Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2023, Az. IX ZR 161/22

9. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 4318

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Gegenstand

Rechtsanwaltskosten: Einigungsgebühr für gerichtlich gebilligten Zwischenvergleich im Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangs


Leitsatz

Ein im Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangs geschlossener und gerichtlich gebilligter Zwischenvergleich kann eine 1,0 Einigungsgebühr zur Entstehung bringen.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des [X.] vom 28. Juli 2022 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 647,28 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse verlangt die klagende Rechtsanwältin von der Beklagten die Zahlung einer 1,0 [X.] nach den Nr. 1000, 1003 [X.]. Die Beklagte war Antragsgegnerin in einem Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangsrechts vor dem [X.]. Sie wurde von der Klägerin vertreten. Zwischen der Klägerin und der Beklagten wurde eine Vergütungsvereinbarung geschlossen, nach der die anfallenden Gebühren nach einem Gegenstandswert von 10.000 € abgerechnet werden sollten. Im Termin vor dem [X.] wurde unter Mitwirkung der Klägerin ein gerichtlich gebilligter Zwischenvergleich, insbesondere über öffentliche Umgangskontakte und das Einverständnis der Eltern mit der befristeten Bestellung eines Umgangspflegers, geschlossen. Danach wurde der [X.] zwischen der Klägerin und der Beklagten beendet.

2

Das Amtsgericht hat der Klägerin die geltend gemachte [X.] nach einem Gegenstandswert von 10.000 € zugesprochen. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Entrichtung der [X.].

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat gemeint, der geschlossene Zwischenvergleich erfülle die Voraussetzungen der Nr. 1003 Abs. 2 [X.]. Dem stehe nicht entgegen, dass durch den Vergleich lediglich eine vorläufige Regelung getroffen worden und eine abschließende gerichtliche Entscheidung im Hauptsachverfahren erforderlich geblieben sei. Die vergleichsweise getroffene Regelung habe Gegenstand einer einstweiligen Anordnung über das Umgangsrecht sein können und hätte zur Beendigung des [X.] geführt. Die Beendigung eines einstweiligen [X.] rechtfertige die Abrechnung einer [X.] in jedem Fall. Es sei kein Grund ersichtlich, den Abschluss eines inhaltsgleichen Vergleichs im Hauptsacheverfahren anwaltsgebührenrechtlich anders zu behandeln, nur weil nicht zusätzlich ein einstweiliges Anordnungsverfahren durchgeführt worden sei.

5

Der Gegenstandswert für die [X.] sei nicht entsprechend § 41 Satz 2 FamGKG auf die Hälfte zu reduzieren. Die getroffene Vergütungsvereinbarung, wonach nach einem Gegenstandswert von 10.000 € abgerechnet werden solle, gehe im Verhältnis der Parteien zueinander einer gesetzlichen Bestimmung des Gegenstandswerts vor.

II.

6

Die Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

7

1. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass durch die Mitwirkung der klagenden Rechtsanwältin beim Abschluss des gerichtlich gebilligten [X.] im Umgangsverfahren eine 1,0 [X.] nach den Nr. 1000, 1003 [X.] in der einschlägigen, bis zum 30. September 2021 geltenden Fassung entstanden ist.

8

a) Gemäß Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Anmerkung zur Nr. 1000 [X.] entsteht eine 1,5 [X.] für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Nach Abs. 1 Satz 2 der Anmerkung entsteht die Gebühr nicht, wenn sich der Vertrag ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt. In [X.] ist Abs. 1 Satz 1 und 2 der Anmerkung zur Nr. 1000 [X.] für die Mitwirkung an einer Vereinbarung entsprechend anzuwenden, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann (Anmerkung Abs. 5 Satz 3 zur Nr. 1000 [X.]).

9

Nach der Nr. 1003 [X.] beträgt die Gebühr nach der Nr. 1000 [X.] 1,0, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbständiges Beweisverfahren anhängig ist. Nach Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] entsteht die Gebühr in [X.] auch für die Mitwirkung am Abschluss eines gerichtlich gebilligten Vergleichs (§ 156 Abs. 2 FamFG) und an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt.

b) Die Regelungen des Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] sind in mehrfacher Hinsicht auslegungsbedürftig. Anhand des Wortlauts der Anmerkung lässt sich nicht sicher beantworten, ob es sich um einen eigenständigen Gebührentatbestand oder um eine Ergänzung der in Nr. 1000 [X.] geregelten Voraussetzungen für die Entstehung der [X.] handelt. Damit im Zusammenhang steht die Frage, ob sich der letzte Halbsatz des Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] ("wenn hierdurch …") auf beide Varianten der Regelung bezieht - gerichtlich gebilligter Vergleich und Vereinbarung - oder nur auf die Vereinbarung, über deren Gegenstand vertraglich nicht verfügt werden kann.

