Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.09.2022, Az. 1 WB 28/21

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2022, 8659

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Gegenstand

Feststellung eines Sicherheitsrisikos (Ü 3); Verschweigen einer Dienstreise; Begriff der Beziehung


Tenor

Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im [X.] vom 6. Oktober 2020 (...) wird aufgehoben.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem [X.] einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem [X.] auferlegt.

Tatbestand

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines [X.] in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen ([X.] 3).

2

Der 1963 geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Er wurde am 6. April 2005 zum Oberstleutnant befördert. Seine Dienstzeit endet voraussichtlich am 30. September 2024. Zum Zeitpunkt der Abgabe der letzten Sicherheitserklärung war er in der Dienststelle [X.]/[X.] Anteil ... als Stabsoffizier Kommunikation Streitkräfte eingesetzt. Nach Feststellung des Bestehens eines [X.] wurde der Antragsteller an das ... nach ... versetzt. Dort wird er nicht in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit eingesetzt.

3

Für den Antragsteller war bereits im [X.] eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen ([X.] 3) durchgeführt worden. Dabei wurde bekannt, dass der Antragsteller eine Dienstreise im Jahr 2005 nach [X.] nicht unter Punkt 8.2 "Beziehungen in [X.] gem. § 13 Abs. 1 Nr. 17 S[X.]G/Reisen" angegeben hatte, obwohl [X.] zu diesem Zeitpunkt auf der [X.]liste aufgeführt war. Die [X.]berprüfung wurde gleichwohl vom [X.]n im [X.] ohne die Feststellung eines [X.] abgeschlossen. Der Antragsteller wurde aber aktenkundig darüber belehrt, dass er in dienstlichen Angelegenheiten wahrheitsgemäße und vollständige Angaben zu machen habe und dass dies auch für dienstlich veranlasste Aufenthalte in [X.] gem. § 13 Abs. 1 Nr. 17 S[X.]G gelte.

4

Bei der [X.] gab der Antragsteller am 3. Februar 2019 eine Sicherheitserklärung ab. Unter Punkt 8.2 "Beziehungen in [X.] gem. § 13 Abs. 1 Nr. 17 S[X.]G/Reisen" trug er fünf Dienstreisen seiner Lebensgefährtin in [X.] auf der sog. [X.]liste ein. Die Angabe seiner Dienstreise nach [X.] im Jahr 2005 erfolgte in dem Antrag wiederum nicht. Die Frage unter Punkt 8.4 nach sonstigen Beziehungen in diese [X.] verneinte der Antragsteller.

5

Unter dem 2. Juli 2020 nahm der Antragsteller die Gelegenheit wahr, schriftlich zu den sicherheitsrelevanten Erkenntnissen Stellung zu nehmen. Eine persönliche Anhörung des Antragstellers durch den [X.]n im [X.] fand am 19. August 2020 statt. Seine Lebensgefährtin wurde nicht befragt.

6

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2020, dem Antragsteller am 15. Oktober 2020 eröffnet, schloss der [X.] im [X.] die Sicherheitsüberprüfung mit der Feststellung eines [X.] ab. Es bestünden Zweifel an der Zuverlässigkeit der Person des Antragstellers im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 S[X.]G aufgrund unwahrer Angaben im Sicherheitsüberprüfungsverfahren. Er habe erneut seine 2005 durchgeführte Dienstreise nach [X.] nicht angegeben und damit die Auflage des [X.]n des [X.] aus dem [X.] missachtet. Außerdem habe er nur die Reisen, nicht aber die geschäftlichen Kontakte seiner Lebensgefährtin in anzeigepflichtige [X.] angegeben. In seiner persönlichen Anhörung habe der Antragsteller ferner eingeräumt, wiederholt Kontakt zu einem afghanischen Berater für interkulturelle Kommunikation und Kompetenz an der ... gehabt zu haben, der als "sonstige Beziehung" in der Sicherheitserklärung ebenfalls hätte aufgeführt werden müssen. In der Gesamtschau bestünden nicht zurückstellbare Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Antragstellers bei der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Die Wirkungsdauer der Feststellung wurde auf zwei Jahre beschränkt.

7

Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom 28. Oktober 2020, am selben Tag per Fax beim [X.] eingegangen, die Entscheidung des [X.] beantragt. Das [X.] hat den Antrag mit seiner Stellungnahme dem Senat am 14. Juni 2021 vorgelegt.

