Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2023, Az. 6 StR 316/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2023, 8044

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 10. November 2022 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

2. Die Revisionen der Angeklagten [X.], P.     , [X.]     und [X.]    werden verworfen. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen schwerer Bandendiebstähle und wegen weiterer Vermögensdelikte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt sowie [X.] getroffen. Bezüglich des Angeklagten [X.]     hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Dessen Revision hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 [X.]); im Übrigen ist sie ebenso unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.] wie die Rechtsmittel der weiteren Angeklagten.

2

1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

3

a) Ein Verstoß gegen § 229 Abs. 1 [X.] liegt nicht vor. Die Hauptverhandlung war zwischen dem Termin vom 7. Dezember 2021 und dem nachfolgenden Termin vom 27. Januar 2022 nur 20 Tage und damit nicht länger als drei Wochen unterbrochen, weil der Ablauf dieser Frist (vgl. zur Berechnung [X.], Beschluss vom 28. Juli 2020 – 6 [X.], [X.], 622) vom Beginn des 15. Dezember 2021 bis zum Ablauf des 13. Januar 2022 nach § 10 [X.] für 30 Tage gehemmt war. Die [X.] ist entsprechend § 209 BGB zu bestimmen. Sie beginnt daher mit dem Tag, an dem der [X.] eingetreten ist, und endet mit dem Tag seines Wegfalls. Beide Tage gehören zur [X.] und werden nicht in den [X.] eingerechnet (vgl. [X.], Urteil vom 11. Februar 2009 – [X.], [X.], 1488, 1491 [zu § 209 BGB]; [X.] in [X.], 1. Aufl., § 229 Rn. 21; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 27. Aufl., § 229 Rn. 27; [X.]/[X.] in [X.] Kommentar, [X.], 9. Aufl., § 229 Rn. 15).

4

b) Soweit sich die Revisionen gegen die Ablehnung von Anträgen auf Einholung von Sachverständigengutachten wenden, sind diese [X.] nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]), weil der Inhalt des in der ablehnenden Entscheidung des [X.]s in Bezug genommenen Tatbefundberichts nicht mitgeteilt wird, obwohl dieser zum Verständnis geboten gewesen wäre. Sie wären im Übrigen unbegründet.

5

2. Durchgreifenden Bedenken begegnet die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten [X.]     in einer Entziehungsanstalt.

6

a) Der Senat hat gemäß § 2 Abs. 6 StGB über die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in der am 1. Oktober 2023 in [X.] getretenen Fassung ([X.] vom 2. August 2023) zu entscheiden (§ 354a [X.]).

7

b) Hieran gemessen halten die den symptomatischen Zusammenhang begründenden Erwägungen revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.

8

aa) Nach § 64 Satz 1 StGB darf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur noch angeordnet werden, wenn die ihr zugrundeliegenden Taten „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen. Durch die Schärfung des [X.] zwischen „Hang“ und „[X.]“ soll erreicht werden, dass Personen, bei denen die Straffälligkeit nicht überwiegend auf den Hang, sondern (auch) auf andere Ursachen zurückzuführen ist, künftig nicht mehr die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB erfüllen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, [X.]). Die Mitursächlichkeit des Hangs muss quantitativ andere Ursachen übertreffen, somit mehr als diese für die Begehung der Tat ausschlaggebend sein (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 69).

9

bb) Ausgehend von diesem neuen Maßstab belegen die Urteilsgründe nicht, dass die der Erlangung von Bargeld dienenden [X.]en überwiegend auf den Hang des Angeklagten zurückzuführen sind. Denn zum einen bleibt offen, welcher Anteil der Tatbeute des von Sozialleistungen lebenden Angeklagten für den Erwerb von Kokain und die Begleichung von [X.] verwendet worden ist und welcher Anteil auf die Bestreitung des allgemeinen Lebensunterhaltes und andere Zwecke entfallen ist. Zum anderen hat die [X.] festgestellt, dass beim Angeklagten unabhängig von seinem Hang, Kokain und Cannabis im Übermaß zu konsumieren, aufgrund seiner dis[X.] Tendenzen und seiner Etablierung in dem [X.] Umfeld der „H.        “ ein „Basisrisiko“ für die Begehung von Straftaten bestehe.

c) Auch die Erfolgsaussicht ist nicht tragfähig begründet.

aa) Schon nach § 64 Satz 2 StGB in der bis zum 30. September 2023 geltenden Fassung bedurfte die Beurteilung der danach erforderlichen „hinreichend konkreten Erfolgsaussicht“ einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände, wobei neben der [X.] auch etwaige prognoseungünstige Faktoren einzubeziehen waren. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung reichte nicht aus; notwendig war vielmehr eine durch Tatsachen belegte Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 2023 – 5 [X.], Rn. 14 mwN). Nunmehr setzt § 64 Satz 2 StGB voraus, dass der Behandlungserfolg „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Durch die Neufassung der Vorschrift sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt „eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt wird; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70).

bb) Hier lässt die Annahme, dass die für eine erfolgreiche Therapie erforderliche Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten „im Rahmen der forensischen Therapie erfolgen könne“, besorgen, dass die [X.] von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen ist. Dies gilt auch, soweit sie – dem Sachverständigen folgend – ausgeführt hat, dass sich „im Verlauf der therapeutischen Bearbeitung seiner Selbstbewusstseinsdefizite (…) das Festhalten des Angeklagten (…) an dem Milieu der H.         wahrscheinlich relativieren und die Therapiemotivation wahrscheinlich steigen“ werde.

3. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung – wiederum unter Heranziehung eines Sachverständigen (§ 246a [X.]) – neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 [X.]).

Sander     

      

Feilcke     

      

Wenske

      

Fritsche     

      

von [X.]     

      

Meta

6 StR 316/23

02.11.2023

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Verden, 10. November 2022, Az: 2 KLs 16/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2023, Az. 6 StR 316/23 (REWIS RS 2023, 8044)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8044

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 StR 452/23 (Bundesgerichtshof)


3 StR 343/23 (Bundesgerichtshof)


1 StR 214/23 (Bundesgerichtshof)

Anforderungen an die Feststellungen zur Annahme einer "überwiegenden" Ursächlichkeit eines Hangs zum übermäßigen Rauschmittelkonsum und …


3 StR 429/23 (Bundesgerichtshof)


3 StR 225/23 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.