Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2022, Az. 3 StR 179/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2022, 8718

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Gegenstand

Anordnung von Sicherungsverwahrung: Vorliegen einer Vorverurteilung bei Gesamtstrafe aus Katalogtaten und Nichtkatalogtaten mit Einzelstrafen unter 3 Jahren


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 13. Oktober 2021 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten im zweiten Rechtsgang wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und die Sicherungsverwahrung gegen ihn angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des [X.] unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Der ergänzenden Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

3

Die auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gestützte Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

4

Das [X.] hat insbesondere zu Recht eine frühere Verurteilung des Angeklagten durch das [X.] Rostock vom 31. Januar 2011 als hinreichende Vorverurteilung im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB erachtet.

5

1. Durch dieses Urteil wurde der Angeklagte wegen Straftaten, die er vor der jetzt abgeurteilten, im [X.] 2018 verübten Tat beging, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, die er bis zum 21. Dezember 2015 vollständig verbüßte. Der Gesamtfreiheitsstrafe lagen zwei [X.] von jeweils zwei Jahren und zwei Monaten und zwei [X.] von jeweils zwei Jahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Besitz kinderpornografischer Schriften, sieben [X.] zwischen acht Monaten und einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Besitz kinderpornografischer Schriften, sowie eine [X.] von acht Monaten wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu Grunde. Zudem wurden in diese Gesamtfreiheitsstrafe [X.] aus einem Urteil des [X.]s Hannover vom 10. August 2010 einbezogen, durch das der Angeklagte wegen Betruges in 39 Fällen, versuchten Betruges in zehn Fällen sowie Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden war.

6

2. Die auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gestützte fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung erfordert, dass wegen einer oder mehrerer dort angeführter Straftaten gegen den Angeklagten schon einmal eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verhängt worden ist. Diese Strafhöhe erreicht das Urteil des [X.]s Rostock nur im [X.]; die zugrundeliegenden [X.] bleiben jeweils unterhalb der Schwelle von drei Jahren. Gleichwohl stellt es eine den formellen Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genügende Vorverurteilung dar. Hierzu gilt:

7

a) Eine Gesamtfreiheitsstrafe genügt als Vorverurteilung den Anforderungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB, wenn sie wenigstens drei Jahre beträgt und ihr ausschließlich [X.] zugrunde liegen, die auf Katalogtaten beruhen; einer [X.] in der von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB vorausgesetzten Höhe bedarf es dann nicht (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. November 2015 - 4 StR 309/15, juris; vom 19. Juli 2006 - 1 StR 238/06, [X.]R StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 4; Urteil vom 13. November 2002 - 2 StR 261/02, [X.]St 48, 100, 103). Demgegenüber ist eine Gesamtfreiheitsstrafe keine hinreichende Vorverurteilung, wenn sie neben [X.] wegen [X.] nur eine drei Jahre unterschreitende [X.] wegen einer Katalogtat enthält ([X.], Beschlüsse vom 19. Juli 2006 - 1 StR 238/06, [X.]R StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 4; vom 2. Juni 2004 - 2 [X.], [X.]R StGB § 66 Abs. 3 Satz 1 Vorverurteilung 2).

8

b) Hier ist keine der beiden vorgenannten Konstellationen gegeben. Die vom [X.] Rostock verhängte Gesamtfreiheitsstrafe wurde vielmehr aus elf Einzelstrafen für Taten aus dem Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB - dies sind die Verurteilungen wegen (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern - und einer Vielzahl von Einzelstrafen für [X.] gebildet. Der Umstand, dass in den Fällen des (schweren) sexuellen Missbrauchs eine tateinheitliche Verurteilung auch wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften nach § 184b StGB aF und damit einer Nichtkatalogtat (s. Art. 316l EGStGB) erfolgte, steht der Berücksichtigung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht entgegen; eine Tat ist auch dann eine Katalogtat im Sinne dieser Vorschrift, wenn tateinheitlich mit einer von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB erfassten Straftat ein dort nicht genanntes Delikt verübt wurde ([X.], Beschluss vom 19. Juli 2006 - 1 StR 238/06, [X.]R StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 5).

