Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.04.2007, Az. VI ZR 108/06

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2007, 4281

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES [X.] Verkündet am: 17. April 2007 [X.] u m, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja BGB § 823 Abs. 1 Aa, [X.]) [X.] hat den Patienten vor dem ersten Einsatz eines Medikaments, dessen Wirksamkeit in der konkreten Behandlungssituation zunächst erprobt werden soll, über dessen Risiken vollständig aufzuklären, damit der Patient entscheiden kann, ob er in die Erprobung überhaupt einwilligen oder ob er wegen der möglichen Ne-benwirkungen darauf verzichten will. b) Kann ein Patient zu der Frage, ob er bei zutreffender ärztlicher Aufklärung in einen [X.] geraten wäre, nicht persönlich angehört werden (hier: we-gen schwerer Hirnschäden), so hat das Gericht aufgrund einer umfassenden Wür-digung der Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob der Patient aus [X.] Gründen in einen ernsthaften [X.] geraten sein könn-te. [X.], Urteil vom 17. April 2007 - [X.]/06 - [X.]

[X.]

- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. [X.], [X.], die Richterin [X.] und [X.] und Zoll für Recht erkannt: Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 4. Mai 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand: Die Klägerin nimmt die beklagte [X.] wegen behaupteter ärztlicher Fehler in deren medizinischen Einrichtungen auf Zahlung von Schmerzensgeld, Ersatz materiellen Schadens und Feststellung in Anspruch. Der Klägerin wurde bei einer stationären Behandlung in der [X.]sklinik seit dem 22. März 2000 zur Behandlung einer Herzarrhythmie das Medikament [X.] (Amio-daron) verabreicht. Am 30. März 2000 erlitt sie in der Pause zwischen einer durchgeführten und einer geplanten Myokardszintigraphie einen Kreis-laufstillstand. Dieser konnte zwar innerhalb von 10 Minuten nach der Entde-ckung durch Reanimation beendet werden, führte jedoch zu schweren bleiben-1- 3 - den Hirnschäden. Die Klägerin wirft den behandelnden Ärzten der Beklagten Behandlungs- und Aufklärungsfehler vor. 2 Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelas-senen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Entscheidungsgründe: [X.] Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Behandlungsfehler der behandelnden Ärzte nicht festzustellen. Den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen sei zu entnehmen, dass die Behandlung mit [X.]) indiziert gewesen sei, weil die vorherige Behandlung mit Beta-Blockern zur symptomatischen Besserung bei erheblichem Leidensdruck und ansonsten nicht ausreichend behandelbarem [X.] nicht angeschla-gen habe. Eine Kontraindikation habe nach den Ausführungen des Sachver-ständigen nicht vorgelegen.3 Auch ein Aufklärungsfehler sei zu verneinen. Eine [X.] (noch) nicht bestanden. Das Medikament [X.] ([X.]) sei nach den Ausführungen des Sachverständigen zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit Ursache für den bei der Klägerin eingetretenen Herzstillstand gewesen. Das [X.] sei aber durch den Wechsel des [X.] von [X.] nicht gesteigert, sondern vielmehr gesenkt worden. Im Hinblick auf das Risiko des Eintritts eines Herzstillstandes seien die Ärzte der Beklagten daher nicht zu einer Einwilligungsaufklärung ver-pflichtet gewesen, da insoweit ein gesteigertes Risiko nicht vorgelegen habe. 4- 4 - Eine Aufklärungspflicht habe auch nicht hinsichtlich der sonstigen Risi-ken des Medikamentes [X.] bestanden. Dabei sei nicht entscheidend, dass sich bei der Klägerin keines dieser Risken verwirklicht habe. Maßgeblich sei vielmehr, dass diese Risiken sich in dem erforderlichen Zeitraum der [X.] zur Umstellung auf [X.] - nämlich zehn Tage - gar nicht hätten ver-wirklichen können. Zumindest für diese Phase der therapeutischen Abklärung, ob ein Medikamentenwechsel sinnvoll sei, habe daher noch keine Aufklärungs-pflicht seitens der Beklagten bestanden. Solange in der Phase der Feststellung, ob das andere Medikament dem Patienten überhaupt helfe, eine Risikoerhö-hung - wie hier - ausgeschlossen sei, fehle es an einem einwilligungsbedürfti-gen Eingriff. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten werde nicht beein-trächtigt. Allerdings habe vor Beginn einer Dauermedikamentierung die Aufklä-rung der Klägerin über die erst damit verbundenen [X.] müssen. Darauf komme es hier aber nicht an, da sich diese Frage nicht mehr gestellt habe. 5 [X.] man das Bestehen einer Aufklärungspflicht, so hafte die [X.] nicht, weil die [X.] durch eine hypothetische Einwilligung der Klägerin gedeckt gewesen wäre. Einen [X.] habe die Klägerin bereits nicht hinreichend dargelegt. Dass sie infolge ihrer erheblichen kognitiven Beeinträchtigung und spastischen Störung infolge des [X.] zum [X.] nicht persönlich angehört werden könne, gehe zu ihren Las-ten. Die fehlende persönliche Anhörung werde auch nicht durch unstreitige oder aufklärbare streitige Umstände kompensiert. Zum Zeitpunkt der probeweisen Umstellung der Medikation ab 22. März 2000 auf [X.] habe unstreitig fest-gestanden, dass bei der Klägerin eine absolute Tachyarrhythmie bestand, die sich als mit Beta-Blockern nicht behandelbar herausgestellt habe. Daraus, dass die Klägerin behaupte, sie habe zunächst nur die Verträglichkeit ihrer Herzmittel mit ihren nach dem Selbstmord ihres Mannes verordneten Antidepressiva bei 6 - 5 - der Beklagten abklären lassen wollen, lasse sich für ihre Entscheidungslage zum 22. März 2000 nichts ableiten. Vielmehr spreche der Umstand, dass sich die Klägerin um einen kompatiblen Zustand der Medikamente bemüht habe, eher dafür, dass sie sowohl ihre Depressionen als auch ihre Herzrhythmusstö-rungen grundsätzlich weiterhin habe behandeln lassen wollen. Ausreichende Anhaltspunkte für einen [X.] fänden sich jedenfalls nicht. I[X.] Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision, welche sich aus-schließlich gegen die Verneinung der Haftung wegen eines [X.] wenden, nicht stand. 7 1. Im Ansatz zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungs-gerichts. [X.], der Medikamente, die sich als für die Behandlung der [X.] des Patienten ungeeignet erwiesen haben, durch ein anderes Medi-kament ersetzt, dessen Verabreichung für den Patienten mit dem Risiko erheb-licher Nebenwirkungen verbunden ist, hat den Patienten zur Sicherung seines Selbstbestimmungsrechts über den beabsichtigten Einsatz des neuen [X.] und dessen Risiken aufzuklären (sogenannte Eingriffs- oder Risikoauf-klärung). Tut er dies nicht, ist die Behandlung rechtswidrig, auch wenn der Ein-satz des Medikaments an sich sachgerecht war (vgl. Senatsurteile [X.] 162, 320, 323 f.; vom 27. Oktober 1981 - [X.] ZR 69/80 - [X.], 147, 148 f. = [X.]; vgl. auch für den Fall einer Routineimpfung Senatsurteil [X.] 144, 1, 5). Das Berufungsgericht stellt fest, dass die Behandlung mit [X.] mit einer Wahrscheinlichkeit von 35% nachteilige Nebenwirkungen im Bereich der Lunge, der Schilddrüse, der Augen und der Haut nach sich ziehe und dass [X.] deshalb als Reservemedikament erst zum Einsatz kommen solle, 8 - 6 - wenn andere weniger riskante Mittel nicht anschlagen. Die Revision weist er-gänzend darauf hin, dass es sich bei den zu befürchtenden Nebenwirkungen um Schilddrüsenfunktionsstörungen, schwere entzündliche Lungenerkrankun-gen und Leberschäden, periphere Neuropathien und/oder Myopathien sowie Augenschäden, und ferner um Erkrankungen des Blutes und des Lymphsys-tems, der Gefäße, des Gastrointestinaltrakts, der Haut, des Nervensystems, der Geschlechtsorgane und Brustdrüsen, der Nieren- und Harnwege sowie der Skelettmuskulatur und des Bindegewebes handele. Unter diesen Umständen bejaht das Berufungsgericht zutreffend eine grundsätzliche Aufklärungspflicht des Arztes über die beabsichtigte Behandlung mit [X.] und die damit [X.] Risiken. 