aa) Die bisher vorliegende Rechtsprechung behandelt die Frage, ob es sich bei Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] um einen eigenständigen Gebührentatbestand oder um eine Ergänzung der in Nr. 1000 [X.] geregelten Voraussetzungen handelt, entweder nicht ausdrücklich (vgl. etwa [X.], [X.], 451; [X.], [X.], 319; [X.], [X.], 1939) oder lässt sie offen (vgl. [X.], [X.] 2016, 1595 Rn. 33 ff). Die Frage, ob sich der letzte Halbsatz des Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] ("wenn hierdurch …") auch auf den gemäß § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich bezieht, wird teilweise verneint ([X.], aaO Rn. 31). Das [X.] ([X.] 2012, 62, 64) und das [X.] ([X.] 2005, 640) haben es hingegen für notwendig gehalten, dass eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder diese der getroffenen Vereinbarung folgt.

bb) Richtigerweise ist Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] kein eigenständiger Gebührentatbestand und gilt das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung im letzten Halbsatz des Abs. 2 nicht für den gemäß § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich.

(1) Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] ist durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ([X.] - [X.]) vom 17. Dezember 2008 ([X.]) angefügt worden. Dem Regierungsentwurf des Gesetzes ist zu entnehmen, dass mit Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] von der sonst üblichen Regelungstechnik abgewichen wird, dass alle Voraussetzungen für das Entstehen der [X.] in der Anmerkung zur Nr. 1000 [X.] zu finden sind. Ferner wird zwischen den beiden Varianten des Abs. 2 unterschieden und nur hinsichtlich der Vereinbarungen im Übrigen - nicht für den gerichtlich gebilligten Vergleich - auf das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung verwiesen (BT-Drucks. 16/6308, S. 341).

(2) Aus der Unterscheidung zwischen den beiden Varianten des Abs. 2 der Anmerkung in den Gesetzesmaterialien folgt, dass das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung im letzten Halbsatz des Abs. 2 nach dem Willen des Gesetzgebers nicht für den gemäß § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich gelten soll. Ein hinreichend deutlicher Wille des Gesetzgebers zur Regelung eines eigenständigen Gebührentatbestands lässt sich den Gesetzesmaterialien hingegen nicht entnehmen. Danach soll zwar von der sonst üblichen Regelungstechnik abgewichen werden. Das enthält aber keine vollständige Abkehr vom System der Nr. 1000 [X.] als Grundtatbestand. Insbesondere ist Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] nicht aus sich heraus abschließend (aA [X.], aaO Rn. 34), wenn man das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung nicht auf den gemäß § 156 Abs. 2 FamFG gebilligten Vergleich bezieht.

Es ist deshalb davon auszugehen, dass Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 [X.] zusätzliche Voraussetzungen für die Entstehung der [X.] enthält, diese aber nicht abschließend regelt. Danach reicht die Mitwirkung am Abschluss eines gemäß § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleichs nicht aus. Hinzukommen muss, dass durch den Vergleich der Streit oder die Ungewissheit beseitigt wird (Anmerkung Abs. 5 Satz 3 iVm Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zur Nr. 1000 [X.]). Daran hat sich durch die Neufassung der Anmerkung zur Nr. 1000 [X.] durch das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22. Dezember 2020 ([X.]) nichts geändert. Der Gesetzgeber hat das Erfordernis der Beseitigung von Streit oder Ungewissheit gleichsam vor [X.] gezogen. Deshalb verweisen die in Abs. 5 der Anmerkung enthaltenen Regelungen über Vereinbarungen in [X.] nicht mehr ausdrücklich auf dieses Erfordernis.

c) Streit oder Ungewissheit kann auch durch einen gemäß § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Zwischenvergleich beseitigt werden.

