Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.02.2024, Az. 3 StR 419/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2024, 951

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Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. Juni 2023

a) in den die Angeklagten [X.]und [X.] dahin geändert, dass diese beiden Angeklagten jeweils eines Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot als Mitglied schuldig sind;

b) in allen Strafaussprüchen aufgehoben; jedoch werden die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten des Verstoßes gegen ein [X.]sverbot als Rädelsführer schuldig gesprochen. Den Angeklagten [X.]   hat es zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die beiden anderen Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt sowie die Vollstreckung aller Strafen zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es [X.] getroffen. Die Angeklagten beanstanden mit ihren Revisionen die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen verbot das [X.] durch Verfügung vom 8. Dezember 2001 den „[X.]“ einschließlich im Einzelnen aufgeführter Teilorganisationen, da sich dieser gegen die verfassungsgemäße Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung richte und durch seine politische Betätigung die innere Sicherheit sowie sonstige erhebliche Belange der [X.] gefährde. Trotz des Verbots bestanden zumindest Teile der Struktur des „[X.]s“ in [X.] fort. Dessen Geschicke leitete der als [X.]lif auftretende [X.] des verstorbenen Gründers aus der [X.] heraus; er wurde von einem Großteil der Anhänger als oberster Befehlshaber angesehen. Die Organisation der [X.] in [X.] war streng hierarchisch ausgerichtet. Eine „Zentrale“ in [X.]fungierte als Schnittstelle zwischen dem „[X.]lifen“ und den Anhängern in [X.]. Ferner bestand eine Unterteilung in regionale Gebiete.

3

Der Angeklagte [X.]   ist ein in [X.]lebender [X.] des „[X.]lifen“ und wurde von seinem Vater mit umfassenden Führungsaufgaben betraut. So fungierte er als Übermittler von Anweisungen und Befehlen, war Sammelstelle für Gelder aus deutschlandweit verstreuten Gebieten des „[X.]s“, verkörperte die „Zentrale“, sorgte für die Verteilung von Schriften und konnte damit unmittelbar Einfluss auf die Verbreitung der Ideologie nehmen. Der Angeklagte [X.]zählte in    [X.].     zu den prägenden Personen des dortigen eingetragenen Vereins, der vor Ort die Belange des „[X.]s“ organisierte, seine Räume für überregionale Zusammenkünfte der Bewegung zur Verfügung stellte und ihr - jedenfalls teilweise - Überschüsse aus einem betriebenen Supermarkt sowie gesammelte Geldspenden zufließen ließ. Der Angeklagte [X.]war Hauptverantwortlicher für den Lebensmittelladen und mit Spendensammlungen sowie der Organisation eines überregionalen Treffens befasst. Der Angeklagte [X.]nahm eine bedeutende Rolle bei den für den Verein in    [X.].     zu treffenden Entscheidungen ein und kümmerte sich ebenfalls um den Supermarkt, Spenden sowie die Zusammenkunft.

4

2. Aufgrund der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind die Schuldsprüche bezüglich der Angeklagten [X.]und [X.]zu ändern. Dies hat die Aufhebung sämtlicher Strafen zur Folge.

5

a) Nach dem sich aus den Urteilsgründen ergebenden Geschehen hat sich allein der Angeklagte [X.]   wegen Verstoßes gegen ein [X.]sverbot als Rädelsführer (§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) strafbar gemacht, während sich die beiden anderen Angeklagten lediglich als Mitglieder (§ 85 Abs. 2 StGB) betätigten.

6

aa) Rädelsführer ist, wer in dem Personenzusammenschluss dadurch eine führende Rolle einnimmt, dass er sich in besonders maßgebender Weise für diesen betätigt. Entscheidend ist dabei nicht der Umfang der geleisteten Beiträge, sondern deren Gewicht für die [X.]. Besonders maßgebend ist eine Tätigkeit dann, wenn sie von Einfluss ist auf die Führung der [X.] im Ganzen oder in wesentlichen Teilen, wenn also der Täter entweder selbst zu den Führungskräften gehört oder durch [X.] gleichsam an der Führung mitwirkt. Eine rein formale Stellung innerhalb eines [X.] reicht für sich genommen nicht aus. Der vom Täter ausgeübte Einfluss muss der Sache nach beträchtlich sein und sich auf die [X.] als solche richten, mithin etwa die Bestimmung der [X.], -tätigkeiten oder -ziele, die ideologische Ausrichtung der [X.], deren Organisationsstruktur oder sonstige Belange mit für die [X.] wesentlicher Bedeutung betreffen. Diese für den Bereich der kriminellen und terroristischen [X.]en entwickelten Maßstäbe gelten auch im Rahmen von § 85 Abs. 1 StGB ([X.], Beschluss vom 14. November 2023 - 3 [X.], juris Rn. 33 mwN; s. auch [X.], Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 [X.], [X.]St 57, 160 Rn. 8 f.).

