Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2014, Az. XII ZB 68/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 8503

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]/11

vom

22. Januar 2014

in der Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
BGB §§
1666 Abs.
1, 1666
a, 1632 Abs.
4
Lebt ein Kind in einer Pflegefamilie und verlangen die Eltern die Rückführung des Kindes, muss der Erlass einer Verbleibensanordnung nach §
1632 Abs.
4 BGB als im Verhältnis zu einem Sorgerechtsentzug milderes Mittel erwogen werden. Ergibt sich die Gefährdung des Kindeswohls allein daraus, dass das Kind zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausgenommen und zu den leiblichen Eltern zurückgeführt werden soll, liegt in der Regel noch kein hinreichender Grund vor, den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen.
[X.], Beschluss vom 22. Januar 2014 -
XII [X.]/11 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 22.
Januar 2014 durch [X.], die Richterin [X.] und [X.]
[X.], Dr.
Nedden-Boeger und Dr.
Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten
zu
1 wird der Be-
schluss des 5.
Familiensenats in [X.] des [X.]s [X.]
vom 7.
Januar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung

auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens
an das [X.] zurückverwiesen.
[X.]: 6.000

Gründe:

I.
Die Beteiligten zu
1 und zu 2
sind die Eltern des im November 2007 nichtehelich geborenen Kindes
A. Die Vaterschaft des Beteiligten zu
2
wurde im Januar 2009 gerichtlich festgestellt; eine gemeinsame Sorgeerklärung besteht nicht. Mutter und Kind sind Staatsangehörige der [X.], der Vater stammt aus dem [X.].
Bereits während der Schwangerschaft zeigte die Mutter des Kindes [X.] psychisch auffälliges Verhalten und befand sich deswegen zwischen März 2007 und März 2009 [X.] in stationärer psychiatrischer Behandlung. Nachdem bei der Mutter unter anderem eine akute polymorphe 1
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-
psychotische Episode mit Symptomen einer Schizophrenie festgestellt worden war, wurde 2007 eine Betreuung für
die Angelegenheiten [X.], Gesundheitssorge, Vertretung gegenüber Versicherungen, Behörden (Rechtsangelegenheiten), Heimen und Wohnungsangelegenheiten eingerichtet. Im April 2008 wurde die Mutter mit dem Verdacht eines Suizidversuchs in eine Klinik eingewiesen. Das Kind wurde vom Jugendamt in Obhut genommen und zunächst in eine Bereitschaftspflegefamilie gebracht.
Ende April 2008 stellte das Amtsgericht das Ruhen der elterlichen Sorge für das Kind fest und [X.] das beteiligte Jugendamt
zum Vormund des Kindes. Seit Juli 2008 lebt das Kind in Vollzeitpflege bei den Beteiligten zu
5 und zu
6.
Auch in der Folgezeit verhielt sich die Mutter zunächst weiter psychisch auffällig, so dass nach einem weiteren Klinikaufenthalt im Oktober 2008 im
Be-treuungsverfahren ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet wurde.
Auf Anregung des [X.] hat das Amtsgericht der Mutter mit Be-schluss vom 3.
August 2009 das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die [X.] und das Antragsrecht auf Kinder-
und Jugendhilfe entzogen und das Jugendamt zum Ergänzungspfleger bestellt. Die Beschwerde beider Eltern blieb erfolglos. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich die Mutter weiter gegen die Entziehung des Sorgerechts.

