Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2013, Az. XII ZB 339/13

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 1235

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen



BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 339/13

vom

13. November 2013

in der Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

FamFG §
276 Abs.
1 Satz
1; BGB §
1896 Abs.
3
a)
Ob einem Betroffenen auch dann, wenn ein Regelfall nach
§
276 Abs.
1 Satz
2 FamFG
nicht vorliegt, ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist, hängt vom Grad der Krankheit oder Behinderung sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstandes
ab.
b)
Dem Betroffenen, der aufgrund krankheitsbedingter Beeinträchtigungen in seiner Fähigkeit, seine Interessen im Verfahren wahrzunehmen, erheblich eingeschränkt ist, ist ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn es um die Anordnung einer [X.] geht, die sich auf eine umfassende [X.] bezieht.
[X.], Beschluss vom 13. November 2013 -
XII ZB 339/13 -
LG [X.]

[X.]
-
2
-
Der XII. Zivilsenat des [X.] hat am 13.
November
2013 durch [X.] und [X.]
Klinkhammer, Dr.
Günter, Dr.
Botur und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde
der Betroffenen
wird der Beschluss der 3.
Zivilkammer des [X.] vom 4.
Juni 2013 aufge-hoben.
Die Sache wird zur erneuten
Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000

Gründe:
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Anordnung einer [X.].
Mit am 12.
April 2012 notariell beglaubigter Vollmachtsurkunde erteilte die im Jahr 1927 geborene Betroffene ihrem Sohn
und dessen Ehefrau
(Betei-ligte
zu
1
und zu 2; im Folgenden: Bevollmächtigte)
die Vollmacht, sie in den Bereichen Wohnort-
und Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge, Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen, laufende finanzielle Angelegenheiten, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden/Renten-/sonstigen Leistungsträgern und Entscheidung über eine ge-1
2
-
3
-
schlossene Unterbringung zu vertreten. Im Februar 2013 regte die Leitung des [X.], in dem die Betroffene lebte, die Einrichtung einer Betreu-ung für die Betroffene an, weil es zu Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit den Heimkosten gekommen sei.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 19.
April 2013 den Beteiligten zu
3, einen Rechtsanwalt, zum [X.] mit dem Aufgabenkreis "Gel-tendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber ihren Bevollmächtigten"
bestellt. Das [X.] hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen rich-tet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß
§
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 FamFG
statt-haft und auch im Übrigen zulässig. Nach der Rechtsbeschwerdebegründung wendet sich (allein) die Betroffene gegen die [X.]. Mithin haben die Bevollmächtigten die Rechtsbeschwerde im Namen der Betroffenen einge-legt.
Die
Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das [X.] hat die Erforderlichkeit einer [X.] nach
§
1896 Abs.
3 BGB
wie folgt begründet: Die Betroffene leide unter einer senilen Demenz. Sie sei aufgrund dieser Erkrankung weder in der Lage, sich mit der Regelung komplexer, insbesondere finanzieller Angelegenheiten auseinander-zusetzen, noch könne sie das Handeln ihrer Bevollmächtigten überwachen oder frei von Einflüssen und mit freiem Willen über die Notwendigkeit einer Betreu-ung entscheiden. Es bestünden auch hinreichende Anhaltspunkte für den [X.], dass dem Betreuungsbedarf mit der den Bevollmächtigten
erteilten Voll-3
4
5
6
-
4
-
macht nicht Genüge getan werde, weil es dringenden Grund zu der Annahme gebe, dass die Bevollmächtigten missbräuchlich und zum Nachteil der Betroffe-nen mit der Vollmacht umgingen. Insbesondere sei nicht erklärlich, warum sie trotz der nicht unerheblichen Einkünfte der Betroffenen die Heimkosten nicht ordnungsgemäß bezahlt hätten. Zudem sei zweifelhaft, ob die medizinische und pflegerische Versorgung der Betroffenen im Haushalt der Bevollmächtigten, wo sie jetzt lebe, gewährleistet sei. Schließlich hätten die Bevollmächtigten gegen zwei weitere Kinder
der Betroffenen
Klage auf Unterlassung der Kontaktauf-nahme zur Betroffenen erhoben, obwohl nicht ersichtlich sei, warum dies im Interesse der Betroffenen liegen solle. Es stehe zu befürchten, dass auf dem Rücken der Betroffenen die langjährigen Streitigkeiten zwischen ihren Kindern
ausgetragen werden sollten.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde schon deswegen nicht stand, weil -

wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt
-
die Tatsacheninstanzen der anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt haben.
a) Nach §
276 Abs.
1 Satz
1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies
zur Wahrnehmung der Interes-sen des Betroffenen
erforderlich ist.
Die
Vorschrift des §
276 FamFG hat §
67 [X.]
ersetzt, dem sie inhaltlich weitgehend entspricht
und der auf das Gesetz zur Reform des Rechts
der Vor-mundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz) vom 12.
Sep-tember 1990 ([X.]
I S.
2002) zurückgeht. Ein wesentliches Ziel der mit dem Betreuungsgesetz vorgenommenen Änderungen des Gesetzes über die Ange-legenheiten der Freiwilligen
Gerichtsbarkeit war es, die Rechtsposition des Be-troffenen im Verfahren zu stärken. Der Gesetzgeber sah §
67 [X.] dabei als 7
8
9
-
5
-
wesentliche Neuregelung, die
den Schutz des Betroffenen verbessern sollte, indem man ihm -
soweit zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich
-
ei-nen
Verfahrenspfleger zur Unterstützung zur Seite stellt (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S.
89). Damit sollten die auf einem gesundheitlichen Mangel beruhen-den Einschränkungen der Fähigkeit des Betroffenen, sich im [X.] selbst angemessen vertreten zu können, ausgeglichen werden. Die vorran-gige Aufgabe des Verfahrenspflegers besteht daher darin, gegenüber dem [X.] den Willen des Betroffenen kundzutun und dessen
aus Art.
103 Abs.
1 GG folgenden Anspruch
auf Gewährung rechtlichen Gehörs
zu verwirklichen (Se-natsbeschluss vom 29.
Juni 2011

XII
ZB
19/11

FamRZ 2011, 1577 Rn.
8;
BT-Drucks. 15/2494
S.
18
und 41).
b) Ob
es auch dann, wenn keiner der in §
276 Abs.
1 Satz
2 FamFG auf-geführten Regelfälle vorliegt, eines
Verfahrenspflegers
bedarf,
hängt vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstandes
ab (BT-Drucks. 11/4528 S.
171; allgemeine Meinung, vgl. etwa BayObLG FamRZ 2003, 1044; [X.]/[X.] [Stand: [X.] 2010] §
276 FamFG Rn.
71; [X.] Betreuungsrecht [Stand: 1.
Oktober 2005] §
67 [X.] Rn.
5; [X.] in Bahrenfuss FamFG §
276 Rn.
3; [X.]/Weinreich/Rausch FamFG 3.
Aufl. §
276 Rn.
4; MünchKommFamFG/[X.] 2.
Aufl. §
276 FamFG Rn.
5; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] Betreuungsrecht 5.
Aufl. §
276 FamFG Rn.
29). Das Gericht hat [X.] eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, ohne dass ihm insoweit ein Ermes-sen eröffnet ist
(vgl. [X.]/[X.] FamFG 17.
Aufl. §
276 Rn.
3; [X.]/Weinreich/Rausch FamFG 3.
Aufl. §
276 Rn.
4).

c) Diesen rechtlichen Maßstäben wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.
10
11
-
6
-

aa) Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen ist die Be-troffene zu einer freien Willensbildung in Bezug auf die Betreuung nicht in der Lage. Sie leidet unter einer deutlichen Einschränkung ihrer kognitiven Fähigkei-ten, insbesondere von Kritik-
und Urteilsvermögen,
und kann komplexe Zu-sammenhänge nicht mehr überblicken. Damit liegen gravierende Beeinträchti-gungen der Betroffenen vor, die sie daran hindern, ihre Rechte im [X.] ausreichend wahrzunehmen. Denn eine
Artikulation ihrer Einwen-dungen mit einer differenzierten Begründung ist ihr nicht möglich.
bb) In Anbetracht der Bedeutung des konkreten [X.] führt diese
Einschränkung der Betroffenen dazu, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers zwingend geboten war.
(1) Dass das
Verfahren auf die Prüfung der Erforderlichkeit einer
Kon-trollbetreuung
gemäß
§
1896 Abs.
3 BGB gerichtet
ist, macht die Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht grundsätzlich entbehrlich (vgl. [X.]/Weinreich/Rausch FamFG 3.
Aufl. §
276 Rn.
4; zweifelnd [X.]/[X.] [Stand: September 2009] §
276 FamFG Rn.
76
f.
unter Bezugnahme auf
BT-Drucks. 11/4528 S.
164). Der [X.] überwacht den oder die [X.] und ist gegebenenfalls
sogar zum Widerruf der Vorsor-gevollmacht berechtigt und verpflichtet (vgl. die Stellungnahme des [X.] zum [X.] des [X.]. 11/4528 S.
226; vgl. auch KG FamRZ
2007, 1041; BayObLG FamRZ 2002, 1220, 1221; [X.]/[X.] 6.
Aufl.
§
1896 Rn.
247 mwN; [X.]/[X.] BGB [2013] §
1896 Rn.
337; [X.]/[X.]/[X.] [Stand: Februar 2013] §
1896 BGB Rn.
262; [X.] Betreuungsrecht 4.
Aufl. §
1896 BGB Rn.
37; [X.] Betreuungsrecht [Stand: 1.
August 2008] §
1896 BGB Rn.
205). Bei einem Widerruf kann eine Betreuung 12
13
14
-
7
-
für den
Betroffenen
notwendig werden, die dieser
mit der Erteilung der Vorsor-gevollmacht gerade zu verhindern suchte.
(2) Die Bestellung eines
[X.]s bedeutet einen gewichtigen Grundrechtseingriff. Der Betroffene wird durch eine rechtliche Betreuung in [X.] Entscheidungsfreiheit (Art.
2 Abs.
1 GG) eingeschränkt; im Ergebnis kann es im Zuge der Betreuung auch in höchstpersönlichen Angelegenheiten zu [X.] gegen seinen ausdrücklichen Willen kommen. Die Möglichkeit, Vorsorgevollmachten zur Vermeidung einer rechtlichen Betreuung zu erteilen, ist demgegenüber Ausdruck des durch Art.
2 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
1 Abs.
1 GG garantierten Selbstbestimmungsrechts (vgl. [X.] FamRZ 2008, 2260, 2261).

