Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.03.2024, Az. 3 StR 370/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2024, 2130

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Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 3. Juli 2023 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Entscheidungsgründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 38 Fällen, davon in 28 Fällen in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollstrecken sind. Darüber hinaus hat es [X.] getroffen. Die zugunsten des Angeklagten geführte, auf die Sachrüge gestützte und auf den [X.] beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] vertreten wird, hat Erfolg.

I.

2

Das [X.] hat - soweit für die Begründung der Revisionsentscheidung von Bedeutung - die nachfolgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Zur Finanzierung seines Lebensunterhalts und seines Drogenkonsums betrieb der nicht vorbestrafte Angeklagte seit spätestens 2019 bis Oktober 2021 im großen Umfang einen internationalen Drogenhandel mit Opium. Zu diesem Zweck führten Kuriere in seinem Auftrag in 28 Fällen jeweils mindestens sieben Kilogramm Opium mit einer Wirkstoffmenge von 384 Gramm Morphin aus der [X.] nach [X.] ein und in zehn weiteren Fällen ebensolche Mengen Opium von [X.] sowie der [X.] nach [X.] und ins [X.] Ausland aus. Der Angeklagte verkaufte das Opium in allen Fällen für 5.000 € je Kilogramm an unbekannte Abnehmer gewinnbringend weiter.

4

2. a) Zum Alkohol- und Drogenkonsum des heute 35-jährigen Angeklagten hat das [X.] festgestellt, dass er im Alter von 14 Jahren erstmals Alkohol trank. Seinen Alkoholkonsum steigerte er in der Folgezeit auf zuletzt eine Flasche Wodka pro Tag. Im Alter von 28 Jahren nahm er erstmals Opium zu sich. Da die Droge zu einer Steigerung seiner sexuellen Leistungsfähigkeit führte, konsumierte er hiervon täglich bis zu dreimal ein halbes Gramm. Wenige Wochen vor seiner Festnahme reduzierte er die Dosierung und nahm nur noch an den Wochenenden ein halbes Gramm pro Tag ein. Aufgrund der Reduzierung litt er an Entzugserscheinungen.

5

b) Die [X.] hat in Übereinstimmung mit der in der Hauptverhandlung vernommenen psychiatrischen Sachverständigen sowohl eine Abhängigkeit des Angeklagten von Opiaten und Alkohol als auch einen jeweiligen schädlichen Gebrauch verneint. Ferner habe der Opiumkonsum trotz Problemen im Berufsleben und im Alltag nicht zu gravierenden [X.], gesundheitlichen oder leistungsmäßigen Auffälligkeiten geführt.

6

Der Angeklagte habe, so die [X.], die Taten „auch“ zur Finanzierung seines eigenen Konsums begangen, um damit sicherzustellen, selbst über ausreichende Betäubungsmittel zu verfügen. Soweit die Sachverständige hinsichtlich des symptomatischen Zusammenhangs ausgeführt habe, die Taten gingen zugleich aus einer kriminogenen Verhaltensbereitschaft des Angeklagten hervor, stehe dies dem symptomatischen Zusammenhang nicht entgegen. Denn dieser könne auch bestehen, wenn der Hang neben anderen Ursachen zur Tat beigetragen habe.

7

Der Angeklagte sei bereit, eine stationäre Drogentherapie im Maßregelvollzug durchzuführen. Zur Verbesserung der Erfolgschancen einer derartigen Therapie wolle er seine nur eingeschränkten Kenntnisse der [X.], wonach ihm eine Kommunikation in einfachen Sätzen und Worten aber möglich sei, weiter verbessern; unterstützend könne er auf die [X.] zurückgreifen.

II.

8

Die ausweislich des [X.] und der -begründung wirksam auf den [X.] beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB. Diese hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Damit unterliegt der Aufhebung auch die Entscheidung über den [X.] eines Teils der Freiheitsstrafe.

9

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die [X.] einen Hang des Angeklagten zum Rauschmittelkonsum im Übermaß tragfähig bejaht hat. Jedenfalls begegnet die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. § 354a StPO ist die Maßregelanordnung am Maßstab des zum Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts geltenden Rechts zu beurteilen, mithin anhand der zum 1. Oktober 2023 in [X.] getretenen Neufassung des § 64 StGB (vgl. [X.], Urteile vom 14. Dezember 2023 - 3 [X.]/23, juris Rn. 9; vom 11. Januar 2024 - 3 StR 280/23, juris Rn. 39; Beschlüsse vom 13. Dezember 2023 - 3 StR 304/23, juris Rn. 14; vom 23. Januar 2024 - 3 StR 455/23, juris Rn. 16; jeweils mwN). Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die im Vergleich zum früheren Rechtszustand strengeren Anforderungen der Neuregelung an den symptomatischen Zusammenhang erfüllt sind.

