Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2013, Az. VI ZR 401/12

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8135

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI ZR 401/12

Verkündet am:

19. Februar 2013

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
19. Februar 2013
durch den
Vorsitzenden Richter
Galke und
die Richter Zoll, [X.],
die Richterin Diederichsen
und
den Richter
Stöhr
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des [X.] ([X.]) vom 10. August 2012 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die
Klägerin
macht gegen den beklagten Haftpflichtversicherer [X.] wegen eines Verkehrsunfalls
vom 22.
August
2011
geltend, bei dem ihr Pkw beschädigt wurde. Die volle Haftung der Beklagten
dem Grunde nach steht
außer Streit. Die
Klägerin
hat
auf der Grundlage eines
Sachverständigen-gutachtens
ihren Nettoreparaturaufwand mit 2.873,72

beziffert. Darin sind
Lohnkosten
in Höhe von 1.745,82

.
Die Beklagte hat von den im Gutachten ausgewiesenen Kosten einen pauschalen Abzug von 10
% für nicht angefallene Sozialabgaben und Lohnnebenkosten in Höhe von 174,58

e-nommen. Dieser
Differenzbetrag
zuzüglich Zinsen ist Gegenstand der [X.] Klage. Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt.
Das [X.] hat die hiergegen gerichtete,
zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des
Berufungsgerichts ist ein Abzug für Sozialabgaben und Lohnnebenkosten bei fiktiver [X.] nicht geboten, da der Gesetzgeber bewusst die Neuregelung des §
249 Abs.
2 Satz
2 [X.] auf die Umsatzsteuer beschränkt habe. Auch wenn es der Gesetzgeber im Übrigen der Rechtsprechung habe überlassen wollen, das Sachschadensrecht zu kon-kretisieren und weiterzuentwickeln, sei daraus nicht zu folgern, dass nach dem Willen des Gesetzgebers sämtliche öffentlichen Abgaben bei einer fiktiven Re-paraturkostenabrechnung abgezogen werden sollten. Hätte es dem Willen des Gesetzgebers entsprochen, auch insoweit Einschränkungen
vorzunehmen, so hätte er dies selbst getan.

II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. [X.] der Auffassung der Revision sind Sozialabgaben und Lohnnebenkosten Bestandteile des im Rahmen einer "fiktiven" Schadensabrechnung im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 [X.] nach einem Verkehrsunfall zu erstattenden Scha-dens.
1. Nach §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.] kann der Gläubiger, wenn wegen Be-schädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten ist, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats darf der Geschädigte dabei seiner (fiktiven) Schadensbe-rechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer marken-gebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter 2
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Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. Se-natsurteile vom 29.
April 2003 -
VI
ZR 398/02, [X.], 1
ff.; vom 20.
Okto-ber 2009 -
VI
ZR 53/09, [X.], 21 Rn. 8; vom 22.
Juni 2010 -
VI
ZR 302/08, VersR
2010, 1096, 1097; vom 22.
Juni 2010 -
VI
ZR 337/09, [X.], 1097 f.; vom 13.
Juli 2010 -
VI
ZR 259/09, [X.], 1380 f.).
2. Entgegen der Auffassung der Revision widerspricht die Berücksichti-gung fiktiver Sozialabgaben und Lohnnebenkosten bei der
Berechnung der [X.] weder dem Wirtschaftlichkeitsgebot noch dem Bereicherungsverbot. Denn das Vermögen des durch einen Verkehrsunfall Geschädigten ist um denjenigen Betrag gemindert, der aufgewendet werden muss, um die beschädigte Sache fachgerecht zu reparieren. Zu den [X.] gehören, wie sich aus dem von der Revision selbst in Bezug genommenen Senatsurteil vom 19.
Juni 1973 -
VI
ZR 46/72 ([X.], 56, 58
f.) ergibt, grundsätzlich auch allgemeine Kostenfaktoren wie Umsatzsteuer, Sozialabgaben und Lohnnebenkosten. Deshalb hat der Senat in der vorgenannten Entscheidung vor dem Inkrafttreten des [X.] bei einer "fiktiven" Schadensabrechnung die [X.] beim nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten als echten Schadensposten anerkannt und ausgeführt, der steuertechnisch bedingte ge-trennte Ausweis der Mehrwertsteuer ändere nichts daran, dass sie als objekt-
bzw. leistungsbezogene allgemeine Abgabe auf den Verbrauch nicht weniger ein allgemeiner Kostenfaktor sei als andere öffentliche Abgaben, welche direkt oder indirekt in die Kosten und damit in den Preis einer Ware oder Leistung Eingang gefunden haben.
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3. Soweit der Gesetzgeber nunmehr durch das Zweite Schadensrechts-änderungsgesetz in §
249 Abs.
2 Satz
2 [X.] die Erstattung nicht angefallener Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung ausdrücklich vom [X.] ausgenommen hat, hat er hiermit lediglich einen -
systemwidri-gen
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Ausnahmetatbestand geschaffen, der nicht analogiefähig ist (vgl. [X.]/
[X.], [X.], 72. Aufl., § 249 Rn. 14; Prütting/Wegen/Weinreich/Medicus, [X.], 7. Aufl., § 249 Rn. 29; MünchKomm-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 249 Rn. 459; Beck-OK-[X.]/[X.], Stand: 03/2011, § 249 Rn. 226 f.; [X.], Urteil vom 5. Januar 2012 -
2 C 399/11; [X.], Urteil vom 2. Mai 2012 -
2 C 79/12; [X.], Urteil vom 29. Mai 2012 -
402 [X.]; AG St.
Goar, Urteil vom 16. September 2011 -
33 [X.], juris Rn. 9; a.[X.], r+s 2011, 277 ff. mwN).
a) Die Revision weist selbst darauf hin, dass sich aus den Gesetzesma-terialien (vgl. insbesondere [X.]. 14/7752, S.
13) ergibt, dass der Entwurf eines [X.] Schadensrechtsänderungsgesetzes aus der 13. Legislaturperio-de
zunächst vorsah, bei einer fiktiven Abrechnung von Sachschäden die öffent-lichen Abgaben außer Ansatz zu lassen. Dieser Vorschlag ist indes auf vielfälti-ge Kritik gestoßen. Dieser Kritik hat der Gesetzgeber im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens Rechnung getragen und auf einen Abzug sämtlicher öffentlicher Abgaben bewusst verzichtet und sich auf die Umsatzsteuer als größten Faktor unter den "durchlaufenden Posten" beschränkt. Fehlt es mithin an einer Regelungslücke, kommt eine entsprechende Anwendung des §
249 Abs.
2 Satz
2 [X.] auf andere "öffentliche Abgaben" nicht in Betracht.
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b) Soweit es nach den Gesetzesmaterialien der Rechtsprechung über-lassen werden sollte, das Sachschadensrecht "zu konkretisieren und zu [X.]", vermag dies dem Senat nicht den Weg zu einer Abweichung vom gel-tenden Recht und zu einer von der Revision erwünschten, aber vom [X.] nicht vorgesehenen Gleichstellung von Umsatzsteuer und anderen "öffentli-chen Abgaben" zu eröffnen.
c) Entgegen der Auffassung der Revision
führt eine Erstattung des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrags gemäß §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.] ohne Abzug von Sozialabgaben und Lohnnebenkosten nicht zwangsläufig zu einer Überkompensation des Geschädigten. Sie ist vielmehr lediglich die rechtliche Folge der gesetzlichen Regelung des §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.], wonach der Geschädigte bei der Beschädigung einer Sache statt der Naturalrestitution im Sinne des §
249 Abs.
1 [X.] Geldersatz verlangen kann (sogenannte Erset-zungsbefugnis). Zu ersetzen ist dabei das Integritätsinteresse, d.h. der [X.], der zur Herstellung des Zustands erforderlich ist, der ohne das [X.] Ereignis bestehen würde. Daneben ist der Geschädigte, der auf diese Weise die Beseitigung der erlittenen Vermögenseinbuße verlangt, in
der Verwendung des Schadensersatzbetrags frei, d.h. er muss den ihm zustehenden Geldbetrag nicht oder nicht vollständig für eine ordnungsgemäße Reparatur in einer (mar-kengebundenen) Fachwerkstatt einsetzen (sog. Dispositionsbefugnis). Die [X.]serwiderung weist mit Recht darauf hin, dass die Sichtweise der Revision zur Beseitigung dieser Dispositionsbefugnis führen würde, die mit einer miss-bräuchlichen Bereicherung des Geschädigten nichts zu tun hat. Verzichtet der Geschädigte auf eine Reparatur des unfallbeschädigten Fahrzeugs, so bleibt der entsprechende Wertverlust des Fahrzeugs bestehen. Wählt er eine Eigen-,