aa) Der Wortlaut des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Anmerkung zur Nr. 1000 [X.] spricht allerdings dafür, dass für die Entstehung der [X.] eine endgültige Einigung über alle streitigen oder ungewissen Punkte erforderlich ist. In Bezug genommen wird "der" Streit oder "die" Ungewissheit und damit die gesamte im konkreten Fall vorliegende Uneinigkeit oder Unsicherheit. Ein solches Verständnis widerspräche jedoch Sinn und Zweck der [X.]. Die streitvermeidende oder -beendende Tätigkeit des Rechtsanwalts soll gefördert werden, die [X.] dadurch gerichtsentlastend wirken (vgl. BT-Drucks. 15/1971, [X.]; [X.]/[X.], Kostenrecht, 53. Aufl., [X.] 1000 Rn. 1; BeckOK-[X.]/[X.], [X.], 2023, [X.] 1000 vor Rn. 1; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., [X.] 1000 Rn. 3). Diese Regelungsziele erfassen auch [X.] (vgl. BeckOK-[X.], aaO Rn. 17; [X.]/[X.]/[X.], aaO Rn. 48; [X.]/Müller-Rabe, [X.], 25. Aufl., [X.] 1000 Rn. 136 ff). [X.] können gegenständlich oder zeitlich beschränkt erfolgen. Auch ein Zusammenspiel aus gegenständlich und zeitlich beschränkter Einigung ist denkbar. Maßgeblich ist, ob die geregelten Teile unabhängig vom weiterhin streitigen Rest Bestand haben sollen (vgl. BeckOK-[X.]/[X.], aaO; [X.]/Müller-Rabe, aaO Rn. 141, 160).

bb) Die Einbeziehung von [X.] führt nicht zu einer unbilligen Gebührenlast für den Mandanten. Die [X.] ist eine Wertgebühr. Im Falle einer Teileinigung ist sie - vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen zwischen Rechtsanwalt und Mandant - nach dem Wert zu berechnen, auf den sich die getroffene Einigung bezieht (vgl. [X.]/Müller-Rabe, aaO Rn. 144). Werden in einer gebührenrechtlichen Angelegenheit mehrere [X.] getroffen, kann die Gebührenlast für den Mandanten im Ergebnis nicht höher sein als die [X.], berechnet nach dem vollen Wert. Ob dies aus einer (entsprechenden) Anwendung des § 15 Abs. 3 [X.] folgt (so [X.]/[X.]/[X.], aaO § 15 Rn. 113; [X.], aaO § 15 Rn. 36) oder aus § 15 Abs. 2 [X.] abzuleiten ist (so [X.], [X.] 2016, 1595 Rn. 40; [X.], [X.], 393; [X.]/[X.], aaO § 15 Rn. 89; BeckOK-[X.]/[X.], aaO Rn. 44), muss nicht abschließend entschieden werden. Auch bei einer Anwendung von § 15 Abs. 2 [X.] muss allerdings eine (Teil-)Gebühr schon mit der ersten Teileinigung verdient sein (vgl. [X.]/[X.], aaO; aA möglicherweise BeckOK-[X.]/[X.], aaO). Anderenfalls würde die Mitwirkung des Rechtsanwalts an einer Teileinigung nicht vergütet, wenn - wie hier - eine Einigung über den streitigen Rest unter seiner Mitwirkung ausbleibt.

d) Der im Streitfall unter Mitwirkung der Klägerin geschlossene Zwischenvergleich ist eine Teileinigung im vorstehenden Sinne. Die Einigung beschränkt sich nicht auf die weitere Vorgehensweise (vgl. KG, [X.], 1940). Vielmehr haben sich die Beteiligten auf wöchentliche Umgangskontakte für die nächsten "circa drei" Monate geeinigt und damit eine in zeitlicher Hinsicht beschränkte Teileinigung getroffen. Diese sollte unabhängig von einer Einigung oder einer gerichtlichen Entscheidung über den Rest Bestand haben.

2. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht der Berechnung der 1,0 [X.] nach den Nr. 1000, 1003 [X.] einen Gegenstandswert von 10.000 € zugrunde gelegt hat. Die Parteien haben eine Vergütungsvereinbarung getroffen, nach der die anfallenden Gebühren nach einem Gegenstandswert von 10.000 € abgerechnet werden sollten. Das Berufungsgericht hat die getroffene Vereinbarung ausgelegt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der vereinbarte Streitwert auch für die hier zur Entstehung gelangte [X.] zur Abgeltung der Mitwirkung der Klägerin bei der getroffenen Teileinigung gilt. Diese tatrichterliche Würdigung hält der beschränkten revisionsrechtlichen Prüfung stand.

Schoppmeyer     

  

Lohmann     

  

Schultz

  

Selbmann     

  

Harms     

  

Meta

IX ZR 161/22

25.05.2023

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Kleve, 28. Juli 2022, Az: 6 S 71/21

Nr 1000 RVG-VV, Nr 1003 RVG-VV, § 156 Abs 2 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2023, Az. IX ZR 161/22 (REWIS RS 2023, 4318)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4318

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