Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.03.2012, Az. XI R 2/10

11. Senat | REWIS RS 2012, 8178

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Gegenstand

(Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 AO - Unterschiedliche Entscheidungszeitpunkte für Billigkeitsverfahren und Steuerfestsetzung - Kein Vorsteuerabzugsrecht bei unzutreffendem Steuerausweis in der Rechnung)


Leitsatz

Die Entscheidung des FA darüber, ob im Fall einer irrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid nach § 174 Abs. 4 AO nachträglich geändert wird, ist keine Ermessensentscheidung.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb mit Vertrag vom 31. Dezember 1994 mit Wirkung zum 1. Januar 1995 einen Café-Betrieb mit sämtlichen in den Pachträumen befindlichen [X.] zu einem Gesamtkaufpreis von 400.000 DM. Hierüber erteilte der Verkäufer der Klägerin eine Rechnung vom 1. Januar 1995 mit einer Kaufsumme von 400.000 DM zuzüglich 15 % Umsatzsteuer (= 60.000 DM, Gesamtsumme 460.000 DM) und bestätigte den Erhalt des Betrages. Die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer machte die Klägerin in ihrer Umsatzsteuererklärung für 1995 in vollem Umfang als Vorsteuer geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) stimmte der Umsatzsteuererklärung lt. Mitteilung vom 19. August 1998 am 31. Juli 1998 zu.

2

Mit Schreiben an die Klägerin vom 26. März 1997 "stornierte" der Verkäufer seine Rechnung vom 1. Januar 1995 "in vollem Umfang" unter Hinweis darauf, er habe nur einen Betrag von 170.000 DM in bar erhalten. Außerdem wies er darauf hin, dass für den Verkauf keine Umsatzsteuer angefallen sei.

3

Im [X.] an eine [X.] bei der Klägerin vertrat das [X.] die Auffassung, der geltend gemachte Vorsteuerbetrag aus dem Verkauf hätte im Jahr 1995 nicht berücksichtigt werden dürfen, weil es sich um eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung gehandelt habe. Aufgrund der Berichtigung der Rechnung am 26. März 1997 sei die beim Erwerb geltend gemachte Vorsteuer in voller Höhe gemäß § 14 Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) zu berichtigen. Die Vorsteuer sei im Jahr der Rechnungsberichtigung, hier im [X.], zu korrigieren. Mit Änderungsbescheid vom 27. Februar 2001 setzte das [X.] die Umsatzsteuer für 1997 unter Berücksichtigung der Vorsteuerkorrektur um 60.000 DM auf ... DM herauf. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 1. August 2002).

4

Die Klage gegen den [X.] für 1997 vom 27. Februar 2001 wies das Finanzgericht ([X.]) mit Urteil vom 9. November 2005  5 K 4359/02 U (Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2006, 1204) als unbegründet ab.

5

Auf die Revision der Klägerin hob der [X.] ([X.]) mit Urteil vom 6. Dezember 2007 [X.] ([X.]E 221, 67, [X.], 203) den [X.] für 1997 vom 27. Februar 2001, die Einspruchsentscheidung vom 1. August 2002 und das Urteil der Vorinstanz auf. Der [X.] führte im Wesentlichen aus, dass der Klägerin aufgrund der Rechnung vom 1. Januar 1995 zwar kein Vorsteuerabzug zustehe, weil darin über eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a UStG abgerechnet worden sei. Eine Vorsteuerkorrektur im Jahre 1997 sei aber nicht möglich. Die in einer Rechnung offen ausgewiesene Vorsteuer, die der Aussteller lediglich gemäß § 14 Abs. 2 UStG schulde, sei seit der Änderung der Rechtsprechung durch das [X.]-Urteil vom 2. April 1998 [X.] ([X.]E 185, 536, [X.] 1998, 695) vom Leistungsempfänger nicht mehr als Vorsteuer abziehbar, so dass die Berichtigung der Rechnung für den Leistungsempfänger keine Bedeutung mehr habe. Die Rechnungskorrektur in 1997 rechtfertige demnach keine Vorsteuerkorrektur in diesem Jahr. Es komme nur noch eine Änderung des Steuerbescheides des [X.], in dem die Vorsteuer zu Unrecht berücksichtigt wurde, nach Maßgabe der §§ 172 ff. der Abgabenordnung ([X.]) "--im Streitfall ggf. nach § 174 Abs. 4 [X.]--" in Betracht.

