Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2023, Az. 2 AZR 370/22

2. Senat | REWIS RS 2023, 9856

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Tenor

1. Auf die Revisionen der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. wird das Urteil des [X.] vom 2. August 2022 - 3 [X.]/21 -, unter Zurückweisung der Revision der Beklagten zu 1. im Übrigen, aufgehoben, soweit es den Kündigungsschutzanträgen des [X.] gegen beide Beklagte stattgegeben hat.

2. Im Umfang der Aufhebung werden die Berufungen des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 18. März 2021 - 10 [X.] - und das Urteil des [X.] vom 18. Mai 2021 - 5 Ca 5895/20 - zurückgewiesen.

3. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 2. August 2022 - 3 [X.]/21 - wird zurückgewiesen.

4. Von den Gerichtskosten des Revisionsverfahrens und den außergerichtlichen Kosten des [X.] haben der Kläger 95 % und die Beklagte zu 1. 5 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. hat diese selbst zu 14 % und der Kläger zu 86 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. hat der Kläger zu tragen.

5. Von den Gerichtskosten des Berufungsverfahrens und den außergerichtlichen Kosten des [X.] haben der Kläger 93 % und die Beklagte zu 1. 7 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. hat diese selbst zu 22 % und der Kläger zu 78 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Unter Bezugnahme auf die Leitentscheidung des Senats vom 1. Juni 2023 (- 2 [X.] -) wird entsprechend § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestands abgesehen. Das vorliegende Verfahren betrifft zusätzlich eine vom Kläger gegen die Beklagte zu 1. geltend gemachte [X.] für die Monate November und Dezember 2020.

Entscheidungsgründe

2

Die Revisionen der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. betreffend die Kündigungsschutzanträge des [X.] sind begründet. Das [X.] hat auf die Berufungen des [X.] die diesbezüglichen erstinstanzlichen Entscheidungen zu Unrecht abgeändert und den Klagen insoweit stattgegeben. Die Kündigungen beider Beklagten sind vielmehr wirksam. Die Annahme des [X.]s, sie seien mangels Bestimmtheit unwirksam, erweist sich als rechtsfehlerhaft, weshalb das Berufungsurteil insoweit aufzuheben ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer hierauf gestützten Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bedarf es indes nicht, da der Senat aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen im Zusammenhang mit der Frage eines Betriebsübergangs selbst in der Sache entscheiden kann (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen sind die Revisionen der Beklagten zu 1. und des [X.] unbegründet. Das [X.] hat zu Recht die erstinstanzliche Entscheidung auf Antrag des [X.] teilweise abgeändert und die Beklagte zu 1. zur Zahlung der [X.] für die Monate November und Dezember 2020 an ihn verurteilt. Auch die Abweisung des auf einen Betriebsübergang abzielenden Feststellungsantrags des [X.] erweist sich als rechtsfehlerfrei.

3

I. Die [X.] Gerichte sind international zuständig (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 19 f.).

4

II. Auf die Arbeitsverhältnisse des [X.] mit beiden Beklagten fand [X.] Recht Anwendung (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 21 ff.).

5

III. Die Kündigung der Beklagten zu 1. vom 10. September 2020 ist wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des 31. Dezember 2020 beendet.

6

1. Die Kündigungserklärung ist entgegen der Ansicht des [X.] und des Berufungsgerichts nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 25 ff.).

7

2. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 [X.]. Die Beklagte zu 1. hat ihren Flugbetrieb in [X.] stillgelegt.

8

a) Der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eröffnet. Die Beklagte zu 1. hat einen Luftverkehrsbetrieb iSv. § 24 Abs. 2 [X.] im Inland unterhalten, in dem mehr als zehn Arbeitnehmer iSv. § 23 Abs. 1 [X.] beschäftigt wurden. Der Begriff des Luftverkehrsbetriebs im Inland ist dabei nicht allein auf den Standort der Beklagten zu 1. in [X.] zu beziehen. Auch deren in [X.] stationierte Flugzeuge sind in den Blick zu nehmen. Erst die Gesamtheit dieser Luftfahrzeuge bildete den Luftverkehrsbetrieb der Beklagten zu 1. im Inland (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 32 ff.).

9

b) Für die Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 [X.] ist es ohne Bedeutung, dass der Kläger mit der Beklagten zu 1. in seinem Arbeitsvertrag vom Oktober 2018 ursprünglich die Geltung [X.] Rechts vereinbart hatte (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 38).

c) Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht sozial ungerechtfertigt. Es liegen dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 [X.] vor. Die Beklagte zu 1. hat ihren Luftverkehrsbetrieb in [X.] - auch unter Berücksichtigung der am Flughafen [X.] stationierten Flugzeuge - vollständig stillgelegt, wobei die Stilllegung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hatte (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 39 ff.).

d) Das Berufungsgericht hat ohne revisiblen Fehler festgestellt, dass kein einer Betriebsstilllegung entgegenstehender (vgl. [X.] 14. Mai 2020 - 6 [X.] - Rn. 91, [X.]E 170, 244) Betriebs(teil)übergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. vorliegt. Dementsprechend scheidet auch eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB aus (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 45 ff.).

e) Es bestand keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auf einem anderen freien Arbeitsplatz (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 54 ff.).

3. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht wegen einer formal oder inhaltlich fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 [X.] iVm. § 134 BGB nichtig. Dabei kann offenbleiben, ob Verstöße im Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 [X.] überhaupt zur Nichtigkeit einer Kündigung führen können (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 58 ff.).

IV. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist ebenfalls wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des 31. Dezember 2020 beendet.

1. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 74).

