Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2012, Az. IV ZR 150/11

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5443

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV [X.]/11
vom

20. Juni 2012

in dem Rechtsstreit

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Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Vorsitzen-de Richterin [X.], die Richterin [X.], die Richter
[X.], [X.] und die Richterin [X.]

am 20.
Juni 2012

beschlossen:

Der Senat beabsichtigt, die Revision des [X.] gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 22. Juni 2011 gemäß § 552a ZPO [X.].

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Gründe:

[X.] Die Parteien streiten über Ansprüche des [X.] aus einer bei der Beklagten seit Juli 2007 gehaltenen Versicherung, der die Allgemei-nen Versicherungsbedingungen für die Verbundene [X.] ([X.] 2006) in der Fassung 08/2006 zugrunde liegen.
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Versicherte Gefahren sind Feuer, Leitungswasser, [X.] und Ha-gel. Auf der Grundlage der Angaben des
[X.] und eines Mitversiche-rungsnehmers
wies der Versicherungsschein als Betriebsart "Hausver-waltung (reiner Bürobetrieb)"
aus. Tatsächlich stand das Gebäude

bis auf zwei Kellerräume

seit Erwerb des Anwesens durch die Versi-cherungsnehmer
bis zum Eintritt des [X.] leer. Am 29.
Oktober 2007 beantragten die
Versicherungsnehmer
für das Anwesen bei der zu-ständigen Bauaufsichtsbehörde die Genehmigung der "Nutzungsände-rung eines Gewerbebetriebes in bordellähnlichen Betrieb und gewerbli-cher
Zimmervermietung"
unter Beifügung von Planungsentwürfen eines Architekten. Die Renovierungs-
und Umbauarbeiten waren bei Eintritt des Schadens noch nicht vollständig abgeschlossen. Inzwischen wird das Anwesen als Bordell genutzt.

Am 15.
Juni 2008, einem Sonntag, drangen Unbekannte in das Gebäude ein und öffneten unter anderem
im Dachgeschoss die [X.] und Eckventile, durch die Leitungswasser austrat und sich von dort aus auf die darunter
liegenden Flächen verteilte. Es kam zu einer starken Durchfeuchtung von Decken und Wänden, teilweise bra-chen Deckenteile aus Gipskartonplatten herunter. Nachdem der [X.] im Juni 2008 der Schaden gemeldet worden war, erklärte sie im Juli 2008 die fristlose Kündigung des Vertrages und berief sich auf [X.] wegen Gefahrerhöhung, weil eine Anzeige der andauernden umfangreichen Umbaumaßnahmen und die beabsichtigte Nutzung als Bordell nicht erfolgt seien.

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I[X.] Das [X.] hat der Klage auf Feststellung der Verpflich-tung zur Gewährung von Versicherungsschutz für den [X.] stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlan-desgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Re-vision erstrebt der Kläger
Wiederherstellung des landgerichtlichen Ur-teils.

II[X.] Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S. von
§
543 Abs.
2 Satz
1 ZPO liegen nicht vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts
in dem sehr sorg-fältigen Urteil
und der Revision kommt dem
Verfahren keine grundsätzli-che Bedeutung i.S. des §
543 Abs.
2 Satz
1 Nr.
1 ZPO zu.

a) Diese ist gemäß §
543 Abs.
2 Satz
1 Nr.
1 ZPO dann anzuneh-men, wenn eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Frage zu [X.] ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ([X.], Beschlüsse vom 8.
Februar 2010

II ZR 156/09, NJW-RR 2010, 978 Rn.
3; vom 27.
März 2003

[X.], [X.]Z 154, 288, 291; jeweils m.w.N.). [X.] ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie vom [X.] bisher nicht entschieden ist und von einigen [X.] unterschiedlich beantwortet wird oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen dazu vertreten werden ([X.], Beschluss vom 8.
Februar 2010 4
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aaO; Senatsbeschluss vom 10.
Dezember 2003

IV ZR 319/02, [X.], 225 unter 2 a und b; jeweils m.w.N.).

b) Danach ist eine grundsätzliche Bedeutung nicht ersichtlich. Es gibt zur Frage des Zeitpunkts des Vorliegens einer Gefahrerhöhung [X.] divergierende Rechtsprechung und auch keine unterschiedlichen Lite-raturansichten, und zwar auch nicht im Zusammenhang mit einer geän-derten Gebäudenutzung. Thematisiert wird diese Frage in der Literatur bisher insbesondere im Zusammenhang mit sogenannten
Brandreden, Bombendrohungen und Erpressungen. Anerkannt ist, dass allein die Ab-sichten des Versicherungsnehmers
oder von Dritten regelmäßig nicht ausreichen, sondern von einer realen Gefahrerhöhung nur dann gespro-chen werden kann, wenn ein Umstand unter Berücksichtigung möglicher Kausalverläufe die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfal-les ex ante steigert. Ein Beobachter, der die fraglichen Umstände kennt, muss allein aufgrund dieser Kenntnis eine Erhöhung der [X.] feststellen können. Die Gefahr-erhöhung beginnt mit dem Anfang
eines vorprogrammierten Geschehens, in dessen Verlauf es zu einer gefahrerhöhenden
Bedrohung kommt (grundlegend [X.], [X.], 576, 577
f.; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 28.
Aufl. §
23 Rn.
22; in ähnliche Richtung: [X.]/
[X.]/Reusch,
§
23 Rn.
184; [X.] in [X.]/Pohlmann, [X.] § 23 Rn. 9
f.;
Bruck[X.]/[X.], [X.] 9. Aufl. § 23 Rn. 6 ff.).

