Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.01.2012, Az. 5 StR 482/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 9784

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5 [X.]/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 25. Januar 2012
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 25. Januar 2012
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 27. Juni 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

[X.]e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte [X.] des Angeklagten. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückver-weisung der Sache an das [X.].

1. Nach den Feststellungen des [X.] litt der Angeklagte im frühen [X.] an depressiven Verstimmungen. Im Alter von 15
Jahren mündeten sie in eine massive Angst vor HIV-
bzw. [X.] ein. Aus Sorge, er könne absichtlich angesteckt werden, versuchte er sich in dieser [X.] zu erhängen. 2004 lernte er das Tatopfer

K.

kennen. Die Zwangssymptomatik verstärkte sich. Der Angeklagte war den ganzen Tag mit Waschen, Duschen, Aufräumen und Desinfizieren beschäf-tigt, weswegen er kaum mehr aus dem Haus ging. Bemühungen um thera-peutische Hilfe schlugen fehl, weil er wegen der befürchteten [X.] keine Verkehrsmittel benutzen
wollte. Trotz aus der Erkrankung resultie-render Partnerschaftsschwierigkeiten wurde im Oktober 2008 eine gemein-1
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same Tochter geboren. 2009 trennte sich das Paar. Gleichwohl hielt sich der Angeklagte tagsüber und oft auch nachts im Einverständnis mit Frau K.

in deren Wohnung auf und kümmerte sich um die gemeinsame Tochter.

Ende 2009 ging Frau [X.]
eine neue Beziehung ein, die sie vor dem Angeklagten aus Angst vor Streitigkeiten ebenso verheimlichte wie ihre in der zweiten Hälfte des Jahres 2010 gefasste Absicht, mit der gemeinsamen Tochter zum neuen Partner nach [X.] zu ziehen. Der Angeklagte [X.] jedoch, dass Frau [X.]
einen neuen Partner hatte. Er fürchtete, dass sie ihm seine Tochter wegnehmen würde. Im Spätsommer 2010 kam es deswegen zu einer körperlichen Auseinandersetzung, bei der Frau K.

Hämatome erlitt.

Zwischen Frau [X.]
und dem Angeklagten war vereinbart, den 24.
Dezember 2010 gemeinsam zu feiern. Tatsächlich wollte sie aber an [X.] mit der Tochter zu ihrem Lebensgefährten fahren. Am [X.] 2010 gegen 15.50 Uhr informierte sie den Angeklagten darüber. Der [X.] versuchte, Frau [X.]
umzustimmen, was ihm aber nicht gelang.

von Enttäuschung, Verzweiflung und Wut auf

[X.] , die ihm

zumin-dest für [X.] 2010

seine Tochter entziehen und was er unter [X.] ein Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm und stach in Tötungsabsicht wiederholt so wuchtig auf sie ein, dass die Klinge beim Aufkommen auf Kno-
d-gelenk brachte er Frau [X.]
insgesamt acht, zum Teil tiefgehende Stich-verletzungen bei. Der aus der Wohnung ins Treppenhaus fliehenden, schon tödlich verletzten Frau versetzte er noch einen heftigen Stich in den Rücken, wo das Messer stecken blieb. Sie verstarb nach wenigen Minuten.

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Der Angeklagte rannte nun durch das Treppenhaus nach unten und
a-lon, wo t-Wohnung, verschloss die Tür, zog sein blutverschmiertes T-Shirt aus und tröstete die Tochter.

Gegen 16.10 Uhr trafen Polizeibeamte ein. Der Angeklagte öffnete ihnen mit unbekleidetem Oberkörper und dem Kind auf dem Arm die [X.]. Er übergab auf Aufforderung die Tochter und ließ sich [X.] festnehmen. Nach der Festnahme machte er einen apathischen Eindruck. Er saß mit angezogenen Beinen auf einem Stuhl, um nicht mit den Füßen den schmutzigen Boden berühren zu müssen.
Die Polizeibeamten zogen deshalb eine Fachärztin für Psychiatrie hinzu, die in ihrer vorläufigen Bewer-tung eine Zwangserkrankung diagnostizierte und zur vorläufigen Auffassung gelangte, dass möglicherweise die Schuldfähigkeit ausgeschlossen gewesen sei.

2. Die Schwurgerichtskammer ist davon ausgegangen, dass die Steu-erungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer tiefgreifenden Bewusst-seinsstörung im Sinne des § 20 StGB erheblich vermindert gewesen sei (§
21 StGB). Der [X.] sei ausgelöst worden, weil der Angeklagte mit dem zumindest länger währenden Verlust seiner Tochter konfrontiert worden und über die gebrochene Vereinbarung enttäuscht gewesen sei. Be-günstigt worden sei der [X.] durch seine krankheitsbedingte
l-lier

S. 11). Eine Aufhebung der Schuldfähigkeit hat das [X.] im Hinblick 6
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auf von ihr angenommenes situationsgerechtes Verhalten des Angeklagten vor, während und nach der Tat ausgeschlossen.

