Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2014, Az. XII ZB 373/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7507

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 373/11

vom

26. Februar 2014

in der Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB §
1004; GewSchG §
1
a)
§
1 GewSchG stellt eine verfahrensrechtliche Vorschrift dar und regelt [X.] keinen eigenständigen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern setzt ihn voraus.
b)
Die materiell-rechtliche Grundlage eines nach §
1 GewSchG durchsetzba-ren Anspruchs ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von §
1004 BGB auf die in §
1 GewSchG genannten
wie das Eigentum absolut ge-schützten
htsgüter des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit.
c)
Die Verpflichtung eines [X.] zur Aufgabe einer von ihm und dem Opfer nicht gemeinsam genutzten Wohnung kann Gegenstand eines An-spruchs des Opfers entsprechend §
1004 BGB und Inhalt einer Anordnung nach §
1 GewSchG sein, wenn sich eine solche Anordnung als rechtlich nicht zu beanstandendes Ergebnis der einzelfallbezogenen Abwägung der kollidierenden Grundrechte von Gewaltopfer und -täter als verhältnismäßig darstellt.
[X.], Beschluss vom 26. Februar 2014 -
XII [X.] 373/11 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 26.
Februar 2014
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Dose, die Richterin Weber-Monecke und
die Richter Schilling, Dr.
Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 5.
Familiensenats in [X.] des Oberlandesgerichts [X.]
vom 25.
März 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Ober-landesgericht zurückverwiesen.
[X.]: 3.000

