Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2011, Az. VII ZR 136/11

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 91

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VII ZR 136/11
Verkündet am:

22. Dezember 2011

Schick,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB §§ 254 Abs. 2 Satz 1 Dc, 242 Ba
Haftet der wegen eines Fehlers bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes zum Schadensersatz verpflichtete Tierarzt neben dem Verkäufer als Gesamtschuldner, trifft den Käufer grundsätzlich nicht die Obliegenheit, zur Schadensminderung [X.] seine Ansprüche gegen den Verkäufer gerichtlich geltend zu machen.

[X.], Urteil vom 22. Dezember 2011 -
VII ZR 136/11 -
OLG [X.]

LG Kiel

-
2
-
Der VII.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 8.
Dezember
2011
durch den
Vorsitzen[X.]
Dr.
[X.], [X.]
Kuffer, [X.], die Richterin [X.] und [X.]
Leupertz
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13.
Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 26.
Mai
2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von dem [X.], einem Tierarzt, Schadenser-satz wegen einer mangelhaft durchgeführten Ankaufsuntersuchung.
Die
Klägerin erwarb im September 2008 die Stute L. zum Kaufpreis von 2.000

Auftrag eine Ankaufsuntersu-chung durchgeführt hatte. In dem [X.] ist vermerkt:
"Verhalten: lebhaft; [X.]: 18/Minute;
Palpation des Rückens: erhöhte Drucksensibilität BWS/LWS;
Bewegungsappa-1
2
-
3
-
rat/Ruheuntersuchung/Sehnen/Muskeln: verändert, schwach be-
muskelt."
Einige Wochen nach Abschluss des Kaufvertrags stellte eine Tierärztin eine geringgradige Lahmheit hinten rechts, eine Taktunsauberkeit vorne links und eine auf Druck schmerzhafte arthrotische
Rückenmuskulatur fest. Im Mai 2009 bescheinigte ein weiterer Tierarzt eine spontane Lahmheit vorne rechts und typische Symptome [X.] (recurrent airway obstruction).
Die
Klägerin leitete zunächst ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Verkäuferin ein, machte aber anschließend gegen diese keine Gewährleis-tungsansprüche geltend.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe die bereits zum Zeitpunkt der Ankaufsuntersuchung vorliegenden gesundheitlichen Probleme des Pferdes nicht erkannt. Er habe sie daher so zu stellen, als hätte sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt, den [X.] zu verurtei-len, an sie 8.225,77

(Kaufpreis, Aufwendungen für Eigentumsumschreibung, Haftpflichtversicherung, Beritt, Hufschmied, tierärztliche Behandlungen, Futter und Unterbringung, Gerichts-
und Anwaltskosten für das selbständige
Beweis-verfahren) nebst Zinsen Zug
um Zug gegen Übertragung des Eigentums an dem Pferd zu zahlen. Darüber hinaus hat sie beantragt festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Abnahme der Stute in Annahmeverzug befinde
und er bis zur Übergabe des Pferdes verpflichtet sei, die Futter-
und Unterhaltskosten zu zahlen.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin
ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
3
4
5
6
-
4
-
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur [X.] an das Berufungsgericht.

I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in [X.], 208 abge-druckt ist, vertritt die Auffassung, der Klägerin stehe ein werkvertraglicher Schadensersatz nach §
634 Nr.
4, §
280 BGB nicht zu.
Es könne dahinstehen, ob der Beklagte gegen seine Pflichten bei der Ankaufsuntersuchung verstoßen habe. Denn eine eventuelle Haftung des [X.] sei gegenüber der Kaufgewährleistungshaftung der Verkäuferin nach-rangig. Verkäuferin und Tierarzt hafteten nicht gesamtschuldnerisch, weil es an der Gleichstufigkeit ihrer Verpflichtungen fehle. Denn die Klägerin könne von der Verkäuferin Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses verlangen, während der beklagte Tierarzt Ersatz des [X.] schulde. [X.] hinaus stünden sich aus Gläubigerperspektive im Außenverhältnis die Schuldner nicht gleichwertig gegenüber. Denn Verkäuferin und Tierarzt stünden bezogen auf das Kaufgeschäft nicht im selben Lager und verfolgten kein ge-meinsames Interesse.
Unabhängig davon sei
die Haftung des [X.] auch gemäß §
254 Abs.
2 Satz
1, §
242 BGB gegenüber derjenigen der Verkäuferin nachrangig. Diese sei näher am [X.]. Das Schwergewicht der [X.] liege bei dem Kaufvertrag, während dem Werkvertrag nur eine Bera-tungsfunktion zukomme. Der untersuchende Tierarzt habe an dem Vorliegen des bereits zuvor in der Sphäre der Verkäuferin entstandenen Mangels keinen 7
8
9
10
-
5
-
Anteil. Es sei daher sachnäher,
zunächst
die Rückabwicklung des Kaufvertrags zu betreiben und damit den Vermögensschaden von der Käuferin abzuwenden. Betrachte man das Verhältnis zwischen dem geltend gemachten Schaden und den
Kosten der Ankaufsuntersuchung in Höhe von 110

er dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm abzuverlangen, zunächst Ge-währleistungsansprüche gegen die Verkäuferin geltend zu machen. Ansprüche gegen den Tierarzt könnten deshalb nur bestehen, soweit das von ihm ge-schuldete negative Interesse das von der Verkäuferin auszugleichende positive Interesse übersteige. Dies sei hier nicht der Fall.

