Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.12.2023, Az. 9 BN 4/23

9. Senat | REWIS RS 2023, 9665

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Gegenstand

Auslegung und Anwendung von irrevisiblem Landesrecht (Kommunalabgabenrecht)


Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 27. April 2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 40 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen § 22 der A[X.]fallwirtschaftssatzung des Antragsgegners in der für die Jahre 2021 und 2022 jeweils maßge[X.]lichen Fassung. Die Norm regelt u. a. die Höhe der Benutzungsge[X.]ühren für die Entsorgung von A[X.]fällen, die der [X.] einsammelt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anträge der Antragsteller zu 2 und 4 gegen § 22 der A[X.]fallwirtschaftssatzung 2022 als unzulässig und die Anträge im Ü[X.]rigen als un[X.]egründet a[X.]gewiesen; die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

II

2

Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 A[X.]s. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde [X.]lei[X.]t ohne Erfolg.

3

Grundsätzlich [X.]edeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallü[X.]ergreifende und [X.]islang ungeklärte Rechtsfrage des revisi[X.]len Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts ge[X.]oten erscheint. Diese Voraussetzungen erfüllen die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,

o[X.] es mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 A[X.]s. 1 GG als Ge[X.]ot der Belastungsgleichheit, dem insoweit darin enthaltenen Prinzip der Leistungsproportionalität und dem e[X.]enfalls darin enthaltenen Äquivalenzprinzip als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Berücksichtigung der Schutzfunktion des [X.] zugunsten der Ge[X.]ührenschuldner verein[X.]ar ist, wenn eine Ge[X.]ührensatzung für die Erhe[X.]ung einer A[X.]fallge[X.]ühr [X.]ei der [X.] die vorherseh[X.]aren späteren Kosten der Stilllegung und Nachsorge für stillgelegte Deponien (Folgekosten) nicht erst im [X.]punkt ihres tatsächlichen Anfalls, sondern im Wege der Zuführung zu Rücklagen oder Rückstellungen [X.]ereits vorher - auch nach der Beendigung der A[X.]lagerungsphase - in die Ge[X.]ührenkalkulation einstellt,

o[X.] es mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 A[X.]s. 1 GG und dem Prinzip des Vor[X.]ehalts des Gesetzes verein[X.]ar ist, wenn eine Ge[X.]ührensatzung für die Erhe[X.]ung einer A[X.]fallge[X.]ühr [X.]ei der [X.] die unter Ziff. 1 genannten Folgekosten nicht entsprechend dem Umfang der Inanspruchnahme der Deponie während der A[X.]lagerungsphase auf die damals vorhandenen Benutzergruppen (Hausmüll, Baustellen und Gewer[X.]e), sondern auf die aktuellen Benutzer der öffentlichen A[X.]fallverwertungs- und A[X.]fall[X.]eseitigungsanlage verteilt,

nicht.

4

1. Soweit die Beschwerde die Anträge der Antragsteller zu 2 und 4 gegen die für das [X.] gültige Fassung des § 22 der Satzung ü[X.]er die Vermeidung und Verwertung und Beseitigung von A[X.]fällen (A[X.]fallwirtschaftssatzung) [X.]etrifft, waren die aufgeworfenen Grundsatzfragen für das angefochtene Urteil schon nicht entscheidungserhe[X.]lich. Denn insoweit wurden die [X.] als unzulässig a[X.]gewiesen, so dass es auf die Beurteilung der materiellen Rechtslage nicht ankam.

5

2. Im Ü[X.]rigen [X.]etreffen die formulierten Fragestellungen die Auslegung und Anwendung von Landesrecht, das gemäß § 137 A[X.]s. 1 VwGO der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen und an dessen Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof das Revisionsgericht nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO ge[X.]unden ist.