Gründe:
I.
Gegenstand des Verfahrens ist eine Gewaltschutzanordnung.
Die Beteiligten
sind miteinander verheiratet, leben aber getrennt. Die Trennung war von erheblichen Auseinandersetzungen geprägt. Es waren meh-rere Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz anhängig, in denen Näherungs-, Betretungs-
und Kommunikationsverbote gegen den Antragsgegner angeordnet wurden.
Die Antragstellerin zog im Verlauf der Trennung aus der bisherigen [X.] in ein Mehrfamilienhaus um. Unter Vorspiegelung eines falschen Na-1
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mens gelang es dem Antragsgegner, die direkt unter der Wohnung der Antrag-stellerin liegende Wohnung anzumieten. Dadurch kam es weiterhin zu [X.] der Beteiligten, die bei der Antragstellerin zu gesundheitlichen Beein-trächtigungen führen. Sie befindet sich deshalb in psychiatrischer Behandlung.
Im vorliegenden Verfahren hat das Amtsgericht dem Antragsgegner das Betreten der
Wohnung der Antragstellerin, das Herbeiführen von Begegnungen im Treppenhaus und das Aufsuchen der Antragstellerin an ihrem Arbeitsplatz verboten. Außerdem hat es ein Kontakt-
und Kommunikationsverbot erlassen. Den weitergehenden Antrag, den Antragsgegner
zu verpflichten, seinen
in dem Mehrfamilienhaus gelegenen
Wohnsitz
aufzugeben, hat das Amtsgericht zu-rückgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hat das Be-schwerdegericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde
verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren in vollem Umfang weiter.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des [X.] Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Be-schwerdegericht.
1. [X.], 455
veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:
Für die Verpflichtung eines [X.] zur Aufgabe seines
Wohnsitzes
biete das Gewaltschutzgesetz keine Rechtsgrund-lage. Auf §
1 GewSchG könne eine solche Maßnahme nicht gestützt werden, da die Sphäre des Opfers vor der nach Art.
13 GG geschützten Wohnung des [X.] ende. Die vorgenannte
Verpflichtung überschreite auch den Rege-4
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lungsbereich des Gewaltschutzgesetzes, was sich daran zeige, dass die in §
1 Abs.
1 Satz
2 GewSchG vorgesehene Befristung bei einer derartigen Anord-nung letztlich
nicht möglich sei. Denn ihre Durchsetzung werde regelmäßig
zu einer endgültigen Wohnungsaufgabe führen. Auch eine analoge Anwen-
dung von §
1 GewSchG komme nicht in Betracht, da eine Verpflichtung zur Wohnsitzaufgabe eine hinsichtlich ihrer Grundrechtsrelevanz über die in §
1 GewSchG
vorgesehenen Regelbeispiele hinausgehende Maßnahme darstelle. Aus §
2 GewSchG lasse sich eine solche Verpflichtung nicht ableiten, weil sich die Vorschrift lediglich auf ursprünglich von den Beteiligten gemeinsam [X.] beziehe. Dies gelte auch für §
2 Abs.
4 GewSchG. Da sich aus §
2 GewSchG Regelungen hinsichtlich der Wohnung eines [X.] insge-samt nicht ableiten ließen, komme auch eine analoge Anwendung dieser Vor-schrift nicht in Betracht. Soweit die Antragstellerin weitergehende Ansprüche nach §§
823, 1004 BGB geltend machen wolle, sei ihr dies nicht verwehrt. [X.] sei dies allerdings nicht in einem Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz, sondern als sonstige Familiensache nach §
266 FamFG. Nachdem die Antrag-stellerin ihren Antrag aber auf das Gewaltschutzgesetz
gestützt habe, sei das Amtsgericht nicht verpflichtet gewesen, den Antrag auch unter diesem
Ge-sichtspunkt
zu würdigen.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen
Nachprüfung
nicht stand.
a) Die Auffassung des [X.],
§
2 GewSchG biete für die beantragte Maßnahme keine Rechtsgrundlage, ist allerdings nicht zu beanstan-den.
Die
genannte
Vorschrift betrifft nach ihrem eindeutigen Wortlaut lediglich den Fall einer von Gewaltopfer und -täter ursprünglich gemeinsam genutzten Wohnung. Die Bestimmung kann daher auf den vorliegenden Fall weder direkt noch entsprechend angewendet werden.
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b) Nicht frei von [X.] ist jedoch
die Auffassung des Beschwer-degerichts, §
1 GewSchG
sei einschränkend dahingehend auszulegen,
dass die Vorschrift die Verpflichtung eines [X.] zur Wohnsitzaufgabe nicht erfasst.
aa) §
1 Abs.
1 GewSchG
ist hinsichtlich der zum Gewaltschutz erforderli-chen Maßnahmen seinem
Wortlaut nach offen gehalten. §
1 Abs.
1 Satz
3 GewSchG
nennt die zulässigen
gerichtlichen Maßnahmen
nicht abschließend, sondern in Form von Regelbeispielen. Die Vorschrift
lässt also auch andere als die ausdrücklich genannten Anordnungen
zu
(s. dazu [X.]. 14/5429 S.
28, 41).
bb) Der Umstand, dass eine Verpflichtung zur Aufgabe des Wohnsitzes einen schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte des Verpflichteten darstellt, be-gründet
ebenfalls keine Notwendigkeit, die Vorschrift einschränkend [X.] auszulegen, dass sie eine solche Anordnung nicht umfasst.
Der Gesetzgeber hat mit
§
1 GewSchG eine verfahrensrechtliche Vor-schrift geschaffen. Dies hat im Gesetzgebungsverfahren in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Regierungsentwurf ([X.]. 14/5429 S.
17) und ge-gen einen Änderungsvorschlag des Bundesrates ([X.]. 14/5429 S.
38) im Wortlaut der Vorschrift Niederschlag gefunden. Danach ist Normadressat
das Gericht, welches die "zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen"
hat
(s. die Gegenäußerung der Bundesregierung [X.]. 14/5429 S.
41).
Ein eigenständiger materiell-rechtlicher Anspruch ist in §
1 GewSchG hingegen nicht normiert, sondern vielmehr vorausgesetzt
(MünchKommBGB/[X.] 6.
Aufl. §
1 GewSchG Rn.
11; Heinke
GewSchG §
1 Rn.
1; [X.] Erläuterungen zum [X.][X.] Anm. zu §
1 GewSchG). Die materiell-rechtliche Grundlage eines nach §
1 GewSchG 10
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durchsetzbaren
Anspruchs ergibt sich aus der entsprechenden
Anwendung von
§
1004 BGB
auf die in §
1 GewSchG genannten

wie das Eigentum
absolut geschützten

Rechtsgüter des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit ([X.]/Bassenge BGB 73.
Aufl. §
1004 Rn.
4;
vgl. auch [X.]. 14/5429 S.
11
f.).

