Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.10.2023, Az. 7 B 17/23

7. Senat | REWIS RS 2023, 9315

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Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 15. März 2023 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger wendet sich gegen eine der [X.]eigeladenen - unter Zulassung reduzierter bauordnungsrechtlicher Abstandsflächen - erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum [X.]etrieb von einer im Außenbereich gelegenen Windkraftanlage. Er ist Eigentümer und Jagdpächter mehrerer [X.] im Umfeld des Vorhabengebietes.

2

Das Oberverwaltungsgericht hat die (Nachbar-)Anfechtungsklage des [X.] abgewiesen. Der Kläger werde insbesondere durch die Zulassung einer Verkürzung bauordnungsrechtlicher Abstandsflächen auch unter [X.]erücksichtigung brandschutzrechtlicher und sonstiger bauordnungsrechtlicher Anforderungen nicht in eigenen Rechten verletzt. Die angefochtene Genehmigung verstoße auch nicht wegen möglicher von den Anlagen ausgehender [X.]randgefahren durch brennende Rotorteile gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Eine nachbarrechtsrelevante Verletzung des [X.]s setze insofern voraus, dass mit der Errichtung und dem [X.]etrieb der Windkraftanlage ein Risiko für den Kläger bzw. sein Eigentum geschaffen werde, das über dem allgemeinen Lebensrisiko liege. Das sei hier nicht der Fall.

3

Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die [X.]eschwerde des [X.].

II

4

Die allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

5

1. Die [X.]eschwerde ist zulässig. Sie ist innerhalb der gesetzlichen Fristen (§ 133 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 VwGO) schriftlich eingelegt und begründet worden. Der [X.]evollmächtigte des [X.] unterfällt als Rechtslehrer an einer staatlichen Hochschule (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nicht dem Personenkreis, der nach § 55d Satz 1 VwGO vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronische Dokumente übermitteln muss. Eine Pflicht zur Nutzung elektronischer Übermittlungswege ergibt sich für ihn auch nicht aus § 55d Satz 2 VwGO.

6

2. Die [X.]eschwerde ist aber unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die ihr vom Kläger [X.] grundsätzliche [X.]edeutung.

7

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der [X.]eschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 28. Juli 2022 - 7 [X.] 15.21 - NVwZ 2022, 1634 Rn. 7). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.

8

a) Die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage,

"ob ein Verstoß gegen das [X.] voraussetzt, dass mit der Errichtung und dem [X.]etrieb der Windkraftanlage ein Risiko für den Kläger bzw. sein Eigentum geschaffen würde, das über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt",

rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Es bedarf zu ihrer [X.]eantwortung keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 16. Dezember 2022 - 7 [X.] - [X.] 2023, 177 Rn. 6 m. w. N.).

9

Es ist in der Rechtsprechung des [X.] geklärt, dass für die [X.]eurteilung von Immissionen bzw. schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 [X.] das Schutzniveau und damit der Nachbarschutz des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme einerseits und des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] andererseits identisch sind (vgl. z. [X.]. [X.]VerwG, Urteile vom 4. Juli 1986 - 4 C 31.84 - [X.]VerwGE 74, 315 <326>, vom 14. April 1989 - 4 C 52.87 - NVwZ 1990, 257 und vom 24. September 1992 - 7 C 7.92 - NVwZ 1993, 987 <988>; [X.]eschluss vom 9. April 2008 - 7 [X.] 2.08 - NVwZ 2008, 789 Rn. 24). Es gibt keinen sachlichen Grund, dies für sonstige Gefahren im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 [X.] anders zu bewerten.

Ferner ist geklärt, dass von einem Anlagenstandort bzw. einem [X.]augrundstück aufgrund von physischen Einwirkungen ausgehende [X.]randübergriffrisiken je nach ihrem Risikopotenzial sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche [X.]elästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sein können (vgl. [X.], Urteil vom 21. September 2016 - 2 L 98/13 - [X.] 2017, 229 <246>; [X.]eschluss vom 31. Januar 2019 - 2 M 106/18 - NVwZ-RR 2019, 552 Rn. 13; [X.], Urteil vom 12. März 2015 - 10 S 1169/13 - juris Rn. 41; [X.], [X.], 14. Aufl. 2022, § 5 Rn. 27). Erforderlich ist dabei die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ([X.]VerwG, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 7 C 19.02 - [X.]VerwGE 119, 329 <332> und vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 - [X.]VerwGE 148, 155 Rn. 47; [X.]eschluss vom 20. November 2014 - 7 [X.] - NVwZ-RR 2015, 94 Rn. 15) und damit eine über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende Gefahrenlage. Denn § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] zielt nicht darauf, an sich zumutbare Lebensverhältnisse noch risikoloser zu machen (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 22. Oktober 1982 - 7 C 50.78 - NJW 1983, 1507 <1508>).