(3) Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist im vorliegenden Verfahren eine [X.], die sich auf den gesamten von der Vorsorgevollmacht genannten Aufgabenkreis bezieht. Dieser deckt praktisch alle Bereiche ab, in denen rechtliche Entscheidungen für die Betroffene zu treffen sind, und ist [X.] umfassend angelegt.
Die
aus Art.
2 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
1 Abs.
1 GG fol-gende [X.] der
Betroffenen würde
jedenfalls mit einer derart umfassenden [X.] in schwerwiegender Weise eingeschränkt.
(4) Daher
war es vorliegend verfahrensfehlerhaft, dass das Beschwerde-gericht der Betroffenen trotz deren krankheitsbedingt erheblich eingeschränkter Fähigkeit, ihre Interessen im Verfahren wahrzunehmen, keinen Verfahrenspfle-ger bestellt hat, obwohl es eine umfassende [X.] für die nahezu alle Angelegenheiten
abdeckende Vorsorgevollmacht geprüft

und letztlich auch als erforderlich
erachtet

hat.

Diesem Ergebnis steht eine im Verfahren erfolgte Vertretung der Be-troffenen durch die ([X.] nicht gemäß §
276 Abs.
4 15
16
17
18
-
8
-
FamFG
entgegen, weil sich diese in einem Interessenkonflikt befinden (vgl. [X.]
Rpfleger 2009, 290).

d)
Die Entscheidung des [X.] beruht auf diesem Verfah-rensfehler. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass das [X.] nach Hinzuziehung eines Verfahrenspflegers aufgrund dessen Stellungnahme zu einer anderen Entscheidung gelangt
wäre.
3. Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen. Dieses wird einen Verfahrenspfleger zu bestellen und nach dessen Stellungnahme erneut zu entscheiden haben.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Im Rahmen der weiteren Ermittlungen besteht für das Beschwerdege-richt auch Gelegenheit, sich mit den Einwendungen der Rechtsbeschwerde zur Erforderlichkeit einer [X.] auseinanderzusetzen. Insbesondere kann es sich hierbei zum einen mit den Erklärungen der Bevollmächtigten
zum Entstehen des [X.] bei den Heimkosten befassen, wie sie sich aus dem erst am 4.
Juni 2013 eingegangenen Schreiben vom selben [X.], das das [X.]
bei seiner Entscheidung nicht mehr berücksichtigen konnte. Zum anderen kann das [X.] der Frage nachgehen, ob
die Be-troffene im Haushalt der Bevollmächtigten derzeit insbesondere medizinisch nicht hinreichend versorgt ist.
19
20
21
22
-
9
-
b) Darüber hinaus wird das Beschwerdegericht bei erneuter Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine
[X.] zu klären ha-ben, ob diese tatsächlich für alle von der Vorsorgevollmacht erfassten oder aber
nur für einzelne Bereiche erforderlich ist
(vgl. z.B. [X.] FamRZ 2009, 1437, 1438; [X.]/[X.] BGB [2013] §
1896 Rn.
331; Prütting/Wegen/Weinreich/[X.] BGB 8.
Aufl. §
1896 Rn.
32).

Dose

Klinkhammer

Günter

Botur

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 19.04.2013 -
3 XVII Sch 1099 -

LG [X.], Entscheidung vom 04.06.2013 -
3 [X.] -

23

Meta

XII ZB 339/13

13.11.2013

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2013, Az. XII ZB 339/13 (REWIS RS 2013, 1235)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1235

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 339/13 (Bundesgerichtshof)

Betreuungssache: Bestellung eines Verfahrenspflegers bei Anordnung einer Kontrollbetreuung mit Bezug auf eine umfassende Vorsorgevollmacht


XII ZB 317/13 (Bundesgerichtshof)

Betreuungssache: Verfahrensfähigkeit des Betroffenen; Befugnis zur Bestellung eines Verfahrensbevollmächtigten


XII ZB 317/13 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 537/10 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 537/10 (Bundesgerichtshof)

Vorsorgevollmacht: Voraussetzungen einer Kontrollbetreuung


Referenzen
Wird zitiert von

V R 34/19

Zitiert

XII ZB 339/13

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.