Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.06.2018, Az. X ZR 100/16

X. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 7619

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:190618UXZR100.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
IM NAMEN [X.]S VOLKES
Urteil
X ZR
100/16
Verkündet am:
19. Juni 2018
Zöller
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

Uferstützmauer
BGB § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1; VOB/A § 13 Abs. 1 Nr. 3, § 13 [X.] Abs. 1 Nr. 3
a)
Der Umstand, dass das Angebot des Bieters bei einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses Preise enthält, die deutlich unter den Kosten des Bieters liegen, rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme, der Bieter habe die geforderten Preise nicht angegeben.
b)
Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses entsprechen, indiziert [X.] eine unzulässige Verlagerung von Preisangaben auf hierfür nicht vor-gesehene Positionen. Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preis-angaben enthält.
c)
Ein Angebot, das spekulativ so ausgestaltet ist, dass dem Auftraggeber bei Eintritt bestimmter, zumindest nicht gänzlich fernliegender Umstände erhebli-che Übervorteilungen drohen, ist nicht zuschlagsfähig. Vielmehr verletzt der betreffende Bieter seine Pflichten aus §
241 Abs. 2 BGB, wenn er für eine Position einen Preis ansetzt, der so überhöhte Nachforderungen nach sich ziehen kann, dass aus Sicht eines verständigen Teilnehmers am Vergabe-verfahren das Ziel verfehlt wird, im Wettbewerb das günstigste Angebot [X.], und dem zu einem verantwortungsvollen Einsatz der Haus-haltsmittel verpflichteten Auftraggeber nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf ein derartiges Angebot einzulassen.
[X.], Urteil vom 19. Juni 2018 -
X [X.]/16 -
OLG
[X.]

[X.]
-
2
-
Der X.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 19.
Juni 2018
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr.
Meier-Beck, die Richter [X.] und [X.] sowie die Richterinnen Dr.
[X.] und Dr.
Marx
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlan-desgerichts [X.]
vom 5. Oktober 2016
wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger
betreibt ein Bauunternehmen. Er nimmt die beklagte [X.] nach dem Ausschluss seines Angebots in einem Vergabeverfahren betreffend die Stützmauersanierung am

-Ufer

und Vergabe
des Auftrags an einen Konkurrenten auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Streit
um den Angebotsausschluss
betrifft die Einzelpreise des [X.] bei folgenden
Positionen des Leistungsverzeichnisses:
01.000120: Anlieferung, Aufbau und Vorhaltung eines [X.] während der auf drei
Monate geschätzten Bauzeit und an-schließenden
Abbau des Gerüsts mit allen Nebenarbeiten
(1.767,02

);

01.000130: [X.] für den Kran bei eventueller
witte-rungsbedingter Unterbrechung für eine Woche
(62,89

);
01.000200:
Einrüsten der sanierungsbedürftigen [X.], Auf-
und Abbau sowie dreimonatige Vorhaltung des gesamten Ge-rüsts nebst An-
und Abtransport sowie Hochwasserwartung
();
1
2
-
3
-
01.000210: [X.] für das Gerüst bei eventueller witte-rungsbedingter Verzögerung für eine Woche verlängerter Stand-zeit
(12.678

);
08.000010
bis 08.000050: Einsatz verschiedener Geräte
([X.] 8
t, Frontlader, Bagger, Kompressor und Trennmaschine) zuzüglich Bedienung jeweils für 5 Stunden bzw. 5
m mit Trennma-schine
(jeweils 2,05

in einem Fall

von 9,20

).
Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Danach war das Angebot des [X.] mit 320.948,45

günstigste. Die Beklagte erteilte den Zuschlag jedoch ohne weiteres
auf das rund 8.000

