Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.01.2024, Az. VIa ZR 612/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 509

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 28. Zivilsenats des [X.] vom 6. April 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin erwarb am 12. Mai 2014 von einer Dritten für 104.442 € ein von der Beklagten hergestelltes, neues Kraftfahrzeug [X.], das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe [X.] (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des [X.] ([X.]) betroffen.

3

Die Klägerin hat, gestützt auf die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen und insbesondere eines Thermofensters, zuletzt die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Antrag zu 1), Feststellung des Annahmeverzugs (Antrag zu 2) und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Antrag zu 3) beantragt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Die Berufung der Klägerin sei zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe und die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorlägen. Zur Begründung werde auf den vorausgegangenen Hinweis Bezug genommen. Mit der Gegenerklärung habe die Klägerin nicht ein einziges der im Hinweisbeschluss genannten Verfahren aufgegriffen, sondern unter Verwendung von Textbausteinen bereits getätigtes Vorbringen wiederholt.

7

In dem in Bezug genommenen Hinweis hatte der Vorsitzende des Berufungsgerichts insbesondere auf einige jeweils mit Aktenzeichen näher bezeichnete Verfahren beim [X.] verwiesen. An den genannten Verfahren, die sämtliche Motoren des Typs [X.] beträfen, seien die Prozessbevollmächtigten der Klägerin beteiligt gewesen. Der Senat mache sich die Erwägungen der dort getroffenen Entscheidungen zu eigen, Wiederholungen seien nicht veranlasst.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

9

1. Die vor dem Hintergrund des § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht unbedenkliche Vorgehensweise des Berufungsgerichts, seine Entscheidung unter pauschaler Bezugnahme auf Verfahren bei dem [X.], an denen die Klägerin selbst nicht beteiligt war, zu begründen, kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Denn zum einen liegt in einer Bezugnahme auf eine nicht zwischen den Parteien ergangene Entscheidung zu [X.] kein Verstoß gegen § 547 Nr. 6 ZPO, sofern die in Bezug genommene Entscheidung Gegenstand der mündlichen Verhandlung war und die Parteien deshalb Gelegenheit hatten, sich damit auseinanderzusetzen (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Dezember 1962 - [X.], [X.]Z 39, 333, 346 mwN zu § 551 Nr. 7 ZPO aF). Dies ist entgegen der Auffassung der Revision der Fall. Die Klägerin hatte wegen der Bezugnahme schon im Hinweis hinreichend Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung; sie hat in der Gegenerklärung auch keine Einwände gegen die Bezugnahme erhoben. Zum anderen zeigt die Revision eine Entscheidungserheblichkeit des gerügten Rechtsverstoßes im Sinne des § 545 Abs. 1 ZPO nicht auf.

2. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch die Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Insbesondere steht einem Schadensersatzanspruch nicht entgegen, dass ein Fahrzeug zu gewerblichen Zwecken erworben worden ist. Vielmehr kommt es auf den Verwendungszweck im Einzelnen nicht an, solange das Fahrzeug nur auch zur Verwendung im Straßenverkehr erworben worden ist (vgl. [X.], Urteil vom 27. November 2023 - [X.] 1425/22, [X.] Rn. 29). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache [X.] aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten insbesondere nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den [X.] zu berechnen und dazu vorzutragen.

[X.]     

      

Krüger     

      

Götz

      

Rensen     

      

Katzenstein     

      

Meta

VIa ZR 612/22

23.01.2024

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 6. April 2022, Az: 28 U 465/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.01.2024, Az. VIa ZR 612/22 (REWIS RS 2024, 509)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 509

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 412/21

III ZR 303/20

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