Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.04.2024, Az. 4 AZB 24/23

4. Senat | REWIS RS 2024, 2428

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Gegenstand

Kostenfestsetzung - Rechtsanwaltskosten - Rechtsmissbrauch


Tenor

1. Auf die Rechtsmittel des Klägers werden der Beschluss des [X.] vom 4. Oktober 2023 - 17 Ta 252/23 - und der Beschluss des [X.] vom 1. August 2023 - 10 [X.] - in der Gestalt des [X.] vom 18. August 2023 aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag des Klägers und über die Kosten der Rechtsmittelverfahren an das [X.] mit der Maßgabe zurückverwiesen, dass die Kosten der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten V dem Grunde nach erstattungsfähig sind.

3. [X.] wird auf 2.527,56 Euro festgesetzt.

Gründe

1

A. Der Kläger begehrt im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren für die Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten in der Berufungsinstanz.

2

Der Kläger machte im Ausgangsverfahren die Unwirksamkeit einer von dem Beklagten als Insolvenzverwalter seiner Arbeitgeberin ausgesprochenen Kündigung, hilfsweise einen Wiedereinstellungsanspruch geltend. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Dagegen legte der Kläger durch die [X.], die ihn bereits erstinstanzlich vertreten hatte, Berufung ein und begründete diese. Nach Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 19. November 2021 und Eingang der [X.] beauftragte der Kläger am 19. Juli 2021 zusätzlich seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Prozessvertretung. Dieser bestellte sich zum weiteren Prozessbevollmächtigten, reichte im Verlauf des Verfahrens mehrere Schriftsätze ein und vertrat den Kläger - jeweils gemeinsam mit einem Vertreter der [X.] - in der mündlichen Verhandlung beim [X.] am 19. November 2021 und am 18. März 2022. Das [X.] gab der Kündigungsschutzklage statt und legte die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten zu [X.] und dem Kläger zu 25 vH auf.

3

Mit Schriftsatz vom 10. März 2023 hat der Kläger die Festsetzung seiner Kosten für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Berufungsverfahren beantragt. Das Arbeitsgericht hat daraufhin den Beklagten nach § 106 Abs. 1 ZPO zur Berechnung seiner Kosten aufgefordert. Dieser Aufforderung ist der Beklagte nachgekommen und hat zugleich die Auffassung vertreten, die vom Kläger geltend gemachten Kosten seien nicht erstattungsfähig. Das Arbeitsgericht hat den Kostenfestsetzungsantrag des [X.] mit Beschluss vom 1. August 2023 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

4

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des [X.] ist begründet.

5

I. Die Rechtsbeschwerde des [X.] ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Insbesondere genügt ihre Begründung - entgegen der Ansicht des Beklagten - den gesetzlichen Anforderungen des § 575 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a und Buchst. [X.] ([X.] 28. Mai 2014 - 10 [X.] - Rn. 12).

6

1. Das [X.] hat die Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten mit der Begründung verneint, die Beauftragung des Rechtsanwalts als zusätzlichem Prozessbevollmächtigten nach Berufungseinlegung und -begründung, Eingang der [X.] und Terminsbestimmung sei nicht als zweckentsprechend anzusehen, da im Zeitpunkt der Beauftragung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen vorgebracht werden konnten.

7

2. Der Kläger hat geltend gemacht, die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts seien stets als zweckentsprechend verursachte Kosten anzusehen. Der Erstattungsfähigkeit stehe der Zeitpunkt der Beauftragung nicht entgegen, da sein Rechtsanwalt die Vertretung Monate vor dem anberaumten Gerichtstermin übernommen habe. Diese Ausführungen sind geeignet, die angefochtene Entscheidung in Frage zu stellen.

8

II. Die Rechtsbeschwerde des [X.] ist begründet.

9

1. Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende [X.] die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung objektiv notwendig waren. Für die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts regelt § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO, dass diese in allen Prozessen zu erstatten sind. Die Vorschrift bildet insofern eine Ausnahme zu § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, als sie für ihren Anwendungsbereich von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entbindet ([X.] 15. Dezember 2023 - 9 [X.] - Rn. 12 [X.]).

2. Die Rechtsausübung im Zivilverfahren und damit auch die Durchsetzung des Anspruchs aus § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO unterliegt allerdings dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot.

a) Nach diesem Grundsatz trifft jede Prozesspartei die Verpflichtung, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann dazu führen, dass das [X.] als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist und die unter Verstoß gegen Treu und Glauben zur Festsetzung angemeldeten Kosten vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren abzusetzen sind. Gesetzlich eingeräumte Wahlmöglichkeiten bleiben jedoch unberührt ([X.] 15. Dezember 2023 - 9 [X.] - Rn. 14; 18. November 2015 - 10 [X.] - Rn. 20 [X.], [X.]E 153, 261).

b) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines beauftragten Rechtsanwalts gelten unabhängig von den konkreten Umständen stets als zweckentsprechend verursachte Kosten. Eine [X.] soll sich im Prozess anwaltlicher Hilfe bedienen können, ohne [X.] befürchten zu müssen. Im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO ist daher grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die [X.] für das Verfahren einen Rechtsanwalt beauftragen durfte und dies objektiv notwendig war. Prüfungsmaßstab ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende [X.] in der konkreten prozessualen Situation ebenfalls einen Rechtsanwalt beauftragt hätte ([X.] 15. Dezember 2023 - 9 [X.] - Rn. 15; 18. November 2015 - 10 [X.] - Rn. 21 [X.], [X.]E 153, 261). Das ist für Rechtsmittelverfahren grundsätzlich zu bejahen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts kann dagegen nicht als zweckentsprechend angesehen werden, wenn sie offensichtlich nutzlos ist ([X.] 15. Dezember 2023 - 9 [X.] - Rn. 16 [X.]).

c) Diese Grundsätze gelten ebenso für die Rechtsmittelverfahren nach dem Arbeitsgerichtsgesetz. § 91 ZPO gilt im Berufungs- und [X.] uneingeschränkt, da es insoweit an einer Bezugnahme in § 64 Abs. 7, § 72 Abs. 6 auf § 12a ArbGG fehlt. Danach sind der obsiegenden [X.] im Berufungsverfahren die Anwaltskosten auch dann zu ersetzen, wenn eine Vereinigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern iSv. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5 ArbGG, die im ersten Rechtszug mit der Vertretung beauftragt war, bereit gewesen wäre, die Vertretung unentgeltlich zu übernehmen. Nur wenn ein Verbandsvertreter das gerichtliche Verfahren in einer Instanz bereits betrieben hat, ist zu prüfen, ob die nachträgliche Mandatierung eines Rechtsanwalts in der konkreten Prozesssituation und angesichts des bereits erfolgten [X.] noch zweckentsprechend und nicht nutzlos war ([X.] 18. November 2015 - 10 [X.] - Rn. 23 ff. [X.], [X.]E 153, 261).

3. Danach war die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Kläger nicht rechtsmissbräuchlich.

a) Die Mandatierung erfolgte zwar erst nach Eingang der Berufungsbegründung und -erwiderung beim [X.] sowie der Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und damit zu einem Zeitpunkt, in dem neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen vorgebracht werden konnten (§ 67 Abs. 4 Satz 2 ArbGG). Diese Umstände rechtfertigen aber entgegen der Auffassung des [X.]s nicht die Annahme, die nachträgliche Mandatierung sei als nicht zweckentsprechend anzusehen. Das gilt schon deshalb, weil die Mandatierung am 19. Juli 2021 und damit vier Monate vor dem anberaumten Termin erfolgte. In dieser Situation durfte der Kläger von der Möglichkeit neuen Sachvortrags ausgehen. Das wird im Übrigen durch den weiteren Prozessverlauf bestätigt. Der Kläger hatte zwar erstinstanzlich einen erforderlichen [X.] des Beklagten in Abrede gestellt, dessen Existenz aber in der Berufungsbegründung eingeräumt. Mit Schriftsatz seines Rechtsanwalts vom 23. August 2021 hat er den [X.] erneut bestritten und damit seinen Sachvortrag geändert. Diesen geänderten Vortrag hat das [X.] berücksichtigt und der Kündigungsschutzklage mit der Begründung stattgegeben, der Beklagte habe nicht nachgewiesen, im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs am 29. Juni 2020 die Stilllegung des ganzen Betriebs der Insolvenzschuldnerin ernstlich und endgültig geplant zu haben.

b) Der Erstattungsfähigkeit der Kosten steht nicht entgegen, dass das Mandatsverhältnis mit der [X.] und deren Prozessvertretung von dem Kläger bei Mandatierung des jetzigen Prozessbevollmächtigten nicht beendet wurde. Das lässt die Hinzuziehung des Rechtsanwalts nicht als offensichtlich nutzlos erscheinen. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet keine Anwendung.

III. Danach ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 ZPO). Der [X.] macht entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch, zugleich den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Sache unmittelbar an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen (vgl. [X.] 24. Mai 2023 - VII ZB 69/21 - Rn. 33, [X.]Z 237, 195). Eine eigene Entscheidung durch den [X.] kommt nicht in Betracht. Es ist eine Kostenausgleichung nach § 106 ZPO durchzuführen; der Kostenfestsetzungsantrag des Beklagten ist nicht Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

        

    Treber    

        

    Betz    

        

    M. Rennpferdt    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

4 AZB 24/23

18.04.2024

Bundesarbeitsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Dortmund, 1. August 2023, Az: 10 Ca 2910/20, Beschluss

§ 91 Abs 1 S 1 ZPO, § 91 Abs 2 S 1 ZPO, § 11 Abs 2 S 2 Nr 4 ArbGG, § 11 Abs 2 S 2 Nr 5 ArbGG, § 67 Abs 4 S 2 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.04.2024, Az. 4 AZB 24/23 (REWIS RS 2024, 2428)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2428


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 10 Ca 2910/20

Arbeitsgericht Dortmund, 10 Ca 2910/20, 01.08.2023.


Az. 4 AZB 24/23

Bundesarbeitsgericht, 4 AZB 24/23, 18.04.2024.


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