illigste [X.]. Auf Nachfrage des [X.] begründete sie diese
Entscheidung zunächst damit, die [X.] für das Stahlrohrgerüst bei witterungsbedingter Un-terbrechung (Position
01.000210) seien signifikant hoch; da eine Verzögerung wegen Hochwassers naheliegend sei, drohe eine enorme Verteuerung der Baukosten, weshalb das Angebot nicht das wirtschaftlichste
sei. In der weiteren vorprozessualen Korrespondenz berief die Beklagte sich für den Ausschluss des Angebots auf eine darin enthaltene vergaberechtswidrige Mischkalkulation.
Das [X.] hat die
auf Erstattung des positiven
Interesses
gerichte-te Schadensersatzklage abgewiesen;
das Berufungsgericht hat die dagegen eingelegte
Berufung zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen [X.], deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seinen Schadensersatzanspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat einen
Schadensersatzanspruch mit der Begründung verneint, auf das Angebot des [X.] hätte der Zuschlag nicht erteilt werden können, weil er die den [X.] und den Einsatz der Ge-rätschaften betreffenden Positionen des Leistungsverzeichnisses mit unzutref-3
4
5
-
4
-
fenden
Einheits-
und Gesamtpreisen
angeboten habe und das Angebot [X.] deswegen auszuschließen gewesen wäre.
Soweit der Kläger seine niedrigen Preise für die Vorhaltung des Turm-drehkrans und die Zusatzkosten bei eventuellen
Unterbrechungen mit der ge-planten Anschaffung eines eigenen Krans und den dadurch ersparten Kosten für die Anmietung eines solchen Krans erklärt habe, wären als [X.] mindestens auch die Abschreibung auf Abnutzung (AfA) sowie die Kapitalver-zinsung
anzusetzen gewesen. Unter den betreffenden Positionen
01.000120 und 01.000130, unter denen entsprechende Angaben
allein
zu machen gewe-sen wären,
könnten diese
[X.] aber jedenfalls nicht vollständig kal-kuliert worden sein.
Zudem seien die vom Kläger unter
den Positionen 08.000010 bis 08.000050 geforderten Einheitspreise offensichtlich
unzutreffend und [X.], weil viel zu niedrig
angesetzt. Allein der Einsatz eines [X.]s mit acht Tonnen Tragkraft
und
Fahrer (mit Bedienung) sei
mit 2,05

pro Stunde illusorisch gering und
unzutreffend angegeben. Seinen eigenen Erklärungen zufolge habe er hier zudem spekulativ in der Erwartung angeboten, die fragli-chen Leistungen würden auf der Baustelle gar nicht auszuführen sein. Die Er-klärung, Stundenlohnarbeiten
wären gegebenenfalls zu den angegebenen Ein-heitspreisen erbracht worden, sei unvollständig und
könne unzutreffende Preis-angaben nicht heilen, weil der Geräteeinsatz und die
Kosten dabei unberück-sichtigt geblieben seien.
II.
Mit dieser Begründung kann die ausgesprochene Klageabweisung keinen Bestand haben.
Das Berufungsgericht hat seine Annahme, der Kläger habe unzutreffende Einheits-
und Gesamtpreise angegeben, rechtsfehlerhaft allein aus den niedrigen Preisen für die den [X.] und den Geräteein-satz betreffenden Positionen des Leistungsverzeichnisses abgeleitet.
1.
Nach der Rechtsprechung des [X.] sind die Bieter in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei. Das schließt die Befugnis ein 6
7
8
9
-
5
-
festzulegen, zu welchen Einzelpreisen die Positionen des [X.] ausgeführt werden sollen ([X.], Beschluss vom 18.
Mai 2004

X
ZB
7/04, [X.]Z 159, 186, 196). Dabei ist zwar die Regelung in § 13 Abs. 1
Nr.
3 VOB/A
zu beachten, wonach die Angebote die geforderten Preise enthal-ten müssen. Aus diesem Erfordernis lässt sich aber nicht ableiten, dass der [X.] jede Position des Leistungsverzeichnisses nach den gleichen Maßstäben kalkulieren müsste, insbesondere der für jede Position verlangte Preis [X.] den hierfür entstehenden Kosten entsprechen müsste.
a)
Der [X.] hat mit Blick auf die entsprechende Regelung in älteren Fassungen der Vergabe-
und Vertragsordnung für Bauleistungen als der
Ausgabe 2009 (vgl. z.B. § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A 2000) angenommen, dass ein Angebot
nur gewertet werden dürfe, wenn alle darin verlangten [X.], deren Angabe den Bieter nicht unzumutbar belaste, abgegeben und wenn die in der Leistungsbeschreibung vorgesehenen
Preise so wie gefordert vollständig und mit dem Betrag angegeben sind, der für die betreffende Position beansprucht werde. Er hat dies auf die Erwägung gestützt, ein vergaberechts-konformes
Vergabeverfahren sei nur zu erreichen, wenn in jeder sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Hinsicht und grundsätzlich ohne weiteres ver-gleichbare Angebote abgegeben würden (vgl. z.B. [X.], Urteil vom 7.
Juni 2005

