Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.08.2012, Az. 2 StR 218/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 4053

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 218/12
vom
7.
August 2012
in der Strafsache
gegen

wegen
Mordes

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 7.
August 2012 gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.]s [X.] -
[X.]
-
vom 29.
November 2011 aufgehoben.

2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichts-kammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil vom 11.
August 2010 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dieses Urteil hat der [X.] mit Beschluss vom 6.
April 2011 auf eine Verfah-rensrüge des Angeklagten aufgehoben, die den Ausschluss eines zur Schuld-fähigkeit vernommenen Sachverständigen zum Gegenstand hatte. Das [X.] hat nun den Angeklagten erneut
wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des [X.]s war die Ehe des griechisch-stämmigen Angeklagten und seiner [X.] Frau D.

seit Jahren 1
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-
durch Streitigkeiten und Auseinandersetzungen belastet. Diese lagen darin [X.], dass die in [X.] lebende Familie der Ehefrau diese drängte, wieder dorthin zurückzukehren. Die Ehefrau des Angeklagten war insbesondere unzufrieden mit dem Umstand, dass der Angeklagte erwerbslos war und die drei gemeinsamen, 2005, 2008 und 2009 geborenen Kinder nur durch die
finanzielle Unterstützung seiner Eltern ernähren konnte. Sie beschimpfte den Angeklagten des Öfteren -
auch im Beisein Dritter
-
als "Waschlappen"
und warf ihm vor, [X.]"
zu sein. Auch ohrfeigte sie ihn und warf mit Ge-genständen nach ihm. Der Angeklagte, bei dem es sich um eine aggres-sionsgehemmte, übermäßig angepasste Persönlichkeit handelt,
nahm die [X.] und auch die körperlichen Attacken stets duldend hin, allenfalls schrie er gelegentlich zurück. Bereits in 2006 äußerte sie [X.] und [X.] immer wieder, nach [X.] zurückzukehren.
Im Mai 2009 hielten sich der Angeklagte und seine Ehefrau im Urlaub in [X.] C.

auf, um ihre Beziehung zu überdenken. Die Streitigkeiten und die Demütigungen von D.

gegenüber dem Angeklagten setzten sich jedoch unverändert fort. Am Tattag, dem 16.
Mai 2009, kam es in der Ferienwohnung, in der beide sich zu diesem Zeitpunkt alleine aufhielten, erneut zu einem hefti-gen Streit. Im Verlauf des Streits erklärte D.

dem Angeklagten, sie [X.] ihn verlassen. Sie habe einen neuen Partner, der bereit sei, sie zu versor-gen und mit ihr und den drei Kindern nach [X.] zu gehen. Schließlich ohrfeigte sie den Angeklagten und wandte ihm sodann den Rücken zu.
Der Angeklagte erkannte nunmehr, dass auch der gemeinsame Urlaub keine Versöhnung mit seiner Ehefrau gebracht hatte
und fasste den Ent-schluss, seine kräftige und durchsetzungsstarke Ehefrau mit einem Angriff von hinten zu überraschen, um sie zu töten. Der Angeklagte legte D.

in Um-setzung dieses Plans den zuvor von seiner Hose gezogenen Gürtel um den 3
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Hals, verdrehte die beiden Enden des Gürtels an der linken [X.]
und zog sie mit erheblicher Gewalt zu. Bei dem Versuch, sich zur Wehr zu set-zen, schlug D.

mit dem Gesicht gegen die Küchenwand. Frühestens nach 20
Sekunden war sie bewusstlos. Der Angeklagte hielt den massiven Zug auf dem Gürtel durchgängig über drei Minuten hinweg aufrecht. Schließlich sackte D.

nach hinten in sich zusammen und verstarb infolge der [X.]. Der Angeklagte erkannte anhand der Blaufärbung des Gesichts, dass sie tot war. Sodann entnahm er aus der Küche ein Messer und fügte sich selbst und D.

an beiden Unterarmen Schnittwunden zu, um ein für ihn günsti-geren Geschehensablauf vorzutäuschen. Anschließend steckte er das Messer ein und erbrach sich. Er wechselte seine blutverschmierte Hose, nahm seine Papiere, das Mobiltelefon sowie seine Wohnungsschlüssel und verließ die Wohnung. Am Folgetag wurde er wegen seines auffälligen Verhaltens am [X.] in F.

einer Personenkontrolle unterzogen, die zu seiner Festnahme führte.
Das [X.] hat das Vorliegen einer erheblich verminderten Schuld-fähigkeit (§ 21 StGB) verneint. Dabei war die [X.] von zwei psychiatri-schen Sachverständigen beraten, von denen Dr.
M.

