Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2016, Az. X ZR 76/15

X. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 411

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:201216UXZR76.15.0

BUN[X.]SGERI[X.]HTSHOF
IM NAMEN [X.]S VOLKES
URTEIL
X ZR 76/15
Verkündet am:

20.
Dezember 2016

Hartmann

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

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2
-
Der X.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20.
Dezember 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr.
Meier-Beck, die Richter Dr.
Grabinski und Dr.
Bacher sowie die Richterinnen Schuster und Dr.
Kober-Dehm
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 24.
Zivilkammer des [X.] vom 25.
Juni 2015 wird auf Kosten der [X.] zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
-
3
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Tatbestand:
Die Kläger begehren von der [X.] eine Ausgleichsleistung wegen Verspätung eines Flugs von [X.] nach [X.].
Der von den Klägern gebuchte Flug sollte planmäßig am 1.
Juni 2014 um 20:10 Uhr starten und am Tag darauf um 5:30 Uhr landen. Die tatsächliche An-kunftszeit war 18:30 Uhr. Als Grund für die Verzögerung gab die Beklagte an, das eingesetzte Flugzeug sei am Tag des geplanten Abflugs beschädigt [X.], als es in [X.] auf einer Parkposition gestanden habe und zwei Ge-päckwagen mit ihm kollidiert seien, die nicht hinreichend gegen unkontrolliertes Wegrollen gesichert und durch den [X.] eines anderen Flugzeugs in Bewegung versetzt worden seien. Wegen der Beschädigung habe sie ein ande-res Flugzeug einsetzen müssen, das erst am 2.
Juni in [X.] eingetroffen sei.
Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von insge-samt 1.200 Euro nebst Verzugszinsen verurteilt. Die Berufung der [X.] ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision [X.] die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die [X.] dem Rechtsmittel entgegen.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die geltend gemachten Ausgleichsansprüche seien in entsprechender Anwendung von Art.
5 Abs.
1 Buchst.
c, Art.
6 Abs.
1 und Art.
7 Abs.
1 Satz
1 Buchst.
c der Fluggastrechteverordnung begründet. Sie seien nicht nach Art.
5 Abs.
3 der Verordnung ausgeschlossen. Der von der [X.] vorgetragene Sachverhalt liege nicht außerhalb dessen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden sei. Hierbei sei unerheb-lich, ob das Frachtfahrzeug im Zeitpunkt der Kollision eine flughafentypische Aufgabe wahrgenommen habe. Auch der ruhende Verkehr von Flugzeugen und Fahrzeugen stelle einen Teil des Betriebs dar. Dies gelte jedenfalls für Fahr-zeuge, die vom Betreiber des [X.] würden. Unerheblich sei ferner, dass das Flugzeug auf einer Außenpositi-on fernab des Terminals gestanden habe; auch dieser Bereich gehöre zum [X.]. Bei der Abgrenzung der Pflichtenkreise und Verantwortungssphären sei zudem die Regressmöglichkeit der [X.] gegenüber dem [X.]be-treiber zu berücksichtigen. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass sie die Kollision nicht habe beherrschen können. Sie habe die Möglichkeit [X.], den [X.]betreiber anzuweisen, das Fahrzeug ausreichend gegen Wegrollen zu sichern oder in ausreichendem Abstand zum Flugzeug abzustel-len.