II.
Das [X.], dessen
Entscheidung in [X.], 1514
f. veröffentlicht ist, hält den teilweisen Entzug der elterlichen Sorge gemäß §
1666 Abs.
1 BGB für erforderlich, um den Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern zu sichern.
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4
-
Die von den Eltern geplante Rückführung des Kindes stelle eine Gefahr für dessen körperliches, geistiges oder seelisches Wohl dar. Die Eltern seien weder gewillt noch in der Lage, diese Gefahr abzuwenden. Die Gefahr für das Kindeswohl gehe zwar nicht mehr von einer fehlenden Erziehungsfähigkeit der Mutter aus. Nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen stehe die bei der Mutter vorhandene Grunderkrankung einer Betreuung des Kindes nicht mehr entgegen, zumal bei der Mutter inzwischen ausreichende Krankheitseinsicht vorliege. Auch die kinderpsychologische Sachverständige gehe von einer grundsätzlichen Erziehungsfähigkeit der Mutter aus.
Eine Gefährdung des Kindeswohls
ergebe sich jedoch daraus, dass die Eltern im Fall der Rückübertragung der entzogenen Teile der elterlichen Sorge planten,
das Kind wieder zu sich zu nehmen, wodurch das Kindeswohl gefähr-det sei. Bei einer Trennung des Kindes von den Pflegeeltern sei nach den [X.] der kinderpsychologischen Sachverständigen mit Sicherheit von nachhaltigen Beeinträchtigungen für das Kind auszugehen. Mit hoher Wahr-scheinlichkeit hätte eine Rückführung nachteilige Auswirkungen auf die seeli-sche Gesundheit des Kindes und seine weitere Entwicklung. Im Fall eines [X.] zu den Pflegeeltern bestehe ein hohes Risiko für die Entwick-lung einer psychischen Störung, die das Kind sein weiteres Leben begleiten würde und die massives Leid und massive Nachteile bedeutete. Selbst im Fall eines optimalen [X.] bestehe eine Gefahr für eine erhebli-che psychische Störung. Nach diesen Feststellungen sei die Risikogrenze für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit von Schädigungen des Kindes im Sinne der Rechtsprechung des [X.] zur Rückführung zu einem leiblichen Elternteil überschritten.
Aufgrund des Gutachtens sei
unmittelbar plausibel, dass ein Bindungs-abbruch zu den Pflegeeltern eine traumatische Belastungsreaktion bei dem 6
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5
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Kind hervorrufen würde, deren Bewältigung eine besondere Erziehungskompe-tenz der Eltern voraussetze. Über diese Kompetenz verfügten die leiblichen Eltern hingegen nicht. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls könne ein geordnetes Rückführungsszenario auch nicht durch intensive, [X.] auch therapeutische Begleitung und Beratung über einen gewissen [X.]raum erarbeitet werden. Einerseits verfügten die leiblichen Eltern nicht über die besondere Erziehungskompetenz. Andererseits hätten sich die Pflegeeltern aufgrund einer frühzeitigen Zusage des [X.], es handle sich um eine Dauerpflege, bereits emotional so auf das Kind eingelassen und Bindungen aufgebaut, dass es ihnen schwer falle, das Kind zu den Eltern zurückzulassen. Es sei nicht nur nicht möglich, ein Rückführungsszenario zu erarbeiten, bei dessen Durchführung das Kind nicht geschädigt werde. Vielmehr würde das Kind nicht nur für die Dauer des [X.] einschließlich der [X.], sondern dauerhaft dem hohen Risiko einer psychischen Störung ausgesetzt sein.
Eine andere Beurteilung folge auch nicht aus der Überlegung, dass die Rückführung des Kindes nicht an der fehlenden Bereitschaft der Pflegeeltern, sich auf ein Rückführungsszenario einzulassen, scheitern dürfe. Zwar habe die Entscheidung des [X.], das Kind in die dauerhafte Betreuung einer Pflegefamilie zu geben, dem verfassungsrechtlichen Auftrag, erforderliche Maßnahmen immer mit der Zielrichtung der Rückführung zu den leiblichen [X.] zu treffen, nicht Rechnung getragen. Gleichwohl sei aus [X.] nunmehr an dieser Entscheidung festzuhalten, zumal die fehlende Mög-lichkeit, ein Rückführungsszenario zu erarbeiten, nicht in erster Linie im Verhal-ten der Pflegeeltern begründet sei, sondern insbesondere in der fehlenden Ein-sicht der leiblichen Eltern, denen die erforderliche Sensibilität und Zurückhal-tung in der gegebenen Situation fehle.
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6
-
Eine Übertragung der entzogenen Teile der elterlichen Sorge auf den [X.] sei nicht möglich, da hierdurch das Kindeswohl gefährdet wäre. Auch er [X.] eine Rückführung des Kindes zu sich bzw. zu der Mutter.
Eine Verbleibensanordnung nach §
1632
Abs.
4 BGB komme vorliegend nicht als milderes Mittel in Betracht. Denn die Eltern verfügten nicht über die Erziehungseignung, die für das Kind in der gegebenen Situation erforderlich sei. Das Kind könne nicht zu ihnen zurückkehren, so dass ein Eingriff in die elterli-che Sorge erforderlich sei. Eine Verbleibensanordnung reiche demgegenüber nicht aus. Die Beteiligten bedürften einer klaren Regelung.
Zu Recht sei neben dem Aufenthaltsbestimmungsrecht auch die [X.] und das Antragsrecht für Kinder-
und Jugendhilfe entzogen worden, da nicht zu erwarten sei, dass zwischen Pflegeeltern, Jugendamt und Eltern in gesundheitlichen Fragen eine Kooperation stattfinden werde. Dies sei jedoch erforderlich, da in gesundheitlichen Fragen erfahrungsgemäß schnell reagiert werden müsse. Von der Entziehung weiterer Teile der elterlichen Sorge bis hin zur gesamten elterlichen Sorge der Mutter sei aber abzusehen, weil eine Gefährdung des Kindeswohls insoweit bisher nicht eingetreten sei.

