Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2011, Az. IX ZR 70/10

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 837

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
IX ZR 70/10

Verkündet am:

1. Dezember 2011

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
nein
ZPO § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 318; GG Art. 103 Abs. 1
Lässt das Berufungsgericht auf eine Anhörungsrüge hin die Revision nachträg-lich zu, ohne einen darauf bezogenen Gehörsverstoß festzustellen, ist die [X.] ergangen und bindet das [X.]sgericht nicht (im [X.] an [X.], 1516).
[X.], Urteil vom 1. Dezember 2011 -
IX ZR 70/10 -
LG [X.]

AG Pforzheim
-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
1.
Dezember 2011
durch [X.] [X.],
[X.], [X.], [X.] und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des [X.] vom 13.
November 2009 wird auf Kosten der [X.] als unzulässig verworfen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger vollstreckte aus einem Versäumnisurteil gegen den Schuldner und ließ dessen
angebliche
Ansprüche gegen die erstbeklagte Drittschuldnerin

"auf Zahlung des gesamten gegenwärtigen u. künftigen Arbeits-einkommens und vergleichbarer Einkünfte, beispielsweise aus Dienst-
und Auftragsverhältnissen, aus Provisionszahlungen ([X.]. des Geldwertes von Sachbezügen), aus Berater-
bzw. freibe-ruflicher Tätigkeit jeder Art"

pfänden und sich zur Einziehung überweisen. Der Pfändungs-
und Überwei-sungsbeschluss wurde der Beklagten zu
1 am 17.
Mai 2006
zugestellt. Sie [X.] die gepfändete Forderung nicht an und überwies dem Schuldner am 1.
Juni 2006 einen Betrag von 3.350

Mit Schreiben vom 4.
Juli 2006 erklärten die Bevollmächtigten des Klägers "die Pfändung für beruhend."
Im Oktober 2006 "riefen sie diese wieder an."
Am 1
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7.
Dezember 2006 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenz-verfahren eröffnet.

Mit der [X.] verlangt der Kläger nochmalige Zahlung der 3.350

1 seiner Ansicht nach das Zahlungsverbot der Pfändung missachtet habe. Das Amtsgericht hat die Beklagten verurteilt, das [X.] hat die Berufung in seinem Urteil vom 11.
April 2008 zurück-gewiesen
und die Revision nicht zugelassen, weil der Fall keine grundsätzliche Bedeutung habe.

Auf die Anhörungsrüge der Beklagten hat das [X.] das Verfahren fortgesetzt, die Berufung abermals zurückgewiesen und die Revision
nunmehr
zugelassen. Die Beklagten verfolgen mit ihrem Rechtsmittel ihren Klageabwei-sungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unzulässig, weil die Zulassungsentscheidung unstatthaft und verfahrensrechtlich nicht bindend ist.

I.

Das Berufungsgericht hat seine nachträgliche Revisionszulassung damit begründet, dass es nach nochmaliger Prüfung ihre Voraussetzungen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache für gegeben erachte. Die ent-scheidungserhebliche Frage, wie es wirke,
wenn der Gläubiger eine ausge-3
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brachte Pfändung für beruhend erkläre, auf die Abführung der pfändbaren Be-träge verzichte, aber die Rangfolge wahren wolle, sei bislang nicht höchstrich-terlich entschieden. Diese Frage komme für eine Vielzahl von Fällen in [X.].

II.

Das Revisionsgericht ist gemäß §
543 Abs.
2 Satz
2 ZPO an die [X.] auch dann gebunden, wenn die seitens des Berufungsgerichts für maß-geblich erachteten Zulassungsgründe aus Sicht des [X.] nicht vorliegen. Durfte die Zulassung dagegen verfahrensrechtlich überhaupt nicht ausgesprochen werden, ist sie unwirksam. Das gilt auch für eine prozessual nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung, welche
die Bindung des Gerichts an seine eigene Entscheidung gemäß §
318 ZPO
außer Kraft set-zen würde ([X.], Urteil vom 4.
März 2011 -
V
ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rn.
4). Die Fortführung des Verfahrens durch das Berufungsgericht nach [X.] der Beklagten entbehrte der gesetzlichen Stütze. Die Voraussetzun-gen des §
321a ZPO lagen offensichtlich nicht vor.
Die Zulassung der Revision im zweiten Berufungsurteil ist deshalb wirkungslos.

1. Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemög-lichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen die grund-gesetzliche Garantie des rechtlichen Gehörs. Daran fehlt es hier. In der Sache selbst war angeblich übergangenes Vorbringen jedenfalls nicht entscheidungs-erheblich; denn das Berufungsgericht hat ohne wesentliche neue Erwägungen seinen ersten Spruch nach Fortführung des Verfahrens wiederholt. Folglich stand die Vorschrift des §
321a Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 ZPO, die eine entschei-7
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-
dungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs voraussetzt, der Fortfüh-rung des Verfahrens entgegen. Die im ersten Berufungsurteil unterbliebene Zu-lassung der Revision als solche konnte die Garantie des rechtlichen Gehörs nicht verletzen ([X.], NJW-RR 2008, 75, 76; [X.], Urteil vom 4.
März 2011,

aaO Rn.
6), es sei denn, auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Parteien wäre [X.] übergangen worden ([X.], aaO und Beschluss vom 29.
Januar 2009 -
V
ZB 140/08, [X.], 756
Rn.
5).
Die An-hörungsrüge kann deshalb nur dann zu einer wirksamen Zulassung der [X.] führen, wenn das Verfahren aufgrund eines Gehörsverstoßes gemäß §
321a Abs.
5 ZPO fortgesetzt wird und sich erst aus dem anschließend gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung der Revision ergibt ([X.], Urteil vom 4.
März 2011, aaO Rn.
7).