aa) Gemäß § 64 Satz 1 Halbsatz 1 StGB muss die [X.] nun „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Mit der Ergänzung der gesetzlichen Regelung um den Begriff „überwiegend“ hat der Gesetzgeber das [X.] zwischen dem Hang und der [X.] konkretisiert und - gegenüber der vormaligen Rechtslage - verschärft (vgl. BT-Drucks. 20/5913, [X.] und [X.] ff.). Nach der Neuregelung muss die Substanzkonsumstörung mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend sein. Demgegenüber ist nach dem Willen des Gesetzgebers eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann ausreichend, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt; eine Mitursächlichkeit unterhalb dieser Schwelle reicht nicht mehr aus (vgl. BT-Drucks. 20/5913, [X.], 69 f.; [X.]. 687/22, [X.] ff., 79; s. auch [X.], Urteil vom 11. Januar 2024 - 3 StR 280/23, juris Rn. 40; Beschluss vom 13. Dezember 2023 - 3 StR 304/23, juris Rn. 16 mwN).

bb) Die Feststellungen belegen nicht, dass eine mögliche Rauschmittelsucht des Angeklagten für die [X.]en in diesem Sinne überwiegend ursächlich war. Das [X.] hat darauf abgestellt, dass die Taten des Angeklagten neben der Finanzierung seines Lebensunterhalts „jedenfalls auch“ der Finanzierung seines eigenen Konsums dienten. Soweit die Taten daneben aus einer kriminogenen Verhaltensbereitschaft des Angeklagten hervorgegangen seien, stehe dies dem symptomatischen Zusammenhang nicht entgegen. Mit diesen Erwägungen ist gerade kein quantitatives Überwiegen des bloß mitursächlichen Hangs des Angeklagten gegenüber seinem suchtunabhängigen Verhalten zum Zwecke der Finanzierung seines Lebensunterhalts belegt.

b) Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB muss deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Die zugehörigen Feststellungen sind aufzuheben, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).

c) Die Erwägungen der [X.] zum Hang und zur Erfolgsaussicht der Maßregel geben darüber hinaus Anlass, auf Folgendes hinzuweisen:

Der neu gefasste § 64 StGB stellt nunmehr strengere Anforderungen an die Annahme eines Hangs. Für einen solchen ist nach § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB nF eine Substanzkonsumstörung erforderlich, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12. Dezember 2023 - 3 StR 343/23, juris Rn. 8 f.; vom 23. Januar 2024 - 3 StR 455/23, juris Rn. 17 f.; s. auch BT-Drucks. 20/5913 S. 44 ff., 69).

Ferner muss infolge der Änderung von § 64 Satz 2 StGB das Erreichen des [X.] aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten sein. Die Erwartung erfolgreicher Behandlung ist in der Regel dann nicht berechtigt, wenn der Angeklagte nicht über die für die Behandlung in der Entziehungsanstalt erforderlichen Sprachkenntnisse verfügt. Die Behandlung kann nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur dann erfolgversprechend sein, wenn eine echte, d.h. therapeutisch sinnvolle, Kommunikation zwischen Therapeut und Patient möglich ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913, [X.] f.; s. auch [X.], Urteil vom 11. Januar 2024 - 3 StR 280/23, juris Rn. 43 mwN). Vor diesem Hintergrund werden gegebenenfalls die Sprachkenntnisse des Angeklagten, dessen Exploration durch die Sachverständige allerdings auf [X.] stattfinden konnte, neu zu bewerten sein.

2. Der Aufhebung unterliegt auch die mit der Maßregel untrennbar zusammenhängende Entscheidung über den [X.] eines Teils der Freiheitsstrafe. Insoweit wird die neu zur Entscheidung berufene [X.] mangels Übergangsregelung § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 5 Satz 1 StGB in der Fassung des am 1. Oktober 2023 in [X.] getretenen Gesetzes zur Überarbeitung des [X.] - Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom 26. Juli 2023 ([X.]) anzuwenden haben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. November 2023 - 1 StR 354/23, [X.], 49; vom 12. Dezember 2023 - 3 StR 343/23, juris Rn. 19 f.).

Danach ist der vor der Maßregel zu vollstreckende Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und der anschließenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Aussetzung des [X.] zur Bewährung nach Erledigung von zwei Dritteln der Strafe möglich ist. Das Verschlechterungsverbot steht dem nicht entgegen, weil die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des Therapieerfolges dienen und die Anordnung damit zu Gunsten des Angeklagten ergeht (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. August 2007 - 3 [X.], juris Rn. 4; vom 8. Februar 2022 - 3 StR 458/21, NStZ-RR 2022, 139, 140 mwN; vom 12. Dezember 2023 - 3 StR 343/23, juris Rn. 22).

Schäfer     

      

Paul     

      

Hohoff

      

Anstötz     

      

Voigt     

      

Meta

3 StR 370/23

27.03.2024

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Trier, 3. Juli 2023, Az: 2a KLs 8033 Js 7912/21 jug

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.03.2024, Az. 3 StR 370/23 (REWIS RS 2024, 2130)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2130

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