Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.04.2015, Az. 2 StR 393/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 12246

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 393/14
vom
22. April 2015
in der Strafsache
gegen

wegen schweren
sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

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2
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Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 22.
April 2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. [X.]
als Vorsitzender,

der [X.] am [X.]
Dr. [X.],
die [X.]in am [X.]
[X.],

der [X.] am [X.]
Zeng,
die [X.]in am [X.]
[X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung -

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revision des
Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Januar 2014 im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegrün-det verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] in 15 Fällen, hiervon in elf Fällen
in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern,
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jah-ren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung der Maßregel; im Übrigen ist sie unbegründet, weil die Nachprü-fung des Schuld-
und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lässt.
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4
-
I.
Dem Urteil liegen folgende Feststellungen
und Wertungen zugrunde:

1. Der Angeklagte leidet seit frühester Kindheit an einer Schwerhörigkeit sowie einer leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung ([X.] 49). 2004 heiratete er die in [X.] lebende Mutter der am 22.
November 1995 geborenen Geschädigten. Während die Mutter bald nach [X.] übersie-delte und in die Wohnung des Angeklagten einzog, konnte die
Geschädigte
ih-rer Mutter
erst im [X.] 2007
folgen. Die Geschädigte ist wie ihre Mutter ge-hörlos
und beherrschte zunächst nur die [X.] [X.]sprache.
Bereits eine Woche nach ihrer Ankunft fragte der Angeklagte die Ge-schädigte mittels [X.], ob sie mit ihm "Sex machen"
wolle. In der [X.] rieb er wiederholt seinen erigierten Penis zwischen den nackten Gesäßhälf-ten der Geschädigten. Spätestens seit [X.] 2008 führte er regelmäßig, [X.] aber in 15
Fällen, den vaginalen Geschlechtsverkehr mit seiner
Stieftochter durch; in einem Fall erfolgte zudem Oralverkehr, in einem weiteren Fall versuchter
Analverkehr
(Fälle II.
1. bis 15. der Urteilsgründe), wobei die Geschädigte in vier Fällen nicht ausschließbar bereits 14 Jahre alt war (Fäl-le
II.
10. bis 13.
der Urteilsgründe).
Der Angeklagte hat das Tatgeschehen
im Wesentlichen
eingeräumt,
wo-bei er aber die Initiative hierfür der Geschädigten zugeschrieben
hat, die ihn "verliebt gemacht"
habe.
2. Das sachverständig beratene [X.] ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten auf-grund der bei ihm bestehenden Intelligenzminderung, die in ihrem Schweregrad das Eingangsmerkmal des "Schwachsinns"
erfülle, erheblich vermindert gewe-2
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sen sei (§
21 StGB).
Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatri-schen Krankenhaus habe angeordnet werden müssen. Aufgrund der weiterhin bestehenden Intelligenzminderung
seien
in jedem Fall
ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten.
II.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1.
Das [X.] hat den für die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit vorausgesetzten ursächlichen symptomatischen Zusam-menhang der von dem Sachverständigen diagnostizierten leichten bis [X.] Intelligenzminderung mit dem Tatgeschehen nicht ausreichend belegt.
Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung aufgrund einer festgestellten Störung im Sinne des §
21 StGB erheblich vermindert war, ist tatsachengestützt zu begründen. Dies erfordert es, sowohl konkrete [X.] zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen als auch ihre Auswir-kungen auf die Tat darzulegen. Geboten ist insbesondere eine Auseinanderset-zung damit, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist
(vgl. Senatsbeschluss
vom 19. Februar 2015 -
2 [X.] mwN).
Daran fehlt es hier. Die [X.] hat zwar dargelegt, dass der Ange-klagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krank-haften dauerhaften Zustand leidet. Sie hat es aber versäumt, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und wie sich
dieser 7
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Zustand in der konkreten Tat ausgewirkt hat
(vgl. [X.], Beschluss vom 15.
Juli 1997 -
4 StR 303/97, [X.], 106).
Das [X.] hat insoweit "in Übereinstimmung"
mit dem Sachver-ständigen lediglich ausgeführt,
der Angeklagte sei aufgrund seiner [X.] "nur schwer"
in der Lage gewesen, aus seiner (erhalten gebliebe-nen) [X.] "die Schlussfolgerung zu ziehen, keine sexuellen Hand-lungen mit seiner Stieftochter zu begehen". Er
sei in der Fähigkeit, seinen se-xuellen Trieb
und die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse zu kontrollie-ren, erheblich beeinträchtigt gewesen.
Diese knappen Ausführungen lassen nicht erkennen, auf welcher
Tatsa-chengrundlage die Annahme des Sachverständigen -
und ihm folgend des Tat-gerichts
-
beruht, dass die [X.] auf die Intelligenzminderung und nicht etwa auf andere Ursachen, wie zum Beispiel eine sexuelle Präferenz
des Angeklagten,
zurückgehen. Überhaupt fehlen Ausführungen dazu, welchen Ein-fluss die Intelligenzminderung auf die
Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den konkreten [X.] hatte. Auch im
Hinblick auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit fehlt
jede
tatbezogene Betrachtung.
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lässt sich daher nicht die Annahme rechtfertigen, der Angeklagte habe aufgrund seiner [X.] bei allen Taten jeweils sicher im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gehandelt.
2.
Auch die Gefährlichkeitsprognose wird durch die bisherigen [X.] nicht getragen.
a) Die der Entscheidung der [X.] zugrunde gelegte Bewertung des Sachverständigen, dass aufgrund der Diskrepanz zwischen körperlicher
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sexueller Reife und [X.] Kompetenz des Angeklagten in jedem Fall ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten
seien, ist nicht im Einzelnen mit Tatsachen belegt.
Richten sich Straftaten, aufgrund derer
die Unterbringung angeordnet wird, nur gegen eine bestimmte Person oder haben sie in der Beziehung zu dieser
Person ihre alleinige Ursache, so bedarf die Annahme, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, genauer Prüfung und Darlegung aufgrund kon-kreter tatsächlicher Feststellungen (vgl. [X.], Urteil vom 9. November 1989 -
4 [X.], [X.], 77 mwN; Senatsbeschluss vom 4.
Oktober 2006 -
2
StR 349/06, [X.], 29).
Das [X.] hat insoweit lediglich ausgeführt, dass die Möglichkeiten des Angeklagten, Einfluss und Eindruck auf erwachsene Frauen als mögliche Sexualpartnerinnen auszuüben, wegen seiner [X.] erheblich eingeschränkt seien, weshalb eine Verschiebung seiner sexuellen Bedürfnisse auf schwächere Bezugspersonen in Gestalt von jungen Mädchen weiterhin zu befürchten sei.
Dabei hat das Gericht schon nicht berücksichtigt, dass der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 38jährige und nicht vorbestrafte Angeklagte seit 2004 verheiratet ist
und mit seiner Frau eine gemeinsame,
2008 geborene Tochter hat.
Worauf die Annahme der Kammer gründet, dass die Möglichkeiten des [X.],
erwachsene Sexualpartnerinnen zu finden, tatsächlich eingeschränkt sind, wird nicht ausgeführt.

