Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.03.2014, Az. XII ZB 58/12

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7391

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]

vom

5. März 2014

in der Unterbringungssache

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §
1906 Abs.
1 Nr.
1
Zur Feststellung, für einen Betreuten bestehe aufgrund seiner psychischen Krankheit die Gefahr, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitli-chen Schaden zufügt, genügt nicht die formelhafte Behauptung einer ohne die Unterbringung bestehenden Selbstschädigungsgefahr. Vielmehr müssen objek-tivierbare, konkrete Anhaltspunkte für eine akute Suizidgefahr oder den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens vorhanden sein (im [X.] an [X.] vom 18.
Mai 2011
XII
ZB
47/11
FamRZ 2011, 1141 und vom 13.
Januar 2010
XII
ZB
248/09
mRZ 2010, 365).
BGH, Beschluss vom 5. März 2014
-
XII [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 5.
März 2014
durch den
Vorsitzenden
Richter
Dose, die Richterin [X.] und [X.]
[X.], Dr.
Nedden-Boeger und Dr.
Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 3.
Zivilkammer des [X.] ([X.]) vom 14.
Dezember 2011 die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§
131 Abs.
5 Satz
2 [X.]).
Die notwendigen Auslagen der Betroffenen für das Verfahren in al-len Instanzen werden der Staatskasse auferlegt (§
128
b [X.], §
337 Abs.
1 FamFG).
Der Verfahrenswert wird auf 3.000

setzt.

Gründe:
I.
Die Rechtsbeschwerde wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Die Betroffene leidet an einem schizophrenen Residuum, welches mit Antriebslosigkeit, affektiver Verflachung und einer Neigung zur Verwahrlosung 1
2
-
3
-
einhergeht. Sie war in der Vergangenheit wiederholt untergebracht

zuletzt aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts vom 25.
Februar 2011 (Beschwerde-entscheidung des [X.] vom 1.
April 2011; Unterbringung bis 30.
Juni 2011).

Auf Antrag ihrer Betreuerin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 17.
Oktober 2011 erneut die Unterbringung der Betroffenen

nunmehr bis zum 31.
August 2012

genehmigt.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde
der Be-troffenen hat das [X.] zurückgewiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde be-gehrt die Betroffene nach Ablauf der Unterbringungsfrist die Feststellung, durch den Beschluss des [X.]
in ihren Rechten verletzt worden zu sein.

II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist in der Sache begründet. Der ange-fochtene Beschluss hat die Betroffene in ihren Rechten verletzt.
1. Hat sich die angefochtene Entscheidung

wie hier

durch Zeitablauf in der Hauptsache erledigt, kann das Beschwerdegericht gemäß §
62
Abs.
1 FamFG
aussprechen, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten [X.] den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat. Diese Vorschrift ist im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden.
Voraussetzung ist

neben einem auf die Feststellung gerichteten [X.]

,
dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung besteht.
Das Fest-stellungsinteresse ist nach §
62 Abs.
2 Nr.
1 FamFG in der Regel anzunehmen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt. Die gerichtliche [X.] einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen sol-chen Eingriff (Senatsbeschlüsse vom 15.
Februar 2012