II.
Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Abweisung der Klage durch das [X.] bestätigt hat, halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Für das Revisionsverfahren ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass der Beklagte entsprechend dem Vortrag der Klägerin seine Pflichten aus dem Vertrag über die [X.] verletzt, insbesondere das
Pferd mangelhaft untersucht und [X.] die bei ihm vorliegenden erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht festgestellt hat.
2. Bei diesem unterstellten Sachverhalt hat das Berufungsgericht rechts-fehlerhaft einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den [X.] verneint.
a) Noch zutreffend stellt das Berufungsgericht fest, dass der
Tierarzt bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes nicht nur verpflichtet ist, die Untersu-11
12
13
14
-
6
-
chung ordnungsgemäß durchzuführen, sondern er seinem Auftraggeber auch deren Ergebnis, insbesondere Auffälligkeiten des Tieres,
mitzuteilen
hat.
Der mit der Ankaufsuntersuchung beauftragte Tierarzt schuldet einen fehlerfreien Befund. Erfüllt er insoweit seine Pflichten nicht, haftet er, weil der Vertrag als Werkvertrag einzuordnen ist (vgl. [X.], Urteil vom 5.
Mai
1983 -
VII
ZR
174/81, [X.]Z 87, 239), gemäß §
634 Nr.
4, §
280 Abs.
1 BGB auf Ersatz des Scha-dens, der bei dem Vertragspartner dadurch entstanden ist, dass er das Pferd aufgrund des fehlerhaften Befundes erworben hat. In der Revision ist zu unter-stellen, dass der für das Pferd gezahlte Kaufpreis und die weiteren infolge des Kaufvertrags von der Klägerin getätigten Aufwendungen ersatzfähige Schäden sind.

b) Das Berufungsgericht nimmt an, dass der Beklagte der Klägerin [X.] nicht zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil die eventuelle Haftung des Tierarztes gegenüber
der Kaufgewährleistungshaftung
der Verkäuferin nach-rangig sei und eine gesamtschuldnerische Haftung beider daher nicht in [X.] komme.