6

Mit Bescheid vom 7. August 2008 änderte das [X.] nunmehr den Umsatzsteuerbescheid für 1995 gemäß § 174 [X.] zu Lasten der Klägerin und korrigierte den geltend gemachten Vorsteuerabzug von 60.000 DM, weil die Vorsteuer für den Erwerb des Cafés zu Unrecht in diesem Jahr berücksichtigt worden sei. Zugleich setzte das [X.] gemäß § 233a [X.] Zinsen gegen die Klägerin fest.

7

Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Das [X.] wies die Klage ab. Seine Entscheidung ist in E[X.] 2010, 935 veröffentlicht. Zur Begründung führt das [X.] aus, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung nach § 174 Abs. 4 [X.] erfüllt seien.

8

Bei zutreffender Beurteilung des dem Streitfall zugrunde liegenden Sachverhalts sei der Vorsteuerabzug für den Erwerb des Cafés nicht im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung für das [X.] zu korrigieren, sondern bereits im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung für das [X.] 1995 zu versagen. Die Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil der Klägerin zu Unrecht der Vorsteuerabzug für den Erwerb des Cafés gewährt worden sei. Der [X.] habe in seiner Entscheidung zur Umsatzsteuerfestsetzung für 1997 in [X.]E 221, 67, [X.], 203 die spätestens seit dem Urteil in [X.]E 185, 536, [X.] 1998, 695 gewonnene Erkenntnis auf den von der Klägerin verwirklichten [X.] der Jahre 1994 bis 1997 "Erwerb des Cafés" im [X.] angewendet und insoweit auch Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des zunächst gewährten Vorsteuerabzugs im Jahr 1995 gemacht. Eine Entscheidung über die Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 sei dem [X.] seinerzeit im Revisionsverfahren verwehrt gewesen, weil diese Festsetzung nicht Streitgegenstand gewesen sei.

9

Da das [X.] irrtümlich angenommen habe, der Vorsteuerabzug könne erst nach Korrektur der Rechnung berichtigt werden, habe es --wissentlich-- den Umsatzsteuerbescheid 1997 geändert. Damit habe das [X.] sich über den Veranlagungszeitraum geirrt, in dem die umsatzsteuerrechtlichen Folgen aus dem auch nach altem Recht grundsätzlich nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Erwerb des Cafés hätten gezogen werden müssen. Der Begriff "irrige Beurteilung eines Sachverhalts" erstrecke sich nicht nur auf einen Irrtum über Tatsachen, sondern auch auf einen solchen über Rechtsfolgen (Hinweis auf den [X.]-Beschluss vom 25. Februar 2009 [X.]/08, [X.]/NV 2009, 890).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 durch Bescheid vom 7. August 2008 sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht gegeben seien.

Die Änderung sei schon deshalb unzulässig, weil sich der Sachbearbeiter beim [X.] im Zeitpunkt seiner Entscheidung, die Vorsteuerkorrektur im Umsatzsteuerbescheid für 1997 vorzunehmen, nicht in einem Irrtum befunden habe. Zwar sei der [X.] für 1997 unter dem Datum 19. August 1998 ergangen und die Änderung der Rechtsprechung des [X.] durch sein Urteil in [X.]E 185, 536, [X.] 1998, 695 sei bereits am 14. August 1998 bekannt gegeben worden, wie der [X.] in seinem Urteil in [X.]E 221, 67, [X.], 203, unter [X.] der Gründe ausgeführt habe. Da aber zwischen der Entscheidung des zuständigen Sachbearbeiters zur Änderung eines Bescheides und dem als Erstellungsdatum auf dem Bescheid vermerkten Zeitpunkt regelmäßig ein Zeitraum von etwa 14 Tagen liege, sei dem Sachbearbeiter bei seiner ca. 14 Tage vor der Erstellung des Bescheides vom 19. August 1998 getroffenen Entscheidung die Änderung der Rechtsprechung noch nicht bekannt gewesen. Der Änderungsbescheid sei daher nicht aufgrund einer irrigen Beurteilung des Sachverhalts i.S. von § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] ergangen.