X
ZR
19/02, [X.] 2005, 615
ff.; Urteil vom 24.
Mai 2005

X
ZR
243/02, [X.], 594
ff.).
b)
Diese vom Gedanken formaler Ordnung geprägte Rechtsprechung ist nicht mehr uneingeschränkt anwendbar, weil sich ihre rechtlichen Grundla-gen verändert haben. Seit Inkrafttreten der Vergabe-
und Vertragsordnung für Bauleistungen Ausgabe 2009 am 11. Juni 2010 (vgl. Einführungserlass des [X.], Bau und [X.]entwicklung vom 10. Juni 2010

B
15

8163.6/1) kann es grundsätzlich nicht mehr als ohne weiteres den Aus-schluss des betreffenden Angebots gebietende Vergaberechtswidrigkeit ange-sehen werden, wenn in einem Vergabeverfahren für Bauleistungen Erklärungen
oder ein Preis
in einer einzelnen unwesentlichen Position fehlen (vgl. §§
16a, 16 Abs.
1 Nr. 4 VOB/A 2016
und §
16 Abs.
1 Nr. 3 VOB/A 2016). Für die 10
11
-
6
-
Vergabe von Leistungen gilt mit gewissen Modifikationen das Gleiche (vgl. §
56 Abs. 2, §
57 Abs. 1 Nr. 2 und 5 VgV). Sinn und Zweck dieser liberalisierenden Novellierung der Vergaberegelungen war, im Interesse eines umfassenden [X.] den Ausschluss von Angeboten aus vielfach nur formalen Grün-den zu
verhindern und die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig zu reduzieren (vgl. die Eingangshinweise des Vergabe-
und [X.] für Bauleistungen, BAnz 155a vom 15.
Oktober 2009 und Einführungserlass des [X.] vom 10. Juni 2010

B
15

8163.6/1 S.
7).
Es ist den [X.]

was den Regelungen in §
16d Abs. 1 Nr. 1, § 16d [X.] Abs. 1 Nr. 1 VOB/A und § 60 Abs. 1 VgV zugrunde liegt

auch nicht schlechthin verwehrt, zu einem Gesamtpreis anzubieten, der lediglich einen Deckungsbei-trag zu den eigenen Fixkosten verspricht (Unterkostenangebote, vgl. etwa [X.], Beschluss vom 21. Mai 2010 -
Verg 2/10, [X.] 2010, 992, 1008). Der öffentliche Auftraggeber ist bei solchen Angeboten vielmehr gehal-ten sorgfältig zu prüfen, ob eine
einwandfreie Ausführung und Haftung für Ge-währleistungsansprüche gesichert ist ([X.], Beschluss vom 31. Januar 2017

