vom 12. März 2014 XII ZB 234/13, Neue [X.]uristische Wochenschrift --N[X.]W-- 2014, 1958, unter [X.]). Liegt das deutliche [X.]chwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil und trägt dieser die Hauptverantwortung für das Kind, so erfüllt dieser Elternteil durch die Pflege und Erziehung des Kindes seine Unterhaltspflicht i.[X.]. des § 1606 Abs. 3 [X.]atz 2 BGB (vgl. [X.] vom 28. Februar 2007 XII ZR 161/04, N[X.]W 2007, 1882, unter 2.b).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das [X.] zu Recht entschieden, dass der Kinderfreibetrag des [X.] nicht nach § 32 Abs. 6 [X.]atz 6 Alternative 1 E[X.]tG auf die Kläger zu übertragen ist, da [X.] seine Unterhaltspflicht im [X.]treitjahr durch die Leistung von Betreuungsunterhalt erfüllt hat.

Aus dem Umstand, dass ein Elternteil keinen Barunterhalt --sondern Betreuungsunterhalt-- leistet, ergibt sich kein Anspruch auf Übertragung des Kinderfreibetrags. Wird nur Betreuungsunterhalt geschuldet (vgl. § 1606 Abs. 3 [X.]atz 2 BGB), ist die Erfüllung dieser Pflicht entscheidend, da der Gesetzgeber von der Gleichwertigkeit der Unterhaltsleistung durch Zahlung von Geldbeträgen und durch persönliche Betreuung ausging. Dies hat der [X.]enat bereits zu § 32 Abs. 6 [X.]atz 7 Halbsatz 1 E[X.]tG in der für das [X.] geltenden Fassung (ab dem Veranlagungszeitraum 2002: [X.]atz 6) entschieden ([X.]enatsurteil vom 27. [X.]eptember 2007 III R 71/06, [X.] zum Familienrecht --[X.]--, E[X.]tG §§ 33, 33a, 33b, 33c Nr. 43, unter II.3., m.w.N.). Hieran hält der [X.]enat auch für § 32 Abs. 6 [X.]atz 6 Alternative 1 E[X.]tG fest. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den [X.]enat nach § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] ist der Kindsvater [X.], der [X.] im [X.]treitjahr in seinen Haushalt aufgenommen hatte, seiner Verpflichtung zur Leistung von Betreuungsunterhalt nachgekommen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

c) Zutreffend ist das [X.] auch davon ausgegangen, dass die Übertragung des Kinderfreibetrags auf die Kläger nach § 32 Abs. 6 [X.]atz 6 Alternative 2 E[X.]tG aus den unter [X.]b dargestellten Gründen ebenfalls ausscheidet.

Mit der Änderung von § 32 Abs. 6 [X.]atz 6 E[X.]tG durch das [X.]teuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 ([X.], 2131) trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass nach damaliger Rechtslage eine Übertragung des Kinderfreibetrags des einen Elternteils nicht in Betracht kam, wenn dieser Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig gegenüber dem Kind war (vgl. BTDrucks 17/6146, [X.]. 14; zu der diesbezüglichen Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 25. [X.]uli 1997 VI R 107/96, [X.], 60, B[X.]tBl II 1998, 329; vom 27. Oktober 2004 VIII R 11/04, [X.] 2005, 343, unter [X.]a, m.w.N., und [X.]enatsbeschluss vom 8. Dezember 2009 III B 227/08, [X.] 2010, 639, Rz 6, m.w.N.). Die Neufassung des [X.]atzes 6 soll in diesen Fällen die Übertragung des Kinderfreibetrags ermöglichen, um den Elternteil, der gezwungenermaßen allein für den Unterhalt des Kindes aufkommt, auch allein zu entlasten (BTDrucks 17/6146, [X.]. 14).

Der sorgeberechtigte Kindsvater [X.] schuldete im [X.]treitjahr jedoch Unterhalt; er erfüllte seine Unterhaltspflicht auch unstreitig durch die Leistung von Betreuungsunterhalt. Die Kläger sind somit nicht allein für den Unterhalt des Kindes [X.] aufgekommen. Damit ergibt sich im [X.]treitfall --anders als die Kläger meinen-- allein aus dem Umstand, dass [X.] für sich und [X.] Leistungen nach dem [X.]GB II bezog, kein Anspruch auf Übertragung des Kinderfreibetrags.

2. Bei minderjährigen Kindern wird nach § 32 Abs. 6 [X.]atz 8 E[X.]tG der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende [X.] auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen, wenn bei dem Elternpaar die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 [X.]atz 1 E[X.]tG nicht vorliegen.

Das [X.] hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen für die Übertragung des [X.] auf die Kläger im [X.]treitfall zutreffend verneint. Denn ausweislich der bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] war [X.] im [X.]treitjahr nicht bei den Klägern gemeldet, sondern unter der Adresse des [X.]. Die Kläger waren somit schon nicht antragsberechtigt i.[X.]. des § 32 Abs. 6 [X.]atz 8 E[X.]tG.

3. Dieses Ergebnis ist auch nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden.

Insbesondere ist --entgegen der Ansicht der Kläger-- eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Elternpaaren, die nicht die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung erfüllen, gegenüber zusammenveranlagten Ehegatten nicht zu erkennen. Denn zusammenveranlagte Ehegatten erhalten keinen höheren Kinderfreibetrag oder [X.] als die Elternpaare, welche die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 [X.]atz 1 E[X.]tG nicht erfüllen.

Nach der Rechtsprechung des [X.] besteht zudem kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf, dass nicht zusammenlebende Elternteile im Rahmen ihrer Veranlagung zur Einkommensteuer bei der steuerlichen Entlastung wegen eines unterhaltberechtigten Kindes in der [X.]umme betragsmäßig genauso oder etwa gar besser gestellt werden, als würden sie zusammen mit dem anderen Elternteil zur Einkommensteuer veranlagt werden ([X.]-Urteil vom 26. Februar 2002 VIII R 90/98, [X.] 2002, 1137, unter 3.b). Den verfassungsrechtlichen Vorgaben ist genügt, wenn sichergestellt ist, dass jeder Elternteil im Rahmen seiner Veranlagung zur Einkommensteuer die ihm unter Berücksichtigung der Höhe seines Einkommens verfassungsrechtlich zustehende Entlastung wegen des für sein Kind geleisteten Unterhalts erhält ([X.]-Urteil in [X.] 2002, 1137, unter 3.b, und [X.]enatsurteil in [X.], E[X.]tG §§ 33, 33a, 33b, 33c Nr. 43, unter II.3.).

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III R 18/15

15.06.2016

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 14. Juli 2015, Az: 4 K 4233/14, Urteil

§ 32 Abs 6 S 1 EStG 2009, § 32 Abs 6 S 6 EStG 2009, § 32 Abs 6 S 8 EStG 2009, EStG VZ 2013, SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2016, Az. III R 18/15 (REWIS RS 2016, 9940)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 432 REWIS RS 2016, 9940

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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