Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.07.2015, Az. XII ZB 525/14

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 8146

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 525/14

vom

15. Juli
2015

in der
Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GG Art.
103 Abs.
1; FamFG §§
38 Abs.
3 Satz
3, 65 Abs.
2
Hat das Beschwerdegericht in einer Betreuungssache keine Frist zur
Begründung der Beschwerde bestimmt, sind Schriftsätze, die vor Erlass der [X.] durch Übergabe des Beschlusses an die Geschäftsstelle eingehen, auch dann zu berücksichtigen, wenn die Entscheidung bereits von den Richtern unter-schrieben ist.
[X.], Beschluss vom 15. Juli 2015 -
XII [X.] 525/14 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 15.
Juli
2015 durch den
Vor-sitzenden Richter
Dose
und [X.]
Klinkhammer, Dr.
Günter, Dr.
Botur
und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird
der
Beschluss der 5.
Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 23.
September
2014
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.
[X.]: 5.000

Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat auf der Grundlage eines in einem Ordnungswidrigkei-tenverfahren zur Frage der Schuldfähigkeit bzw. eingeschränkten Schuldfähigkeit eingeholten Sachverständigengutachtens für den Betroffenen eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis "Vertretung bei Behörden und Ämtern"
eingerichtet. Hierge-gen haben der Betroffene und seine Ehefrau mit Schriftsatz ihres Verfahrensbe-vollmächtigten vom 23.
August 2014 Beschwerde eingelegt. Die am 23.
Septem-ber 2014 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerdebegründung ist am 29.
September 2014 zum [X.] gelangt. Zuvor hatte das [X.] am 23.
September 2014 den Beschluss gefasst, die Beschwerde unter Bezugnahme 1
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3
-
"auf die zutreffenden Ausführungen in dem Beschluss des Amtsgerichts"
[X.]. Dieser Beschluss wurde am 30.
September 2014 der Geschäftsstelle übergeben.
Die Beschwerdebegründung ist vom [X.] als Gegenvorstellung behandelt und mit Beschluss vom 27.
Oktober 2014 zurückgewiesen worden.
Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen den [X.] vom 23.
September 2014, mit dem seine Beschwerde zurückgewiesen worden ist.

II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entschei-dung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verfahrensfehler. Das Beschwerdegericht hat durch die Nichtberücksichtigung der Beschwerdebegrün-dung bei seiner Entscheidung über die Beschwerde in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) verletzt.
1. Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der [X.] zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ver-stößt gegen diesen Grundsatz, wenn das Gericht einen ordnungsgemäß [X.]en Schriftsatz nicht berücksichtigt
(vgl. [X.] Beschluss vom 12.
Juli 2012

IX
[X.]
270/11

FamRZ 2012, 1561 Rn.
7 mwN; [X.] NJW 1983, 2187).

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-
Im vorliegenden Fall hat das Beschwerdegericht verkannt, dass es die am 29.
September 2014 eingegangene Beschwerdebegründung noch bei der Ent-scheidung über die Beschwerde hätte berücksichtigen müssen.
a) Für die Begründung einer (Erst-)Beschwerde in [X.] sieht das Gesetz eine einzuhaltende Frist nicht vor (vgl. §
65 Abs.
1 FamFG). Macht das Gericht von der Möglichkeit des §
65 Abs.
2 FamFG, eine Frist zur Begründung der Beschwerde zu bestimmen, keinen Gebrauch, kann der [X.] die Beschwerdebegründung bis zum
Zeitpunkt des Erlasses der Beschwerdeentscheidung nachreichen (Schulte-Bunert/Weinreich/[X.] FamFG 4.
Aufl. §
65 Rn.
7; vgl. auch [X.] Beschluss vom 12.
Juli 2012