2. Sie bedurfte keiner [X.] Rechtfertigung, weil der Kläger noch nicht die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 Abs. 1 [X.] absolviert hat (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 76 ff.).

3. Die Kündigung der Beklagten zu 2. erweist sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB oder einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 [X.] als unwirksam oder nichtig (vgl. [X.] 1. Juni 2023 - 2 [X.] - Rn. 86).

V. Da der Kläger den Antrag auf Feststellung, dass sein mit der Beklagten zu 1. bestehendes Arbeitsverhältnis ab dem 1. November 2020 mit der Beklagten zu 2. fortbesteht, ausdrücklich als sein „vordringliches Klageziel“ bezeichnet hat, war über ihn als Hauptantrag zu entscheiden. Der auf einen Betriebsübergang abzielende Feststellungsantrag ist aber unbegründet, da ein Betriebsübergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. nicht erfolgt ist (vgl. oben Rn. 11).

VI. Die die [X.] betreffende Revision der Beklagten zu 1. ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger stehen die ihm vom [X.] für die Monate November und Dezember 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zuerkannten Ansprüche auf Zahlung der [X.] iHv. 2.343,38 Euro brutto bzw. 2.770,85 Euro brutto abzüglich bereits gezahlter 663,45 Euro netto jeweils [X.] Zinsen zu.

1. [X.] der Beklagten zu 1., die Berufung des [X.] betreffend den [X.] für den Monat Dezember 2020 sei bereits wegen fehlender ordnungsgemäßer Begründung unzulässig gewesen, geht fehl. Der Kläger hat sich in seiner Berufungsbegründung im Hinblick auf den hilfsweise für den Fall des Fehlens eines Betriebsübergangs gegen die Beklagte zu 1. gerichteten [X.] hinreichend mit den tragenden rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils - 10 Ca 1478/21 - auseinandergesetzt, indem er anführt, die Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 2. seien notwendige Streitgenossen iSv. § 62 ZPO, was dazu führe, dass vorliegend entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keine unzulässige außerprozessuale Bedingung vorliege.

2. Die Zahlungsanträge sind zulässig, da es sich hierbei bereits in der Berufungsinstanz um [X.] gehandelt hat. Eine doppelte Rechtshängigkeit iSv. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor, da die weiteren Anträge gegen die Beklagte zu 1. nicht mehr streitgegenständlich sind, nachdem der Kläger in der Berufungsinstanz diesbezüglich die Bedingung aufgegeben hat und zu einer unbedingten Antragstellung übergegangen ist. Die Annahme des [X.]s, die Voraussetzungen des § 533 ZPO lägen vor, ist im Revisionsverfahren in entsprechender Anwendung des § 268 ZPO nicht mehr zu überprüfen (vgl. [X.] 14. Dezember 2017 - 2 [X.] - Rn. 23, [X.]E 161, 198).

3. Die Anträge sind auch begründet. Der Anspruch des [X.] ergibt sich aus § 611a Abs. 2, § 615 Satz 1 BGB.

a) Selbst wenn die Beklagte zu 1. den Kläger nicht freigestellt haben sollte, bedurfte es keines wörtlichen Angebots der Arbeitsleistung, da die Beklagte zu 1. ihm mitgeteilt hat, die Basis [X.] werde zum 31. Oktober 2020 geschlossen und kein Flugbetrieb von [X.] aus mehr durchgeführt, was auch tatsächlich geschehen ist. Der Kläger wurde ebenfalls aufgefordert, bis Anfang November 2020 dienstliches Material und seine Uniform zurückzugeben. Angesichts dessen wäre ein wörtliches Angebot eine bloße [X.] gewesen, da offenkundig war, dass die Beklagte zu 1. auf ihrer Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharren würde (vgl. [X.] 18. Oktober 2023 - 5 [X.] - Rn. 16). Für einen Ausschluss von Ansprüchen gemäß § 615 Satz 1 BGB fehlt es an einer eindeutigen und klaren Vereinbarung (vgl. [X.] 22. April 2009 - 5 [X.]/08 - Rn. 22, [X.]E 130, 331).

b) Das fortzuzahlende Entgelt ist nach dem Lohnausfallprinzip zu bemessen (vgl. [X.] 7. November 2002 - 2 [X.], [X.]E 103, 265). Mangelt es bei schwankender Vergütung an Vereinbarungen oder anderen festen Anhaltspunkten für die Frage des mutmaßlich erzielten Entgelts, ist gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen. Dabei kann die vom Arbeitnehmer bis zum Eintritt des Annahmeverzugs erzielte Vergütung einen Anhaltspunkt liefern (vgl. [X.] 18. September 2001 - 9 [X.] 1 c aa der Gründe). Hinsichtlich der als Schätzung iSv. § 287 Abs. 2 ZPO zu verstehenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Annahmeverzugsanspruchs des [X.], sind weder revisionsrechtlich erhebliche Fehler zu erkennen noch werden solche von der Beklagten zu 1. aufgezeigt.

VII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO iVm. den Grundsätzen der sog. [X.]schen Kostenformel. Die Kostenentscheidung des [X.]s kann nach § 308 Abs. 2 ZPO durch den Senat auch ohne entsprechende Anträge der Parteien abgeändert werden (vgl. [X.] 16. Oktober 1974 - 4 [X.] - zu VII der Gründe, [X.]E 26, 320; MüKoZPO/[X.] 6. Aufl. § 308 Rn. 29).

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Cl. Peter    

        

    T. Prinz    

                 

Meta

2 AZR 370/22

14.12.2023

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 18. März 2021, Az: 10 Ca 5923/20, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2023, Az. 2 AZR 370/22 (REWIS RS 2023, 9856)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9856

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