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Teil-
oder Billigreparatur außerhalb einer Fachwerkstatt, kann damit ebenfalls ein Wertverlust des Fahrzeugs einhergehen. Entgegen der Auffassung der [X.] kann nicht unterstellt werden, dass der Wert des Fahrzeugs nicht da-durch beeinflusst wird, ob bei der Reparatur Sozialabgaben, Lohnnebenkosten und Umsatzsteuer angefallen sind. Vielmehr spielt es beim Verkauf eines Fahr-zeugs mit einem früheren Unfallschaden nach allgemeiner Lebenserfahrung durchaus eine Rolle, ob der Unfallschaden vollständig und fachgerecht in einer markengebundenen oder sonstigen Fachwerkstatt behoben worden ist.
d) Schließlich kann der Auffassung der Revision nicht
beigetreten [X.], ein Abzug der Lohnnebenkosten und Sozialabgaben bei fiktiver [X.] führe zu einer Harmonisierung des Schadenser-satzrechts im Hinblick auf die Rechtslage bei der Abrechnung eines Haushalts-führungsschadens bei
Personenschäden. Die von der Revision angeführten Senatsentscheidungen betreffen andere Fallgestaltungen (vgl. Senatsurteile vom 16. September 1986 -
VI [X.], [X.], 70 Rn. 21; vom 8. Juni 1982 -
VI [X.], [X.], 951
Rn. 16
ff. und vom 10. November 1998
-
VI [X.], [X.], 39, 44). Die im Sinne des §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.] erforderlichen (Gesamt-) Reparaturkosten eines Kraftfahrzeuges nach einem Verkehrsunfall setzen sich aus vielen einzelnen Kostenfaktoren zusammen und lassen sich
schadensrechtlich nicht aufspalten in einen "angefallenen" und ei-nen "nicht angefallenen" Teil. Dies wäre in der Rechtspraxis nicht handhabbar

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und würde dem Geschädigten sowohl die Ersetzungsbefugnis als auch die [X.] im Sinne des §
249 Abs.
2 Satz
1 [X.] nehmen.
Galke

Zoll
[X.]

Diederichsen
Stöhr
Vorinstanzen:
[X.] ([X.]), Entscheidung vom 15.03.2012 -
5 C 1455/11 -

LG [X.], Entscheidung vom 10.08.2012 -
53 S 553/12 -

Meta

VI ZR 401/12

19.02.2013

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2013, Az. VI ZR 401/12 (REWIS RS 2013, 8135)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8135

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