Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.12.2021, Az. 3 StR 264/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 520

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Gegenstand

Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion: Mindestanzahl für die Annahme der Gesundheitsschädigung einer „großen Zahl von Menschen“


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 3. Dezember 2020 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die den Neben- und Adhäsionsklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

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Der näheren Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

3

1. [X.] hat den Schuldspruch wegen [X.] einer Sprengstoffexplosion im Fall [X.] der Urteilsgründe zu Recht auf die Erfolgsqualifikation des § 308 Abs. 2 Alternative 2 StGB gestützt, welche die Verursachung einer Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen erfordert. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

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a) Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen zündete der Angeklagte während eines laufenden [X.] einen in [X.] nicht zugelassenen Böller im Innenraum des vollbesetzten Fußballstadions. Durch die Detonation erlitten 21 in der Nähe befindliche Personen Verletzungen wie etwa [X.], Kopfschmerzen oder Hörminderungen.

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b) Die Frage, welche Mindestanzahl die Annahme einer großen Zahl von Menschen im Sinne von § 308 Abs. 2 Alternative 2 StGB erfordert, ist bislang - soweit ersichtlich - höchstrichterlich nicht entschieden. Während im Schrifttum überwiegend in Anlehnung an die Auslegung des insoweit gleichlautenden § 306b Abs. 1 Alternative 2 StGB mit im Einzelnen unterschiedlichen Begründungen Zahlen zwischen "mehr als drei" ([X.]/[X.]/[X.], [X.], 44. Aufl., Rn. 968; für eine Mindestanzahl von zehn Personen: [X.], StGB, 13. Aufl., § 308 Rn. 19; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 306b Rn. 4; [X.], StGB, § 308 Rn. 6, § 306b Rn. 4 f.; für eine Mindestanzahl von zwanzig Personen: MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 306b Rn. 8 f.; [X.], StGB, 69. Aufl., § 306b Rn. 5) und fünfzig Personen (freilich ohne Begründung: [X.], JA 1999, 474, 476) genannt werden, hat der [X.] - ebenfalls für das gleichlautend in § 306b Abs. 1 Alternative 2 StGB enthaltene Merkmal - eine Anzahl von vierzehn Personen als ausreichend angesehen ([X.], Urteil vom 11. August 1998 - 1 [X.], [X.]St 44, 175, 178; hinsichtlich einer Anzahl von acht verletzten Personen allerdings im Ergebnis abweichend: [X.], Urteil vom 17. November 2011 - 2 StR 399/10, NJW 2011, 1091 Rn. 12 [insoweit in [X.]St 56, 94 nicht abgedruckt]).

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c) Jedenfalls die vorliegend eingetretene Verletzung von 21 Personen erfüllt das gesetzliche Merkmal der Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen im Sinne des § 308 Abs. 2 Alternative 2 StGB. Der Auffassung, dass eine größere Personenanzahl erforderlich sei, ist nicht zu folgen, weil hierdurch der Anwendungsbereich des § 308 Abs. 2 Alternative 2 StGB unangemessen eingeengt würde.

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Dies ergibt sich aus einer tatbestandsspezifischen Auslegung, wie sie der [X.] bereits zu § 306b Abs. 1 Alternative 2 StGB vorgenommen hat. Dort ist mit Blick auf die Systematik des maßgebenden Normgefüges von Bedeutung, dass die Qualifikationsnorm sich auf sämtliche Tatobjekte im Sinne der § 306 Abs. 1 und § 306a Abs. 1 StGB erstreckt, weswegen die erforderliche Tathandlung der Inbrandsetzung beliebige Objekte erfasst. Hierdurch fallen auch solche Objekte in den Anwendungsbereich der Vorschrift, bei denen schon ihrer Art nach eine Gefährdung unübersehbar großer Menschengruppen eher fernliegt. Daneben muss der Strafwürdigkeitsgehalt des [X.] des § 306b Abs. 1 Alternative 2 StGB lediglich demjenigen des § 306b Abs. 1 Alternative 1 StGB, also der schweren Gesundheitsbeschädigung eines Menschen, entsprechen. Schließlich ist der Strafrahmen des § 306b Abs. 1 StGB gegenüber demjenigen des § 306a Abs. 1 StGB lediglich im Mindestmaß geringfügig von einem auf zwei Jahre erhöht, wohingegen das Höchstmaß gleichbleibt (vgl. im Einzelnen [X.], Urteil vom 11. August 1998 - 1 [X.], [X.]St 44, 175, 177 f.).