X
ZB
10/16, [X.]Z 214, 11 Rn. 29

Notärztliche Dienstleistungen). Das [X.] ist auszuschließen, wenn der niedrige Preis nicht zufriedenstellend [X.] werden kann (§ 60 Abs. 3 VgV, vgl. dazu [X.]Z 214, 11 Rn. 31 -
Not-ärztliche Dienstleistungen).
Grundsätzlich nichts anderes kann gelten, wenn der Bieter lediglich ein-zelne Positionen unter seinen Kosten anbietet. Dementsprechend kann ein [X.] auch nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, weil einzelne Positio-nen darin zu Preisen angeboten sind, welche die diesbezüglichen Kosten nicht vollständig decken. Das Interesse des Auftraggebers an einwandfreier Ausfüh-rung und Haftung für die Gewährleistungsansprüche wird grundsätzlich nicht dadurch gefährdet, dass bestimmte Einzelpositionen "zu billig" angeboten wer-den, sondern dass der Auftragnehmer infolge eines zu geringen Gesamtpreises in Schwierigkeiten gerät.
12
13
-
7
-
c)
Dies bedeutet jedoch
nicht, dass der Bieter seine zu deckenden [X.] nach Belieben einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses zuordnen
dürfte.
Abgesehen von den in §
16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A und §
57 Abs.
1 Nr.
5
VgV geregelten Fällen haben die öffentlichen Auftraggeber nach wie vor
selbst bei einem im Ergebnis gleich bleibenden Endpreis grundsätzlich ein -
durch §
13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A geschütztes -
Interesse daran, dass die Preise durch-weg korrekt angegeben werden. Diese Regelung trägt nämlich auch dem [X.], dass die Zahlungspflichten der Auftraggeber durch Verlage-rung einzelner Preisbestandteile manipuliert werden
können. Verlagert der [X.] die für einzelne Positionen des Leistungsverzeichnisses eigentlich vorgese-henen Preise ganz oder teilweise in andere Positionen, greift §
16 Abs. 1 Nr.
3 VOB/A deshalb grundsätzlich ein. Ob das über den in der Bestimmung genann-ten Ausnahmefall hinaus auch bei Bagatellverlagerungen von Preisbestandtei-len gilt, bedarf hier keiner Entscheidung.

Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei ande-ren Positionen des Leistungsverzeichnisses entsprechen,
indiziert eine solche Preisverlagerung. Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, [X.] dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält.

Dementsprechend hat der [X.] in der vom Berufungsge-richt herangezogenen Entscheidung vom 18. Mai 2004 ([X.], [X.]Z 159,
186) das Angebot des dortigen Antragstellers deshalb für ausschlussreif erach-tet, weil sein Angebot auf einer Mischkalkulation beruhte, bei der bestimmte ausgeschriebene Leistungen auf einen Einheitspreis von 0,01

und die Einheitspreise anderer Positionen damit korrespondierend "aufgepreist" waren, so dass die den jeweiligen Leistungen eigentlich zugeordneten Preise unstreitig weder vollständig noch zutreffend angegeben waren ([X.]Z 159, 186, 193
f.).
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16
17
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8
-
d)
Erst recht verhält sich ein Bieter
vergaberechtswidrig, wenn er
den Preis für einzelne Positionen -
etwa in der Erwartung, dass die dafür im Leis-tungsverzeichnis angesetzten Mengen bei der Leistungsausführung überschrit-ten werden
-
drastisch erhöht und den daraus resultierenden höheren [X.] zur Wahrung der [X.]fähigkeit seines Angebots im Wege einer Mischkalkulation dadurch kompensiert, dass er andere Positionen

