Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.02.2012, Az. 6 AV 2/11

6. Senat | REWIS RS 2012, 9010

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Gegenstand

Negativer Kompetenzkonflikt; Rechtmäßigkeit und Durchführung einer Ingewahrsamnahme


Tenor

Als zuständiges Gericht wird das [X.] bestimmt.

Gründe

I

1

Die Klägerin war am frühen Morgen des 7. Juni 2007 mit einer Personengruppe aus Richtung [X.] kommend unterwegs in Richtung eines Sperrzauns, um an einer Protestdemonstration gegen den [X.] in [X.] teilzunehmen. Gegen 8.30 Uhr wurde sie in einem Waldstück zwischen [X.] und [X.] zusammen mit anderen Teilnehmern an der Demonstration von der Polizei festgenommen und in eine Gefangenensammelstelle verbracht. Um 19.30 Uhr wurde die Klägerin mit anderen Demonstrationsteilnehmern zum [X.] gebracht und gegen 21.30 Uhr frei gelassen, nachdem das Amtsgericht einen Antrag der Polizei auf Anordnung eines längeren [X.] abgelehnt hatte. Die Klägerin hat mit [X.] vom 26. Mai 2008 an das [X.] Klage erhoben und die Feststellung beantragt, dass die Unterbringung im Gewahrsam mit ca. 20 weiteren Frauen in einer ca. 5,5 mal 5,5 m großen Einzelzelle rechtswidrig gewesen sei und dass die körperliche Durchsuchung, zu der die Klägerin ihre Unterhose mit der blutigen Binde habe vorzeigen müssen, und bei der ihr die Brüste in schmerzhafter Weise abgetastet worden seien, rechtswidrig gewesen sei.

2

Das [X.] hat mit Beschluss vom 22. Juli 2010 ([X.]/08) den Rechtsweg zu den Gerichten der [X.]barkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Das [X.] hat mit Beschluss vom 10. November 2011 ([X.]) den "Rechtsstreit entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes vorgelegt". Das [X.] hat mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 (OVG 3 P 4/11) die Sache dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts "weitergeleitet".

II

3

Das [X.] ist für die Entscheidung des negativen [X.]s zwischen dem [X.] und dem [X.] zuständig. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO. Danach wird ein negativer [X.] zwischen Gerichten der [X.]barkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Auf den hier vorliegenden [X.] zwischen einem Amtsgericht und einem Verwaltungsgericht lässt sich diese Vorschrift zwar weder unmittelbar anwenden, noch gibt es dafür eine sonstige gesetzliche Regelung. Die somit gegebene Regelungslücke ist - im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.], des [X.] und des [X.] - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste [X.] den negativen [X.] zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (Beschluss vom 17. März 2010 - BVerwG 7 AV 1.10 - [X.] 300 § 17a [X.] Nr. 29 Rn. 5 unter Hinweis auf die Beschlüsse vom 26. Februar 2009 - BVerwG 2 AV 1.09 - juris und vom 5. März 1993 - BVerwG 11 ER 400.93 - [X.] 310 § 53 VwGO Nr. 21; [X.], Beschluss vom 26. Juli 2001 - [X.]/01 - NJW 2001, 3631; BSG, Beschluss vom 16. September 2009 - [X.] SF 7/09 S - juris).

4

Für die mit [X.] vom 26. Mai 2008 an das [X.] erhobene Feststellungsklage ist das [X.] zuständig. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist durch den von den Beteiligten nicht mit der Beschwerde angefochtenen und inzwischen unanfechtbaren Verweisungsbeschluss des [X.] gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] bindend festgestellt und kann auch bei Vorliegen beachtlicher Einwände, wie sie insbesondere im Beschluss des Amtsgerichts aufgezeigt wurden, nicht mehr geändert werden. Zulässiger Rechtsweg für die erhobene Feststellungsklage ist somit der ordentliche.

5

Das [X.] hat in § 56 Abs. 5 Satz 4 und 5 [X.] M-V eine abdrängende Sonderzuweisung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO gesehen. Es sprechen gute Gründe für die dem Beschluss des [X.] zugrunde liegende Ansicht, dass die Sonderzuweisung an das Amtsgericht nach § 56 Abs. 5 Satz 4 [X.] M-V sich auf die Entscheidung über die Fortdauer des polizeilichen [X.] beschränkt und dass es demgegenüber für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des polizeilichen [X.] und der Umstände seiner Durchführung selbst bei der verwaltungsgerichtlichen Regelzuständigkeit verbleibt. Dafür spricht nicht zuletzt die vom [X.] unter Bezugnahme auf das [X.] vertretene Auffassung, dass die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug grundsätzlich voneinander zu scheiden sind ([X.], Beschluss vom 13. Dezember 2005 - 2 BvR 447/05 - NVwZ 2006, 579). Daraus folgt, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Ingewahrsamnahme nicht zugleich eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einzelner im Vollzug der Ingewahrsamnahme vorgenommener polizeilicher Maßnahmen darstellt. Fehlt - wie in [X.] - für diese eigenständige Fortsetzungsfeststellungsklage eine (landes-)gesetzliche Rechtswegzuweisung, bleibt es beim Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten, der sich aus § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt ([X.], Beschluss vom 21. Januar 2010 - OVG 3 O 27/09 - [X.] 2010, 266 Rn. 8).

6

Diese rechtliche Beurteilung vermag jedoch an der Wirksamkeit der vom [X.] vorgenommenen Rechtswegverweisung nichts zu ändern. Die Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] tritt selbst bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss, etwa bei gesetzwidriger Verweisung oder entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 [X.] fehlender Begründung, ein. Die die Bindungswirkung allgemein einschränkende Rechtsprechung zum Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO kann nicht übernommen werden ([X.]/[X.], [X.], 5. Aufl. 2008, § 17 Rn. 39). Eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung trotz des in § 17a Abs. 4 Satz 3 ff. [X.] vorgesehenen Instanzenzuges ist in Anbetracht der von § 17a [X.] selbst eröffneten [X.] [X.]falls bei extremen Rechtsverstößen möglich, etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann jedoch [X.]falls dann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist ([X.], Beschluss vom 8. Juli 2003 - [X.] 138/03 - NJW 2003, 2990 m.w.N.).

7

Ein dermaßen schwerwiegender Rechtsverstoß liegt in dem Verweisungsbeschluss des [X.] indes nicht. Dies umso weniger, als der Rechtsschutz der Klägerin in der Sache durch die Zuständigkeit des [X.] nicht beschnitten wird. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.] entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit nämlich unter [X.] in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.

Meta

6 AV 2/11

17.02.2012

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AV

§ 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 56 Abs 5 S 4 SOG MV 1998, § 56 Abs 5 S 5 SOG MV 1998, § 40 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.02.2012, Az. 6 AV 2/11 (REWIS RS 2012, 9010)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9010

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