Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.08.2015, Az. 2 StR 172/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 7040

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[X.]:[X.]:[X.]:2015:050815U2STR172.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 172/15
vom
5. August 2015
in der Strafsache
gegen

wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 5.
August
2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.]innen
am [X.]
Dr. [X.],
[X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der
Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1. Die Revisionen
des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 27.
November 2014 werden als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:
I.
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens von [X.] in neun Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu [X.] 8
Euro
verurteilt. Gegen dieses Urteil haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Revision eingelegt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich gegen den Straf-ausspruch und beanstandet die Berechnung der Höhe der vorenthaltenen [X.] zur Sozialversicherung als rechtsfehlerhaft. Die Revision des Angeklagten rügt -
unausgeführt
-
die Verletzung materiellen Rechts. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
1
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-
II.
1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getrof-fen:
a) Der nicht vorbestrafte Angeklagte betrieb auf der Grundlage mehrerer mit der Firma I.

GmbH (I.

GmbH) abgeschlossener
Partnerver-träge
fünf [X.] in verschiedenen Städten. Eine von ihnen betrieb der Angeklagte selbst, für den Betrieb der anderen Waschstraßen hatte er ins-gesamt sechs Personen angeworben, die er auf Provisionsbasis bezahlte.
b) Das [X.] hat angenommen, dass es sich bei den von dem [X.] beschäftigten Personen um so genannte "[X.]" [X.] und der Angeklagte als ihr Arbeitgeber in den Monaten Juni 2009 bis [X.] 2010 pflichtwidrig die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nicht ab-geführt habe; er habe dabei aufgrund der Kenntnis aller objektiven Umstände spätestens nach seiner am 22.
Juni 2009 erfolgten Beschuldigtenvernehmung bedingt vorsätzlich gehandelt.
c) Seiner
Schadensberechnung hat das [X.] die vom Angeklag-ten an die Zeugen ausgekehrten Provisionen als Nettolohn zugrunde gelegt. Ausgehend von diesem Nettolohn hat es ein Bruttogehalt errechnet, von dem es die für die jeweiligen Beitragsmonate geschuldeten Arbeitnehmer-
und Ar-beitgeberanteile berechnet hat. Von den so errechneten [X.] hat das [X.] einen Sicherheitsabschlag in Höhe von 40
Prozent vorgenom-men, weil der Berechnung des Bruttogehalts die Lohnsteuerklasse VI
zugrunde zu legen sei und die vom Angeklagten beschäftigten Personen jeweils aufgrund der von ihnen erzielten geringen monatlichen Einkünfte tatsächlich gar nicht oder jedenfalls nur geringfügig steuerpflichtig gewesen seien. Einen Abschlag in Höhe von weiteren 10
Prozent hat die [X.] vorgenommen, weil der 2
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4
5
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Angeklagte bei Verhinderung der von ihm beschäftigten Personen gelegentlich selbst an den Waschstraßen ausgeholfen und die Provisionen in diesen Fällen selbst in voller Höhe vereinnahmt habe.