III.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Gemäß Art.
111 Abs.
1 [X.] ist das bis Ende August 2009 gelten-de Verfahrensrecht weiterhin anwendbar, weil das Verfahren vor dem 1.
Sep-tember 2009 eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil [X.]Z 184, 269 =
[X.], 720 Rn.
18).
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7
-
2. Im Ausgangspunkt zu Recht ist das [X.] von der An-wendung [X.] Rechts ausgegangen (Art.
5 Abs.
1, 15 Abs.
1 des [X.] über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Aner-kennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.
Oktober 1996
Haager Kinderschutzübereinkommen
KSÜ). Ferner hat es zutreffend erkannt, dass über die Entziehung des Sorgerechts
nach §
1666 Abs.
1 BGB zu entscheiden ist, nachdem die Mutter trotz der vorangegangenen Anordnung des Ruhens der elterlichen Sorge noch Inhaberin der elterlichen Sorge war (vgl. [X.]/Götz BGB 73.
Aufl. §
1675 Rn.
1).
3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des [X.] und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
Die Entscheidung des [X.]s hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil Maßnahmen nach §
1666 Abs.
1 BGB nur angeordnet werden dürfen, wenn der Gefährdung des Kindeswohls nicht durch weniger einschnei-dende Mittel begegnet werden kann.
a) Nach §
1666 Abs.
1 BGB hat das Familiengericht, wenn das [X.], geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Als derartige Maßnahme kommt auch die Entziehung einzelner Teile des Personensorgerechts, insbesondere des [X.]srechts, in Betracht.
Bei der Auslegung und Anwendung des §
1666 BGB ist der besondere Schutz zu beachten, unter dem die Familie nach Art.
6 Abs.
1 und Abs.
2 [X.] steht. Art.
6 Abs.
2 Satz
1 [X.] garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der 15
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Eltern gelegt, wobei dieses "natürliche Recht"
den Eltern nicht vom Staat [X.] worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erzie-hung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein ([X.] FamRZ 1982, 567, 569 und
FamRZ 1989, 145, 146).
Soweit den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entzogen und damit zu-gleich die Aufrechterhaltung der Trennung des Kindes von ihnen gesichert wird, darf dies nur
unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen ([X.] FamRZ 1982, 567, 569; Senatsbeschluss vom 26.
September 2007

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FamRZ 2007, 1969 Rn.
32). Dieser gebietet, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist ([X.] FamRZ 1968, 578, 584
und
FamRZ 1989, 145, 146). Die anzuord-nende Maßnahme muss zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung effektiv geeig-net, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die [X.] beinhaltet dabei das Gebot, aus den zur Erreichung des Zweckes gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, die geschützte Rechtsposition am [X.] beeinträchtigende Mittel zu wählen
([X.] FamRZ 2012, 1127, 1129).
Der Staat muss daher vorrangig versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. [X.] FamRZ 1968, 578, 584
und
FamRZ 1982, 567, 570). Mit §
1666 Abs.
1 Satz
1 in
Verbindung mit §
1666
a BGB hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaf-fen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für besonders einschneidende Eingriffe in das Elternrecht, nämlich die Trennung des Kindes von den Eltern 20
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9
-
und den Entzug der Personensorge, verdeutlicht ([X.] FamRZ 1982, 567, 569).
Lebt ein Kind in einer Pflegefamilie und verlangen die leiblichen Eltern dessen Rückführung, muss auch der Erlass einer Verbleibensanordnung nach §
1632 Abs.
4 BGB als im Verhältnis zu einem Sorgerechtsentzug milderes Mit-tel erwogen werden ([X.] FamRZ 1989, 145, 146; [X.], 563). Nach dieser Vorschrift kann das Familiengericht anordnen, dass das [X.] seit längerer [X.] in Familienpflege lebende Kind bei der Pflegeperson ver-bleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme von der Pflege-person gefährdet wäre. §
1632 Abs.
4 BGB geht davon aus, dass zwischen dem Kind und den Pflegeeltern als Folge eines länger dauernden Pflegever-hältnisses eine gewachsene Bindung entstanden sein kann, die nicht zum Schaden des Kindes zerstört werden soll (vgl. Senatsbeschluss vom 26.
Sep-tember 2007

