Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.07.2017, Az. 4 StR 228/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8543

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:050717B4STR228.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 228/17

vom
5. Juli
2017
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5.
Juli 2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6.
Februar 2017 mit den Feststellungen auf-gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen und wegen Nötigung

zu der [X.] von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Die hiergegen [X.], auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen brachte die Lebensgefährtin des Angeklagten zwei Töchter, u.a. die
im Tatzeitraum 14 und
15
Jahre alte [X.]

, mit in die Beziehung. Seit August 2013 nahm der Angeklagte, der weiterhin
1
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-
3
-
über eine eigene Wohnung verfügte, zunehmend und regelmäßig am Familien-leben seiner Lebensgefährtin teil. Er hielt sich regelmäßig in deren Wohnung auf und übernachtete auch dort; er
unternahm Ausflüge
mit der Familie
und [X.] seine Lebensgefährtin auch bei Erziehungsfragen. Es
kam häufig
zu Auseinandersetzungen zwischen [X.]

und ihrer Mutter-
sen Momenten
versuchte der Angeklagte, der gegenüber
beiden Mädchen
eine Vaterrolle einnahm, zu intervenieren und auf [X.]

einzuwirken,
was

[X.]

war froh, in dem Angeklagten eine
neue Bezugsperson zu haben, zumal beide das gemeinsame Hobby des [X.] verband. Ihre emotionale Verbundenheit zum Angeklagten brachte

1.
Im Oktober 2014 befand sich die Lebensgefährtin des Angeklagten im Krankenhaus, um das erste gemeinsame Kind zur Welt zu bringen. Der Ange-klagte war während dieser Zeit
allein für die beiden Mädchen verantwortlich. An einem nicht näher bestimmbaren Tag setzte
er
sich im Wohnzimmer zu [X.]

sie süß sei und er Gefühle für

oberhalb ihrer Kleidung am Oberkörper und an den Brüsten zu berühren und zu streicheln. Oberhalb ihrer Kleidung streichelte er auch ihren Schambereich. [X.] fasste
er
mit seiner Hand unter ihrem
T-Shirt an ihre Brüste. Auch als [X.]

ihn bat, sie in Ruhe zu lassen, fuhr er fort, das Mädchen zu
streicheln. Erst als sie ihn in [X.], in das er ihr gefolgt war, vehement aufforderte, dieses wieder zu verlassen, zog er sich zurück.
2.
An einem weiteren, nicht näher bestimmbaren Tag zwischen Oktober 2014 und August 2015 stellte sich der Angeklagte vor die auf dem Boden sit-zende [X.]

, öffnete seine Hose
und befriedigte sich vor ihren
3
4
-
4
-
Augen
selbst. Dabei forderte
er
sie auf, sich seinen erigierten Penis anzu-schauen, da ihn dies sexuell erregte.
Das Mädchen warf ihm jedoch nur einen kurzen Blick zu und starrte sodann aus Scham und Ekel auf den Boden.
3.
An einem anderen
Tag in dem zu Ziffer
2 genannten Zeitraum stellte sich der Angeklagte, der sich erneut von [X.]

sexuell erregt
fühlte, im Wohnzimmer vor
sie
hin, hob sie mit beiden Armen hoch
und
hielt sie
auf seinem Arm fest; er
versuchte, das Mädchen auf den Mund zu küssen. Das gelang ihm jedoch nicht, da [X.]

sogleich den Kopf zur Seite wandte.
Erst als
sie
den Angeklagten mehrfach vehement aufforderte, sie in Ruhe zu lassen, ließ dieser
von ihr ab.
II.
Diese Feststellungen tragen den gegen den Angeklagten ergangenen Schuldspruch nicht.
1.
Soweit das [X.] den Angeklagten s-

im Fall
II.1 der Urteilsgründe gemäß §
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB,
im Fall
II.2 gemäß §
174 Abs.
2 Nr.
1 StGB (in der Fassung vom
1.
April 2004 bis 26.
Januar 2015) bzw. §
174 Abs.
3 Nr.
1 StGB (in der Fassung ab 27.
Januar 2015)

verurteilt hat, belegen die Feststellungen nicht, dass zwischen der Geschädigten und dem Angeklagten zur Tatzeit ein Obhuts-verhältnis im Sinne des §
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB bestand.
Hierzu hat der [X.] in seiner Antragsschrift vom 29.
Mai 2017 u.a. Folgendes ausgeführt:
5
6
7
8
-
5
-

