Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2023, Az. 2 AZR 114/22

2. Senat | REWIS RS 2023, 9851

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Tenor

1. Die Revision des [X.] und die [X.] der Beklagten zu 1. gegen das Urteil des [X.] vom 15. Dezember 2021 - 12 Sa 601/21 - werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die Kosten zweiter Instanz wie folgt verteilen:

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des [X.] haben der Kläger 97 % und die Beklagte zu 1. 3 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. hat diese selbst zu 11 % und der Kläger zu 89 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. hat der Kläger zu tragen.

2. Von den Gerichtskosten des Revisionsverfahrens und den außergerichtlichen Kosten des [X.] haben der Kläger 96 % und die Beklagte zu 1. 4 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. hat diese selbst zu 11 % und der Kläger zu 89 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Unter Bezugnahme auf die Leitentscheidung des Senats vom 1. Juni 2023 (- 2 [X.] -) wird entsprechend § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestands abgesehen. Das vorliegende Verfahren betrifft zusätzlich eine vom Kläger gegen die Beklagte zu 1. geltend gemachte [X.] für die Monate November und Dezember 2020.

Entscheidungsgründe

2

Die Revision des [X.] und die [X.] der Beklagten zu 1. sind unbegründet. Das [X.] hat die Berufungen des [X.] gegen die die [X.] abweisenden erstinstanzlichen Urteile zu Recht zurückgewiesen. Die Kündigungen beider Beklagten sind wirksam. Die Auslegung des Betriebsbegriffs des § 24 Abs. 2 [X.] durch das Berufungsgericht erweist sich zwar als rechtsfehlerhaft. Einer hierauf gestützten Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bedarf es indes nicht, da sich die Entscheidung im Ergebnis als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Das [X.] hat ferner zu Recht die erstinstanzliche Entscheidung auf Antrag des [X.] teilweise abgeändert und die Beklagte zu 1. zur Zahlung der [X.] für die Monate November und Dezember 2020 an ihn verurteilt.

3

I. Die [X.] Gerichte sind international zuständig (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 19 f.).

4

II. Auf die Arbeitsverhältnisse des [X.] mit beiden Beklagten fand [X.] Recht Anwendung (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 21 ff.).

5

III. Die Kündigung der Beklagten zu 1. vom 10. September 2020 ist wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des 31. Dezember 2020 beendet.

6

1. Die Kündigungserklärung ist entgegen der Ansicht des [X.] nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 25 ff.).

7

2. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 [X.]. Die Beklagte zu 1. hat ihren Flugbetrieb in [X.] stillgelegt.

8

a) Der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eröffnet, wie das [X.] im Ergebnis zutreffend erkannt hat. Die Beklagte zu 1. hat einen Luftverkehrsbetrieb iSv. § 24 Abs. 2 [X.] im Inland unterhalten, in dem mehr als zehn Arbeitnehmer iSv. § 23 Abs. 1 [X.] beschäftigt wurden. Das Berufungsgericht hat allerdings rechtsfehlerhaft den Begriff des Luftverkehrsbetriebs im Inland zu eng gefasst allein auf den Standort der Beklagten zu 1. in [X.] bezogen. Deren in [X.] stationierte Flugzeuge hat es nicht in den Blick genommen. Erst die Gesamtheit dieser Luftfahrzeuge bildete den Luftverkehrsbetrieb der Beklagten zu 1. im Inland (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 32 ff.).

9

b) Für die Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 [X.] ist es ohne Bedeutung, dass der Kläger mit der Beklagten zu 1. in seinem Arbeitsvertrag vom Februar 2018 ursprünglich die Geltung [X.] Rechts vereinbart hatte (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 38).

c) Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht sozial ungerechtfertigt. Es liegen dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 [X.] vor. Die Beklagte zu 1. hat ihren Luftverkehrsbetrieb in [X.] - auch unter Berücksichtigung der am Flughafen [X.] stationierten Flugzeuge - vollständig stillgelegt, wobei die Stilllegung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hatte (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 39 ff.).

d) Das Berufungsgericht hat ohne revisiblen Fehler festgestellt, dass kein einer Betriebsstilllegung entgegenstehender (vgl. [X.] 14. Mai 2020 - 6 [X.] - Rn. 91, [X.]E 170, 244) Betriebs(teil)übergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. vorliegt. Dementsprechend scheidet auch eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB aus (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 45 ff.).

e) Es bestand keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auf einem anderen freien Arbeitsplatz (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 54 ff.).

3. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht wegen einer formal oder inhaltlich fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 [X.] iVm. § 134 BGB nichtig. Dabei kann offenbleiben, ob Verstöße im Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 [X.] überhaupt zur Nichtigkeit einer Kündigung führen können (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 58 ff.).

IV. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist ebenfalls wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des 31. Dezember 2020 beendet.

1. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 74).

2. Sie bedurfte keiner [X.] Rechtfertigung, weil der Kläger noch nicht die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 Abs. 1 [X.] absolviert hat (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 76 ff.).

3. Die Kündigung der Beklagten zu 2. erweist sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB oder einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 [X.] als unwirksam oder nichtig (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 86).

V. Da der Kläger den Antrag auf Feststellung, dass sein mit der Beklagten zu 1. bestehendes Arbeitsverhältnis ab dem 1. November 2020 mit der Beklagten zu 2. fortbesteht, ausdrücklich als sein „vordringliches Klageziel“ bezeichnet hat, war über ihn als Hauptantrag zu entscheiden. Der auf einen Betriebsübergang abzielende Feststellungsantrag ist aber unbegründet, da ein Betriebsübergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. nicht erfolgt ist (vgl. oben Rn. 11).

VI. Der gegen die Beklagte zu 2. gerichtete Weiterbeschäftigungsantrag ist ein unechter Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem [X.] und fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (vgl. [X.] 22. Juli 2021 - 2 [X.] - Rn. 45).

VII. Die [X.] der Beklagten zu 1. ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger stehen die ihm vom [X.] für die Monate November und Dezember 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zuerkannten Ansprüche auf Zahlung der [X.] iHv. 1.219,52 Euro brutto bzw. 2.082,04 Euro brutto jeweils [X.] Zinsen zu.

1. [X.] sind zulässig, da es sich hierbei bereits in der Berufungsinstanz um [X.] gehandelt hat. Eine doppelte Rechtshängigkeit iSv. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor, da die weiteren Anträge gegen die Beklagte zu 1. rechtskräftig als unzulässig abgewiesen worden sind. Die Annahme des [X.]s, die Voraussetzungen des § 533 ZPO lägen vor, ist im Revisionsverfahren in entsprechender Anwendung des § 268 ZPO nicht mehr zu überprüfen (vgl. [X.] 14. Dezember 2017 - 2 [X.] - Rn. 23, [X.]E 161, 198).

2. Die Anträge sind auch begründet. Der Anspruch des [X.] ergibt sich aus § 611a Abs. 2, § 615 Satz 1 BGB.

a) Die Beklagte zu 1. befand sich aufgrund des Schreibens vom 19. Oktober 2020 und der damit verbundenen Entbindung des [X.] von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung in Annahmeverzug. Aufgrund dieses Schreibens bedurfte es auch keines Angebots der Arbeitsleistung, da offensichtlich war, dass die Beklagte zu 1. ein solches nicht annehmen würde (vgl. [X.] 15. Dezember 2022 - 2 [X.] - Rn. 41). Der von der Beklagten zu 1. hervorgehobene fehlende Beschäftigungsbedarf für den Kläger ändert nichts an ihrer Vergütungspflicht während des Laufs der Kündigungsfrist. Die Annahme des Berufungsgerichts, für einen Ausschluss von Ansprüchen gemäß § 615 Satz 1 BGB fehle es an einer eindeutigen und klaren Vereinbarung (vgl. [X.] 22. April 2009 - 5 [X.]/08 - Rn. 22, [X.]E 130, 331), ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

b) Das fortzuzahlende Entgelt ist nach dem Lohnausfallprinzip zu bemessen (vgl. [X.] 7. November 2002 - 2 [X.], [X.]E 103, 265). Mangelt es bei schwankender Vergütung an Vereinbarungen oder anderen festen Anhaltspunkten für die Frage des mutmaßlich erzielten Entgelts, ist gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen. Dabei kann die vom Arbeitnehmer bis zum Eintritt des Annahmeverzugs erzielte Vergütung einen Anhaltspunkt liefern (vgl. [X.] 18. September 2001 - 9 [X.] 1 c aa der Gründe). Hinsichtlich der als Schätzung iSv. § 287 Abs. 2 ZPO zu verstehenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Annahmeverzugsanspruchs des [X.] sind weder revisionsrechtlich erhebliche Fehler zu erkennen noch werden solche von der Beklagten zu 1. aufgezeigt.

VIII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO iVm. den Grundsätzen der sog. [X.]schen Kostenformel. Die Kostenentscheidung des [X.]s kann nach § 308 Abs. 2 ZPO durch den Senat auch ohne entsprechende Anträge der Parteien abgeändert werden (vgl. [X.] 16. Oktober 1974 - 4 [X.] - zu VII der Gründe, [X.]E 26, 320; MüKoZPO/[X.] 6. Aufl. § 308 Rn. 29).

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Cl. Peter    

        

    T. Prinz    

                 

Meta

2 AZR 114/22

14.12.2023

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 5. Mai 2021, Az: 8 Ca 1000/21, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2023, Az. 2 AZR 114/22 (REWIS RS 2023, 9851)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9851

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