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FamRZ 2007, 1969 Rn.
31). Eine Verblei-bensanordnung kann deshalb immer dann ergehen, wenn das Kindeswohl dadurch gefährdet ist, dass die Eltern eine Rückführung zu sich planen und durch eine damit verbundene Zerstörung der Bindung an die Pflegeeltern eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohl-befindens des Kindes zu erwarten ist.
Auch wenn allgemein davon auszugehen ist, dass mit der Herausnahme aus der gewohnten Umgebung ein Zukunftsrisiko
für ein Kind verbunden sein kann, darf dies nicht dazu führen, dass die Zusammenführung von Kind und Eltern grundsätzlich ausgeschlossen ist, wenn das Kind seine "[X.] Eltern"
gefunden hat. Aus
Art.
6 Abs.
2 Satz
1 [X.] folgt, dass ein [X.] nicht in der Weise verfestigt werden darf, dass die leiblichen Eltern mit der [X.] in nahezu jedem Fall den dauernden Verbleib des Kindes in der [X.] befürchten müssen. Schon die Wendung in §
1632 Abs.
4 BGB "wenn und 21
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solange"
fordert flexible Lösungen, die im Wege eines gleitenden Übergangs auf ein Zueinanderfinden von Kind und leiblichen Eltern nach einer Umstel-lungsphase gerichtet sind ([X.] FamRZ 1985, 39, 42
und
FamRZ 1987, 786, 789). Hierbei ist auch in den Blick zu nehmen, ob die ursprüngliche Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern auf einer missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge oder einem unverschuldeten Versagen der Eltern beruhte. Gerade wenn die Voraussetzungen des §
1666 Abs.
1 Satz
1 BGB bei der Wegnahme des Kindes nicht vorlagen, wird verstärkt nach Möglichkeiten gesucht
werden müssen, um
die behutsame Rückführung des Kindes erreichen zu können ([X.] FamRZ 1985, 39, 42 mwN sowie unter Hinweis auf
BT-Drucks. 8/2788 S.
40).
b) Den danach bestehenden strengen verfassungsrechtlichen Voraus-setzungen an einen Entzug des Sorgerechts und dem hierbei zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.
Ergibt sich die Gefährdung des Kindeswohls allein daraus, dass das Kind zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausgenommen und zu den leiblichen Eltern zurückgeführt werden soll, liegt in der Regel noch kein hinreichender Grund vor, den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen ([X.], 563; [X.] FamRZ 1998, 447, 448). Vielmehr reicht dann in der Regel die Verbleibensanordnung nach §
1632 Abs.
4 BGB zur Abwehr der [X.] aus.
Soweit das [X.] von einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls durch die von den Eltern beabsichtigte Rückfüh-rung des Kindes ausgegangen ist, hätte es deshalb im Einzelnen ausführen müssen, aus welchen Gründen es die angenommene Gefahr für die Entwick-lung des Kindes nur durch die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts 23
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-
und nicht durch eine Verbleibensanordnung als milderes Mittel für abwendbar gehalten hat ([X.] FamRZ 1989, 145, 146).
(1) Das [X.] durfte sich nicht mit der Annahme begnügen, eine Rückkehr des Kindes zu den Eltern sei ausgeschlossen, weil diese nicht über die in der gegebenen Situation erforderliche besondere Erziehungseig-nung verfügten, um der mit der Trennung von den Pflegeeltern erwarteten trau-matischen Belastungsreaktion des Kindes begegnen zu können.