III.
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die Erwägungen, mit denen das [X.] die Arbeitgebereigenschaft des Angeklagten begründet hat, sind von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Auch die subjektive Tatseite ist tragfähig begründet.
1. a) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass Arbeitgeber im Sinne des §
266a StGB derjenige ist, dem gegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht ([X.], Urteil vom 16. April 2014 -
1
StR 638/13, [X.], 246, 247). Das [X.] eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu bestimmen, die einer wertenden Gesamt-betrachtung zu unterziehen sind. In diese Gesamtbetrachtung sind [X.] die Frage des Bestehens eines umfassenden Weisungsrechts, das Inhalt, Zeit, Ort und Dauer der Tätigkeit umfasst, die Gestaltung des Entgelts und sei-ne Berechnung, Art und Ausmaß der Einbindung in den Betriebsablauf des [X.] sowie die Festlegung des täglichen Beginns und des Endes der konkreten Tätigkeit einzustellen ([X.], a.a.[X.], S.
248). Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses in dem genannten Sinne kann insbesondere das Vorliegen eines umfassenden Weisungsrechts, die Bestimmung der Arbeitszei-ten und die Bezahlung nach festen Entgeltsätzen sowie der Umstand sprechen, 6
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6
-
dass der Arbeitnehmer kein unternehmerisches Risiko trägt (Fischer StGB, 63.
Aufl., §
266a Rn.
4a mwN).
b) Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden rechtlichen Prüfungsmaß-stabes hat das [X.] die Arbeitgebereigenschaft des Angeklagten tragfä-hig begründet. Das [X.] hat eine umfassende Gesamtwürdigung aller für und gegen eine Arbeitgebereigenschaft des Angeklagten sprechenden Um-stände vorgenommen und dabei insbesondere berücksichtigt, dass die vom Angeklagten beschäftigten Personen nicht zu höchstpersönlicher Arbeitsleis-tung verpflichtet, sondern befugt waren, selbst weitere Personen zu beschäfti-gen; in seine Erwägungen eingestellt hat das [X.] außerdem die [X.] der Beschäftigten, auf dem Gelände der Waschstraße so genannte "[X.]" wie Felgenspezialreinigungen und Ähnliches anzubieten und [X.] abzurechnen. Dass es vor dem Hintergrund der für ein sozialversiche-rungspflichtiges Arbeitsverhältnis sprechenden Umstände, insbesondere des Umstands, dass der Angeklagte die Arbeitskleidung stellte und die auf Provisi-onsbasis erfolgende Vergütung ebenso wie die Öffnungszeiten der Waschstra-ßen -
im Einvernehmen mit der I.

GmbH
-
einseitig festlegte, gleichwohl zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses gelangt ist, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
2. Auch die
Beweiswürdigung zum -
bedingten
-
Vorsatz ist aus revisi-onsrechtlicher Sicht rechtsfehlerfrei.
3. Der Rechtsfolgenausspruch ist frei von [X.], die sich zuun-gunsten des Angeklagten ausgewirkt haben könnten.

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IV.
Die ausdrücklich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Zwar begegnet die Berechnung der Höhe des jeweiligen Beitragsschadens aus den von der Staatsanwaltschaft in ihrer [X.] genannten Gründen Bedenken; es ist jedoch auszuschließen, dass der Strafausspruch auf einem möglichen Rechtsfehler beruht.
1. Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß §
266a Abs.
1 und 2 StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichti-gen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach [X.] Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran an-knüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge ([X.], Urteil vom 2.
Dezember 2008 -
1 [X.], [X.]St 53, 71, 75). Vorenthalten im Sinne des §
266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge ([X.], a.a.[X.], S.
76). Nach der in §
14 Abs.
2 Satz
2 SGB IV enthaltenen Fiktion gilt in Fällen, in denen im Rahmen eines ille-galen Beschäftigungsverhältnisses, also einem Beschäftigungsverhältnis, in dem zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts bedingt vorsätzlich verletzt (BSG, Urteil vom 9.
November 2011 -
B
12
R 18/09 R, [X.], 254) und Steuern sowie Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt werden, ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart. Die Lohnzahlung aufgrund einer "Schwarzlohnabrede" entspricht mithin bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines legalen [X.] (vgl. [X.], a.a.[X.], S.
77). Die Fiktion einer Nettolohn-vereinbarung kann dabei zu einem -
fiktiven
-
Bruttoarbeitsentgelt führen, das den Wert der Arbeitsleistung übersteigt (BSG, Urteil vom 22.
September 1988
-
12
RK 36/86, [X.], 110, 117).
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8
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2. Die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts ist unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des §
39c EStG auf der Grundlage der Lohnsteuerklas-se
VI vorzunehmen; diese ist zugrunde zu legen, wenn dem Arbeitgeber die Lohnsteuerkarte nicht vorgelegt wird. Dies ist bei illegalen Beschäftigungsver-hältnissen in aller Regel der Fall, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine andere Handhabung bestehen (vgl. [X.], Urteil vom 2.
Dezember 2008 -
1
[X.], [X.]St 53, 71, 79).
3. Unter Zugrundelegung dieses [X.] sind die Feststellun-gen des [X.]s zur Höhe der nicht abgeführten Sozialversicherungsbei-träge lückenhaft, weil weder die vom [X.] vorgenommene Berechnung des Nettolohns noch die Berechtigung der vorgenommenen Abschläge in vol-lem Umfange nachvollziehbar sind.
a) Das [X.] hat den [X.] lediglich "beispielhaft" (UA S.
12) für die Waschstraße Am R.