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II.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass den Klägern ein Ausgleichsanspruch wegen Verspätung zusteht und dass dieser Anspruch nicht nach Art.
5 Abs.
3 der Fluggastrechteverordnung ausgeschlossen ist.
1.
Außergewöhnliche Umstände, die nach Art.
5 Abs.
3 der Fluggast-rechteverordnung einem Ausgleichsanspruch wegen Annullierung oder erhebli-cher Verspätung entgegenstehen können, sind Umstände, die außerhalb [X.] liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Dies sind Ereignisse, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als jedenfalls in der Regel von außen kommende besondere Umstände dessen ordnungs-
und planmäßige Durchfüh-rung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Umstände, die im Zu-sammenhang mit einem dem Luftverkehr störenden Vorfall wie einem techni-schen Defekt auftreten, können nur dann als außergewöhnlich im Sinne von Art.
5 Abs.
3 der Verordnung qualifiziert werden, wenn sie auf ein Vorkommnis zurückgehen, das wie die in Erwägungsgrund 14 der Verordnung aufgezählten Ereignisse nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen [X.] und aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem tat-sächlich nicht zu beherrschen ist ([X.], Urteil vom 22.
Dezember 2008
-
[X.]-549/09, [X.], 347 = [X.], 35 Rn.
23 -
Wallentin-Hermann/
[X.]; Urteil vom 19.
November 2009 -
[X.]-402/07, [X.]. 2009, [X.] = NJW 2010, 43 = [X.], 282 Rn.
70 -
Sturgeon/[X.]; Urteil vom 31.
Januar 2013 -
[X.]-12/11, [X.], 921 = [X.] 2013, 81 Rn.
29 -
McDonagh/[X.]; Beschluss vom 14.
November 2014 -
[X.]-394/14, [X.] 2015, 15 Rn.
18 -
[X.]/
[X.]; Urteil vom 17.
September 2015 -
[X.]-257/14, NJW
2015, 3427 = [X.] 2015, 287 Rn.
36 -
van der [X.][X.]). Der [X.] hat hieraus ab-geleitet, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs typi-scherweise auftreten, grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände be-gründen, sondern Teil der normalen Tätigkeit des betroffenen [X.] sind ([X.], Urteil vom 12.
November 2009 -
Xa
ZR
76/07, NJW 2010, 7
8
-
6
-
1070 = [X.] 2010, 34 Rn. 23; Urteil vom 21.
August 2012 -
X
ZR
138/11, [X.]Z 194, 258 Rn.
16; Urteil vom 24.
September 2013 -
X
ZR
160/12, NJW 2014, 861 = [X.] 2014, 25 Rn. 10; Urteil vom 12.
Juni 2014 -
X
ZR
121/13, NJW 2014, 3303 = [X.] 2014, 293 Rn.
11). Die Prüfung, ob ein technisches Problem auf ein Vorkommnis zurückzuführen ist, das nicht Teil der normalen Ausführung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von
ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist, obliegt dem nationalen Richter ([X.] -
Wallentin-Hermann/[X.] Rn. 27); sie ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters ([X.]Z 194, 258 Rn.
17; [X.] NJW 2014, 861 Rn.
11; NJW 2014, 3303 Rn.
11).
2.
Bei Anlegung dieses Maßstabs ist die angefochtene Entscheidung rechtlich nicht zu beanstanden.
a)
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ist die Kollision eines Flugzeugs mit einem Treppenfahrzeug als ein Vorkomm-nis anzusehen, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtun-ternehmens ist. Ausschlaggebend dafür ist der Umstand, dass solche Fahrzeu-ge bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise ein-gesetzt werden, so dass die Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Situationen konfrontiert sind, die sich aus dem Einsatz solcher Treppenfahrzeuge ergeben ([X.] -
[X.]/[X.] Rn.
19).
b)
Für den hier zu beurteilenden Fall einer Kollision mit einem Gepäck-wagen gilt nichts anderes. Auch solche Fahrzeuge werden bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt. Ein [X.] ist deshalb in vergleichbarer Weise regelmäßig mit Situationen kon-frontiert, die sich aus dem Einsatz solcher Fahrzeuge ergeben.
c)
Entgegen der Auffassung der Revision gilt dies unabhängig davon, ob das beschädigte Flugzeug oder das mit ihm kollidierende Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision in Einsatz waren.
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7
-
Zu den typischen Situationen, die sich aus dem Einsatz von Flugzeugen und den zur Abfertigung eingesetzten Fahrzeugen auf einem [X.] erge-ben können, gehören nicht nur die Vorgänge, bei denen diese Gegenstände in Einsatz sind oder für einen Einsatz vorbereitet werden. Zum typischen Betrieb gehören vielmehr auch Situationen, in denen ein Fahrzeug oder Flugzeug auf dem [X.]gelände abgestellt, aber dennoch den typischen Gefahren eines [X.]betriebs ausgesetzt ist. Eine solche Situation war bei dem von der [X.] vorgetragenen Geschehensablauf gegeben.
Dass [X.]betreiber und Luftfahrtunternehmen in der Regel bestrebt und häufig auch verpflichtet sein werden, eine Beschädigung von Flugzeugen oder sonstigen Betriebsmitteln zu vermeiden, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Auch insoweit besteht kein grundlegender Unterschied zwischen Situationen, in denen diese Gegenstände in Einsatz sind oder für einen Einsatz vorbereitet werden, und Situationen, in denen sie zwischen zwei Einsätzen auf dem [X.]gelände abgestellt sind. In beiden Konstellationen kann es erfah-rungsgemäß