vorzugs-weise solche, bei denen gegebenenfalls Mindermengen zu erwarten sind

mehr oder minder deutlich verbilligt ([X.], vgl. [X.]Z 159, 195; [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], Kommentar zur VgV,
§
60 Rn.
82
ff.).
Dies ist
zwar
kein Fall von § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, weil sowohl der überhöhte als auch der korrespondierend heruntergesetzte Preis dem eigentlich Gewollten entsprechen. Es ist auch nicht von vornherein in jedem Fall anstößig, wenn ein Bieter
Unschärfen des Leistungsverzeichnisses bei den Mengenan-sätzen erkennt und durch entsprechende Kalkulation Vorteile zu erringen sucht, sondern Sache
und Risiko des Auftraggebers, solche Spielräume zum Nachteil der öffentlichen Hand im Leistungsverzeichnis auszuschließen. Dies findet im Vergabewettbewerb
aber mit Blick auf dessen
Zweck, das günstigste Angebot hervorzubringen, und die Rücksichtnahmepflichten aus §
241 Abs.
2 BGB ([X.], Urteil vom 9. Juni 2011 -
X [X.], [X.]Z 190, 89 -
Rettungsdienst-leistungen II) nach [X.] (§
242 BGB) seine Grenzen dort, wo ein Bieter die Ausgestaltung des Leistungsverzeichnisses zu unredlicher Spekulati-on
ausnutzt.
Ein Angebot, das spekulativ so ausgestaltet ist, dass dem Auftraggeber bei Eintritt bestimmter, zumindest nicht gänzlich fernliegender Umstände erheb-liche Übervorteilungen drohen, ist nicht zuschlagsfähig. Vielmehr verletzt der betreffende Bieter seine Pflichten aus §
241 Abs. 2 BGB, wenn er für eine Posi-tion, bei der in der Ausführung nicht unerhebliche Mehrmengen anfallen [X.], einen Preis ansetzt, der so überhöhte Nachforderungen nach sich ziehen kann, dass aus Sicht eines verständigen Teilnehmers am Vergabeverfahren das Ziel verfehlt wird, im Wettbewerb das günstigste Angebot hervorzubringen, und dem zu einem verantwortungsvollen Einsatz der Haushaltsmittel verpflich-18
19
-
9
-
teten Auftraggeber nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf ein derartiges Angebot einzulassen. Der Bieter kann
sich nämlich auf diese Weise bei der Wertung nach dem Preis einen geringfügigen, aber gegebenenfalls für die Rangfolge der Angebote ausschlaggebenden Vorteil
verschaffen, der mit der Chance
eines
deutlich erheblicheren wirtschaftlichen Nachteils
für den Auftrag-geber bei der Abrechnung des Auftrags verbunden ist. In einem solchen Fall ist der Auftraggeber nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet, auch wenn das frag-liche Angebot [X.] als das preiswerteste erscheint.
2.
Das Berufungsgericht hat seiner Beurteilung das Vorbringen des [X.] zugrunde gelegt, der niedrige Preis in den Positionen 01.000120 [X.] sich daraus, dass der Kran im Falle der Zuschlagserteilung an ihn erst ange-schafft werden sollte und nur Aufbauleistungen (durch Subunternehmer) [X.] seien.
Die für die Bejahung der Ausschlussreife des Angebots
maßgebliche Begründung
des Berufungsgerichts, die Preise für die den Kran betreffenden Positionen
01.000120 und 01.000130 und für
die Positionen 08.000010 bis 08.000050 seien schlechterdings zu niedrig
und unvollständig kalkuliert, ist für sich allein nicht tragfähig.
a)
Nach den unangegriffenen Feststellungen des [X.]s steht im Streitfall für das klägerische Angebot kein
im Verhältnis zu der [X.] Gesamtleistung unverhältnismäßig oder ungewöhnlich niedrig erscheinen-der Endpreis im Raum (§