7

bb) Daran gemessen handelten die Angeklagten [X.]und [X.]   , anders als der Angeklagte [X.]   , nicht als Rädelsführer. Sie betätigten sich im Sinne des § 85 Abs. 2 StGB ausschließlich als Mitglieder in der verbotenen [X.]. Ihre Tätigkeit beschränkte sich im Wesentlichen auf den Verein in    [X.].    . Ein Einfluss auf den „[X.]“ im Ganzen oder in wesentlichen Teilen ergibt sich daraus nicht. Dass sie vor Ort, gleichsam auf [X.], gewichtige Aufgaben wahrnahmen, genügt nicht für eine ausreichende Bedeutung im Rahmen der Gesamtvereinigung. Insofern reicht ein gegenüber anderen („einfachen“) Mitgliedern herausgehobener Einsatz für sich genommen nicht aus, um an der Führung der [X.] insgesamt maßgeblich teilzuhaben. Wenngleich die Vorbereitung und Durchführung eines überregionalen [X.] örtliche Situation hinausgeht, folgt daraus noch keine Mitbestimmung etwa der [X.], -tätigkeiten oder -ziele, der ideologischen Ausrichtung, der Organisationsstruktur oder sonstiger Belange mit für die [X.] wesentlicher Bedeutung.

8

Demgegenüber übte der Angeklagte [X.]   die führende Rolle eines Rädelsführers aus. Er hatte durch das Zusammenwirken mit seinem Vater unmittelbar Einfluss auf die Führung der Gesamtorganisation und in der [X.]  er „Zentrale“ für die Organisation in ganz [X.] eine bestimmende Aufgabe. Die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB sind ebenfalls erfüllt (vgl. zu den Voraussetzungen näher [X.], Beschluss vom 14. November 2023 - 3 [X.], juris Rn. 23 ff.).

9

cc) Danach sind die Schuldsprüche in Bezug auf die Angeklagten [X.]und [X.]entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dahin zu ändern, dass diese Angeklagten eines Verstoßes gegen ein [X.]sverbot als Mitglied schuldig sind; denn es ist auszuschließen, dass noch ergänzende, eine [X.] begründende Feststellungen getroffen werden können. § 265 StPO steht einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich die Angeklagten bei einem Hinweis nicht erfolgreicher hätten verteidigen können.

b) Infolge der geänderten Schuldsprüche sind die Strafen aufzuheben. Hinsichtlich der Angeklagten [X.]und [X.]ergibt sich dies daraus, dass der für die Mitgliedschaft eröffnete Strafrahmen des § 85 Abs. 2 StGB niedriger ist als der vom [X.] angewendete des § 85 Abs. 1 Satz 1 StGB. In Bezug auf den Angeklagten [X.]   ist die strafschärfend herangezogene Erwägung nicht tragfähig, er habe - auch im Verhältnis zu den weiteren Angeklagten - eine besonders herausgehobene Stellung gehabt. Eine solche Position charakterisiert gerade den Rädelsführer (s.o.), so dass in unzulässiger Weise Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt worden sind (§ 46 Abs. 3 StGB). Daran ändert die Abstufung zwischen den Angeklagten nichts, weil die beiden anderen Angeklagten - wie ausgeführt - gerade nicht als Rädelsführer einzuordnen sind.

Die zugrundeliegenden Feststellungen sind von den [X.] nicht betroffen und können aufrechterhalten werden. Ergänzende Feststellungen bleiben möglich, soweit sie den getroffenen nicht widersprechen.

3. Die Nachprüfung des Urteils im Übrigen hat keinen sonstigen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Auch wenn es sich bei Bargeld in Höhe von 56.225 €, das beim Angeklagten [X.]   sichergestellt worden und für Zwecke des „[X.]s“ vorgesehen war, nicht um Tatertrag (§ 73 Abs. 1 StGB), sondern um Tatmittel (§ 74 Abs. 1 StGB) handelt (vgl. zu § 129a StGB [X.], Urteil vom 15. Juni 2022 - 3 StR 295/21, [X.]St 67, 87 Rn. 9 ff.), ist die Einziehung des Wertes möglich (§ 74c Abs. 1 StGB). Zwar erfordert dies eine Ermessensausübung des Tatgerichts (s. [X.], Beschlüsse vom 11. Januar 2022 - 3 StR 415/21, juris Rn. 6 mwN; vom 28. Juni 2022 - 3 StR 403/20, [X.], 739 Rn. 43; dort auch zur grundsätzlich gebotenen Berücksichtigung bei der Strafzumessung). Indes ist nach den Ausführungen der Strafkammer zur Sicherungseinziehung anderer Gegenstände auszuschließen, dass sie von einer Einziehung des Geldbetrages abgesehen hätte, wenn sie insofern ebenfalls ihr Ermessen ausgeübt hätte.

Schäfer     

      

Paul     

      

Hohoff

      

Anstötz     

      

Voigt     

      

Meta

3 StR 419/23

05.02.2024

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Koblenz, 26. Juni 2023, Az: 1 KLs 6 Js 549/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.02.2024, Az. 3 StR 419/23 (REWIS RS 2024, 951)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 951

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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