174 Abs.
1 Nr.
1 StGB und des §
174 Abs.
2 Nr.
1 (in der Fassung vom 01.
April 2004 bis 26.
Januar 2015) bzw. Abs.
3 Nr.
1 (in der Fassung ab 27.
Januar 2015) setzen voraus, dass zwischen Täter und Opfer ein Verhältnis besteht, kraft dessen eine Per-son unter 16
Jahren dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist. Erforderlich hierfür ist ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne einer Unter-
und Überordnung, die den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfasst, in welchem einer Person das Recht und die Pflicht obliegt, die Lebensführung des Jugend-lichen
und damit dessen geistig-seelische Entwicklung zu überwachen und zu leiten (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 30.
März 2011
-
4
StR
97/11; [X.], Beschluss vom 5.
April 2011 -
3
StR
12/11; [X.], Beschluss vom 26.
Juni 2003 -
4
StR
159/03; [X.], Beschluss vom 27.
Juni 2000 -
1
StR
221/00; Senat, Beschluss vom 27.
Februar 1992
-
4
StR
75/92, [X.]R StGB §
174 Abs.
1 Obhutsverhältnis
2; [X.], Urteil vom 20.
September 1988 -
1
StR
383/88, [X.]R StGB §
174 Abs.
1 Ob-hutsverhältnis
1; [X.], Urteil vom 5.
November
1985 -
1
StR
491/85, [X.]St 33, 340, 344
f.; [X.], Urteil vom 20.
September 1988 -
1
StR 383/88, [X.]R StGB §
174 Abs.
1 Obhutsverhältnis
1).
Ausweislich der Feststellungen nahm der Angeklagte seit August 2013 zunehmend und regelmäßig an dem Familienleben seiner Lebensgefähr-tin, der Mutter der Geschädigten, teil. Der Angeklagte unterhielt noch seine eigene Wohnung, gleichwohl übernachtete er in der Wohnung [X.] (UA S.
4), in der auch die Geschädigte lebte, wobei er seit 2015 unter der Woche auf Montage arbeitete und sich lediglich an den Wochenenden regelmäßig bei der Mutter der Geschädigten aufhielt (UA S.
3, 22). Allein aus dem Zusammenleben in häuslicher Gemein-schaft kann jedoch nach ständiger Rechtsprechung noch kein Obhuts-verhältnis im Sinne des §
174 StGB hergeleitet werden (vgl. [X.], [X.] vom 8.
Dezember 2015 -
2
StR
200/15; [X.], Urteil vom 2.
Juni 1999 -
5
StR
112/99; Senat, Beschluss vom 6.
Mai 1999 -
4
StR
173/99). Aus den weiteren Feststellungen bzw. aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich ein solches besonderes Obhutsverhältnis im Sinne des §
174 Abs.
1 Nr.
1 StGB zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten jedoch nicht zweifelsfrei entnehmen. Zwar ist im Rahmen der Beweiswürdigung
[gemeint: Feststellungen]
ausgeführt, dass der An-geklagte an den gemeinsamen Mahlzeiten der Familie teilnahm und sei-ner Partnerin im Haushalt half (UA S.
4). Er unternahm Ausflüge mit der Familie, brachte das Mädchen -
die jüngere Schwester der Geschädig-ten
-
V.

abends zu Bett und unterstützte [seine Lebensge-
-
6
-
fährtin]
auch bei Erziehungsfragen (UA S.
4). In welcher konkretisieren-den Art und Weise und in welchem zeitlichen Umfang der unter der [X.] auf Montage arbeitende Angeklagte seine Lebensgefährtin jedoch vor allem bei der Erziehung der Geschädigten unterstützte, bleibt nach den Feststellungen unklar. Auch soweit darauf abgestellt wird, dass der
[X.] auf sie

n-dem Angeklagten die Mitverantwortung bei der Erziehung der Tochter seiner Lebensgefährtin durch diese eingeräumt war, er etwa Verbote und Erlaubnisse erteilen und Strafen
verhängen konnte bzw. solche tatsäch-lich ausgesprochen hat.
Darüber hinaus muss das Obhuts-
und damit das Unterordnungsverhält-nis als solches auch der Geschädigten [X.]

bewusst
gewesen sein, denn aus dem Zusammenhang mit §§
174a, 176 StGB ergibt sich, dass §
174 StGB vor allem die sexuelle Selbstbestimmung schützt (vgl. Fischer, StGB, 64.
Aufl., §
174 Rn.
5). Das [X.] stellt in diesem Zusammenhang lediglich fest, dass die Geschädigte vor dem

zur Mutter in dem Ange-

4). Weiter (UA S.
4, vgl. auch UA S.

r-

10) zuwies. Das spricht zwar für eine emotionale Ver-bundenheit der Geschädigten zum Angeklagten, jedoch ergibt sich [X.] nicht ohne weiteres, dass aus ihrer Sicht auch ein Unterordnungs-verhältnis im Sinne des §
174 StGB zum Angeklagten vorlag.