8

Zur Begründung führt der Antragsteller aus, die Feststellung eines [X.] sei rechtswidrig. Richtig sei, dass er die Dienstreise nach [X.] und die Kontaktpersonen seiner Lebensgefährtin in der Sicherheitserklärung nicht angegeben habe. Er habe dies aber nicht bewusst verschwiegen. Die hohe Arbeitsbelastung und kurze Bearbeitungsfrist habe zu dem Fehler geführt, dass er sich an die [X.]reise und die Auflage aus der vorangegangenen Entscheidung nicht mehr erinnert habe. Seine Sicherheitsakte werde beim [X.] und nicht in seiner Einheit geführt, sodass eine Einsicht nicht möglich gewesen sei. Er habe nicht damit gerechnet, dass er die Kontaktpersonen bei den Reisen seiner Lebensgefährtin angeben müsse. Sie habe bei ihren Reisen nach [X.] und [X.] die Teams ihres Unternehmens vor Ort besucht und sei nur sporadisch mit Geschäftspartnern in Kontakt gekommen. Bereits in seiner Anhörung habe er angeboten, die Kontakte seiner Lebensgefährtin nachzureichen. Eine Reaktion hierauf sei ausgeblieben. Zudem berücksichtige die Prognoseentscheidung fehlerhaft den Umstand nicht, dass er auf einem sicherheitsempfindlichen Dienstposten befördert worden sei. Mit der Ernennung zum Oberstleutnant habe der Dienstherr ihm seine Zuverlässigkeit bescheinigt. Bei der Betrachtung seiner Gesamtpersönlichkeit seien ferner seine Vorgesetzten nicht zu seiner Zuverlässigkeit befragt worden.

9

Der Antragsteller beantragt,

den Bescheid des [X.]n im [X.] vom 6. Oktober 2020 aufzuheben und den [X.] zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Das [X.] beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der [X.] habe seiner Entscheidung den richtigen Sachverhalt zugrunde gelegt, die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt und fehlerfrei gewürdigt. Das Vorbringen, zeitlich belastet gewesen zu sein, sei als Schutzbehauptung zurückzuweisen. Zeitdruck könne keine Entschuldigung sein und lasse vermuten, dass der Sorgfaltsmaßstab des Antragstellers situationsabhängig sei. Eine nachträgliche Auflistung der Auslandsreisen seiner Lebensgefährtin könne die ursprüngliche Unvollständigkeit der Angaben nicht ausräumen. Fehlerhaft seien die Ausführungen des Antragstellers, der Dienstherr habe mit der Beförderung zum Oberstleutnant dessen Zuverlässigkeit manifestieren wollen. Die Beförderung bezöge sich auf dessen Eignung, Befähigung und Leistung allgemein und nicht auf die sicherheitsempfindliche Tätigkeit im Speziellen. Andernfalls sei die Sicherheitsüberprüfung in diesen Fällen obsolet. Eine Anhörung der Vorgesetzten sehe das Gesetz nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des [X.] und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat größtenteils Erfolg.

1. Er ist überwiegend zulässig.

a) Die Feststellung eines [X.] gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 [X.] kann durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den [X.] mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Bescheides angefochten werden (vgl. [X.], Beschluss vom 17. April 2019 - 1 [X.] 3.19 - juris Rn. 17 m. [X.]). Die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.]O (hier in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 1 [X.]O) folgende Zuständigkeit der [X.], die die dienstliche Verwendung eines Soldaten betreffen, erstreckt sich auch auf die [X.]berprüfung sicherheitsrechtlicher Bescheide im Sinne des § 14 Abs. 3 [X.], weil mit der Feststellung des [X.] über die Frage des Bestehens eines [X.] im [X.] über die sicherheitsrechtliche Eignung eines Soldaten für eine bestimmte dienstliche Verwendung entschieden wird ([X.], Beschluss vom 20. November 2012 - 1 [X.] 21.12 und 1 [X.] 22.12 - juris Rn. 24).

b) Unzulässig mangels Antragsbefugnis ist allerdings der Antrag, das [X.] zu verpflichten, über die [X.] 3-Sicherheitsfreigabe hinsichtlich des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden ([X.], Beschlüsse vom 21. Juli 2016 - 1 [X.] 35.15 - [X.] 402.8 § 5 [X.] Nr. 30 Rn. 25 und vom 18. Dezember 2019 - 1 [X.] 6.19 - juris Rn. 26). Der Antragsteller ist derzeit nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut. Sofern die Personalführung eine entsprechende Verwendung künftig beabsichtigen sollte, ist er vorher einer - an den Anforderungen des jeweiligen Dienstpostens orientierten - Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Hierzu ist die zuständige Stelle von Amts wegen verpflichtet. Der Antragsteller hat jedenfalls keinen Anspruch darauf, dass eine von einer konkret beabsichtigten Betrauung mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit unabhängige Sicherheitsüberprüfung gleichsam "auf Vorrat" durchgeführt wird, etwa um seine Bewerbungschancen für bestimmte Dienstposten zu erhöhen ([X.], Beschluss vom 21. Juli 2016 - 1 [X.] 35.15 - [X.] 402.8 § 5 [X.] Nr. 30 Rn. 25).