2. Nicht gefolgt werden kann jedoch der Auffassung des Berufungsge-richts, über die zwar seltene, aber möglicherweise mit schwer wiegenden Fol-gen verbundene Komplikation eines Herzstillstandes habe hier deshalb nicht aufgeklärt werden müssen, weil das abgesetzte Medikament insoweit gefährli-cher, die konkrete Gefahr durch den Einsatz des [X.] demnach vermindert worden sei. 9 Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Einsatz des Medikaments [X.] mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ursache für den Herz-stillstand. Für das Revisionsverfahren ist deshalb zu unterstellen, dass dies tat-sächlich der Fall war. Muss - wovon nach dem bisherigen Sachstand auszuge-hen ist - das Risiko eines Herzstillstandes als typisches Risiko der Verabrei-chung von [X.] angesehen werden, so war wegen der schwer wiegenden Folgen eine Aufklärung auch hierüber erforderlich. Entscheidend für die ärztli-che Hinweispflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik, sondern vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung 10 - 7 - des Patienten besonders belastet, so dass grundsätzlich auch über derartige äußerst seltene Risiken aufzuklären ist (Senatsurteile [X.] 144, 1, 5 f. und vom 21. November 1995 - [X.] ZR 341/94 - [X.], 330, 331; ferner [X.] 126, 386, 389). 11 Der Hinweis des Berufungsgerichts darauf, dass das Risiko eines Herz-stillstandes durch das der Klägerin zuvor verabreichte Medikament [X.] höher gewesen sei, führt schon deshalb nicht weiter, weil nicht festgestellt ist, dass die Klägerin über diese Wirkung des [X.] aufgeklärt worden ist und gleichwohl mit seiner Verabreichung einverstanden war. Ohnehin können die Risiken einer zuvor erfolgten ärztlichen Behandlung mit den Risiken der [X.] vorgenommenen Behandlung nicht "verrechnet" werden. Vielmehr ist der Patient vor dem Einsatz eines neuen Medikaments über dessen Risiken voll-ständig aufzuklären (Senatsurteil [X.] 162, 320, 323 ff. m.w.[X.]). 3. Nicht zu billigen ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, der Ein-satz eines neuen Medikaments sei ohne Einwilligung des Patienten vorüberge-hend zulässig, wenn zunächst ermittelt werden solle, ob das Medikament über-haupt anschlage und sich dessen Risiken in der Erprobungsphase der [X.] noch nicht auswirkten. 12 a) Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob das Berufungsgericht den Sachvor-trag der Parteien und das Ergebnis der Beweisaufnahme ausreichend in [X.] gezogen hat. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte darauf beru-fen hat, sie habe von einer Aufklärung der Klägerin nur vorübergehend absehen und diese bei einem Anschlagen des Medikaments vor Beginn der [X.] nachholen wollen. Mit Recht macht die Revision auch geltend, die Zeit-berechnungen des Berufungsgerichts könnten auf einem fehlerhaften Ver-ständnis der Ausführungen des Sachverständigen beruhen. Diese seien [X.] - 8 - lich dahin zu verstehen, dass die Verwirklichung der beschriebenen Risiken in dem kurzen Zeitraum, in dem das [X.] hier verabreicht wurde, noch nicht durch das Auftreten konkreter Krankheitserscheinungen sichtbar geworden wä-ren, nicht aber dahin, dass sie in diesem Zeitraum noch nicht hätten entstehen können. Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, dass sich das Berufungs-gericht dieser möglichen Differenzierung bewusst gewesen und dass dieser Gesichtspunkt mit dem Sachverständigen erörtert worden ist. b) Vor allem aber kann den Ausführungen des Berufungsgerichts auch aus grundsätzlichen Erwägungen nicht gefolgt werden. Ergeben sich beim Ein-satz eines Medikaments für den Patienten andere Risiken als bei der bisherigen Medikation, ist der Patient bereits vor dessen erstem Einsatz entsprechend auf-zuklären. Nur so wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in [X.] Weise gewahrt. Nur so wird auch vermieden, dass eine haftungsrecht-liche "Grauzone" für die Erprobungsphase eines neuen Medikaments entsteht. Auch könnte es das Selbstbestimmungsrecht des Patienten beeinträchtigen, wenn die Aufklärung bzw. seine Entscheidung über den Einsatz des [X.] auf einen Zeitpunkt verschoben würde, in dem möglicherweise der [X.] durch einen einsetzenden Therapieerfolg den Blick auf die erheblichen Risiken der Medikation verstellen kann. 14 Erforderlich ist vielmehr, dass der Patient bereits vor dem ersten Einsatz eines neuen Medikaments über dessen Risiken aufgeklärt wird, damit er [X.] kann, ob er in dessen Erprobung überhaupt einwilligen oder ob er we-gen der möglichen Nebenwirkungen von vornherein darauf verzichten will. 15 - 9 - 4. Schließlich sind auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur hypothetischen Einwilligung der Klägerin von [X.] beeinflusst. 