6

Die Rechtmäßigkeit der satzungsmäßigen Ge[X.]ührenregelung [X.]estimmt sich in erster Linie nach den Vorga[X.]en in § 13 A[X.]s. 1 und § 18 A[X.]s. 1 Nr. 2 und [X.]. [X.] des [X.] ([X.]). Diese Vorschriften ermächtigen die Gemeinden und [X.]e zur Erhe[X.]ung von Benutzungsge[X.]ühren und enthalten für Ge[X.]ühren im Bereich der öffentlichen A[X.]fallentsorgung [X.]estimmte Maßga[X.]en zum Begriff der öffentlichen Einrichtung und zur Berücksichtigung von Rücklagen oder Rückstellungen für die Kosten der Stilllegung und der Nachsorge. In der Sache wendet sich die Beschwerde dagegen, dass der Verwaltungsgerichtshof [X.]ei der Auslegung von § 18 A[X.]s. 1 Nr. 4 [X.] maßge[X.]lich auf den Einrichtungs[X.]egriff nach § 18 A[X.]s. 1 Nr. 2 [X.] a[X.]gestellt und die Gesamtheit aller (auch stillgelegten) Anlagen zur A[X.]fallentsorgung als eine einheitliche Einrichtung der öffentlichen A[X.]fallentsorgung aufgefasst hat. Die - aktuelle - Benutzung dieser einheitlichen Einrichtung [X.]ildet nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs die Grundlage für die Ge[X.]ührenerhe[X.]ung. Hieraus leitet er sowohl die Zulässigkeit der Bildung von Rückstellungen auch nach Beendigung der A[X.]lagerungsphase und deren Ein[X.]eziehung in die aktuellen Kosten als auch die Maßge[X.]lichkeit der aktuellen Benutzergruppen und Verteilungsschlüssel für die Verteilung dieser Kosten a[X.]. Nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs handelt es sich [X.]ei den in die [X.] der Jahre 2021 und 2022 eingestellten Zuführungen zu Rückstellungen für die späteren Kosten der Stilllegungen und der Nachsorge um aktuelle Kosten der öffentlichen Einrichtung, die als [X.]etrie[X.]s[X.]edingt fingiert werden und damit der Leistungserstellung dienen ([X.] f.). Insoweit geht das Gericht von der Ausweitung des Einrichtungs[X.]egriffs in § 18 A[X.]s. 1 Nr. 2 [X.] und der Ausweitung des Kosten[X.]egriffs in § 18 A[X.]s. 1 [X.]. [X.] [X.] aus ([X.] unten). Sowohl der Begriff der öffentlichen Einrichtung als auch der Kosten[X.]egriff sind jedoch dem Landesrecht zuzuordnen und daher grundsätzlich nicht revisi[X.]el (vgl. zum Einrichtungs[X.]egriff [X.], Urteil vom 6. Okto[X.]er 2021 - 9 C 10.20 - [X.]E 173, 340 Rn. 14 und zum Kosten[X.]egriff [X.], Urteil vom 23. März 2021 - 9 C 4.20 - [X.]E 172, 46 Rn. 16; jeweils m. w. N.).

7

3. Eine Revisi[X.]ilität ergi[X.]t sich auch nicht aus den von der Beschwerde angeführten Rechtsgrundsätzen des Bundesrechts.

8

a) Soweit die Beschwerde die Verein[X.]arkeit der vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Rechtsauffassung mit dem Gleichheitsge[X.]ot und dem Äquivalenzgrundsatz in Frage stellt, wird kein [X.]undesrechtlicher Klärungs[X.]edarf dargelegt. Die Rüge der Nicht[X.]eachtung von Bundesrecht [X.]ei der Anwendung und Auslegung des irrevisi[X.]len Landesrechts vermag eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur dann zu [X.]egründen, wenn die Auslegung der - gegenü[X.]er dem irrevisi[X.]len Recht als korrigierender Maßsta[X.] angeführten - [X.]undesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 19. Mai 2011 - 9 B 83.10 - juris Rn. 3 und vom 9. Fe[X.]ruar 2023 - 9 [X.] 4.22 - juris Rn. 12; jeweils m. w. N.). Es muss also grundsätzlicher Klärungs[X.]edarf hinsichtlich der [X.]undes[X.]rechtlichen Maßsta[X.]snorm sel[X.]st [X.]estehen. Daran fehlt es hier.