[X.]ei der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] stellt daher die obergerichtliche Rechtsprechung in [X.]ezug auf Unfall- bzw. [X.]randrisiken wegen herabfallender Trümmerteile von (insbesondere brennenden) Windkraftanlagen gegenüber Nachbargrundstücken konsequent darauf ab, dass der [X.] nur den Schutz vor einer konkreten Gefahr im Sinne eines über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden Risikos beanspruchen kann (vgl. z. [X.]. [X.], [X.]eschluss vom 30. Juli 2020 - 8 A 10157/20.OVG - juris Rn. 6, 24; [X.], Urteil vom 27. Juli 2023 - 22 D 100/22. AK - juris Rn. 61, 70 ff.; [X.]eschlüsse vom 13. September 2017 - 8 [X.] 1373/16 - juris Rn. 25 f., 49 und vom 29. März 2023 - 22 [X.]/23.AK - [X.], 153 Rn. 16, 51; in Anwendung des bauplanungsrechtlichen [X.]s: [X.], [X.]eschluss vom 9. Februar 2006 - 2 M 71/05 - juris Rn. 29 ff.). Die Frage der Abgrenzung des allgemeinen Lebensrisikos von der konkreten Gefahr eines Schadenseintritts beurteilt sich nach den anerkannten Grundsätzen des Gefahrenrechts und ist damit insbesondere von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und der Schadenshöhe abhängig. Da diese [X.]etrachtung notwendigerweise von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt, ist eine grundsätzliche Klärung des [X.]egriffs des allgemeinen Lebensrisikos entgegen der Auffassung der [X.]eschwerde in einem Revisionsverfahren nicht möglich.

b) Die weitere in der [X.]eschwerdebegründung aufgeworfene Frage,

"ob die Feststellungen des Tatsachengerichts, dass im Falle eines entsprechenden [X.]randes herabfallende Teile vorrangig auf das [X.] fallen dürften, nicht aber auf Flächen des [X.], bedeutet, dass auch unter diesen Umständen das allgemeine Lebensrisiko, dessen Erhöhung Voraussetzung für einen Verstoß gegen das [X.] ist, sich nicht erhöht",

zielt der Sache nach auf die Abklärung, welches konkrete Maß an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] und damit auch für das gebotene Maß an bauplanungsrechtlicher Rücksichtnahme bei dem hier vom Kläger geltend gemachten Risiko noch als zumutbar hinzunehmen ist. Diese [X.]eurteilung ist nicht durch Gesetz, Rechtsverordnung oder normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift vorgeprägt und ist damit Gegenstand der einer Überprüfung in einem Revisionsverfahren grundsätzlich nicht zugänglichen tatrichterlichen Würdigung (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 18. Mai 2016 - 7 [X.] 23.15 - juris Rn. 32 und vom 4. Dezember 2018 - 4 [X.] 3.18 - juris Rn. 5 ff.).

Nichts Anderes gilt, soweit der Kläger seine Fragestellung dahingehend präzisiert, ob sich bei der Errichtung und dem [X.]etrieb von Windenergieanlagen im Wald jedenfalls dann trotz eines [X.]randschutzkonzeptes das Lebensrisiko zulasten des Nachbarn erhöhen kann, wenn der Abstand zu den Grundstücksgrenzen unter der in [X.]randenburg bauordnungsrechtlich geregelten ([X.] von 0,4 H liegt. Die Frage zielt auch in dieser Formulierung auf eine einzelfallbezogene Konkretisierung des rechtlich relevanten Maßstabs des allgemeinen Lebensrisikos in Abgrenzung zur hinreichenden Schadenseintrittswahrscheinlichkeit. Sie betrifft - auch und gerade bei Unterschreitung bauordnungsrechtlich geregelter, nach Landesrecht abweichungsbedürftiger (Regel-)Abstandsflächen - eine Vielzahl denkbarer, differenziert zu betrachtender Fallgestaltungen und entzieht sich damit einer Klärung in einem revisionsgerichtlichen Verfahren (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 30. Dezember 2021 - 7 [X.] 2.21 - juris Rn. 21 m. w. N.). Dass das vorliegende [X.]randschutzkonzept im vorliegenden Fall auch unter [X.]eachtung der Verkürzung der Abstandsflächen nicht zu beanstanden ist, hat das [X.]erufungsgericht im Übrigen ausführlich begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

7 B 17/23

27.10.2023

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 15. März 2023, Az: 3a A 29/23, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.10.2023, Az. 7 B 17/23 (REWIS RS 2023, 9315)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9315

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2 L 98/13

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