2. Soweit der Antrag zulässig ist, ist er begründet. Die Feststellung eines [X.] in dem Bescheid des [X.] im [X.] vom 6. Oktober 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.

a) Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Antrags auf gerichtliche Entscheidung durch das [X.] beim Senat (stRspr, vgl. z. B. [X.], Beschluss vom 11. März 2008 - 1 [X.] 37.07 - [X.]E 130, 291 Rn. 35), hier mithin der 14. Juni 2021. Bis zu diesem Zeitpunkt können in Ergänzung der Entscheidung des [X.] und mit dessen Zustimmung tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines [X.], einschließlich der dabei zu treffenden Prognose, in das Verfahren eingeführt werden (stRspr, vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. September 2007 - 1 [X.] 7.07 - [X.] 402.8 § 14 [X.] Nr. 13 Rn. 23, vom 30. Januar 2014 - 1 [X.] 47.13 - juris Rn. 29 und vom 17. April 2019 - 1 [X.] 3.19 - juris Rn. 22).

Die [X.]berprüfung von Angehörigen der [X.] auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl. z. B. [X.], Beschluss vom 11. März 2008 - 1 [X.] 37.07 - [X.]E 130, 291 Rn. 23 m. [X.]). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle - hier: dem [X.] im [X.] - aufgrund einer an diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.]).

Dem [X.] steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der [X.] von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, z. B. [X.], Beschluss vom 21. Juli 2011 - 1 [X.] 12.11 - [X.]E 140, 384 Rn. 24 ff. m. [X.]).

Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für einen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 [X.] bestehen. Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 [X.]). Die Feststellung eines [X.], die zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine "Beweislast", weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der [X.] bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr, z. B. [X.], Beschluss vom 30. Mai 2012 - 1 [X.] 58.11 - juris Rn. 30).

b) Die Feststellung eines [X.] durch den hierfür zuständigen [X.] im [X.] (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 [X.]) ist nicht aus formellen Gründen aufzuheben.

aa) Der Antragsteller hatte Gelegenheit, sich vor Feststellung des [X.] zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen persönlich zu äußern (§ 14 Abs. 3 Satz 4 [X.] i. V. m. § 6 Abs. 1 [X.]; vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 26. November 2013 - 1 [X.] 57.12 - [X.]E 148, 267 Rn. 54 ff.). Davon hat er auch am 19. August 2020 Gebrauch gemacht.

bb) Dass die Lebensgefährtin des Antragstellers nicht als mitbetroffene Person im Sinne von § 14 Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 6 Abs. 2 [X.] angehört worden ist, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Bei der Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen im Sinne von § 10 [X.] soll zwar die nichteheliche Lebensgefährtin nach der Bestimmung des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] generell in die [X.]berprüfung als mitbetroffene Person einbezogen werden. Damit sind Partnerinnen gemeint, mit denen ein Soldat - wie hier - in einer auf Dauer angelegten [X.] zusammenlebt (vgl. [X.], [X.], 1. Aufl. 2019, § 2 Rn. 23). Da der [X.] keine Ausnahmeentscheidung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 [X.] getroffen hat, hätte die Lebensgefährtin des Antragstellers in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen und nach § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] angehört werden müssen.

Dieser Mangel hat sich aber jedenfalls nicht auf die Entscheidung ausgewirkt. Der [X.] hat seine Feststellung des [X.] ausschließlich auf tatsächliche Anhaltspunkte in der Person des Antragstellers gestützt und nicht auf tatsächliche Anhaltspunkte in der Person der Lebensgefährtin. [X.] wird dem Antragsteller nur, dass er die erforderlichen Angaben nach § 13 Abs. 1 Nr. 17 [X.] - über sich und seine Lebensgefährtin (§ 13 Abs. 3 [X.]) - unterlassen hat. Auch soweit seine Angaben die Lebensgefährtin betreffen, stellt der [X.] nur auf die den Antragsteller treffende Pflicht ab, diese Angaben vollständig zu machen. Der [X.] geht hiernach nicht davon aus, dass sich aus den Angaben zur Lebensgefährtin tatsächliche Anhaltspunkte ergeben hätten, die sich der Antragsteller als Sicherheitsrisiko hätte zurechnen lassen müssen; in diesem Fall musste er die Lebensgefährtin auch nicht anhören.