Es kommt mithin stets maßgeblich auf die Umstände des Einzelfal-les an, wann sich die Absichten eines Versicherungsnehmers im Hinblick auf eine Gefahrerhöhung derart verdichtet haben, dass ihre Umsetzung bereits begonnen hat. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass im vor-8
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liegenden Fall der Plan der Versicherungsnehmer durch die Beantragung der Nutzungsänderung bei der zuständigen Bauaufsichtsbehörde Ende Oktober 2007 sowie der Durchführung der Umbauarbeiten bereits in die Tat umgesetzt worden sei und zum Zeitpunkt des [X.] eine Gefahrerhöhung vorgelegen habe, ist revisionsrechtlich nicht zu [X.]. Die Versicherungsnehmer hatten Fakten geschaffen, die nicht mehr nur im Bereich ihrer inneren
Vorstellungen blieben, sondern nach außen hin sichtbar wurden und die Aufmerksamkeit Dritter auf sich ziehen konnten.

2. Es liegen auch keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler vor. Beweiserhebungen zur Frage der Gefahrerhöhung durch einen Bordell-betrieb waren ebenso wenig notwendig wie zu der Frage, ob sich die be-absichtigte Nutzung als Bordell bereits herum gesprochen hatte.

a) Nach ständiger Senatsrechtsprechung soll durch die [X.] der §§
23
ff. [X.] das Gleichgewicht zwischen Prämienaufkom-men und Versicherungsleistung aufrechterhalten bleiben: Der [X.] soll nicht gezwungen sein, sich an einem Versicherungsvertrag fest-halten zu lassen, obwohl sich die Risikolage so geändert hat, dass nach den Erkenntnissen der Versicherungsmathematik und den Grundsätzen der Versicherungstechnik die Erhebung einer höheren Prämie geboten gewesen wäre. Von einer Gefahrerhöhung kann demnach nur dann ge-sprochen werden, wenn nachträglich eine Gefahrenlage eingetreten ist, bei welcher der Versicherer den in Frage stehenden Versicherungsver-trag entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht zu der vereinbarten Prämie abgeschlossen hätte. Es kommt nicht auf einzelne Gefahrum-stände an, sondern darauf, wie sich die Gefahrenlage im Ganzen seit der Antragstellung entwickelt hat. Dabei sind alle aus dem [X.] er-10
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sichtlichen gefahrerheblichen Tatsachen in Betracht zu ziehen ([X.]Z 79, 156, 158 m.w.N.; Senatsurteil vom 8. Juli 1987

[X.], [X.], 921 unter 2). Dass eine geänderte Gebäudenutzung eine Gefahrerhöhung darstellen kann, entspricht gefestigter Rechtsprechung und ganz herrschender Ansicht ([X.]
VersR 1966, 721; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 2.
Aufl. §
23 Rn.
18). Ebenfalls ist es anerkannt, dass die Änderung der gewerblichen Nutzung von [X.] zur Nutzung als Bordell anzeigepflichtig ist. Die Anzeigepflicht be-ruht auf der Annahme, dass mit dieser Nutzungsänderung eine Gefahr-erhöhung einhergeht, insbesondere wegen des damit oft verbundenen kriminellen Milieus (Senatsurteil vom 15.
Januar 1989

[X.], [X.], 398, 399; OLG Düsseldorf r+s 1996, 147; [X.] r+s 1991, 138; Langheid/[X.], [X.] [X.] 2010 §
19 Rn.
74; soweit [X.] aaO der Ansicht ist, dass dies die Richtigkeit der Hypothese vo-raussetze, dass es in [X.] statistisch häufiger zu Bränden kommt, ist dies nicht maßgeblich, weil Versicherer
dieses Risiko jeden-falls entweder gar nicht oder zu deutlich höheren Tarifen versichern).

b) Das Berufungsgericht konnte daher rechtsfehlerfrei ohne [X.] annehmen, dass die Nutzungsänderung eine Gefahrerhö-hung darstelle und die Beklagte bei Kenntnis der beabsichtigten Nut-zungsänderung den Versicherungsvertrag gar nicht oder jedenfalls zu deutlich anderen Bedingungen abgeschlossen hätte. Die Beklagte hat glaubhaft vorgetragen, dass sie bei Kenntnis der Nutzung des Gebäudes als Bordell den Versicherungsvertrag überhaupt nicht abgeschlossen hätte. An der Plausibilität der Annahme von Versicherungsunternehmen, der Betrieb eines Bordells
stelle aufgrund des damit oft verbundenen kriminellen Milieus eine Gefahrerhöhung dar, hat sich auch nichts durch den Versuch des Gesetzgebers geändert, Prostitution zu [X.]
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ren. Das Berufungsgericht hat schließlich auch sämtliche Umstände ge-würdigt. Eine Gefahrkompensation der Nutzungsänderung zum Betrieb eines Bordells durch Vermietung zweier Kellerräume während der [X.] ist nicht erkennbar. Dieser Umstand hätte allenfalls Bedeu-tung erlangen können, soweit auf eine Gefahrerhöhung durch den meh-rere Monate andauernden Leerstand während des Umbaus abgestellt worden wäre, was das Berufungsgericht jedoch nicht getan hat.

[X.]

[X.] Dr.
Karczewski

[X.]

[X.]
Hinweis:
Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme

erledigt worden.
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 25.03.2010 -
14 O 351/08 -

O[X.], Entscheidung vom 22.06.2011 -
5 [X.]

Meta

IV ZR 150/11

20.06.2012

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2012, Az. IV ZR 150/11 (REWIS RS 2012, 5443)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5443

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IV ZR 150/11

II ZR 156/09

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