in F.

mitgeteilt, wonach auf der Grundlage der Angaben des dort eingesetzten Zeugen S.

zur Höhe der mit dem Angeklagten vereinbarten Provision pro Autowäsche (0,36
Euro) und der von der I.

GmbH mitgeteilten Jahresprovision (20.123 Wäschen für das [X.]; Provisionszahlung an den Angeklagten in
Höhe von 17.519,00
Euro) eine Jahresprovision in Höhe von 7.244,28 Euro berechnet und diese Jahresprovision auf die einzelnen Monate des Jahres 2009 verteilt worden ist. Der so errechnete "Barlohn" in Höhe von 603,69 Euro wurde so-dann zu einem fiktiven Bruttomonatslohn hochgerechnet, ohne dass insoweit erkennbar bedacht wurde, dass der Zeuge S.

die Waschstraße Am R.

in F.

ausweislich der Feststellungen nicht allein, sondern [X.] mit dem Zeugen Z.

betrieben hat (UA S.
5). Vor diesem Hintergrund kann schon nicht nachvollzogen werden, ob die Berechnung des Nettoarbeits-entgelts in sämtlichen Fällen rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Dem Gesamtzusam-13
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menhang der Urteilsgründe kann auch nicht entnommen werden, dass [X.] Feststellungen zu den tatsächlich vereinnahmten Provisionen unmöglich sind, so dass eine Schätzung der Nettolöhne zulässig wäre.
b) Auch die Frage, ob -
wie das [X.] angenommen hat -
vorlie-gend Anlass bestand, der Berechnung des fiktiven Bruttoarbeitsentgelts abwei-chend von §
39c EStG eine andere als die Steuerklasse VI zugrunde zu legen, kann in Ansehung der lückenhaften Feststellungen nicht beantwortet werden. Zwar bezogen zwei der vom Angeklagten beschäftigten Arbeitnehmer ergän-zende Sozialleistungen und waren nicht steuerpflichtig. Ob dies auch für die anderen Arbeitnehmer galt, lässt sich den Feststellungen aber nicht zweifelsfrei entnehmen. Vor diesem Hintergrund kann -
ungeachtet der von der Staatsan-waltschaft zu Recht erhobenen Einwendungen gegen die Berechnungsweise des Tatrichters
-
nicht geprüft und entschieden werden, ob der vom [X.] vorgenommene Sicherheitsabschlag rechtsfehlerhaft erfolgte oder nicht.
c) Der Senat schließt jedoch aus, dass das Urteil auf einem möglichen Rechtsfehler beruht und der Tatrichter, der in den Urteilsgründen ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Höhe der [X.] in Ansehung der Besonderheiten des Einzelfalls von untergeordneter Bedeutung gewesen ist, bei zutreffender Berechnung der [X.] höhere Einzelstrafen und eine höhere Gesamtstrafe verhängt hätte.

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-
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
473 Abs.
1 und Abs.
2 StP[X.]
Fischer [X.] Eschelbach

[X.] Bartel

18

Meta

2 StR 172/15

05.08.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.08.2015, Az. 2 StR 172/15 (REWIS RS 2015, 7040)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7040

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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