cc) Soweit der Antragsteller vorbringt, seine unmittelbaren Vorgesetzten seien nicht zu seiner Zuverlässigkeit befragt worden, liegt hierin kein Verfahrensfehler. Die Einholung einer Stellungnahme des [X.] wird vom [X.] nicht zwingend vorgeschrieben. Sie stellt nur ein zusätzliches Aufklärungs- und [X.] bei der Erhebung sicherheitsrechtlicher Erkenntnisse für den [X.] dar, von dem er im Rahmen des [X.] (§ 24 Abs. 1 VwVfG) Gebrauch machen kann. Zwingend geboten ist dies zur Sachaufklärung regelmäßig nicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn es - wie hier - um unstreitig durchgeführte Dienstreisen oder Aufenthalte eines Lebenspartners in Risikostaaten geht.

c) Die Feststellung eines [X.] ist aber materiell rechtswidrig. Der [X.] hat diese Feststellung auf eine Gesamtschau mehrerer fahrlässiger Wahrheitspflichtverletzungen gestützt. Die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]) ergeben sich nach seiner Beurteilung damit nicht aus einzelnen, jeweils selbständig tragenden, schwerwiegenden Pflichtverletzungen, sondern aus der Kumulation mehrerer weniger schwerer fahrlässiger Verstöße im Verfahren der Sicherheitsüberprüfung.

Diese Beurteilung hält einer gerichtlichen [X.]berprüfung nicht stand, weil nur eine der dem Antragsteller vorgeworfenen fahrlässigen Wahrheitspflichtverletzungen erwiesen ist. In den übrigen Fällen hat der [X.] zu Unrecht eine Pflichtverletzung angenommen.

aa) Soweit der [X.] darauf verweist, dass der Antragsteller die [X.]reise aus dem [X.] wahrheitswidrig nicht angegeben hat, geht er von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt aus und verkennt den Bewertungsmaßstab nicht. Falsche Angaben im Sicherheitsüberprüfungsverfahren sind grundsätzlich geeignet, die Feststellung eines [X.] im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] nach sich zu ziehen ([X.], Beschlüsse vom 31. Januar 2018 - 1 [X.] 24.17 - NVwZ 2019, 65 Leitsatz und Rn. 30 ff. m. [X.], vom 18. Dezember 2019 - 1 [X.] 6.19 - juris Rn. 39 und vom 30. September 2021 - 1 [X.] 18.21 - NVwZ-RR 2021, 1060 Rn. 48). Der [X.] hat auch das Gewicht dieses [X.] nicht überbewertet. Die unterbliebene Anzeige dieser lange zurückliegenden Dienstreise ist als fahrlässige Verletzung der Wahrheitspflicht und als [X.] zu werten.

bb) Hingegen hat der [X.] seinen Beurteilungsspielraum überschritten, indem er die unterbliebene Angabe der Kontaktdaten von den Personen beanstandet hat, die die Lebensgefährtin des Antragstellers bei ihren Auslandsreisen getroffen hat. Die undifferenzierte Einschätzung des [X.], bei allen angegebenen Dienstreisen der Lebensgefährtin des Antragstellers sei es zu meldepflichtigen Kontakten im Sinne der Nr. 8.4 der Sicherheitserklärung gekommen, verkennt den hierbei anzulegenden rechtlichen Maßstab. Denn an dieser Stelle der Sicherheitserklärung ist von "Beziehungen" und nicht lediglich von Kontakten die Rede. Es ist zwar erwiesen, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers bei ihren Reisen nach [X.] und [X.] nicht nur [X.] Vertretern des eigenen Unternehmens, sondern auch [X.] und [X.] Geschäftspartnern begegnet ist. Der Antragsteller hat aber plausibel und unwiderlegt vorgetragen, dass es sich dabei nur um einmalige und flüchtige Kontakte gehandelt habe, weil das operative Geschäft des Unternehmens durch die Mitarbeiter vor Ort oder das lokale Büro erfolgt sei.