Bei der Prüfung dieses
Anspruchs
ist eine einzelfallbezogene Abwägung kollidierender Grundrechte des [X.] und des [X.] durchzuführen, da es sich bei der in §
1004 BGB enthaltenen Voraussetzung der Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsbeeinträchtigung um ein Tatbestandsmerkmal
handelt, das nach der Rechtsprechung des [X.] zur sogenannten
mittelba-ren Drittwirkung der Grundrechte im Lichte ihrer Bedeutung auszulegen ist
(vgl.
etwa [X.] 73, 261, 269
ff.
mwN). Im Rahmen dieser Abwägung ist
bei der Prüfung eines gegen einen Gewalttäter gerichteten Anspruchs auf Wohn-sitzaufgabe zu beachten, dass das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung nicht, wie das Beschwerdegericht meint,
in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art.
13 GG fällt, sondern dass es Eigentum im Sinne von Art.
14 Abs.
1 Satz
1 GG darstellt (zur Abgrenzung [X.] 89, 1, 5
ff., 11
ff.).
Da
Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art.
14 Abs.
1 Satz
2 GG durch die Gesetze bestimmt werden, kann das Besitzrecht eines [X.] an [X.] gemieteten Wohnung gegenüber dem gebotenen Schutz des Opfers
keine absolute Schranke darstellen, sondern es ist der Abwägung zugänglich. Für den Fall der von Opfer und Täter ursprünglich gemeinsam genutzten Wohnung bestätigt dies die gesetzliche Wertung
des §
2 GewSchG. Da folglich
eine ein-zelfallbezogene Abwägung kollidierender Grundrechte im Rahmen der [X.] Anspruchsprüfung stets durchzuführen ist, ist die rein verfahrens-rechtliche Vorschrift des §
1 GewSchG
nicht wegen möglicher Berührung der Grundrechte eines [X.] einschränkend auszulegen.
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cc) Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass bei einer gegen einen Gewalttäter ergehenden Anordnung, seine Wohnung aufzu-geben, eine nach §
1 Abs.
1 Satz
2 GewSchG vorgesehene Befristung ins [X.] ginge. §
1 Abs.
1 Satz
2 GewSchG als Ausdruck des Verhältnismäßigkeits-prinzips (vgl. [X.]. 14/5429 S.
28) sieht eine Befristung nur für den [X.] vor ("soll"), lässt also auch unbefristete Maßnahmen zu.
dd) Nach diesen Maßgaben kann die Verpflichtung zur Aufgabe einer nicht gemeinsam genutzten Wohnung Gegenstand eines Anspruchs eines [X.] gegen einen Täter entsprechend
§
1004 BGB und demzufolge auch Inhalt einer Anordnung nach §
1 GewSchG sein, wenn sich eine solche Anord-nung als rechtlich nicht zu beanstandendes
Ergebnis
der einzelfallbezogenen Abwägung der kollidierenden Grundrechte von Gewaltopfer und -täter als ver-hältnismäßig darstellt.
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c) Die Entscheidung des [X.], das eine gesetzliche Grundlage für die beantragte Anordnung vermisst hat, kann deswegen keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden, weil es hierzu weiterer Feststellungen bedarf. Die Sache ist [X.] an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

Dose

Weber-Monecke

Schilling

Nedden-Boeger

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 30.12.2010 -
2 [X.]/10 -

OLG [X.], Entscheidung vom 25.03.2011 -
5 UF 25/11 -

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Meta

XII ZB 373/11

26.02.2014

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2014, Az. XII ZB 373/11 (REWIS RS 2014, 7507)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7507

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