Zum einen hat das [X.] festgestellt, die Mutter sei grund-sätzlich erziehungsgeeignet und verfüge über gute elterliche Kompetenzen. Beide Elternteile seien grundsätzlich ausreichend stabil, um zusätzliche erzie-herische Aufgaben zu bewältigen. Zum anderen ist es davon ausgegangen, dass ein Rückführungsszenario derzeit aus in den Persönlichkeiten der leibli-chen Eltern und der Pflegeeltern liegenden Gründen nicht erarbeitet werden könne.
Letzteres mag zwar die Schlussfolgerung tragen, dass eine Herausnah-me des Kindes aus der Pflegefamilie zum derzeitigen [X.]punkt nicht in Frage kommt. Es rechtfertigt aber noch nicht den Entzug
von Teilen der elterlichen Sorge. Denn der Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern kann gleichermaßen mit dem Erlass einer Verbleibensanordnung gesichert werden (vgl. [X.], 563). Zwar kann es in Einzelfällen denkbar sein, dass eine Verbleibensanordnung
zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung nicht glei-
chermaßen
geeignet ist wie der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder
der gesamten elterlichen Sorge. Dies wird jedoch nur ausnahmsweise der Fall sein, etwa wenn die leiblichen Eltern das [X.] dergestalt beein-
trächtigen, dass dies wiederum eine Gefährdung des Kindeswohls zur Folge hat ([X.]/[X.] 6.
Aufl. §
1632 Rn.
59; FAKomm-FamR/[X.] 25
26
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12
-
5.
Aufl. §
1632 Rn.
11;
[X.]/Götz 73.
Aufl. §
1632 Rn.
19), oder wenn eine Rückkehr des Kindes dauerhaft ausgeschlossen ist, weil Misshandlungen durch die leiblichen Eltern drohen ([X.]/[X.]
BGB [2009] §
1666 Rn.
50).
Derartige Umstände hat das [X.] nicht festgestellt. Es ist vielmehr von der grundsätzlichen Erziehungseignung der Mutter ausgegangen. Dass mit einer Beeinträchtigung des [X.]ses durch störende [X.] der sorgeberechtigten Mutter zu rechnen ist, hat das [X.] ebenfalls nicht festgestellt. Allein aus den Schwierigkeiten
bei den Umgangs-kontakten kann dies nicht geschlossen werden. Auch die Annahme, dass auf absehbare [X.] mangels Erarbeitung eines [X.] eine Rück-führung des Kindes nicht in Betracht komme, stellt keinen Grund für den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts dar (so aber [X.] FamRZ 1995, 1507, 1508; Siedhoff FamRZ 1995, 1254, 1255
f.; wohl auch [X.]/[X.] BGB [2009] §
1666 Rn.
50 aE). Denn die Verbleibensanordnung ist deshalb zur Sicherstellung des weiteren Aufenthalts des Kindes bei
den Pflegeeltern
nicht weniger geeignet. §
1632 Abs.
4 BGB lässt nicht nur Lösungen zu, die im Wege eines gleitenden Übergangs auf eine Rückführung des Kindes zu seinen leibli-chen Eltern nach einer Umstellungsphase gerichtet sind, sondern auch Verblei-bensanordnungen, deren Endpunkt noch nicht abzusehen ist (BayObLG FamRZ
2001, 563, 564; [X.]/[X.] 6.
Aufl. §
1632 Rn.
57, 58;
[X.]/Götz BGB 73.
Aufl. §
1632 Rn.
18).
Mit dem Entzug von wesentlichen Teilbereichen der elterlichen Sorge hat das [X.] ferner dem verfassungsrechtlichen Auftrag, auch bei eingeleiteter Dauerpflege eine Rückkehroption für das Kind offen zu halten, nicht hinreichend Rechnung getragen. In seine [X.] hätte das [X.] einbeziehen müssen, dass das Kind aufgrund einer akuten psychischen Erkrankung der Mutter und damit ohne deren Verschulden 28
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vom Jugendamt in Obhut genommen worden war. Gerade wenn die ursprüngli-che Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern auf einem unverschulde-ten Versagen der Eltern beruht, muss nach Wegfall der Gründe für die Tren-nung verstärkt nach Möglichkeiten gesucht werden, um die behutsame Rück-führung des Kindes zu erreichen. Das [X.] hätte