Der [X.] verkennt den Begriff "Beziehung", wenn er auch solche Begegnungen darunter subsumiert. Zwar ist es für das Vorliegen einer Beziehung nach der Rechtsprechung des Senats nicht erforderlich, dass eine besondere persönliche Vertrautheit oder Intimität besteht ([X.], Beschluss vom 31. Januar 2018 - 1 [X.] 24.17 - NVwZ 2019, 65 Rn. 31). Für das Vorliegen einer geschäftlichen, wissenschaftlichen oder sonstigen Beziehung genügen jedoch aus Sicht eines objektiven Dritten einmalige oder sporadische Begegnungen nicht. Gelegentliche Kontakte - zumal im Rahmen von [X.] mit weiteren Kollegen - reichen nicht aus, um als "Beziehung" im Sinn von Punkt 8.4 der Sicherheitserklärung verstanden zu werden. Einen Nachweis dafür, dass die Lebensgefährtin intensivere berufliche Kontakte zu konkreten Einzelpersonen im ausländischen Geschäftsbereich ihres Unternehmens gepflegt hat, hat der [X.] nicht erbracht.

cc) Fehlerhaft ist auch die Annahme einer Meldepflicht in Bezug auf die berufliche Beziehung des Antragstellers zu dem interkulturellen Berater an der ... Nach der zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung geltenden "Anleitung zum Ausfüllen der Sicherheitserklärung" sind Kontakte zu ausländischen Staatsangehörigen im Inland nur dann anzugeben, wenn sie den in der Staatenliste genannten Staat vertreten. Der in dieser Version der Ausfüllanleitung benutzte Begriff "Vertreter" des ausländischen Staates ist weit zu verstehen, sodass neben Botschafts- oder Konsulatsangehörigen auch Personen als "Vertreter" anzusehen sind, die der staatlichen Sphäre des ausländischen Staates zuzurechnen sind und sich auch aufgrund ihrer der staatlichen Sphäre zuzurechnenden Funktion in [X.] aufhalten. Erfasst werden solche Kontakte, die in besonderer Weise die Gefahr einer Anbahnung oder Ausforschung durch ausländische Nachrichtendienste in [X.] begründen. Ein entsprechender Nachweis der Vertretereigenschaft des interkulturellen Beraters an der ... wurde nicht erbracht. Ausreichende Ermittlungen, die entsprechende tatsächliche Feststellungen erlauben, fehlen. Die Ausfüllanleitung fordert weiter, dass zu diesen Personen eine enge Verbindung unterhalten wird. Ein entsprechender Nachweis ist vom [X.] ebenfalls nicht geführt worden.

Im Ergebnis fehlt für die Feststellung eines [X.] nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] eine ausreichende Grundlage. Denn die der Feststellung zugrunde liegende Annahme mehrerer weniger gewichtiger Pflichtverletzungen hat sich nicht bestätigt, sodass eine [X.]berschreitung des Beurteilungsspielraums vorliegt.

d) Unabhängig davon, dass der [X.] seine Prognose nicht hierauf stützt, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der verbliebene Verstoß gegen die Wahrheitspflicht für sich genommen eine negative Prognose tragen könnte. Zwar muss sich der Antragsteller in tatsächlicher Hinsicht vorhalten lassen, in seiner Sicherheitserklärung vom 3. Februar 2019 eine von ihm durchgeführte Dienstreise nach [X.] im [X.] ungeachtet einer früheren Auflage nicht angegeben zu haben. Der [X.] erhöht auch das Gewicht dieser fahrlässigen Wahrheitspflichtverletzung. [X.] wird dieses Gewicht jedoch dadurch, dass die Dienstreise im [X.] bereits lange zurückliegt. Unabhängig von der weiterhin bestehenden Angabepflicht war die Dienstreise dem Dienstherrn darüber hinaus bekannt und von diesem veranlasst. Die Falschangabe hat den [X.] schon in der Vergangenheit nicht zu einer negativen Prognose veranlasst. Eine nunmehrige Berücksichtigung in diesem Sinne würde dem Verstoß ein Gewicht verleihen, dass zu seiner objektiven Bedeutung außer Verhältnis stünde. Es läge nahe, ein nicht zulässiges repressives Motiv hinter der Prognose zu vermuten. Insofern ist nicht feststellbar, dass der [X.] dieselbe Prognose auch ohne Vorliegen der anderen unzutreffend angenommenen Wahrheitspflichtverletzungen getroffen hätte.

3. [X.] beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 [X.]O und der Erwägung, dass der Antrag ganz überwiegend Erfolg hat (vgl. § 23a Abs. 2 [X.]O i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).

Meta

1 WB 28/21

29.09.2022

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WB

§ 5 Abs 1 S 1 Nr 1 SÜG, § 13 Abs 1 Nr 17 SÜG, § 14 Abs 3 S 1 SÜG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.09.2022, Az. 1 WB 28/21 (REWIS RS 2022, 8659)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8659

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