Die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 durch Bescheid vom 7. August 2008 sei auch deshalb unzulässig, weil es sich bei den Umständen, die den [X.] für 1995 und 1997 zugrunde gelegen hätten, nicht um denselben "bestimmten Sachverhalt" i.S. von § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] gehandelt habe. Denn vorliegend sei mit der "Berichtigung" der Rechnung ein neues, einen eigenen Kausalverlauf in Gang setzendes Ereignis hinzugetreten. Insoweit sei ohne Bedeutung, dass dies nach Auffassung des [X.] in seinem Urteil in [X.]E 221, 67, [X.], 203 rechtlich unerheblich sei. Tatsächlich sei die im [X.] vom Verkäufer vorgenommene Rechnungsberichtigung seinerzeit Auslöser für die vom [X.] vorgenommene Änderung des [X.] für 1997 gewesen. § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] setze voraus, dass es sich um "einen" bestimmten Sachverhalt gehandelt habe; dagegen sei § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht anwendbar, wenn es sich um zwei unterschiedliche Sachverhalte handele. Die Änderungsvorschrift gelte nicht für sog. "Fernwirkungen". Die an die Unzulässigkeit der Berichtigung im [X.] nur äußerlich (mittelbar) anknüpfende Frage nach der Versagung des früheren Vorsteuerabzugs im Jahr 1995 sei daher in diesem Sinne ein neuer Sachverhalt.

Ferner sei das [X.]-Urteil auch deshalb fehlerhaft, weil es keine Ausführungen i.S. von § 102 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Frage der Ermessensausübung bei der Änderung des [X.] für 1995 durch das [X.] enthalte. Da es sich bei § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] um eine sog. "Kannbestimmung" handele, hätte das [X.] entsprechende Ermessenserwägungen anstellen müssen. Der [X.] ([X.]) habe in seiner Entscheidung vom 15. März 2007 [X.]/05 --Reemtsma-- ([X.]. 2007, [X.], [X.], 343) angeordnet, dass das nationale Recht insoweit mindestens Billigkeitsmaßnahmen vorzusehen habe, um eine systemwidrige Belastung eines Unternehmers mit Umsatzsteuer zu vermeiden. Diese Vorgabe bedinge eine Ermessensreduktion auf Null, die nur dahin gehen könne, dass die nach nationalem Recht an sich gebotene Änderung zu unterbleiben habe.

Die Änderung des [X.] für 1995 widerspreche auch den geltenden europarechtlichen Rechtsgrundsätzen, die Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung seien, insbesondere dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Die Klägerin habe nach der auf eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage durch das [X.] folgenden Erstattung des [X.] im Mai 1995 darauf vertraut, diesen Betrag auch behalten zu dürfen. Der [X.] schreibe in stetiger Rechtsprechung für diesen Fall den Mitgliedstaaten Billigkeitslösungen des Inhalts vor, dass eine Umsatzsteuerbelastung eines Unternehmers im umsatzsteuerrechtlichen Sinne als Rechnungsempfänger nicht eintreten dürfe ([X.]-Urteil in [X.]. 2007, [X.], [X.], 343).

Das [X.] habe über ihre auf § 163 [X.] und § 227 [X.] gestützten Anträge vom 2. September 2008 nicht zeitgleich entschieden. Der [X.] habe in seiner Rechtsprechung klargestellt (Urteil vom 30. April 2009 [X.], [X.]E 225, 254, [X.], 744), dass bei Geltendmachung von [X.] im Festsetzungsverfahren die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 [X.] regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden sei. Dem genüge die tatsächliche Verfahrensweise im Streitfall nicht. Im Übrigen habe der [X.] in der genannten Rechtsprechung klargestellt, dass dem Bürger insoweit ein Rechtsanspruch zustehe und die Billigkeitsmaßnahme gerade kein "Gnadenakt" sein dürfe.