9

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der landesrechtlichen Ausgestaltung des kommunalen Ge[X.]ührenrechts durch den Gleichheitssatz, dessen Ausfluss das Prinzip der Ge[X.]ührengerechtigkeit ist, und das Äquivalenzprinzip nur sehr weite [X.]undesrechtliche Grenzen gezogen werden ([X.], Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - [X.] 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 21). Der Satzungsge[X.]er hat einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechen[X.]aren öffentlichen Leistungen er einer Ge[X.]ührenpflicht unterwerfen und welche Ge[X.]ührenmaßstä[X.]e und -sätze er hierfür aufstellen will. Das [X.] hat in diesem Zusammenhang [X.]ereits eingehend zu den Vorga[X.]en Stellung genommen, die sich aus dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz für die Ausgestaltung von Benutzungsge[X.]ühren erge[X.]en. Beide Grundsätze fordern danach in Ver[X.]indung miteinander, dass die Benutzungsge[X.]ühr nach dem Umfang der Benutzung [X.]emessen wird, also nicht in einem gro[X.]en Missverhältnis zu der Leistung der Verwaltung steht. In An[X.]etracht des Gestaltungsspielraums des Normge[X.]ers kann nicht verlangt werden, dass der zweckmäßigste, vernünftigste, gerechteste oder wahrscheinlichste Maßsta[X.] angewendet wird. Vielmehr sind Durch[X.]rechungen des Gleichheitssatzes durch Typisierungen und Pauschalierungen zulässig, solange die dadurch entstehende Ungleich[X.]ehandlung noch in einem angemessenen Verhältnis zu den erhe[X.]ungstechnischen Vorteilen der Typisierung steht (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Juli 2015 - 9 B 17.15 - [X.] 401.84 Benutzungsge[X.]ühren Nr. 114 Rn. 6 m. w. N.). Ein striktes Ge[X.]ot der Leistungsproportionalität ist dem Bundesrecht nicht zu entnehmen ([X.], Urteile vom 1. Dezem[X.]er 2005 - 10 C 4.04 - [X.] 401.84 Benutzungsge[X.]ühren Nr. 100 Rn. 51 und vom 20. Dezem[X.]er 2000 - 11 C 7.00 - [X.]E 112, 297 <301 f.>). Der Gleichheitsgrundsatz ge[X.]ietet nur, [X.]ei gleichartig [X.]eschaffenen Leistungen, die rechnerisch und finanziell in [X.] erfasst werden können, die Ge[X.]ührenmaßstä[X.]e und Ge[X.]ührensätze in den Grenzen der Praktika[X.]ilität und Wirtschaftlichkeit so zu wählen und zu staffeln, dass sie unterschiedlichen Ausmaßen in der er[X.]rachten Leistung Rechnung tragen, damit die verhältnismäßige Gleichheit unter den Ge[X.]ührenschuldnern gewahrt [X.]lei[X.]t (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Fe[X.]ruar 1979 - 2 BvL 5/76 - [X.]E 50, 217 <226 f.>).

Die Beschwerde[X.]egründung zeigt keine klärungs[X.]edürftigen Aspekte in Bezug auf diese Maßstä[X.]e auf, sondern stellt mit den aufgeworfenen Grundsatzfragen der Sache nach nur die Erge[X.]nisrichtigkeit des angegriffenen Urteils in Frage. Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Entscheidung die dargestellten [X.]undes([X.])rechtlichen Grundsätze zugrunde gelegt und sie insoweit zutreffend erfasst ([X.] ff.); er kommt lediglich in ihrer Anwendung zu anderen Erge[X.]nissen als die Antragsteller. Soweit die Beschwerde ins[X.]esondere einen Verstoß gegen das Gleichheitsge[X.]ot und eine dem Verursacherprinzip widersprechende Ungleich[X.]ehandlung der vormaligen Benutzergruppen [X.]ei Betrie[X.] der Deponie gegenü[X.]er den heutigen Benutzergruppen der [X.]ereits stillgelegten Deponie rügt, geht dies an der die Entscheidung tragenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs vor[X.]ei. Dieser stellt im Zusammenhang mit dem von der Beschwerde angeführten Verursacherprinzip nicht auf die frühere Inanspruchnahme der Deponie in der Betrie[X.]s- und A[X.]lagerungsphase a[X.], sondern auf das [X.]esondere Näheverhältnis der (heutigen) A[X.]fallge[X.]ührenschuldner zur öffentlichen A[X.]fallentsorgungseinrichtung ([X.]). Der Aspekt der Vermeidung von Ge[X.]ührensprüngen wird da[X.]ei - anders als die Beschwerde meint - nicht im Hin[X.]lick auf Art. 3 A[X.]s. 1 GG als sachlicher Grund für eine Ungleich[X.]ehandlung der Ge[X.]ührenschuldner, sondern als Argument für die Anwend[X.]arkeit des § 18 A[X.]s. 1 [X.]. [X.] [X.] auch auf die [X.] nach der Stilllegung und die damit ver[X.]undene Ausweitung des Kosten[X.]egriffs angeführt.

[X.]) Die Beschwerde legt auch nicht dar, welcher rechtliche Klärungs[X.]edarf in Bezug auf die Reichweite des Gesetzesvor[X.]ehalts (Art. 20 A[X.]s. 3 GG) [X.]estehen soll, sondern [X.]eschränkt sich insoweit darauf, im Erge[X.]nis einen Verstoß der angegriffenen Entscheidung gegen dieses Verfassungsprinzip zu rügen. Auch dies zielt im [X.] (nur) auf den Inhalt und die Grenzen der Auslegung von irrevisi[X.]lem Landesrecht.

4. [X.] folgt aus § 154 A[X.]s. 2, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 A[X.]s. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts [X.]eruht auf § 47 A[X.]s. 1 und 3, § 52 A[X.]s. 1 GKG; sie entspricht der Wertfestsetzung des Verwaltungsgerichtshofs.

Meta

9 BN 4/23

20.12.2023

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 27. April 2023, Az: 2 S 1/22, Urteil

§ 18 KAG BW

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.12.2023, Az. 9 BN 4/23 (REWIS RS 2023, 9665)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9665

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