Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.02.2016, Az. 1 StR 659/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 15990

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:180216B1STR659.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 659/15

vom
18. Februar
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
[X.]stiftung u.a.

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des Beschwerde-führers und des Generalbundesanwalts
am 18. Februar
2016
gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts [X.] ([X.]) vom 15. Oktober 2015 mit den [X.] aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher [X.]stiftung zu [X.] und sechs Monaten verurteilt. Hier-gegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge ge-stützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtli-chen Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und [X.] getroffen:
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1. Der bereits mehrfach vorbestrafte Angeklagte wurde zuletzt im Jahr 1997 wegen schwerer räuberischer Erpressung, bei deren Begehung seine Schuldfähigkeit aufgrund einer chronischen schizophrenen Psychose in [X.] mit massivem Alkoholgenuss erheblich vermindert war (§ 21 StGB), zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Er leidet seit vielen Jahren an einer paranoiden Schizophrenie, die das [X.] des §
20 StGB der krankhaften seelischen Störung erfüllt, sowie an einer mani-festen Alkoholabhängigkeit.
2. Im Juli 2014 befand sich der Angeklagte in psychiatrischer [X.] in der Institutsambulanz des Bezirkskrankenhauses K.

. Am 10.
Juli 2014 gegen 13.00 Uhr hielt sich die Zeugin D.

als Haushaltshilfe in einem Wohnheim in K.

auf, in dem der Angeklagte [X.] be-wohnte. Als ein Mitarbeiter der Institutsambulanz wegen des Angeklagten im Wohnheim anrief und die Zeugin D.

den Angeklagten an das Telefon holen wollte, reagierte er abweisend und äußerte, man solle ihn in Ruhe lassen.
[X.] später betrat er unvermittelt die Küche des Wohnheims, wo sich die Zeugin D.

Taschengeld von ihr. Dieses wurde dem Angeklagten von seinem Betreuer aus seiner Grundsicherungsrente wöchentlich nur in Höhe von 10 Euro ausbezahlt, um einen unkontrollierten Alkoholkonsum des Angeklagten zu verhindern. Nachdem ihm die Zeugin erklärt hatte, er habe das Taschengeld für diese [X.] bereits erhalten, ergriff der Angeklagte ein etwa 30 Zentimeter langes Mes-ser und schlug mit der Faust, die Messerspitze nach oben gerichtet, mehrfach mit voller Wucht auf den Küchentisch, um die Zeugin einzuschüchtern. [X.] fuchtelte er damit

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Angeklagten zu beruhigen und erklärte ihm, sie werde das Geld holen. Der [X.] ging dabei irrig davon aus, dass sein Einschüchterungsversuch erfolg-reich war und die Zeugin ihm sein Taschengeld, wie angekündigt,
bringen [X.].
Bei der Tat war der Angeklagte mit einer Blutalkoholkonzentration von maximal 2,72 Promille erheblich alkoholisiert. Die [X.] hält es für wahrscheinlich, dass das Handeln des Angeklagten auch durch psychotische Symptome, insbesondere imperative Stimmen, Wahnvorstellungen oder andere psychotische Symptome relevant beeinflusst wurde, da der Angeklagte in den letzten Tagen vor der Tat seine Medikamente
nicht mehr in ausreichender Do-sierung eingenommen hatte. Eine konkrete Beeinträchtigung konnte die [X.] aber nicht sicher feststellen. Sie konnte daher nicht ausschließen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei vorhandener Einsichtsfähig-keit in das Unrecht seines Tuns in Folge des Zusammenwirkens der paranoi-den Schizophrenie mit der akuten Alkoholintoxikation erheblich vermindert war (§
21 StGB).
3. In der Nacht vom 23. auf den 24. April 2015 setzte der Angeklagte in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit der Zeugin Kl.

auf deren Idee hin die aus Holz erbaute Vereinshütte eines Feuerwehrvereins mit Feuer-zeugbenzin als [X.]beschleuniger in [X.]. Infolge des Zusammenwirkens der paranoiden Schizophrenie und der Wirkung des von dem
Angeklagten [X.] genossenen Alkohols konnte die [X.] auch in diesem Fall eine er-heblich verminderte Steuerungsfähigkeit (§
21 StGB) bei vorhandener [X.] nicht ausschließen.
4. In Folge abnehmender Bereitschaft, seine Medikamente regelmäßig und in ausreichendem Maße einzunehmen, ist nach Einschätzung der sachver-6
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ständig beratenen [X.] mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Begehung weiterer gleichartiger Taten zu rechnen. Eine hinreichend konkrete Erfolgsaus-sicht für einen nachhaltigen Behandlungserfolg im Rahmen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§
64 StGB) besteht nach Auffassung der [X.] nicht. Diagnostisch stehe die schizophrene Grunderkrankung des [X.]n im Vordergrund, so
dass eine psychotherapeutische Suchttherapie sinnlos sei. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§
63 StGB) lehnte die [X.] aber ab, weil sie deren Vo-raussetzungen ebenfalls nicht sicher feststellen konnte.
II.
Die Revision hat in dem aus
der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Die Schuldfähigkeitsprüfung des [X.] begegnet durchgreifen-den Bedenken.
a) Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass die [X.] bei der Entscheidung zu der Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne von §
20 StGB vollständig aufgehoben war, gegen den [X.] hat.
Bleiben nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht behebbare tat-sächliche Zweifel bestehen, die sich auf die Art und den Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen, ist zugunsten des [X.] zu entscheiden (vgl. [X.], Beschluss vom 19.
November 2014

