Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.12.2011, Az. 2 StR 502/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 485

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 502/11

vom
14. Dezember
2011
in der Strafsache
gegen

wegen Körperverletzung mit Todesfolge

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers
am 14.
Dezember 2011
gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Juli 2011 im Strafausspruch mit den Fest-stellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere [X.] des [X.] als Schwurgericht zurück-verwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet (§
349 Abs.
2 StPO).
1. Das [X.] hat Folgendes festgestellt:
Der nicht vorbestrafte Angeklagte hatte einen sehr engen Kontakt zu [X.], dem späteren [X.], und deren Familie. Er passte auf
ihre Kinder auf, als diese noch jünger waren, und kümmerte sich um
seinen schwer erkrankten und pflegebedürftigen Schwager. Nach dessen Tod unter-1
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stützte der Angeklagte seine Schwester, indem er einkaufte, die Wäsche wusch und kochte. Der Angeklagte und die Geschädigte waren schließlich nahezu die einzigen Bezugspersonen füreinander. Beide konsumierten im Übermaß [X.]. Das [X.] war aufgrund der Alkoholsucht körperlich verfallen, lag [X.] im Schlafanzug auf der Couch und trank dort pausenlos Alkohol. Im be-trunkenen Zustand beschimpfte die Geschädigte den Angeklagten regelmäßig; dieser stand ihren verbalen Attacken hilflos gegenüber. Am Silvesterabend 2010 entbrannte erneut ein Streit zwischen den Geschwistern, der gegen 22.00 Uhr eskalierte. Als der Angeklagte, der möglicherweise bereits einen Alkohol-pegel von 4,5
Promille erreicht hatte, seiner Schwester, die etwa 2,11 Promille Alkohol im Blut hatte, vorwarf, mit ihren "ewigen" Verbalattacken Schuld am Krebstod ihres Ehemannes zu sein, sprang diese von der Couch auf und ver-passte ihm eine Ohrfeige. Diese Ohrfeige war "zu viel" für den Angeklagten. Er schubste seine Schwester zurück auf die Couch und schlug wahllos auf sie ein. Schließlich packte er die ihm körperlich deutlich unterlegene Geschädigte am Arm und am Kragen, wodurch sie zwischen Couch und Couchtisch rutschte
und dort eingeklemmt wurde. Der Angeklagte, der Treckingschuhe trug, trat nunmehr aus einem Gefühlsgemisch aus Wut und situationsbedingter [X.] [X.] mit voller Wucht gegen den Kopf seiner Schwester, obschon er als trinkgewohnter [X.] auch bei seiner [X.] hätte erkennen können, dass solche Tritte gegen den Schädel zum Tod führen können. Die Geschädigte erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma, an dem sie innerhalb kürzester Frist verstarb.
Das [X.] hat dem Angeklagten zugutegehalten, dass er zur [X.] an einer krankhaften seelischen Störung in Form einer Alkoholintoxikation litt, durch die seine Steuerungsfähigkeit bei erhaltener Einsicht in das Unrecht erheblich vermindert war (§
21 StGB). Darüber hinaus und unabhängig davon ist das Schwurgericht von einem erheblichen Affekt des Angeklagten im Sinne 4
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4
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des §
21 StGB ausgegangen. Es hat die Annahme eines minderschweren Fal-les (§
227 Abs.
2 StGB) abgelehnt, jedoch den Regelstrafrahmen des §
227 Abs.
1 StGB gemäß §§
49 Abs.
1, 21 StGB gemildert.
2. Die Wahl des Strafrahmens und die Strafzumessung begegnen [X.] rechtlichen Bedenken.
a)
Allerdings hat das [X.] die Voraussetzungen des §
213 StGB, bei deren Vorliegen die Strafe zwingend nach §
227 Abs.
2 StGB zu mildern wäre ([X.]St 25, 222; [X.], 80), mit rechtlich tragfähiger Be-gründung für nicht gegeben erachtet. Die [X.] hat ohne Rechtsfehler darauf abgestellt, dass die dem Angeklagten von der Geschädigten [X.] Ohrfeige bereits bei objektiver Betrachtung keine schwer wiegende Beleidi-gung darstelle. Außerdem sei der Ohrfeige eine erhebliche Beleidigung des [X.] durch den Angeklagten vorausgegangen, der ihr vorgeworfen hatte, dass sie die Schuld am Tod ihres Ehemannes trage.
b)
Soweit das [X.] allerdings einen minderschweren Fall im Übri-gen vor allem unter Hinweis auf das "besonders schwer" wiegende "Ausmaß der Gewalteinwirkung" verneint ([X.]) und hierauf bei der Bemessung der Strafe mit pauschaler Verweisung Bezug genommen hat, hält dies unter den gegebenen Umständen rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn und soweit sie gerade Ausdruck des die erhebliche Minderung seiner Schuldfähigkeit begründenden geistig-seelischen Zustandes -
etwa wie hier eines [X.] und einer Alkoholintoxikation
-
ist ([X.], 592 mN). Für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität verbleibt zwar durchaus Raum nach dem Maß der geminderten Schuld; jedoch muss das Urteil erkennen lassen, dass sich der Tatrichter dieser Problematik 5
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bewusst war und ihr Rechnung getragen hat ([X.] NStZ-RR 2003, 104 mN). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe, in
denen die Brutalität der Tatausführung an mehreren Stellen ohne Einschrän-kung hervorgehoben wird, weder ausdrücklich, noch in ihrer Gesamtschau.
Darüber hinaus hat das [X.] bei der Prüfung des minderschwe-ren Falles und bei der eigentlichen Strafzumessung den von ihm als im Sinn des § 21 StGB erheblich bewerteten Affekt nicht erkennbar zu Gunsten des [X.] berücksichtigt. Dabei handelte es sich jedoch angesichts der Fest-stellungen des angefochtenen Urteils um einen Umstand, der nicht außer [X.] gelassen werden durfte.
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler können sich sowohl bei der [X.] als auch bei der Strafzumessung im eigentlichen Sin-ne ausgewirkt haben. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die [X.] zum Nachteil des Angeklagten der Art der Tatausführung eine zu große Bedeutung beigemessen hat. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass das Land-gericht bei der gebotenen Berücksichtigung des [X.] zu einer anderen Be-urteilung des minderschweren Falles gelangt wäre. Insoweit wird das neu zur Entscheidung berufene Gericht allerdings zu prüfen haben, ob die Annahme eines hochgradigen Affekts im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung an einem Vorverschulden des Angeklagten scheitert (vgl. Fischer StGB 9
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58.
Aufl. 2011 §
21 Rn.
15 mN). Ein Anhaltspunkt hierfür könnte die [X.] im angefochtenen Urteil sein, dass der Angeklagte zu Beginn des die ei-gentliche Tat auslösenden Handlungsablaufes die Geschädigte massiv [X.] hat ([X.] 17).

Fischer

Appl Schmitt

Eschelbach [X.]

Meta

2 StR 502/11

14.12.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.12.2011, Az. 2 StR 502/11 (REWIS RS 2011, 485)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 485

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