das Vorliegen
eines kurzzeitigen, auf das unmittelbare Tatgeschehen beschränkten Affekts im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung nicht sicher ausschließen konnte, während Prof.
O.

dies sicher verneinte.
II.
1.
Die Ausführungen zur Verneinung einer
erheblich verminderten Schuldfähigkeit halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ob die affektive Erregung, die bei vorsätzlichen Tötungsdelikten eher normaltypisch

ist, einen solchen Grad erreicht hat, dass sie zu einer tiefgreifenden Bewusst-5
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seinsstörung und damit zu einem
Eingangsmerkmal im Sinne von §
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StGB geführt hat, ist anhand von tat-
und täterbezogenen Merkmalen zu beurteilen, die als Indizien für und gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechen können. Diese Indizien sind dabei im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. [X.] NStZ 2008, 510, 512).
a)
Das [X.] hat bei der Verneinung einer tiefgreifenden Bewusst-seinsstörung maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte bei der
ge-samten Tatausführung planerisch gehandelt habe, indem er seine wehrhafte Ehefrau bewusst von hinten angegriffen habe. Insbesondere die Zeitdauer des Tatgeschehens spreche gegen das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewusst-seinsstörung. Der Angeklagte habe
den sich über Minuten hinziehenden Dros-selvorgang aufrechterhalten; ein typischer, explosionsartiger Emotionsdurch-bruch liege nicht vor. Während der Tatausführung habe er die Reaktionen [X.] Ehefrau wahrzunehmen vermocht. Seine Erinnerung an den [X.] sei konstant erhalten. Auch fehle es an einem Auslöser für einen [X.], da es sich bei dem unmittelbaren [X.] um eine alltägliche Streit-situation gehandelt habe. [X.] habe seine Ehefrau bereits

Jahre zuvor geäußert und eine Rückkehr nach [X.] immer wieder in Erwägung gezogen. Unmittelbar nach der Tat sei der Angeklagte erneut plane-risch tätig geworden, indem er seiner Ehefrau und sich selbst Schnittverletzun-gen zugefügt habe, um die rekonstruierbaren Handlungsabläufe zu "verwi-schen". Der Angeklagte habe sich nicht von der Tat erschüttert gezeigt,
sondern habe nach der Tat [X.] seine Hose gewechselt, seine Papiere, Wohnungsschlüssel und sein Handy an sich genommen, bevor er die Wohnung verlassen
habe (UA S.
51
ff.).
b)
Diese Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das [X.] einzelne für bzw. gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts spre-7
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chende Indizien übersehen oder falsch gewichtet hat und infolgedessen zu
einer rechtsfehlerhaften Gesamtwürdigung gelangt ist.
aa)
So findet die der Tatbegehung unmittelbar vorausgegangene [X.] durch die Ehefrau keine Erwähnung. Dies lässt besorgen, dem [X.] könnte aus dem Blick geraten sein, dass dieser körperliche Übergriff, der auch im Rahmen der gutachterlichen Erwägungen keine Berücksichtigung findet, etwa im Zusammenwirken mit der Äußerung, mit einem neuen Partner und den gemeinsamen Kindern nach [X.] gehen zu wollen, eine
affektauslösende Wirkung gehabt haben könnte. Einer dahingehenden Deu-tung steht dabei nicht entgegen, dass es bereits des Öfteren zu körperlichen Übergriffen durch die Ehefrau des Angeklagten gekommen war und diese in

der Vergangenheit bereits [X.] geäußert hatte, ohne dass dies zu gewalttätigen Reaktionen des Angeklagten geführt hätte. Angesichts der dargelegten Tatvorgeschichte ist es durchaus vorstellbar, dass sich bei