16 17 a) Der Einwand der [X.], der Patient hätte sich einem Ein-griff auch bei zutreffender Aufklärung über dessen Risiken unterzogen, ist grundsätzlich beachtlich (Senatsurteil [X.] 90, 103, 111 = [X.]). Den Arzt trifft insoweit die [X.] und Beweislast. Er ist mit dem Beweis für seine Behauptung, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt haben würde, allerdings nur zu belasten, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er, wären ihm rechtzei-tig die Risiken der Behandlung verdeutlicht worden, vor einem echten [X.] gestanden hätte, wobei an die Substantiierungspflicht zur [X.] eines solchen Konflikts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (Senatsurteile vom 7. April 1992 - [X.] ZR 192/91 - [X.], 960, 962 = [X.]; vom 14. Juni 1994 - [X.] ZR 260/93 - [X.], 1302 = [X.]8 und 6805/105 m.w.[X.]). Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen [X.] geraten wäre, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen; ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben (vgl. Senatsurteile vom 26. Juni 1990 - [X.] ZR 289/89 - VersR 1990, 1238, 1240 = [X.]; vom 1. Februar 2005 - [X.] ZR 174/03 - [X.], 694 m.w.[X.]). Von diesen Grundsätzen geht das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend aus. b) In ihrer Verallgemeinerung unrichtig ist indes die zum Rechtssatz er-hobene Aussage des Berufungsgerichts, die Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung des Patienten zum [X.] wirke sich grundsätzlich zu dessen Lasten aus. Der erkennende Senat fordert für den Regelfall eine [X.] - 10 - sönliche Anhörung des Patienten, um zu vermeiden, dass das Gericht für die Verneinung eines [X.]s vorschnell auf das abstellt, was bei objektiver Betrachtung als nahe liegend oder vernünftig erscheint, ohne die per-sönlichen, möglicherweise weniger nahe liegenden oder als unvernünftig er-scheinenden Erwägungen des Patienten ausreichend in Betracht zu ziehen. Die persönliche Anhörung soll es dem Gericht ermöglichen, den anwaltlich vorge-tragenen Gründen für und gegen einen [X.] durch konkrete Nachfragen nachzugehen und sie auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Patienten sachgerecht beurteilen zu können. Dabei muss im Auge behal-ten werden, dass an den Nachweis einer hypothetischen Einwilligung durch die [X.] grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind, damit das Aufklärungsrecht des Patienten nicht auf diesem Wege unterlaufen wird (Senatsurteil vom 14. Juni 1994 - [X.] ZR 260/93 - aaO), und dass die Darlegung eines echten [X.]s durch den Patienten gefordert wird, um ei-nem Missbrauch des [X.] allein für Haftungszwecke vorzubeugen (vgl. Senatsurteil [X.] 90, 103, 112). Danach scheidet eine schematische Beantwortung der vom Berufungs-gericht aufgeworfenen Frage aus. Alleine unter Berücksichtigung der aufgezeig-ten Spannungslage lässt sich im konkreten Einzelfall beurteilen, ob und in wel-cher Richtung sich die Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung des Patienten auswirkt. Sofern aufgrund der objektiven Umstände ein echter Entscheidungs-konflikt eher fern, eine haftungsrechtliche Ausnutzung des [X.] eher nahe liegt, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter eine hypothetische Einwilligung bejaht, obwohl der Patient dazu nicht persönlich angehört werden konnte. Ist indes nicht auszuschließen, dass sich der Patient unter Berücksichtigung des zu behandelnden Leidens und der Risi-ken, über die aufzuklären war, aus vielleicht nicht gerade "vernünftigen", [X.] aber nachvollziehbaren Gründen für eine Ablehnung der Behandlung ent-19 - 11 - schieden haben könnte, kommt ein echter [X.] in Betracht. In einem solchen Fall darf der Tatrichter nicht alleine aufgrund der Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung eine dem Patienten nachteilige Wertung vorneh-men. 20 Deshalb kann auch der Revision nicht in vollem Umfang gefolgt werden, soweit sie die Ansicht vertritt, der behandelnde Arzt handele stets treuwidrig, wenn er sich auf eine hypothetische Einwilligung des Patienten berufe, obwohl dieser einen [X.] nicht mehr darlegen könne. Richtig ist ledig-lich, dass die [X.] die Folgen der [X.] zu tragen hat, wenn ein echter [X.] ernsthaft in Betracht kommt. Ob dies der Fall ist, kann aber - wie ausgeführt - nur aufgrund einer umfassenden Abwä-gung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgestellt werden. Da es demnach auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankommt, besteht zwischen den Entscheidungen des [X.] ([X.], 1025 = [X.] und 5400/134; Revision der Kläger nicht angenommen durch Senatsbeschluss vom 3. Februar 1998 - [X.] ZR 226/97) und des [X.] (VersR 2001, 1381 = [X.]; Revision der Beklagten nicht angenom-men durch Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2000 - [X.] ZR 237/00) nicht der vom Berufungsgericht als rechtsgrundsätzlich interpretierte Widerspruch. 