Selbst wenn die Änderung des [X.] für 1995 rechtmäßig sein sollte, so sei das [X.]-Urteil jedenfalls hinsichtlich der in diesem Bescheid ebenfalls festgesetzten Zinsen rechtsfehlerhaft, die entsprechend dem Einspruchsschreiben vom 11. August 2008 ausdrücklich auch Streitgegenstand gewesen seien. Denn der [X.] beginne nach § 233a Abs. 2a [X.] erst 15 Monate nach dem Ende des Veranlagungszeitraums, in dem die Änderung erfolgt sei, weil es sich bei der Änderung um ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 [X.] gehandelt habe (vgl. [X.]-Urteil vom 13. November 2003 [X.], [X.]E 204, 332, [X.] 2004, 375). Der [X.] habe im Streitfall damit erst am 1. April 2010 begonnen. Das [X.]-Urteil enthalte indes keinerlei Aussage zur [X.], so dass es auch insoweit rechtsfehlerhaft sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das [X.]-Urteil sowie den geänderten Bescheid für 1995 über Umsatzsteuer und Zinsen vom 7. August 2008 in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung aufzuheben,

sowie hilfsweise, den Fall dem [X.] im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es hält das [X.]-Urteil für zutreffend. Was die [X.] betreffe, sei diese nicht Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewesen, weil der Klageantrag diese nicht umfasst habe.

Die Klägerin erwidert insoweit, das Klageverfahren habe sich auf das Einspruchsverfahren erstreckt, so dass die [X.] auch in das finanzgerichtliche Verfahren einbezogen gewesen sei. Vorsorglich trägt sie vor, dass das [X.] nach § 76 Abs. 2 [X.]O auf eine entsprechend korrekte Antragstellung hätte hinwirken müssen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O).

1. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass das [X.] berechtigt war, die Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 mit Bescheid vom 7. August 2008 nach § 174 Abs. 4 [X.] zu ändern.

a) Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dies gilt gemäß § 174 Abs. 4 Satz 2 [X.] auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 3 [X.]).

Die Regelung bezweckt den Ausgleich einer zu Gunsten des Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung; derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen (vgl. [X.]-Urteile vom 10. März 1999 [X.], [X.], 409, [X.] 1999, 475, unter II.2.; vom 24. April 2008 IV R 50/06, [X.], 324, [X.] 2009, 35, unter [X.]). Wie der [X.] des [X.] entschieden hat, regelt die Vorschrift die verfahrensrechtlichen (inhaltlichen) Folgerungen aus einer vorherigen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides auf Antrag des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten. Diese Aufhebung oder Änderung löst dann --"nachträglich"-- die Rechtsfolge des § 174 Abs. 4 [X.] aus, dass ein anderer Bescheid erlassen oder geändert werden kann. Die Vorschrift bezieht somit die verfahrensrechtliche Konsequenz daraus, dass der andere Bescheid nunmehr eine "widerstreitende Steuerfestsetzung" enthält, wie sie das Gesetz nach seiner amtlichen Überschrift zu § 174 [X.] voraussetzt ([X.]-Beschluss vom 10. November 1997 GrS 1/96, [X.]E 184, 1, [X.] 1998, 83, und [X.]-Urteil in [X.], 324, [X.] 2009, 35, unter [X.], m.w.N.).

b) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass der hier zu beurteilende "bestimmte Sachverhalt" nach § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] den Erwerb des Cafés durch die Klägerin, die darüber erteilte Rechnung durch den Veräußerer vom 1. Januar 1995 und die Stornierung dieser Rechnung durch das Schreiben des Veräußerers vom 26. März 1997 umfasst.