3. Die Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, weil der Schuldspruch und der Rechtsfolgenausspruch hier so miteinander verknüpft sind, dass eine getrennte Überprüfung der Rechtsfol-genentscheidung nicht möglich ist, ohne dass der nicht angefochtene Schuldspruch mitberührt wird. Denn das Urteil enthält keine rechtsfehlerfreie Begründung für die Annahme einer erheblichen Verminderung der Schuldfä-higkeit des Angeklagten; auf der Grundlage des angefochtenen Urteils lässt sich nicht völlig ausschließen, dass der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig war (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Januar 2001

2 StR 500/00, [X.]St 46, 257, 259).

4. Die Schuldfähigkeitsprüfung des [X.] hält rechtlicher Über-prüfung nicht stand.

a) Rechtsfehlerhaft beschränkt sich das sachverständig beratene [X.] auf die bloße Mitteilung einer

überdies nicht näher bestimmten und in ihren Auswirkungen nicht im Einzelnen beschriebenen

Zwangser-krankung des Angeklagten, deren Einordnung unter das Merkmal der (schweren) anderen seelischen Abartigkeit und einer gleichwohl anzuneh-menden weitgehenden Irrelevanz des Defekts für die Schuldfähigkeit. Die Grundlagen, an die diese Schlussfolgerungen des Gutachters und

dem folgend

die Schwurgerichtskammer anknüpfen, sind damit nicht in einer für die revisionsgerichtliche Überprüfung ausreichenden
Weise dargetan. Dies gilt umso mehr, als das Zusammenwirken mehrerer Beeinträchtigungen stets eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung ihrer Auswirkungen auf das seelische Gefüge des [X.] erfordert (vgl. [X.], Urteil vom 6. März 1986

4 StR 40/86, [X.]St 34, 22, 26; Beschluss vom 9. April 1991

4 [X.], [X.]R StGB § 20 Ursachen, mehrere 2). Daran fehlt es im angefochtenen Urteil völlig.
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Dass die Zwangsstörung des Angeklagten ohne maßgebenden Ein-fluss auf dessen Steuerungsfähigkeit geblieben ist, versteht sich hier auch das [X.] als den [X.] begünstigenden Umstand. [X.] hinaus konnte der Angeklagte nach den Feststellungen seit längerer [X.] kaum noch die Wohnung verlassen und kümmerte sich hauptsächlich um die gemeinsame Tochter. Vor diesem Hintergrund liegt nahe, dass die schon naturgegebene Angst um den Verlust der Tochter krankheitsbedingt ein noch erheblich stärkeres Gewicht gewann. Dafür könnte auch sprechen, dass es schon im Vorfeld der Tat in demselben Zusammenhang zu körperli-chen Auseinandersetzungen mit der Geschädigten gekommen war.

b) Ferner erscheinen einige der durch das [X.] gegen eine völ-lige Aufhebung der Schuldfähigkeit angeführten Indizien [X.]falls von einge-schränktem Gewicht. Das gilt etwa für das Holen des Messers aus der Kü-chenschublade und

schon angesichts der Vielzahl und Wucht sowie der nicht durch Sicherungstendenzen geprägten Fortführung der Tat im Trep-penhaus

für das Stechen in empfindliche Körperregionen. Entsprechend liegt es bei der Rückkehr zum Kind und dem Ausziehen des blutverschmier-ten T-Shirts. Soweit das [X.] schließlich maßgebend Äußerungen
i-ner Ablenkung von seiner [X.]chaft bzw. von der Identität des Opfers in-terpretiert hat, vermag dies nicht ohne weiteres einzuleuchten. Angesichts der Beweislage und des sonstigen Verhaltens des Angeklagten, das ersicht-lich nicht auf eine Verdeckung seiner Tat ausgerichtet war, erscheinen die genannten Äußerungen auf der Basis der Urteilsgründe, die eine etwaige Einlassung des Angeklagten zu diesem Punkt nicht mitteilen, vielmehr ohne Sinn.

c) Der neu entscheidende Tatrichter wird die erforderliche eingehende Würdigung nachzuholen haben und sich auch mit der Frage zu befassen ha-ben, ob die Voraussetzungen des § 63 StGB gegeben sind. Dass nur der 11
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Angeklagte Revision eingelegt hat, stünde einer Anordnung der Maßregel nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).

d) Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter eine stimmige Gesamtbewertung zu ermöglichen.

5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Das [X.]
hat dem Angeklagten bei der Prüfung eines minder schweren Falles nach der 2. Alternative des § 213 StGB und der Strafzu-messung im engeren Sinn angelastet, die Tat sei aus objektiv nichtigem An-lass und vor den Augen der Tochter begangen worden. Dies begegnet durchgreifenden Bedenken. Abgesehen davon, dass der dem Angeklagten drohende Verlust seiner Tochter unter den hier gegebenen Umständen kaum als nichtiger Anlass bewertet werden kann, wäre ein Missverhältnis zwischen Anlass und Tat gerade Kennzeichen von
Affekttaten (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Juli 2011

5 [X.]) und dürfte daher bei der Strafzumessung [X.]falls nach dem Maß der verminderten Schuld herangezogen werden (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2002

5 [X.], [X.], 104, 105;
st. Rspr.). Entsprechendes gilt für den Gesichtspunkt der Tatbege-hung im Beisein der Tochter.

b) Fälle wie der Vorliegende sind für [X.] nach §
257c StPO nicht geeignet (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juni 2011

5 [X.], [X.], 355).

Raum Brause Schaal

König Bellay

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Meta

5 StR 482/11

25.01.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.01.2012, Az. 5 StR 482/11 (REWIS RS 2012, 9784)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9784

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 482/11

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