gerade in [X.] des Kindes

Anlass zu der Überlegung gehabt, wie ein Zueinanderfinden von Kind und leiblichen Eltern gelingen könnte.
Mit dem Entzug von wesentlichen Teilbereichen der elterlichen Sorge wird dagegen das [X.] weiter verfestigt und eine Rückführung zu den Eltern er-schwert.
(2) Auch die weitere Begründung des [X.]s, die Beteiligten bedürften einer klaren Regelung, um auf dieser Grundlage zukünftig [X.] Umgangskontakte aufzubauen, trägt die Entscheidung nicht. Dieser Gesichtspunkt allein ist zur Begründung eines Sorgerechtsentzugs nicht ausrei-chend (vgl. [X.] FamRZ 1989, 145, 146). Denn auch mit dem Erlass einer Verbleibensanordnung ist für die Beteiligten verbindlich geklärt, wo das Kind weiterhin seinen Lebensmittelpunkt hat.

(3)
Hinsichtlich der Entziehung der Gesundheitssorge hat das Oberlan-desgericht nicht ausreichend geprüft, ob eine diese Maßnahme rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls vorliegt und ein Sorgerechtsentzug zur Abwen-dung der Gefahr erforderlich ist. Der hierfür gegebenen Begründung, eine Ko-operation in gesundheitlichen Fragen sei zwischen den Pflegeeltern, dem Ju-gendamt und den Eltern nicht zu erwarten, liegen keine entsprechenden Fest-stellungen zugrunde. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die allein sorgebe-rechtigte Mutter in gesundheitlichen Fragen ihre Kooperation verweigern würde und damit eine Gefährdung des Kindeswohls verbunden wäre, sind nicht fest-gestellt. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus den Problemen bei der Durch-30
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führung der Umgangskontakte, die maßgeblich durch den leiblichen Vater des Kindes verursacht sein sollen.
Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, warum die Pflegeeltern aufgrund der rechtlichen Befugnisse nach §
1688 Abs.
1 BGB nicht ausreichend handlungs-fähig wären, sondern zusätzlich der Entzug der Gesundheitssorge erforderlich ist. Nach §
1688 Abs.
1 Satz
1 BGB ist die Pflegeperson in Angelegenheiten des täglichen Lebens berechtigt, selbst Entscheidungen zu treffen und den In-haber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu
vertreten. Zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens gehört die gewöhnliche medizinische Versorgung. Nach §
1688 Abs.
1 Satz
3 BGB in
Verbindung mit §
1629 Abs.
1 Satz
4 BGB besteht ferner bei Gefahr im Verzug die Berechtigung der Pflege-person, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes [X.] sind. Der [X.] ist anschließend über die vorgenomme-nen Handlungen zu unterrichten. Eine weitere Absicherung würden die Pflege-eltern
durch §
1688 Abs.
4 BGB erfahren, wonach ihre [X.] nach §
1688 Abs.
1 BGB nicht durch den Inhaber der elterlichen Sorge ein-geschränkt werden können, wenn sich das Kind aufgrund einer gerichtlichen Verbleibensanordnung bei der Pflegeperson befindet.
(4) Für den Entzug des Antragsrechts für Kinder-
und Jugendhilfe findet sich in der angegriffenen Entscheidung keine Begründung. Er kann schon [X.] keinen Bestand haben.
c) Der angefochtene Beschluss ist daher insgesamt aufzuheben. Der Senat ist nicht in der Lage, abschließend zu entscheiden, da es hierzu weiterer Feststellungen bedarf. Die Sache ist deshalb an das Beschwerdegericht zu-rückzuverweisen.