trotz aller Sorgfaltsbemühungen zu Beschädigungen kommen.
Entgegen der Auffassung der Revision kommt der Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass es gerade zu dem konkret eingetretenen Scha-densverlauf kommen würde, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Auch das Auftreten von unerwarteten technischen Defekten gehört zu den typischen [X.] des Flugbetriebs ([X.] -
van der [X.][X.] Rn.
41). Ob etwas anderes zu gelten hat für gänzlich fernliegende Kausalverläufe, die völlig außerhalb [X.] Lebenserfahrung liegen, kann dahingestellt bleiben. Der von der [X.] vorgetragene Sachverhalt mag nicht alltäglich sein. Er liegt aber nicht außer-halb jeder Lebenserfahrung.
d)
Entgegen der Auffassung der Revision ist eine abweichende Beurtei-lung nicht deshalb geboten, weil die Gepäckwagen durch den [X.] eines anderen Flugzeugs in Bewegung versetzt wurden.
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Die Beschädigung eines Flugzeugs beruht allerdings auf außergewöhnli-chen Umständen, wenn sie durch einen außerhalb der normalen [X.]-dienstleistungen liegenden Akt verursacht worden ist. Hierzu zählen von außen einwirkende Umstände, insbesondere ein Sabotageakt oder eine terroristische Handlung ([X.] -
Wallentin-Hermann/[X.] Rn.
26; [X.]/[X.] Rn.
19; van der [X.][X.] Rn.
38), Naturereignisse wie etwa ein Vulkanausbruch ([X.] -
McDonagh/[X.] Rn.
34) oder eine Kollision mit Vögeln ([X.] NJW 2014, 861 Rn.
13), aber ein auch den Betrieb beeinträchtigender Streik ([X.]Z 194, 258 Rn.
7
ff.; [X.] NJW 2014, 3303 Rn.
14) oder eine behördliche Anord-nung, die Auswirkungen auf den Flugbetrieb hat ([X.] -
Wallentin-Hermann/
[X.] Rn.
26).
Mit solchen Ereignissen sind die vom Betrieb eines anderen Flugzeugs ausgehenden Einwirkungen indes nicht vergleichbar. Die Begegnung mit ande-ren Flugzeugen auf dem Gelände eines [X.]s ist vielmehr eine Situation, die in gleicher Weise typisch ist für den Einsatz eines Flugzeugs wie die [X.] mit Treppen-
oder [X.]. Demgegenüber mag der von der Revision als vergleichbar angesehene Fall des [X.] zwar ebenfalls häufig eintreten. Er hat seine Ursache aber in einem von außen einwirkenden Umstand, der nicht durch den Flugbetrieb geschaffen ist, sondern allenfalls durch Gegenmaßnahmen des [X.]betreibers in gewissem Umfang neutralisiert werden kann. Der Einsatz von Treppen-
und [X.] und der Einsatz anderer Flugzeuge sind hingegen Umstände, die ihren Grund gerade im Flugbetrieb haben. Deshalb gehören sie zur normalen Ausführung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens.
e)
Die Frage, ob die Beklagte den konkreten Schadensfall durch [X.] an den [X.]betreiber hätte verhindern können, ist für die Ent-scheidung des Streitfalls nicht erheblich. Technische Defekte, die beim Betrieb eines Flugzeugs typischerweise auftreten können, sind auch dann noch Teil der 17
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normalen Ausführung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens, wenn sie im Einzelfall nicht zu verhindern waren.
f)
Nichts anderes gilt für die Frage, ob die Beklagte den [X.]be-treiber wegen der ihr entstandenen Schäden in Regress nehmen kann. Der Umstand, dass ein bestimmtes Ereignis typischerweise zu Ersatzansprüchen des Luftfahrtunternehmens gegen Dritte führt, kann zwar für die Frage, ob ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt, von Bedeutung sein ([X.] -
Sturgeon Rn.
68; van der [X.][X.] Rn.
46). Der Entschädigungsanspruch des Fluggasts hängt aber nicht davon ab, ob dem Luftfahrtunternehmen im jeweiligen Einzel-fall solche Regressansprüche zustehen.
3.
Entgegen der Auffassung der Revision ist die Einholung einer Vorabentscheidung
durch den Gerichtshof der [X.] nicht veran-lasst. Der Gerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen ein außergewöhn-licher Umstand im Sinne von Art.
5 Abs.
3 der Verordnung zu bejahen ist, in den oben angeführten Entscheidungen geklärt. Die Anwendung dieser Grund-sätze auf Einzelfälle obliegt, wie der Gerichtshof ebenfalls bereits entschieden hat, den Gerichten der Mitgliedstaaten.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
97 Abs.
1 ZPO.

Meier-Beck
Grabinski
Bacher

Schuster
Kober-Dehm
Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 09.03.2015 -
29 [X.] 3725/14 (44) -

LG [X.], Entscheidung vom 25.06.2015 -
2-24 S 66/15 -

22

Meta

X ZR 76/15

20.12.2016

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2016, Az. X ZR 76/15 (REWIS RS 2016, 411)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 411

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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