Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.01.2024, Az. VIa ZR 1291/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 594

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 12. August 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, soweit die [X.] zu 1, zu 3 und zu 4 zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb am 27. August 2018 für 30.500 € ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug [X.], das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe [X.] (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3

Das [X.] hat die auf Schadensersatz, Zahlung von [X.], Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des [X.] hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Für einen Schadensersatzanspruch des [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB fehle es sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch an dem Schädigungsvorsatz der Beklagten. Ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründe als solcher nicht die Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten, sondern dafür komme es darüber hinaus darauf an, dass die Verantwortlichen im Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und dass sie den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Anhaltspunkte hierfür habe der Kläger indessen nicht konkret dargetan.

7

Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den allein als Normen zur Umsetzung der Richtlinie 2007/46/[X.] in Betracht zu ziehenden § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV scheitere daran, dass in den zuletzt genannten Bestimmungen keine Schutzgesetze lägen. Hinzu komme, dass die Vorschriften allenfalls Neufahrzeuge beträfen. Er habe auch nicht substantiiert dargelegt, dass sein Fahrzeug entgegen der amtlichen Auskunft des [X.] der Gefahr einer Betriebsuntersagung ausgesetzt sei. Jedenfalls aber habe die Beklagte unter diesen Umständen nicht schuldhaft gehandelt. Anderes könne nur dann gelten, wenn der Hersteller gegenüber der Genehmigungsbehörde falsche Angaben gemacht habe. Das habe der Kläger aber nur pauschal behauptet.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV abgelehnt hat.

a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 29 bis 32). Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV trifft dabei den Fahrzeughersteller [entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts] nicht nur im Verhältnis zum Neuwagenkäufer, sondern im Verhältnis zu jedem späteren Käufer des Kraftfahrzeugs als Gebrauchtwagen ([X.], aaO, Rn. 75).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger auch als Käufer eines Gebrauchtwagens nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 20).

b) Einen Schadensersatzanspruch des [X.] gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV durfte das Berufungsgericht auch nicht gestützt auf die von ihm zum Verschulden angestellten Erwägungen verneinen.

Wie der Senat nach Erlass des hier angefochtenen Urteils entschieden hat, kann sich der Fahrzeughersteller hinsichtlich des im Rahmen dieses Anspruchs vermuteten Verschuldens zwar durch einen von ihm [X.] und zu beweisenden unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten. Der Fahrzeughersteller muss aber darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, [X.]Z 237, 245 Rn. 62) im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten ([X.], Urteil vom 25. September 2023 - [X.], [X.], 2064 Rn. 14 mwN). Der Irrtum muss außerdem die Rechtmäßigkeit der konkreten, in Rede stehenden Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten betreffen. Nur in Bezug auf einen in diesen Einzelheiten konkret festgestellten Irrtum der maßgebenden Personen kann der Sorgfaltsmaßstab der Fahrlässigkeit sinnvoll geprüft und kann die Unvermeidbarkeit festgestellt werden (zu den Maßstäben vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 63 ff.). Eine Entlastung ohne Rücksicht auf die aus den vorstehenden Erwägungen folgenden Sorgfaltspflichten, etwa mit Rücksicht darauf, dass der Verwendung von [X.] ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag oder dass nach den vom Berufungsgericht zitierten Angaben des [X.] rechtlich von ihm so bewertete unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien, kommt dagegen nach dem gesetzlichen Fahrlässigkeitsmaßstab nicht in Betracht (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 70; Urteil vom 25. September 2023, aaO, [X.], 2064 Rn. 14). Diesen Maßstäben wird die vor Erlass der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ergangene angegriffene Entscheidung nicht gerecht.

c) Schließlich vermag auch die Erwägung des Berufungsgerichts, der Kläger habe nicht substantiiert dargelegt, dass sein Fahrzeug entgegen der amtlichen Auskunft des [X.] der Gefahr einer Betriebsuntersagung ausgesetzt wäre, die Ablehnung eines Anspruchs auf Ersatz des [X.]s gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nicht zu rechtfertigen. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, kann bei unrichtiger Übereinstimmungsbescheinigung aufgrund der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ein Schaden nicht ohne Verstoß gegen § 287 ZPO verneint werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 41, 71 ff.).

III.

Das angefochtene Urteil ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ([X.], [X.]Z 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben.

[X.]     

      

Möhring     

      

Götz

      

Rensen     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 1291/22

30.01.2024

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 12. August 2022, Az: 3 U 209/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.01.2024, Az. VIa ZR 1291/22 (REWIS RS 2024, 594)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 594

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 412/21

III ZR 303/20

III ZR 267/20

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