aa) Das ist schon deshalb
rechtsfehlerhaft, weil der Beklagte der Kläge-rin auch dann auf Schadensersatz haften würde, wenn eine Gesamtschuld nicht vorläge.
In diesem Fall würde sich allenfalls die Frage
stellen, ob der Beklagte gemäß §
255 BGB die Abtretung der Ansprüche gegen den Verkäufer verlan-gen könnte.
bb) Im Übrigen geht das Berufungsgericht
auch
rechtsirrtümlich
davon aus, dass zwischen dem [X.] und der Verkäuferin keine Gesamtschuld besteht.
Die Verpflichtungen der Verkäuferin auf Rückabwicklung des [X.] und des beklagten Tierarztes auf Ersatz des der Klägerin infolge des Ab-15
16
17
18
-
7
-
schlusses des Kaufvertrags entstandenen Vermögensschadens stehen gleich-stufig nebeneinander. Die Gleichstufigkeit der Verpflichtungen ergibt sich [X.], dass sowohl die Verkäuferin als auch der Beklagte für den infolge der Kaufpreiszahlung entstandenen Vermögensnachteil aufzukommen haben
und auch die Kosten für den Unterhalt des Pferdes mit einer Geldzahlung er-setzen müssen, ohne dass einer der Schuldner nur subsidiär oder vorläufig für die andere Verpflichtung einstehen
muss (vgl. [X.], Urteil vom 28.
November
2006 -
VI
ZR
136/05, NJW 2007, 1208). Auf die Einordnung als Rückzahlung gemäß §
346 BGB beziehungsweise als Verwendungsersatz ge-mäß §
347 Abs.
2 BGB oder als Schadensersatz kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses oder des positiven Interesses geltend gemacht wird. Auch ist unerheblich, dass die Verkäuferin möglicherweise trotz fehlenden Verschuldens haftet, während die Haftung des [X.] Verschulden voraussetzt. Gleiches gilt für den Umstand, dass Verkäuferin und Tierarzt, bezogen auf das Kaufgeschäft, nicht im selben Lager stehen und kein gemeinsames Interesse verfolgen. Ohne Belang ist auch, dass beide unterschiedliche Hauptleistungspflichten zu erfüllen haben. Entscheidend ist allein, dass sowohl die Verkäuferin als auch der beklagte Tier-arzt verpflichtet sind, die entsprechenden Aufwendungen zu ersetzen und damit ein inhaltsgleiches Gläubigerinteresse zu befriedigen. Beide haben für die Be-seitigung des gleichartigen Vermögensnachteils einzustehen, den die Klägerin dadurch erlitten hat, dass jeder von ihnen seine vertraglichen Pflichten nicht erfüllt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 1.
Februar
1965
-
GSZ
1/64, [X.]Z 43, 227, 230; Urteil vom 19.
Dezember
1968 -
VII
ZR
23/66, [X.]Z 51, 275, 277). Daran ändern auch die Erwägungen nichts, mit denen das Berufungsgericht eine größere Sachnähe der Verkäuferin begründen will. Diese Erwägungen [X.] im Übrigen unberücksichtigt, dass der Tierarzt mit einem fehlerhaften Be-fund zur Ankaufsuntersuchung die eigentliche Ursache für den Ankauf gesetzt -
8
-
haben kann und bagatellisieren damit zu Unrecht die Aufklärungsfunktion der Ankaufsuntersuchung.
c) Das Urteil des Berufungsgerichts wird
schließlich
auch nicht von der Erwägung getragen, die Klägerin müsse gemäß §§
242, 254 Abs.
2 Satz
1 BGB zunächst die
Verkäuferin in Anspruch nehmen.
Dem Gläubiger steht es frei, welchen Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt.
Ihm kann deshalb grundsätz-lich nicht als Verschulden bei der Obliegenheit zur Schadensminderung ange-lastet
werden, den Schuldner seiner Wahl in Anspruch genommen zu haben. Allerdings darf der Gläubiger bei seiner Entscheidung, gegen welchen Schuld-ner er vorgeht,
nicht jede Rücksichtnahme vermissen lassen. Er hat vielmehr seine Rechte nach [X.] und Glauben auszuüben, §
242 BGB. So kann der [X.] ausnahmsweise gehindert sein, einen Architekten wegen eines Bau-aufsichtsfehlers in Anspruch zu nehmen, wenn und soweit er auf einfachere, insbesondere billigere Weise von dem Unternehmer die Beseitigung des Man-gels verlangen kann ([X.], Urteil vom 2.
Mai
1963 -
VII
ZR
171/61, [X.]Z 39, 261, 264). Ein Verstoß gegen [X.] und Glauben liegt auch dann vor, wenn der Gläubiger sich nur deswegen an einen von mehreren Gesamtschuldnern
halten und ihm das [X.] aufbürden würde, weil er aus missbilligenswerten Motiven die Absicht hat, gerade diesen Schuldner zu belasten ([X.], Urteil vom 26.
Juli
2007 -
VII
ZR
5/06, [X.], 1875 =
NZBau 2007, 721 =
[X.] 2007, 784).
Der Senat muss abschließend nicht entscheiden, inwieweit
es auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Pferd letztlich an den Verkäufer zurückzugeben sein dürfte, geboten sein kann, den Verkäufer zunächst auf Rückabwicklung des Vertrages in Anspruch zu nehmen. Das wäre jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn die Rückabwicklung der einfachere und jedenfalls nicht aufwändigere Weg der Schadloshaltung wäre (vgl. [X.]/[X.], 19
20
-
9
-
BGB, 2005, §
427 Rn.
29). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Die Verkäuferin ist nicht bereit, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Pferdes den Kaufpreis zurückzuzahlen und der Klägerin die notwendigen Verwendun-gen auf das Tier zu ersetzen. Zu einer gerichtlichen Geltendmachung ihrer [X.] gegen die Verkäuferin ist die Klägerin vor einer Inanspruchnahme des [X.] gemäß §
242 BGB nicht verpflichtet.
Unerheblich ist der Umstand, dass die Klägerin gegen die Verkäuferin ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet hat. Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie die gerichtliche Aus-einandersetzung mit der Verkäuferin meidet und diese mit dem [X.] sucht. Welche Kosten die Ankaufsuntersuchung verursacht hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.

[X.]

Kuffer

[X.]

[X.]

Leupertz
Vorinstanzen:
LG Kiel, Entscheidung vom 25.06.2010 -
2 O 16/10 -

OLG [X.], Entscheidung vom 26.05.2011 -
13 [X.] -

Meta

VII ZR 136/11

22.12.2011

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2011, Az. VII ZR 136/11 (REWIS RS 2011, 91)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 91

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII ZR 136/11 (Bundesgerichtshof)

Gewährleistung beim Pferdekauf: Schadensmindernde Inanspruchnahme des gesamtschuldnerisch mit dem Tierarzt haftenden Verkäufers bei Fehlern bei …


VII ZR 129/11 (Bundesgerichtshof)

Ankaufsuntersuchung eines Pferdes durch einen Tierarzt: Schadensersatzanspruch des Käufers bei mangelhafter Befunderhebung; gesamtschuldnerische Haftung von …


I-8 U 84/08 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


VII ZR 129/11 (Bundesgerichtshof)


VII ZR 164/11 (Bundesgerichtshof)

Haftung des Tierarztes: Schadensersatzanspruch beim Kauf eines Pferdes auf Grund befundfehlerhafter Ankaufsuntersuchung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VII ZR 136/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.