Aber auch die Bewertung, dass eine Verschiebung seiner sexuellen Be-dürfnisse auf junge Mädchen weiterhin zu befürchten
sei, lässt eine Erörterung tatspezifischer
Umstände vermissen;
denn bei der
durch die [X.] Geschädigten handelte es sich um die mit dem Angeklagten in einem Haushalt lebende Stieftochter, die zudem gehörlos ist und
erst unmittelbar vor den ersten 16
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sexuellen Übergriffen nach [X.] gekommen war.
Tatsächliche Anhalts-punkte dafür, dass der Angeklagte wieder die Gelegenheit haben könnte, ent-sprechend nachhaltig auf ein solchermaßen schutzbedürftiges junges Mädchen einzuwirken, hat die [X.] weder mitgeteilt noch sind solche ersichtlich, zumal auch die jüngere Schwester der Geschädigten schon 2011 aus der [X.] genommen und den Eltern die elterliche Sorge entzogen worden ist.
b) Die Ausführungen der [X.] lassen zudem
besorgen, dass sie bei der Gefährlichkeitsprognose einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Eine Unterbringung
nach §
63
StGB kommt nur dann in Betracht, wenn
eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades
für die Begehung künftiger Taten [X.]. Die Kammer hat sich insoweit
"nach eigener Prüfung"
den
Ausführungen des Sachverständigen
angeschlossen, der davon ausgegangen ist, dass
"in jedem Fall"
ähnlich gelagerte Straftaten zu erwarten seien. Sie ist dann mit er-gänzenden
Erwägungen zu dem Ergebnis
gelangt, dass [X.] ge-gen junge Mädchen weiterhin "zu befürchten"
seien, ohne sich zu dem Grad der Wahrscheinlichkeit überhaupt zu verhalten
und diesen tatsachengestützt zu begründen.
3.
Der Senat hebt den [X.] mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf. Der neue Tatrichter wird
sich naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen erneut mit der [X.] des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit ausei-nanderzusetzen haben.
Schuld-
und Strafausspruch können bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass sich dabei Feststellungen ergeben könnten, die zu einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen könnten. Denn
das [X.] hat auf breiter Tatsachengrundlage es zum einen
dargestellt, dass der Angeklagte, 19
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der eingeräumt habe zu wissen, dass man seine Stieftochter "nicht anfassen" dürfe, trotz seiner Intelligenzminderung das
Unrecht seiner Tat erkannt habe. Es hat zum anderen ausgeführt, dass eine vollständige Aufhebung der [X.] ausgeschlossen werden könne, weil den [X.] je-weils eine nicht unerhebliche Planung der Ausführung vorausgegangen sei, der Angeklagte zielgerichtet nach Möglichkeiten der Ausführung gesucht und dabei zahlreiche Sicherungstendenzen gezeigt habe.
Soweit die [X.] aufgrund der dargelegten rechtfehlerhaften [X.] die Voraussetzungen des §
21 StGB bejaht und die Strafe dem jeweils gemäß §
49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen hat, ist der An-geklagte hierdurch nicht beschwert
(vgl. [X.], Beschluss vom 11.
Februar 2015 -
4 [X.], [X.], 137, 138). Dass ohne die Anordnung der Un-terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe [X.] worden wäre, vermag der Senat auszuschließen (vgl. Senatsbeschluss vom 1.
April 2014 -
2 StR 602/13).

[X.] [X.] Ott

Zeng Bartel

22

Meta

2 StR 393/14

22.04.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.04.2015, Az. 2 StR 393/14 (REWIS RS 2015, 12246)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12246

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2 StR 393/14

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