IX
[X.]
270/11

FamRZ 2012, 1561 Rn.
8). Dies folgt daraus, dass die gerichtliche Entschei-dungsfindung erst mit dem Erlass des Beschlusses ihr Ende findet und dieser erst dann als Rechtsprechungsakt existent wird ([X.]/[X.] FamFG 18.
Aufl. §
38 Rn.
88). Bis zum Zeitpunkt des Erlasses befindet sich der [X.] nur im [X.] und
kann daher vom Gericht
noch abgeändert werden. Nach §
38 Abs.
3 Satz
3 FamFG ist die nicht verkündete Beschwerde-entscheidung mit der Übergabe des von den Mitgliedern des [X.] un-terzeichneten Beschlusses an die Geschäftsstelle
erlassen.
Daher sind
in Be-treuungssachen Schriftsätze des Beschwerdeführers, die bis zu diesem Zeitpunkt eingehen, grundsätzlich bei der Beschwerdeentscheidung noch zu [X.]. Dies gilt selbst
dann, wenn die Entscheidung im Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerdebegründung von allen Mitgliedern des [X.] bereits [X.], aber noch nicht an die Geschäftsstelle übergeben worden ist
(Prütting/[X.]/[X.] FamFG 3.
Aufl. §
65 Rn.
10).
Bleibt schriftsätzliches Vorbrin-gen, das vor Erlass
der Entscheidung [X.]. §
38 Abs.
3 Satz
3 FamFG [X.] ist, unberücksichtigt, wird der Beschwerdeführer in seinem
Anspruch auf rechtliches Gehör
(Art.
103 Abs.
1 GG) auch dann verletzt, wenn dem Beschwer-7
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-
degericht der Schriftsatz nicht mehr rechtzeitig vorgelegt worden ist (vgl. BayObLG NJW-RR 1999, 1685, 1686).
b) Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht das Vorbringen des Be-troffenen im Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 22.
September 2014
schon bei der Entscheidung über die Beschwerde berücksichtigen müssen. Zwar hat das Beschwerdegericht, das dem Betroffenen keine Frist zur [X.] des Rechtsmittels bestimmt hat (§
65 Abs.
2 FamFG),
bereits am 23.
Sep-tember 2014 über die Beschwerde des Betroffenen entschieden,
während
die Beschwerdebegründung
vom 22.
September 2014 erst am 29.
September 2014 beim [X.] eingegangen
ist. Aus den Verfahrensakten ergibt sich jedoch, dass der von
den Mitgliedern der [X.] unterzeichnete Beschluss erst am 30.
September 2014 an die Geschäftsstelle des [X.]s übergeben worden ist. Da die Beschwerdebegründung somit noch vor Erlass der [X.] beim [X.] eingegangen war, durfte
das darin enthaltene Vorbringen bei der Beschwerdeentscheidung nicht unberücksichtigt bleiben.
2. Diese Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist auch ent-scheidungserheblich.
a) Dem steht nicht entgegen, dass das Beschwerdegericht den Schriftsatz des Betroffenen vom 22.
September 2014 als Gegenvorstellung behandelt, sich inhaltlich mit dem Beschwerdevorbringen auseinandergesetzt und die Gegenvor-stellung schließlich mit Beschluss vom 27.
Oktober 2014 zurückgewiesen hat. Die Rechtsbeschwerde weist schon
zu Recht darauf hin, dass es einen wesentli-chen Unterschied macht, ob ein Beschwerdevorbringen zur Grundlage der Be-schwerdeentscheidung gemacht oder nur nach Erlass der Entscheidung im Rahmen eines außerordentlichen Rechtsbehelfs verbeschieden wird. Es kann

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daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Beschwerdegericht bei
Berück-sichtigung des Inhalts des Schriftsatzes vom 22.
September 2014 über die Be-schwerde anders entschieden hätte.
b) Entscheidend ist allerdings, dass die
Gegenvorstellung von vornherein ein untauglicher Rechtsbehelf war, um die eingetretene Gehörsverletzung zu hei-len.
Die Gegenvorstellung kommt als außerordentlicher Rechtsbehelf grundsätz-lich nur gegen solche formell rechtskräftigen Entscheidungen in Betracht, die nicht in materielle Rechtskraft erwachsen oder diese herbeiführen und die noch nicht unabänderbar sind (zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Gegenvor-stellung vgl. [X.] NJW 2009, 829 Rn.
33). Insbesondere ist eine Gegenvor-stellung mangels Rechtsschutzbedürfnisses ausgeschlossen, wenn ein [X.] oder förmlicher Rechtsbehelf eröffnet ist ([X.]/[X.] FamFG 18.
Aufl. Anhang zu §
58 Rn.
50). Letzteres
ist hier der Fall. Da sich der [X.] gegen die Betreuerbestellung wendet, ist
gegen die Beschwerdeentscheidung die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach §§
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1, 271 Nr.
1 FamFG statthaft, so dass das Beschwerdegericht schon aus diesem Grund nicht befugt war, die zu diesem Zeitpunkt bereits erlassene Beschwerdeentscheidung im Wege einer Gegenvorstellung abzuändern.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeu-tung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung beizutragen (§
74 Abs.
7 FamFG).
4. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Eine eigene Ent-scheidung in der Sache ist dem Senat verwehrt, weil diese noch nicht entschei-12
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dungsreif ist, §
74 Abs.
6 Satz
1 und 2 FamFG.
Daher ist die Sache an das Be-schwerdegericht zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
Das Beschwerdegericht wird zu prüfen haben, ob das Sachverständigen-gutachten, auf das bisher
die Betreuungsbedürftigkeit des
Betroffenen gestützt wird, ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden ist und es inhaltlich den Anforderungen entspricht, die der Senat für die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren aufgestellt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 16.
November 2011

XII
[X.]
6/11

FamRZ 2012, 293 Rn.
23). Das [X.] wird sich erneut auch
mit der Frage beschäftigen müssen, ob im Hinblick auf die vom Betroffenen vor-gelegte Vorsorgevollmacht vom 9.
Januar 2012 überhaupt ein Betreuungsbedarf besteht.
Dose

Ri[X.] Dr.
Klinkhammer hat

Günter

Urlaub und ist deswegen an

einer Unterschrift gehindert.
Dose

Botur

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.08.2014 -
2 XVII B 347 -

LG [X.], Entscheidung vom 23.09.2014 -
I-5 [X.] -

15
16

Meta

XII ZB 525/14

15.07.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.07.2015, Az. XII ZB 525/14 (REWIS RS 2015, 8146)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8146

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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