XII
ZB
389/11

3
4
5
6
-
4
-
FamRZ
2012, 619 Rn.
9
f. [X.] und vom 8.
August 2012

XII
ZB
671/11

FamRZ
2012, 1634 Rn.
6
f.).
2. Das [X.] teilt die Einschätzung des Amtsgerichts, welches die Unterbringung wegen Eigengefährdung gemäß
§
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB für erforderlich gehalten hat. Nach den Ausführungen des Amtsgerichts sei die re-gelmäßige Einnahme der erforderlichen antipsychotischen Medikation
außer-halb einer beschützenden Einrichtung
nicht sichergestellt, weil die Betroffene weder Krankheitseinsicht noch eine ausreichende Compliance besitze. Bei un-regelmäßiger Medikamenteneinnahme verschlechtere sich der Gesundheitszu-stand der Betroffenen
mit der Folge, dass die Verwahrlosungserscheinungen und ihre Hilflosigkeit im Alltag weiter zunähmen. Sie neige dann auch zu planlo-sem Handeln; so sei sie mit dem Zug nach [X.] gefahren, dort aufgegrif-fen und für einen längeren Zeitraum stationär in einer Klinik behandelt worden. Derzeit könne nur eine Unterbringung in einer beschützenden Station eine aus-reichende medikamentöse Behandlung der Betroffenen sichern. Die [X.] sei nunmehr für einen längeren Zeitraum erforderlich, um eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustands der Betroffenen zu
vermeiden und eine Stabilisierung ihrer Gesundheit zu erreichen.
3. Die Entscheidung des [X.] hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die materiellen Voraussetzungen für eine geschlossene [X.] der Betroffenen
gemäß §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB
sind nicht festgestellt.
a) Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB setzt eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten voraus.
Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen. Die Gefahr für Leib oder Leben setzt kein zielgerichtetes Verhalten voraus, so-7
8
9
-
5
-
dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Ge-sundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbun-den ist.
Das setzt allerdings objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens voraus (Senatsbeschlüsse vom 18.
Mai 2011

XII
ZB
47/11
FamRZ 2011, 1141 Rn.
12 und vom 13.
Januar 2010

XII
ZB
248/09
FamRZ 2010, 365 Rn.
14
[X.]).
Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist Sache des
Tatrichters
([X.] vom 22.
August 2012

XII
ZB
295/12
FamRZ 1705 Rn.
4 und vom 13.
Januar 2010

XII
ZB
248/09
FamRZ 2010, 365 Rn.
15).
Sie baut im Wesentlichen auf der Anhörung des Betroffenen und der weiteren Beteiligten sowie auf dem nach §
321 FamFG einzuholenden Sachverständigengutachten auf.
b) Nach den Feststellungen
der Instanzgerichte
ist eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen nach diesen Maßstäben nicht zu rechtfertigen.
Zwar leidet die Betroffene, wie die Instanzgerichte in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten festgestellt haben, an einem behand-lungsbedürftigen schizophrenen Residuum.
Weder
das Amtsgericht noch das [X.]
haben aber konkrete Um-stände für die Annahme aufgezeigt, die Betroffene werde sich erheblichen ge-sundheitlichen Schaden zufügen, wenn die Unterbringung und die in ihrem Rahmen beabsichtigte Medikation unterbleiben. Das schriftliche Sachverständi-gengutachten, dem sich die Instanzgerichte angeschlossen haben,
führt
zu der Gefahr eines
erheblichen gesundheitlichen Schadens lediglich aus, dass die Betroffene bei Absetzen der Medikation dazu neige, planlos mit dem Zug ins Ausland zu fahren oder wiederholt bei verschiedenen Krankenhäusern
hilfesu-10
11
12
13
-
6
-
chend vorstellig zu werden.
Weder der mündlichen Anhörung der Betroffenen
und der weiteren Verfahrensbeteiligten noch dem sonstigen Akteninhalt lassen sich
konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte für den Eintritt eines erhebli-chen Gesundheitsschadens
oder die erhebliche Verschlimmerung oder weitere Chronifizierung der Krankheit der Betroffenen entnehmen. Diese ergeben sich auch nicht aus den in den vorangegangenen
Unterbringungsverfahren einge-holten Sachverständigengutachten und ärztlichen Zeugnissen.
Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts
des §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB liefert
keine ausreichende Begründung für die Unterbringung. Auch im Fall einer
wiederholt untergebrachten Betroffenen darf sich die Begründung nicht auf formelhafte Wendungen beschränken, sondern muss die Tatbestandsvo-raussetzungen im jeweiligen Einzelfall durch die Angabe von Tatsachen konkret nachvollziehbar machen.
Dose

[X.]

[X.]

Nedden-Boeger

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 17.10.2011 -
7 [X.] 364/11 -

LG [X.], Entscheidung vom 14.12.2011 -
3 [X.] -

14

Meta

XII ZB 58/12

05.03.2014

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.03.2014, Az. XII ZB 58/12 (REWIS RS 2014, 7391)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7391

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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