9

c) In dem hier vorliegenden Fall, in dem einer die Schwelle von drei Jahren erreichenden Gesamtfreiheitsstrafe einer Vorverurteilung neben mehreren Katalogtaten mit [X.] von jeweils unter drei Jahren auch [X.] zugrunde liegen, scheidet eine Berücksichtigung des Urteils als hinreichende Vorverurteilung im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB allerdings nicht aus. Vielmehr ist im Sinne einer fiktiven Gesamtstrafenbildung zu prüfen, ob das damalige Tatgericht auch dann eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verhängt hätte, wenn es eine solche ausschließlich aus den der Gesamtstrafe zugrundeliegenden Einzelstrafen wegen Katalogtaten hätte bilden müssen. Kann - was eine vom Revisionsgericht eigenständig zu beurteilende Rechtsfrage ist - sicher ausgeschlossen werden, dass das frühere Tatgericht bei einer Gesamtstrafenbildung allein aus den Einzelstrafen wegen Katalogtaten eine unterhalb der Schwelle von drei Jahren liegende Gesamtfreiheitsstrafe gebildet hätte, ist eine den Anforderungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genügende Vorverurteilung gegeben ([X.], Beschluss vom 19. Juli 2006 - 1 StR 238/06, [X.]R StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 7; [X.][X.], StGB, 2. Aufl., § 66 Rn. 64; [X.], StGB, 69. Aufl., § 66 Rn. 37 [X.]; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 66 Rn. 42; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., § 66 Rn. 10e; BeckOK StGB/[X.], [X.]., § 66 Rn. 24; LK/[X.], StGB, 13. Aufl., § 66 Rn. 103; [X.]/Sinn, 9. Aufl., § 66 Rn. 45; aA MüKoStGB/Drenkhahn/[X.], 4. Aufl., § 66 Rn. 176). Denn dann unterscheidet sich der Fall in der Sache nicht von einem solchen, in dem von vornherein eine allein auf Katalogtaten beruhende Gesamtstrafe von mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe vorlag (s. hierzu [X.], Urteil vom 13. November 2002 - 2 StR 261/02, [X.]St 48, 100, 103).

Sofern - wie hier - relevanten Einzelstrafen eine tateinheitliche Verurteilung sowohl wegen einer Katalogtat als auch wegen einer Nichtkatalogtat zu Grunde liegt und der nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB maßgebliche Strafrahmen dem [X.] zu entnehmen war, ist die Einzelstrafe bei der fiktiven Gesamtstrafenbildung in voller Höhe zu berücksichtigen ([X.], Beschluss vom 19. Juli 2006 - 1 StR 238/06, [X.]R StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 3 Rn. 5; LK/[X.], StGB, 13. Aufl., § 66 Rn. 106).

d) Hier ist angesichts der Anzahl und Höhe der oben angeführten Einzelstrafen wegen der Katalogtaten, die dem Urteil vom 31. Januar 2011 zu Grunde lagen, sicher auszuschließen, dass das [X.] Rostock, hätte es eine Gesamtfreiheitsstrafe ausschließlich aus den [X.] wegen - unter anderem - (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bilden gehabt, eine Gesamtfreiheitsstrafe von unter drei Jahren verhängt hätte.

Schäfer     

        

Wimmer     

        

     Anstötz

                          

Ri[X.] Dr. [X.] befindet sich
im Urlaub und ist deshalb
gehindert zu unterschreiben.

        
        

Kreicker     

        

Schäfer

        

Meta

3 StR 179/22

28.06.2022

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 13. Oktober 2021, Az: 34 KLs 1/21

§ 52 Abs 2 S 1 StGB, § 66 Abs 3 S 1 StGB, § 176 StGB vom 30.11.2020, § 176c StGB, § 184b StGB vom 30.11.2020, Art 316l StGBEG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2022, Az. 3 StR 179/22 (REWIS RS 2022, 8718)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8718

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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