dem Angeklagten über eine längere Zeit eine Affektverfassung aufgebaut hat, die sich -
begünstigt durch die wiederholten Demütigungen und die angewen-dete Gewalt am Tattag, die womöglich das "Fass zum Überlaufen"
gebracht haben
-
in der Tat ein Ventil gesucht hat (vgl. [X.] NStZ 2006, 511; s. auch im Zusammenhang mit §
213 StGB [X.] NStZ 2011, 339). Aus diesem Grund [X.] sich die [X.] ausdrücklich auch mit dem Umstand der körperlichen Gewaltausübung gegenüber dem Angeklagten unmittelbar vor der Tat auseinandersetzen müssen.
bb)
Die dem Angeklagten vorgeworfene Tat ist ihm aufgrund seines übermäßig angepassten, duldend-labilen und aggressionsgehemmten Charak-ters (UA S.
52) persönlichkeitsfremd. Auch dieser Umstand stellt ein mögliches Indiz für eine affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung des Angeklag-ten dar, das das [X.] in seine Überlegungen hätte einbeziehen müssen. 9
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Dies gilt umso mehr, als das Urteil keinen bestimmenden Auslöser für die be-gangene Tat benennt. Dass der Angeklagte nach der Äußerung seiner Ehefrau, sie werde mit einem neuen Partner und den gemeinsamen Kindern nach
[X.] gehen, nunmehr die Erfolglosigkeit der Bemühungen um eine Beilegung der Streitigkeiten trotz des gemeinsamen Versöhnungsurlaubs er-kannte (UA S.
13), hat das [X.] nämlich nicht als einen tatauslösenden Umstand, sondern -
ohne dies näher auszuführen
-
lediglich als eine alltägliche Streitsituation angesehen (UA S.
54). Warum es trotz einer wieder vorkom-menden Auseinandersetzung bei einem nicht gewaltgeneigten, sich eher zu-rückziehenden und nicht auf eine Streitaustragung bedachten Angeklagten zu einer solchen Gewalttat gekommen ist, ohne dass dies auf einen Affekt zurück-zuführen ist, erläutert das [X.] insoweit nicht. Letztlich bleibt so unklar, wie es angesichts der aggressionsgehemmten Persönlichkeit des Angeklagten bei Nichtvorliegen eines schuldrelevanten Affekts zu der Tat kommen konnte.
cc)
Soweit das [X.] Anhaltspunkte für einen affekttypischen mar-kanten Zeitpunkt der Realisierung der Tat und der Erschütterung über das
eigene Tun vermisst (UA S.
53), lässt es außer Betracht, dass der Angeklagte in der unmittelbar auf die Tat folgenden Phase mit dem Erbrechen eine mög-licherweise insoweit relevante unwillkürliche körperliche Reaktion gezeigt hat. Ebenso setzt es sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass der Angeklagte am
darauffolgenden Tag der Bundespolizei am [X.] in F.

we-gen seines auffälligen Verhaltens und seines derangierten Äußeren auffiel. So bleibt unerörtert, ob dies Rückschlüsse auf den inneren Zustand des Angeklag-ten zulässt und damit womöglich die Annahme von Betroffenheit und Erschütte-rung nach Realisierung der Tat in Betracht kommt.
dd)
Schließlich begegnet auch die Annahme des [X.]s, die [X.] des dreiminütigen Drosselvorgangs spreche entscheidend gegen die von 11
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8
-
dem Sachverständigen Dr.
M.

für nicht ausschließbar angesehene kurz-zeitige tiefgreifende Bewusstseinsstörung, rechtlichen Bedenken. Sie verliert aus dem Blick, dass die Zeitdauer des [X.] dieser Tötungsart immanent ist und für sich gesehen der Annahme eines explosionsartigen Emotionsdurch-bruchs nicht entgegensteht. Dass sich von vornherein eine affektausgelöste Tötung durch Erdrosseln über einen Zeitraum von drei Minuten nicht erstrecken kann, versteht sich jedenfalls nicht von selbst und hätte deshalb näherer
Be-gründung bedurft.
ee)
Die aufgeführten Mängel in der Gesamtwürdigung des [X.]s führen -
jedenfalls in ihrem Zusammenwirken
-
zur Aufhebung des [X.]. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei voll-ständiger Berücksichtigung und hinreichender Gewichtung der erheblichen Um-stände zur Annahme einer affektbedingten erheblich verminderten Schuld-fähigkeit gekommen wäre.
c)
Dies zieht die Aufhebung des Urteils auch im Schuldspruch nach sich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Schwurgericht bei rechtsfeh-lerfreier Prüfung der Voraussetzungen einer verminderten Schuldfähigkeit nicht zu einer Verurteilung wegen ([X.] gekommen wäre.
2.
Der [X.] macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß §
354 Abs.
2 Satz
1 Alt.
2 StPO an ein zu demselben Land gehörendes [X.] gleicher Ordnung zurückzuverweisen. Der [X.] weist darauf hin,
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dass der neue Tatrichter zur Prüfung des Vorliegens einer erheblich verminder-ten Schuldfähigkeit einen mit der Sache bisher nicht befassten psychiatrischen Sachverständigen beauftragen sollte.

Becker
Fischer
Schmitt

Krehl
Ott

Meta

2 StR 218/12

07.08.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.08.2012, Az. 2 StR 218/12 (REWIS RS 2012, 4053)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4053

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