32
33
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15
-
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Das [X.] wird unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen zu prüfen haben, ob der Schutz des Kindeswohls durch den Erlass
einer Verbleibensanordnung nach §
1632 Abs.
4 BGB erreicht werden kann. Dabei werden nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen einer Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern einzubeziehen sein, sondern auch die langfristigen
Auswirkungen einer dauerhaften Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern (so bereits Senatsbeschluss vom 26.
September 2007

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FamRZ 2007, 1969 Rn.
35 zu
Art.
8 [X.]; [X.] FamRZ 2012, 1127, 1129). Demgegenüber geht mit dem teilweisen Sorgerechtsentzug die Gefahr einer weiteren Entfremdung des Kindes von seinen Eltern einher. Die Gefährdung der familiären Beziehung des Kindes zu seinen leiblichen [X.] bedeutet aber zugleich eine Trennung des Kindes von seinen Wurzeln (Senatsbeschluss vom 26.
September 2007

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FamRZ 2007, 1969 Rn.
34).
Deshalb wird auch zu prüfen sein, ob und wie eine weitere Annä-herung der leiblichen Eltern und des Kindes und die damit einhergehende Lo-ckerung des Verhältnisses zu den Pflegeeltern erfolgen können, wobei die [X.] soweit als möglich vermindert werden sollten.
Entspre-chende Maßnahmen sind von der kinderpsychologischen Sachverständigen aufgezeigt worden. Diese hatte nach den Feststellungen des [X.] dargelegt, dass an eine Rückführung des Kindes nur zu denken wäre, wenn Pflegeeltern und Eltern miteinander ins Gespräch kämen, wobei beide Seiten der Beratung und einer intensiven und hochfrequenten familientherapeu-tischen Begleitung bedürften. Mit Rücksicht darauf erscheint die Annahme nicht gerechtfertigt, im Hinblick auf die Persönlichkeiten der beteiligten Personen könne auch nicht durch intensive therapeutische Begleitung und Beratung über einen gewissen [X.]raum ein
Rückführungsszenario erarbeitet
werden. Nach-dem das [X.] festgestellt hat, dass die Mutter nicht über die be-35
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16
-
sondere Erziehungskompetenz verfügt, um der mit der Trennung von den Pfle-geeltern zu erwartenden traumatischen Belastungsreaktion des Kindes begeg-nen zu können, werden auch verstärkte Unterstützungsmaßnahmen für die leib-lichen Eltern mit dem Ziel der Stärkung der Erziehungskompetenz zu erwägen sein.
Bei der Prüfung der Entziehung weiterer Teilbereiche der elterlichen Sor-ge (hier: Gesundheitssorge und Antragsrecht auf Kinder-
und Jugendhilfe) wird die nach den Feststellungen der Sachverständigen gegebene grundsätzliche Erziehungseignung der Mutter zu berücksichtigen sein. Nachdem diese [X.] des vorangegangenen Ruhens der elterlichen Sorge seit mehreren Jah-ren keine Erziehungsentscheidungen für ihr Kind treffen durfte, liegen negative Erkenntnisse über ihr Erziehungsverhalten jedenfalls nicht vor.
37
-
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-
Falls eine Verbleibensanordnung erlassen werden sollte, wird künftig zu prüfen sein, ob sich die Mutter konstruktiv verhält oder mit Störungen des [X.] zu rechnen ist. Nur in dem zuletzt genannten Fall könnte es dann notwendig werden, über die Verbleibensanordnung hinaus zur Abwehr von [X.] weitere Teilbereiche der elterlichen Sorge nach §
1666 Abs.
1 BGB zu entziehen.

Dose

[X.]

[X.]

Nedden-Boeger

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 03.08.2009 -
11 [X.]/08 -

OLG [X.], Entscheidung vom 07.01.2011 -
5 UF 171/09 -

38

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]/11

vom

19. Februar 2014

in der Familiensache

Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 19.
Februar 2014 durch [X.], die Richterin [X.] und [X.]
[X.], Dr.
Nedden-Boeger und Dr.
Botur
beschlossen:
Das Rubrum des Senatsbeschlusses vom 22.
Januar 2014 wird wegen eines offensichtlichen [X.] dahin berichtigt, dass Verfahrensbevollmächtigter der weiteren Beteiligten zu
5 und
6 im Verfahren der Rechtsbeschwerde Rechtsanwalt Dr.
Klingelhöffer (nicht: Rechtsanwalt [X.]) ist.

Dose

[X.]

[X.]

Nedden-Boeger

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 03.08.2009 -
11 [X.]/08 -

OLG [X.], Entscheidung vom 07.01.2011 -
5 UF 171/09 -

Meta

XII ZB 68/11

22.01.2014

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2014, Az. XII ZB 68/11 (REWIS RS 2014, 8503)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8503

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 68/11

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