Dem tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend zum Fall II.1 der Urteils-gründe:
Zwar war der Angeklagte ausweislich der Feststellungen während des Krankenhausaufenthaltes seiner Lebensgefährtin im Oktober 2014 auch für [X.]

verantwortlich. Das Urteil enthält aber
keine Feststellungen
zu dem Zeitraum der Abwesenheit der Mutter. Solcher hätte es bedurft, da eine nur ganz kurzfristige Verantwortlichkeit während der Abwesenheit des Erzie-9
10
-
7
-
hungsberechtigten nicht ausreicht, um ein Obhutsverhältnis im Sinne des
§
174 Abs.
1
Nr.
1 StGB zu begründen (vgl. [X.], Urteil vom 20.
September 1988

1 StR
383/88, [X.], 21; Beschluss vom 27.
Juni 2000

1
StR
221/00, bei [X.] NStZ-RR 2000, 353; [X.] NJW 1996, 330, 331; [X.] in [X.], 12.
Aufl., §
174 Rn.
11 mwN; vgl. auch [X.], Beschluss vom 8.
Dezember 2015

2
StR
200/15, [X.], 155, 156).
2.
Auch die Verurteilung wegen vollendeter Nötigung gemäß §
240 Abs.
1 StGB
im Fall
II.3 der Urteilsgründe
kann keinen Bestand haben.
Hierzu hat der [X.] in seiner [X.] ausgeführt:

eine vollendete Nötigung begangen hat. §
240 StGB ist als [X.] ausgestaltet. Die tatbestandsmäßige Nötigungshandlung des [X.]
muss in kausalem Sinne zu dem vom Täter geforderten Verhalten des Opfers führen. Vollendet ist die Nötigung erst dann, wenn der [X.] die verlangte Handlung vorgenommen oder zumindest mit ihrer Ausfüh-rung begonnen hat. Ein Teilerfolg,
der mit Blick auf ein weitergehendes Ziel jedenfalls vorbereitend wirkt, kann für die Annahme einer vollende-ten Nötigung ausreichen, wenn die abgenötigte Handlung des Opfers nach den Vorstellungen des [X.] eine eigenständig bedeutsame Vor-stufe des gewollten [X.] darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 19.
Juni 2012
-
4
StR
139/12; [X.], Beschluss vom 11.
Dezember 2003
-
3
StR 421/03, [X.], 442; Urteile vom 14.
Januar 1997
-
1
StR
507/96, NJW 1997, 1082; vom 20.
Juni 2007 -
1
StR
157/07,
[X.], 249). Entgegen der Auffassung des [X.] liegt bereits in der [X.]

18) kein die Annahme einer vollendeten Nötigung rechtfertigender Teilerfolg. Das Verhalten des Angeklagten zielte nach den Urteilsfeststellungen darauf ab, die Geschädigte auf den Mund zu küssen. Den Urteilsfeststellungen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass schon die [X.]ssituation nach der Vorstellung des [X.] eine eigenständig bedeutsame Vorstufe des angestrebten [X.] dar-11
12
-
8
-
stellt. Die vorliegende [X.]ssituation erscheint

vielmehr als Mittel, um das vom Angeklagten letztlich erstrebte Verhalten der [X.] (hier der Kuss auf den Mund) zu ermöglichen (vgl. auch [X.], Beschluss vom 11.
Dezember 2003 -
3
StR
421/03). Das Verhalten der Geschädigten erschöpft sich somit letztlich in der Hinnahme des Nöti-

Dem tritt der Senat bei.
III.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung der Sache weist der Senat darauf hin, dass er
die Bedenken des [X.]s gegen die Be-weiswürdigung zu den Fällen
II.2 und 3 der Urteilsgründe nicht teilt.
Das Land-gericht hat sich insoweit mit der Auffassung des von ihm gehörten Sachver-ständigen auseinandergesetzt, der abweichend von seinem vorbereitenden Gutachten die Unwahrhypothese nicht sicher auszuschließen vermochte. Es ist hierbei rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass
die Aussage
der [X.]
glaubhaft
ist.
13
14
-
9
-
Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird, wenn er erneut zur Annahme eines Obhutsverhältnisses im Sinne des §
174
Abs.
1 Nr.
1
StGB gelangt, auch nähere Feststellungen zum subjektiven Tatbestand zu treffen ha-ben.
VRi'in[X.] Sost-Scheible ist
urlaubsbedingt an der Beifügung
der Unterschrift gehindert.

[X.] Franke

Bender Quentin
15

Meta

4 StR 228/17

05.07.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.07.2017, Az. 4 StR 228/17 (REWIS RS 2017, 8543)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8543

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 228/17

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