aa) Ein bestimmter Sachverhalt i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] ist keine einzelne Tatsache, sondern jeder einheitliche Lebensvorgang und [X.], an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 18. Februar 1997 [X.], [X.]E 183, 6, [X.] 1997, 647, unter [X.]; vom 26. Februar 2002 [X.], [X.]E 198, 20, [X.] 2002, 450, unter [X.]; vom 18. September 2003 [X.]/97, [X.]E 203, 337, [X.] 2007, 749, unter B.I.1.; [X.]-Beschluss vom 24. November 2010 [X.]/10, [X.]/NV 2011, 408, unter [X.]; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 174 [X.] Rz 5; von [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 174 [X.] Rz 56, 171, jeweils m.w.N.).

bb) Die geschilderten Tatsachen aus dem [X.] und dem [X.] bilden im Streitfall den [X.], der dem [X.] im [X.] an eine [X.] vorlag. Dieser war entscheidend für die im Streitfall maßgebliche Rechtsfrage, ob --und ggf. in welchem Zeitraum-- der Klägerin aus den Aufwendungen für den Erwerb des Cafés ein Vorsteuerabzug zustand und ob --und ggf. in welchem Zeitraum-- dieser Vorsteuerabzug wieder rückgängig zu machen war.

cc) Vor diesem Hintergrund greift das Vorbringen der Klägerin nicht durch, es habe sich bei den Umständen, die den [X.] für 1995 und 1997 zugrunde gelegen hätten, nicht um denselben bestimmten Sachverhalt i.S. von § 174 Abs. 4 [X.] gehandelt.

c) Das [X.] hat den Sachverhalt "irrig" i.S. von § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] beurteilt.

aa) Das [X.] korrigierte den in der Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 gewährten Vorsteuerabzug nach § 14 Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG in der Umsatzsteuerfestsetzung für 1997, weil es unzutreffend annahm, dass insoweit die vom Veräußerer übermittelte berichtigte Rechnung maßgeblich sei.

Diese Handhabung war unzutreffend, wie der [X.] mit seiner Entscheidung in [X.]E 221, 67, [X.] 2009, 203 geklärt hat. Den Gründen der Entscheidung lässt sich gleichermaßen entnehmen, dass der Klägerin im [X.] von vornherein kein Vorsteuerabzugsrecht zustand, weil es sich bei dem Erwerb des Cafés um eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S. von § 1 Abs. 1a UStG gehandelt hat ([X.]-Urteil in [X.]E 221, 67, [X.] 2009, 203, unter [X.]).

Dementsprechend hat der [X.] mit seiner Entscheidung in [X.]E 221, 67, [X.] 2009, 203 zugunsten der Klägerin den rechtswidrigen Umsatzsteuerbescheid für 1997 aufgehoben, in dem das [X.] aufgrund seiner "irrigen" Beurteilung zu Unrecht den Vorsteuerabzug der Klägerin im Hinblick auf den Erwerb des Cafés nach § 14 Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG berichtigt hatte.

bb) Die Annahme der Klägerin, der Sachbearbeiter des [X.] habe sich bei seiner Entscheidung in keinem Irrtum befunden, so dass eine Änderung nach § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] schon aus diesem Grund unzulässig sei, geht fehl.

Denn die Klägerin stellt in diesem Zusammenhang darauf ab, dass der den Vorsteuerabzug korrigierende Umsatzsteuerbescheid für 1997 bereits am 19. August 1998 ergangen sei.

Dies ist unrichtig, weil der Umsatzsteuerbescheid für 1997 tatsächlich erst am 27. Februar 2001 erstellt wurde, was sich auch aus den Tatbeständen des [X.]-Urteils in [X.]E 221, 67, [X.] 2009, 203 und des [X.]-Urteils (Seite 3) ergibt. Die geänderte Rechtsprechung des [X.] in dem Urteil in [X.]E 185, 536, [X.] 1998, 695, auf die es seinerzeit maßgeblich ankam, war hingegen bereits seit dem 14. August 1998 bekannt (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 221, 67, [X.] 2009, 203, unter [X.]).