Art.
103 Abs.
1 GG soll sichern, dass die Entscheidung frei von [X.] ergeht, die auf mangelnder Kenntnisnahme oder Erwägung des Sachvortrags der Prozessbeteiligten beruhen. Sein Schutzbereich bezieht keine Kontrolle der Entscheidung in der Sache ein ([X.], NJW 2005, 3345, 3346; NJW-RR 2008, 75
f, jeweils mwN). Hier haben die Beklagten in der ersten Be-rufungsverhandlung den Antrag auf Zulassung der Revision gestellt. Dieser [X.] ist nicht besonders begründet worden, sondern fand seine Grundlage nur in den allgemeinen Sach-
und Rechtsausführungen der Beklagten.
Das [X.] hat ihn am Ende seines ersten Berufungsurteils abschlägig be-schieden.

Die Anhörungsrüge der Beklagten hat insoweit auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs behauptet, sondern sich auf die Garantie des gesetzli-chen Richters und das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gewäh-rung effektiven Rechtsschutzes berufen. Selbst wenn diese Verfahrensgrund-9
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-
rechte willkürlich verletzt worden wären, kann dies nicht unmittelbarer Gegen-stand der auf [X.] beschränkten Anhörungsrüge sein ([X.], Urteil vom 4.
März 2011, aaO Rn.
8).

2. Die nachträgliche Zulassung der Revision im zweiten Berufungsurteil kann auch nicht als Entscheidung über eine entsprechend §
321a ZPO erhobe-ne Rüge der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte verstanden werden. Allerdings hat der [X.] in mehreren Entscheidungen die auf eine Gegenvorstellung hin ausgesprochene Zulassung der Rechtsbeschwerde
in analoger Anwendung von §
321a ZPO unter der Voraussetzung gebilligt, dass die Zulassung zuvor willkürlich unterblieben ist, und hat dies aus dem Anspruch des Beschwerdeführers auf [X.] gemäß Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG hergeleitet ([X.], Beschluss vom 19.
Mai
2004 -
IXa
ZB 182/03, [X.], 2529
f; vom 4.
Juli 2007 -
VII
ZB 28/07, NJW-RR 2007, 1654; vom 11.
Juli 2007 -
IV
ZB 38/06, NJW-RR 2007, 1653 Rn.
4; offen gelassen -
jeweils Urteile betreffend
-
vom [X.], Beschluss vom 19.
Januar 2006 -
I
ZR 151/02, [X.], 1978
Rn.
6; [X.], NJW-RR 2008, 75, 76).

Ob die Nichtzulassung der Revision als Verstoß gegen andere Verfah-rensgrundrechte in analoger Anwendung von §
321a ZPO gerügt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Ein solcher außerordentlicher Rechtsbehelf kann allenfalls dann Erfolg haben, wenn das Berufungsgericht seiner Entschei-dung die strengen Voraussetzungen einer solchen Rüge zugrunde gelegt hat ([X.], Urteil vom 4.
März 2011, aaO Rn.
10). Sowohl das Gebot des gesetzli-chen Richters als auch das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes schützen nicht vor jeder fehlerhaften Anwendung der Prozessordnung, sondern setzen eine willkürlich unterlassene Zulassung ([X.]E 101, 331, 359
f; [X.], Beschluss vom 19.
Mai
2004, aaO) oder eine unzumutbare, sachlich nicht mehr 11
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-
zu rechtfertigende Verkürzung des [X.] voraus ([X.],
[X.], 1235, 1236 mwN).

Weder der Hinweis im Wiedereröffnungsbeschluss nach der Anhörungs-rüge noch das zweite Berufungsurteil haben zum Ausdruck gebracht, dass das Berufungsgericht seine Nichtzulassungsentscheidung im ersten Berufungsurteil nachträglich als objektiv willkürlich angesehen hat. Der Senat hat bereits in sei-nem Hinweisbeschluss vom 17.
Februar 2011 dargelegt, dass die Auslegung der Erklärung vom 4.
Juli 2006, die Pfändung für beruhend zu erklären, von den Umständen des Einzelfalls abhängen kann und der Rechtssache keine grund-sätzliche Bedeutung verleiht. Selbst wenn man die gegenteilige Auffassung ver-treten wollte, so ist diese Würdigung zumindest nicht willkürlich. Auf die streitige Auslegung des Pfändungs-
und Überweisungsbeschlusses vom 27.
April 2006

13
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8
-
ist das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang nicht
eingegangen. Dass sie bei Meidung von Willkür zur Zulassung der Revision hätte führen müssen, ist weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.

Kayser
Raebel
Pape

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 05.07.2007 -
2 C 17/07 -

LG [X.], Entscheidung vom 13.11.2009 -
9 [X.] -

Meta

IX ZR 70/10

01.12.2011

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2011, Az. IX ZR 70/10 (REWIS RS 2011, 837)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 837

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IX ZR 70/10

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