21 c) Die Wertung der Umstände des vorliegenden Falls durch das [X.] dahin gehend, dass von einer hypothetischen Einwilligung der Klä-gerin auszugehen sei, beanstandet die Revision mit Recht. 22 Das Berufungsgericht führt dazu lediglich aus, zu Beginn der Medikation mit [X.] habe festgestanden, dass bei der Klägerin eine absolute Tachy-arrhythmie bestand, die sich mit Beta-Blockern als nicht behandelbar [X.] habe. Der Umstand, dass sich die Klägerin um einen kompatiblen Zustand 23 - 12 - der Medikamente bemüht habe, spreche dafür, dass sie sowohl ihre Depressio-nen als auch ihre Herzrhythmusstörungen grundsätzlich weiterhin habe [X.] lassen wollen. Ausreichende Anhaltspunkte für einen [X.] fänden sich deshalb nicht. Dem lässt sich nicht entnehmen, dass das [X.] sämtliche Umstände, aus denen sich nach dem vorgetragenen und festgestellten Sachverhalt ein [X.] ergeben konnte, in seine Würdigung einbezogen hat. Der Würdigung war eine vollständige Aufklärung der Klägerin über die Nebenwirkungen des [X.], wie sie nach den vorstehenden Ausführungen erforderlich war, zugrunde zu legen. Die Revision verweist insoweit mit Recht darauf, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen der Einsatz des Medikaments nicht zum Zweck einer lebensverlängernden Behandlung, son-dern zur Besserung der Beschwerden der Klägerin erfolgte und dass deshalb dem Nutzen einer Leidenslinderung die ganz erheblichen mit nicht unerhebli-cher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Gefahren des Medikaments hätten ge-genüber gestellt werden müssen. Ein [X.] liegt aber auf der Hand, wenn beim Einsatz eines Medikaments, das der Besserung der [X.] durch Herzrhythmusstörungen dienen soll, mit einer Wahrschein-lichkeit von 35% erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen wie etwa Schild-drüsenfunktionsstörungen, schwere entzündliche Lungenerkrankungen und Le-berschäden, periphere Neuropathien oder Myopathien und - wenn auch mit ge-ringer Wahrscheinlichkeit - ein Herzstillstand zu erwarten sind. Es mag sein, dass sich in einer solchen Situation eine Mehrheit der Patienten in der Hoff-nung, die Nebenwirkungen würden sich nicht einstellen, für eine erfolgreiche Linderung der Beschwerden entscheidet. Darauf kommt es aber nicht an. [X.] ist, dass eine Konfliktlage zwischen dem Wunsch, die gegenwärtigen Beschwerden zu lindern, und der Gefahr, deshalb später erhebliche [X.] - 13 - heitsschäden hinnehmen zu müssen, durchaus besteht und der Patient sich in diesem Konflikt eigenverantwortlich entscheiden muss. 25 Das Berufungsgericht hätte deshalb unter den Umständen des Streitfalls eine hypothetische Einwilligung der Klägerin nicht bejahen dürfen. Dafür, dass die Beklagte den ihr insoweit obliegenden Beweis durch vorhandene Beweis-mittel führen könnte, ist nichts ersichtlich. - 14 - II[X.] 26 Die Klageabweisung erweist sich mit der dafür im Berufungsurteil gege-benen Begründung danach als unrichtig, so dass die Sache zur neuen [X.] und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muss. Das Berufungsgericht erhält dadurch auch Gelegenheit, die noch erfor-derlichen Feststellungen zur Ursächlichkeit der Einnahme von [X.] für den Herzstillstand der Klägerin zu treffen. [X.] [X.] [X.]

[X.]

Zoll Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 02.12.2004 - 2 O 612/03 - [X.], Entscheidung vom [X.] - 1 U 102/04 -

Meta

VI ZR 108/06

17.04.2007

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.04.2007, Az. VI ZR 108/06 (REWIS RS 2007, 4281)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 4281

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