16d Abs. 1 Nr. 1, §
16d [X.] Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, § 60 Abs. 1 VgV; vgl. dazu [X.]Z 214, 11, Rn. 13
ff. -
Notärztliche Dienstleistungen).
b)
Der Umstand, dass die Kosten des [X.] für den [X.] in den betreffenden Positionen des Leistungsverzeichnisses nicht abgebildet wer-den, rechtfertigt für sich den Ausschluss nicht.
Der Kläger hat sich mit Blick auf den geringen Preis für den [X.] gegenüber dem im Prozess zur Rechtfertigung des Angebotsausschlusses erhobenen Vorwurf, es seien die darauf entfallende AfA und die [X.] jedenfalls nicht vollständig eingerechnet,
mit dem Hinweis verteidigt, diese
Pos-20
21
22
23
-
10
-
ten seien bei den allgemeinen Geschäftskosten berücksichtigt. Das Berufungs-gericht hat demgegenüber angenommen, AfA
und [X.] für den im Fal-le der Auftragserteilung anzuschaffenden [X.] hätten bei den Positio-nen 01.000120 und 01.000130 kalkuliert werden müssen, nicht aber als allge-meine Geschäftskosten
berücksichtigt werden können. Diese auf einer unange-griffenen und revisionsrechtlich auch nicht zu beanstandenden Auslegung der Vergabeunterlagen beruhende Erwägung rechtfertigt den Ausschluss jedoch nicht ohne weiteres. Wie ausgeführt (oben Rn.
15) darf der Bieter nach der Rechtsprechung des [X.] zwar keine Preisbestandteile einer Position des Leistungsverzeichnisses in andere verlagern. Um einen solchen Fall handelt es sich nach den
Angaben des [X.] aber nicht, weil die Positio-nen des Leistungsverzeichnisses sich auf die Einzelheiten des nachgefragten Gegenstands
beziehen, während die allgemeinen Geschäftskosten ein Faktor in der Kalkulation der Preise sind. Ob es die schützenswerten Belange des [X.] in einem den Angebotsausschluss rechtfertigenden Maße berührt, wenn der Bieter AfA und [X.] eines im Falle der Auftragserteilung erst noch anzuschaffenden Geräts ([X.]) bei den allgemeinen Geschäfts-kosten berücksichtigt statt bei den Positionen im Leistungsverzeichnis für den Auf-
und Abbau dieses Krans und seine Vorhaltung bei witterungsbedingten Unterbrechungen, kann
fraglich
sein. Jedenfalls hätte das Berufungsgericht zumindest
Feststellungen dazu treffen
müssen, ob im Angebot des [X.] [X.] dem [X.] zuzuordnende
Beträge für AfA und Kapitalkosten
preiswirksam bei den allgemeinen Geschäftskosten eingestellt sind. Die pau-schale
Schutzbehauptung
des [X.], die Vorhaltung des [X.]s sei dort berücksichtigt, lässt nämlich offen, ob er tatsächlich diesem Gerät zuzu-ordnende
Beträge für AfA
und [X.] kalkuliert und seinen allgemeinen Geschäftskosten zugeschlagen hat, oder ob er mit seinem diesbezüglichen Hinweis nur formal dem Angriff der Beklagten, sein Angebot
hätte ausgeschlos-sen werden müssen, die Grundlage entziehen wollte.
Seine ursprüngliche Rechtfertigung der Ansätze bei den Positionen 01.000120 und 01.000130 mit der beabsichtigten Anschaffung eines Krans spricht für letzteres Verständnis.
-
11
-
c)
Die Erwägungen des Berufungsgerichts zu den vom Kläger bei den Positionen 08.000010 bis 08.000050 verlangten Preisen tragen seine Entschei-dung ebenfalls nicht.
Soweit es bemängelt, dabei seien der Geräteeinsatz und die Kosten un-berücksichtigt geblieben, gilt das zur allgemeinen Kalkulationsfreiheit Ausge-führte (oben Rn.
9) sinngemäß. Soweit die Einheitspreise von 2,05