d) Das [X.] durfte im [X.] an diese zugunsten der Klägerin ergangene [X.]-Entscheidung zur Umsatzsteuerfestsetzung für 1997 gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] nachträglich durch Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 "die richtigen steuerlichen Folgen" ziehen und den ursprünglich zu Unrecht gewährten Vorsteuerabzug aus den Aufwendungen für den Erwerb des Cafés korrigieren. Denn § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] erfasst auch die Fälle, in denen die Finanzbehörde aus "einem bestimmten Sachverhalt" die steuerrechtlichen Folgerungen ziehen will, sich aber darüber irrt, welchen Zeitraum ([X.] bzw. Erhebungszeitraum) diese Folgerungen betreffen (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 26. Oktober 1994 [X.], [X.]/NV 1995, 476, unter [X.]; [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2009, 890).

e) Ferner trifft auch die Annahme des [X.] zu, dass insoweit noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war, weil das [X.] den streitbefangenen [X.] für 1995 am 7. August 2008 und damit innerhalb eines Jahres nach Ergehen des [X.]-Urteils vom 6. Dezember 2007 ([X.]E 221, 67, [X.] 2009, 203) erlassen hat. Die in § 174 Abs. 4 Satz 3 [X.] genannte Frist von einem Jahr war damit gewahrt.

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das [X.]-Urteil nicht deshalb rechtswidrig, weil es sich nicht mit fehlenden Ermessenserwägungen des [X.] auseinandersetzt. Denn es handelt sich bei der Entscheidung darüber, ob eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] durchgeführt wird, nicht um eine Ermessensentscheidung, die vom [X.] nach § 102 [X.]O zu überprüfen wäre.

a) In der Literatur wird im Hinblick darauf, dass es sich nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] um eine sog. "Kannbestimmung" handelt ("können" die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden), zwar teilweise die Auffassung vertreten, die Korrektur nach § 174 Abs. 4 [X.] stehe im Ermessen des [X.] (vgl. z.B. [X.] in [X.], [X.], § 174 Rz 156, 125; a.[X.] in [X.]/Grube, 9. Aufl., Rz 1144; von [X.] in [X.], § 174 [X.] Rz 255, 211; v.[X.] in [X.], [X.] § 174 Rz 114; [X.]/[X.], Abgabenordnung, 2. Aufl., § 174 Rz 72, jeweils m.w.N.).

b) § 174 Abs. 4 [X.] lässt indes ebenso wenig wie § 174 Abs. 3 [X.] Kriterien erkennen, die für eine Ermessensausübung leitend sein können.

Der --im Rahmen einer Ermessensentscheidung ggf. zu berücksichtigende-- Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes spielt im Rahmen von § 174 Abs. 4 [X.] keine Rolle, weil die Entscheidung nach dieser Vorschrift --anders als bei einer Entscheidung gegenüber einem [X.] nach § 174 Abs. 4 i.V.m. § 174 Abs. 5 [X.]-- gegenüber demselben Steuerpflichtigen ergeht, der mithin nicht erstmals mit dem betreffenden Sachverhalt befasst wird (vgl. [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 174 [X.] Rz 40).

Lassen sich aber keine Maßstäbe für einen Ermessensspielraum dahingehend finden, unter welchen Umständen von einer durch Tatbestandserfüllung möglichen --und nach dem unter [X.] dargelegten Zweck der Vorschrift gebotenen-- Änderung einer Steuerfestsetzung abgesehen werden kann, so bedeutet "können" in § 174 Abs. 4 Satz 1 [X.] ein rechtliches Können und im Hinblick darauf, dass das [X.] auf die Erfüllung des Steueranspruchs nicht verzichten darf, ein "Müssen" (vgl. zu § 174 Abs. 3 [X.] [X.]-Urteile vom 13. November 1985 II R 208/82, [X.]E 145, 487, [X.] 1986, 241, unter 2.b; vom 21. Februar 1989 IX R 67/84, [X.]/NV 1989, 687; im Ergebnis ebenso zu § 174 Abs. 4 [X.] von [X.] in [X.], § 174 [X.] Rz 255; v.[X.] in [X.], [X.] § 174 Rz 114; [X.]/[X.], a.a.[X.], § 174 Rz 72, jeweils m.w.N.).