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Diese Gesichtspunkte gelten in entsprechender Weise für die insoweit wortlautgleiche Vorschrift des § 308 Abs. 2 Alternative 2 StGB: Auch die Strafvorschrift des [X.] einer Sprengstoffexplosion nach § 308 StGB stellt in ihrem Abs. 2 im Vergleich zu Abs. 1 keine erhöhten Anforderungen an die Sprengstoffexplosion als solche, etwa mit Blick auf deren Umfang oder die Qualität des Tatorts. Hieraus folgt, dass auch solche Sprengstoffexplosionen tatbestandlich erfasst sein können, bei denen schon ihrer Art nach mit der Gefährdung unübersehbar großer Menschengruppen kaum zu rechnen ist. Weiter entspricht der Strafwürdigkeitsgehalt des [X.] § 308 Abs. 2 Alternative 2 StGB demjenigen des § 308 Abs. 2 Alternative 1 StGB, der seinerseits wiederum mit § 306b Abs. 1 Alternative 1 StGB wörtlich übereinstimmend auf die schwere Gesundheitsschädigung eines Menschen abstellt; § 306b Abs. 1 StGB und § 308 Abs. 2 StGB weisen demnach ein insoweit identisches Normgefüge auf. Ebenso ist die Abstufung der Strafrahmen innerhalb beider Delikte bzw. Deliktsgruppen identisch.

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Für die Übertragbarkeit der vorstehend dargelegten Auslegungskriterien auf die Strafvorschrift des § 308 Abs. 2 Alternative 2 StGB spricht weiter, dass es sich bei der Vorschrift ausweislich der gesetzlichen Überschrift des 28. Abschnitts gleichfalls um ein gemeingefährliches Delikt handelt, welches durch den Gesetzgeber mit einer Erfolgsqualifikation versehen worden ist. Schließlich führt es nicht zu einem anderen Ergebnis, dass das Grunddelikt § 308 Abs. 1 StGB anders als § 306 Abs. 1, § 306a Abs. 1 StGB als konkretes Gefährdungsdelikt ausgestaltet ist; denn die Herbeiführung des [X.] ist zwar kein gesetzliches Merkmal des abstrakten Gefährdungsdelikts, wohl aber typische Folge der unter Strafe gestellten gemeingefährlichen Tathandlung und deshalb gesetzgeberisches Motiv der Vertatbestandlichung ([X.], Urteile vom 24. April 1975 - 4 StR 120/75, [X.]St 26, 121, 123; vom 22. April 1982 - 4 StR 561/81, [X.], 420, 421; vom 4. April 1985 - 4 [X.], [X.], 408, 409).

2. Die seitens des [X.] mit Zuschrift vom 24. August 2021 im Hinblick auf einen der [X.] beantragte Abänderung des Zinsbeginns durch Vorverlegung um einen Tag kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil sich die damit verbundene Verlängerung des [X.] zu Lasten des allein rechtsmittelführenden Angeklagten auswirken würde. Der [X.] kann über die Revision des Angeklagten durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO befinden, obwohl der [X.] die Abänderung des angefochtenen Urteils im Adhäsionsausspruch beantragt hat ([X.], Beschlüsse vom 3. April 2007 - 3 [X.], Rn. 5; vom 22. Oktober 2013 - 4 StR 368/13, [X.], 90).

Schäfer     

      

Paul     

      

Anstötz

      

Kreicker     

      

Voigt     

      

Meta

3 StR 264/21

08.12.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 3. Dezember 2020, Az: 113 KLs 23/19, Urteil

§ 306b Abs 1 Alt 2 StGB, § 308 Abs 1 StGB, § 308 Abs 2 Alt 1 StGB, § 308 Abs 2 Alt 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.12.2021, Az. 3 StR 264/21 (REWIS RS 2021, 520)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 520


Verfahrensgang

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Az. 3 StR 264/21

Bundesgerichtshof, 3 StR 264/21, 08.12.2021.


Az. 113 KLs 23/19

Landgericht Köln, 113 KLs 23/19, 03.12.2020.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 399/10

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