4 StR 497/14, [X.], 71 9
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mwN). Solche Zweifel werden hier in der Beweiswürdigung zur Schuldfähigkeit des Angeklagten angedeutet.
Zwar schloss der Sachverständige Dr.
W.

, dessen Ausführungen sich die [X.] ohne Einschränkungen angeschlossen hat, aus, dass von

9). Auf Nachfrage der [X.] gab der Sachver-ständige jedoch an, dass er die konkreten Auswirkungen der psychiatrischen Grunderkrankung auf die verfahrensgegenständlichen Taten nicht bestimmen könne. Es sei zwar in Folge der nicht ausreichenden medikamentösen [X.] in den letzten Tagen vor der Tat vom 10.
Juli 2014 wahrscheinlich, dass Symptome der Krankheit aufgetreten seien. Mangels konkreter Aussagen des Angeklagten zu seinem Innenleben könne er dies jedoch nicht sicher feststel-ekt noch indirekt eindeutige Anhaltspunkte für das Vorliegen schwerer, die [X.] relevant mitbegünstigender psycho-hin, dass durchaus Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sachverhalts gege-ben waren, der zu einer vollständigen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ge-führt haben kann, das [X.] aber eine Schuldunfähigkeit des Angeklag-ten schon deshalb für ausgeschlossen erachtet hat, weil dafür kein eindeutiger Nachweis erbracht werden konnte (vgl. [X.] aaO).
b) Die Ausführungen, mit denen das [X.] die Annahme einer le-diglich erheblich verminderten Schuldfähigkeit begründet hat, weisen auch nicht die für eine revisionsgerichtliche Nachprüfung erforderliche Begründungstiefe auf.
Das [X.] beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Wertung des Sachverständigen zu übernehmen, es könne sicher ausgeschlossen wer-13
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den, dass von einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit bzw. Einsichtsfähigkeit ausgegangen werden müsste. Ergänzend wies die [X.] darauf hin, dass auch die Zeugen von Ausfallerscheinungen des Angeklagten bzw. Auffäl-ligkeiten in Bezug auf eine psychotische Symptomatik nicht berichten konnten und sich der Angeklagte gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten [X.] verhielt. Auch habe der Angeklagte angegeben, dass er schon lange keine imperativen Stimmen mehr gehört habe. Dies genügt
indes nicht, um eine
Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten sicher ausschließen zu [X.]. Hierfür hätte das [X.] in den Urteilsgründen näher darlegen müs-sen, welchen Einfluss die psychiatrische Grunderkrankung im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den konkreten [X.] haben konnte und welche Aussagekraft das [X.] erkennbarer Verhaltensauffälligkeiten für die Frage der sicheren Verneinung
einer möglichen Schuldunfähigkeit hatte.
2. Da in Betracht kommt, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten schuldunfähig war, bedarf die Sache neuer tatrichterlicher Prüfung und Ent-scheidung. Die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten bleiben hiervon un-berührt. Sie können bestehen bleiben, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen worden sind. Zwar hat der Angeklagte die Tatvorwürfe bestritten. Die auf Zeugenaus-sagen gestützte Beweiswürdigung der [X.], die sich von den [X.] überzeugt hat, enthält insoweit jedoch keine Rechtsfehler.
III.
Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
Sollte die neue [X.] wiederum zum
Ergebnis gelangen, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten beim Tatgeschehen vom
10. Juli 2014 nicht 16
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vollständig aufgehoben war, wird sie im Rahmen der rechtlichen Würdigung in den Blick nehmen können, dass der Tatbestand der Bedrohung auch hinter eine nur versuchte Nötigung zurücktritt (vgl. [X.], Beschluss vom 8. November 2005

1 [X.], [X.], 342).
Raum Jäger Cirener

Mosbacher

Bär

Meta

1 StR 659/15

18.02.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.02.2016, Az. 1 StR 659/15 (REWIS RS 2016, 15990)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15990

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1 StR 659/15

4 StR 497/14

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