3. Soweit die Klägerin ferner vorträgt, trotz [X.] der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs komme eine Billigkeitsmaßnahme nach den §§ 163, 227 [X.] in Betracht ([X.]-Urteil in [X.]E 225, 254, [X.] 2009, 744, unter [X.]), ist nach ihrem eigenen Vorbringen ein entsprechendes gesondert geführtes Verfahren noch anhängig.

Eine Verpflichtung des [X.], die gesondert geführten Verfahren betreffend die Umsatzsteuerfestsetzung und das Billigkeitsverfahren zeitgleich zu entscheiden, besteht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Denn das [X.]-Urteil in [X.]E 225, 254, [X.] 2009, 744 enthält unter [X.] insoweit keine zwingende Vorgabe, soweit es darin heißt, dass die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme "regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden sein" werde.

4. Dem [X.] ist ferner darin zu folgen, dass der angefochtene [X.] vom 7. August 2008 nicht gegen unionsrechtliche Vorgaben durch die Rechtsprechung des [X.] verstößt.

a) Der [X.] hat schon mehrfach geklärt, dass ein Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern besteht, die geschuldet wurden, oder die entrichtet worden sind, soweit sie geschuldet wurden. Das Vorsteuerabzugsrecht erstreckt sich demgegenüber nicht auf eine Steuer, die geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen wird ([X.]-Urteile vom 13. Dezember 1989 [X.]/87 --Genius--, [X.]. 1989, 4227, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 632; vom 19. September 2000 [X.]/98 --Schmeinck & Cofreth und [X.], [X.]. 2000, [X.], [X.], 470, Rz 53; in [X.]. 2007, [X.], [X.], 343, Rz 23).

Für den Streitfall hat der [X.] im Einklang mit dieser Rechtsprechung ausdrücklich entschieden, dass der Klägerin unabhängig vom Vorliegen einer Rechnung kein Vorsteuerabzugsrecht zustand, weil nach § 1 Abs. 1a Satz 1 UStG eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorlag und für diesen Umsatz vom Leistenden keine Steuer geschuldet wurde (Urteil in [X.]E 221, 67, [X.] 2009, 203, unter II.1.).

b) Soweit sich die Klägerin auf die Aussage im [X.]-Urteil --Reemtsma-- beruft, wonach der Grundsatz der Effektivität es ausnahmsweise gebietet, dem Dienstleistungsempfänger zu ermöglichen, eine Erstattung von zu Unrecht als Mehrwertsteuer gezahlten Beträgen zu bekommen ([X.]. 2007, [X.], [X.], 343, [X.]), bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte für einen derartigen Ausnahmefall.

c) Da die aufgeworfenen Rechtsfragen somit durch die Rechtsprechung des [X.] hinreichend geklärt sind, konnte auch die von der Klägerin begehrte Vorlage an den [X.] nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] unterbleiben.

5. Entgegen der Auffassung der Klägerin waren Ausführungen des [X.] zu der ausweislich des Einspruchs der Klägerin vom 11. August 2008 ebenfalls ausdrücklich angegriffenen [X.] nach § 233a [X.] in dem Bescheid vom 7. August 2008 von vornherein entbehrlich, weil diese kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 233a Abs. 5 [X.] insoweit akzessorisch zur geänderten Steuerfestsetzung ist.

Im Übrigen hat die Klägerin die [X.] im finanzgerichtlichen Klageverfahren nicht mit einem eigenständigen Sachvortrag angegriffen, so dass für das [X.] keine besondere Veranlassung bestand, darauf einzugehen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin richtet sich im Streitfall der Beginn des [X.] nicht nach § 233a Abs. 2a [X.]. Es liegt kein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift vor, sondern eine Änderung einer Steuerfestsetzung (Umsatzsteuerfestsetzung für 1995) i.S. des § 233a Abs. 5 [X.].

Meta

XI R 2/10

14.03.2012

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 5. Februar 2010, Az: 1 K 2823/09 U, Urteil

§ 174 Abs 4 AO, § 102 FGO, § 14 Abs 2 UStG 1993, § 15 Abs 1 UStG 1993, § 17 Abs 1 S 1 Nr 2 UStG 1993

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.03.2012, Az. XI R 2/10 (REWIS RS 2012, 8178)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8178

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