9,20

dem Berufungsgericht viel zu niedrig erschienen, mag eine solche Preis-bildung grundsätzlich Anlass zu einer genauen Prüfung des gesamten [X.] des Angebots geben. Darüber hinaus mag, insbesondere nach Inkrafttre-ten des

im Streitfall noch nicht anwendbaren
-
Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns je nach Fall veranlasst sein
zu prüfen, ob der in die-ser Weise kalkulierende Auftragnehmer bei Ausführung des Auftrags seinen Pflichten aus §
128 Abs.
1 [X.] in Bezug auf die Zahlung des Mindestlohns genügen wird. In eine entsprechende Prüfung ist das Berufungsgericht, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, indes nicht eingetreten. Es hat offen gelassen, ob es sich bei den fraglichen Leistungen um [X.] han-delt und die Preise des [X.] vielmehr mit Blick auf dessen Einschätzung, dass die fraglichen Positionen wohl gar nicht zur Ausführung kommen würden, als spekulativ bezeichnet. Insoweit ist folgende Klarstellung angezeigt:

[X.] durften seit Inkrafttreten der Verdingungsordnung für Bauleistungen Ausgabe 2000 nur noch ausnahmsweise (§
9 Nr.
1 Satz
2 VOB/[X.])
und dürfen seit Inkrafttreten der auch im Streitfall anwendbaren Vergabe-
und Vertragsordnung für Bauleistungen 2009 grundsätzlich gar nicht mehr in die Leistungsbeschreibung aufgenommen werden (§
7 Abs.
1 Nr.
4 VOB/A). Der Grund dafür ist
die Gefahr, dass die Leistung andernfalls nicht mehr so eindeutig und erschöpfend beschrieben ist, dass alle Unternehmen ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können (§
7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A) und eine wettbewerblich korrekte
Angebotswertung beein-trächtigt sein kann (vgl. Schranner in: [X.]/[X.], 20. Aufl., §
7 VOB/A Rn. 43
ff.). Nimmt der öffentliche Auftraggeber [X.] dennoch und 24
25
26
-
12
-
unbeanstandet (§
160 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 [X.]) in
die Leistungsbeschreibung auf, kann der Vorwurf vergaberechtlicher Unredlichkeit nicht allein darauf ge-stützt werden, dass ein Bieter solche Positionen besonders preiswert anbietet. Ohne weiteres bewegt er sich damit vielmehr in dem vom Auftraggeber selbst für die Angebotserstellung gesteckten, nur mit entsprechenden Unwägbarkeiten
behafteten Rahmen. Diesen verlässt der Bieter, wenn seinem Angebot ein zu-sätzliches unrechtsbegründendes Element
wie die korrespondierende spekula-tive Aufpreisung
anderer Positionen anhaftet.
III.
Nach allem ist die Entscheidung des [X.] begründet. Gleichwohl ist das Berufungsurteil nicht
aufzuheben. Es stellt sich vielmehr aus anderen Gründen als richtig dar, so dass die Revision [X.] ist (§ 561 ZPO). Der [X.] kann selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht erforderlich und nicht zu erwarten sind (§ 563 Abs. 3 ZPO entsprechend).

1.
Mit den auffällig niedrigen, nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts deutlich unter den Kosten des [X.] liegenden Preisen in den Positionen 01.000120 und 01.000130 sowie 08.000010 bis 08.000050 korrespondiert ein
überproportional hoher Preis in der Position 01.000210 be-treffend die wöchentlichen [X.] für das Gerüst bei eventueller, nach den Feststellungen des [X.]s nicht fernliegender
witterungsbedingter Unterbrechung. Während sich für die wöchentliche Standzeit des Gerüsts
wäh-rend der regulären Standzeit (Position
01.000200)

unter Vernachlässigung der Kostenanteile für den Auf-
und Abbau und Transport sowie der sonstigen Ne-benkosten zugunsten des [X.]

ein Durchschnittspreis von etwas unter 5.300

müsste der Auftraggeber für jede Woche wetterbedingter Unterbrechung 12.678

zahlen. Darin liegt,
wie schon das [X.] in sei-ner
vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung
erkannt hat, eine erhebliche
spekulative
Aufpreisung, zumal dieser Preis sich für den [X.] progressiv umso nachteiliger auswirken kann, je länger die Unterbre-27
28
-
13
-
chung andauert.
Damit hat der Kläger gegen seine Rücksichtnahmepflicht
aus §
241 Abs. 2 BGB verstoßen.
Dafür ist es entgegen der Ansicht des [X.] grundsätzlich unerheblich, dass es sich bei der Position 01.000210 um eine Bedarfsposition
handelte. [X.] der bedarfsweise Einsatz kann in der einen wie in der anderen Richtung Gegenstand spekulativer
Gewinnerwartungen des betreffenden Bieters sein. Ob das auch bei Bagatellpositionen und auch dann gilt, wenn nur eine entfernte Möglichkeit dafür besteht, dass diese Position zur Ausführung kommen wird, kann hier dahinstehen, weil in Bezug auf die Position 01.000210 eine relativ hohe Anfallwahrscheinlichkeit festgestellt ist
und der Wochenpreis, wie bereits erwähnt, zudem leicht mehrmals anfallen kann, was die Wirtschaftlichkeit des Angebots des [X.] zunehmend beeinträchtigt. Derlei mit der Position
01.000210 verbundene
Probleme hätte die Beklagte zwar vermeiden können, wenn sie von der Aufnahme dieser Position in das Leistungsverzeichnis gemäß §
7 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A
abgesehen hätte; an der Ausschlussreife des Angebots ändert das aber nichts.
29
-
14
-
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
[X.]
[X.]

[X.]
Marx
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 10.09.2015 -
7 [X.]/14 -

OLG [X.], Entscheidung vom 05.10.2016 -
I-27 U 21/15 -

30

Meta

X ZR 100/16

19.06.2018

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.06.2018, Az. X ZR 100/16 (REWIS RS 2018, 7619)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7619

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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