Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.10.2011, Az. VI R 14/11

6. Senat | REWIS RS 2011, 2716

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Gegenstand

Einbau eines Treppenliftes als außergewöhnliche Belastung - Teilabhilfebescheid


Leitsatz

1. NV: Aufwendungen für den Einbau eines Treppenlifts können als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein, wenn diese Maßnahme aufgrund gesundheitlicher Beschwerden medizinisch angezeigt ist. Ob es sich bei einem Treppenschräglift um ein medizinisches Hilfsmittel in engeren Sinne, etwa Brillen, Hörgeräte oder Rollstühle) oder um ein Hilfsmittel handelt, welches nicht nur von Kranken, sondern etwa der Bequemlichkeit wegen-- auch von Gesunden angeschafft wird, ist ohne Belang.

2. NV: Neben der Beschränkung des Einspruchsantrags liegt es in der Verfügungsbefugnis des Steuerpflichtigen, bei einem Teilabhilfebescheid das Einspruchsverfahren durch eine Rücknahme des Einspruchs oder durch eine formlose Erledigungserklärung abzuschließen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Aufwendungen für den Einbau eines Treppenlifts als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Alleinerbin ihres am … November 1914 geborenen und am … Juni 2007 verstorbenen [X.].], mit dem sie im Streitjahr (2005) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurde. Ende des Jahres 2005 ließen sich die Klägerin und ihr Ehemann einen Treppenlift in ihr selbst genutztes Einfamilienhaus einbauen. Hierfür entstanden ihnen Kosten in Höhe von 18.664,45 [X.].]. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten sie diese Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend. Hierzu legten sie dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) mit Schreiben vom 10. Oktober 2006 ein am 5. Oktober 2006 ausgestelltes ärztliches Attest des Internisten und Hausarztes Dr. A vor, in dem dieser ausführt:

3

"Seit 9/05 besteht bei o.g. [X.]] eine weitgehende Einschränkung der Gehfähigkeit. Das Zurücklegen kurzer Strecken ist ohne Hilfsmittel (Rollator oder Rollstuhl) nicht möglich. Mit Hilfsmitteln sind Gehversuche für den Patienten mit starken Schmerzen verbunden. Treppensteigen ist ihm unmöglich. Die Voraussetzungen für eine Schwerbehinderung mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind gegeben."

4

Gleichwohl berücksichtigte das [X.] die geltend gemachten Kosten für den Einbau des Treppenlifts bei der angefochtenen Einkommensteuerfestsetzung nicht als außergewöhnliche Belastung. Auch der Einspruch blieb [X.] eines weiteren ärztlichen [X.] insoweit ohne Erfolg.

5

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) mit den in Entscheidungen der [X.]e 2011, 1319 veröffentlichten Gründen ab.

6

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

7

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des [X.] Münster vom 19. November 2010  14 K 2520/10 E aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] Münster zurückzuverweisen.

8

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Denn das [X.] hat den Abzug der geltend gemachten Aufwendungen für den Einbau eines Treppenlifts im vorliegenden Fall zu Unrecht allein deshalb versagt, weil die medizinische Notwendigkeit dieser Maßnahme nicht durch ein zuvor erstelltes amtsärztliches Attest nachgewiesen worden ist.

1. Nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418).

Für die mitunter schwierige Trennung von echten Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits forderte der [X.] bislang regelmäßig die Vorlage eines zeitlich vor der Leistung von Aufwendungen erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens bzw. eines Attestes eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung zweifelsfrei entnehmen lässt. Auch bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist ([X.]-Urteile vom 30. Juni 1995 [X.], [X.]E 178, 81, [X.] 1995, 614, 616, und vom 8. Juli 1994 III R 48/93, [X.]/NV 1995, 24, 25, m.w.[X.]), verlangte der [X.] diesen oder einen vergleichbaren ([X.]-Urteil vom 2. April 1998 [X.]/97, [X.]E 186, 79, [X.] 1998, 613) formalisierten Nachweis. An dem Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung (oder einem vergleichbaren Zeugnis) zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) gehören könnte, hält der erkennende [X.] jedoch seit dem [X.]surteil vom 11. November 2010 [X.] ([X.]E 232, 40) nicht länger fest.

2. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der [X.] kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist.

a) Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob der Einbau des Treppenlifts aufgrund der gesundheitlichen Beschwerden des Ehemannes der Klägerin im Streitjahr medizinisch angezeigt war. Ob es sich bei einem Treppenschräglift um ein medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinne (etwa Brillen, Hörgeräte oder Rollstühle) oder um ein Hilfsmittel handelt, welches nicht nur von Kranken, sondern --etwa der Bequemlichkeit wegen-- auch von Gesunden angeschafft wird, ist insoweit ohne Belang. Denn Aufwendungen für medizinisch indizierte Maßnahmen sind typisierend als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf. Weiter ist zu beachten, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung von der Heilanzeige erfasst wird. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist ([X.], Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Indikation). Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen ([X.]surteil in [X.]E 232, 40), es sei denn, es liegt ein für jedermann erkennbares offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor ([X.]surteil vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, [X.]E 133, 545, [X.] 1981, 711, m.w.[X.]).

b) Die erforderlichen Feststellungen hat das [X.] nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) zu treffen. Es hat dabei zu berücksichtigen, dass ein von einem Beteiligten vorgelegtes Sachverständigengutachten im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln und damit als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist. Ein solches Gutachten kann daher nicht als Nachweis für die Richtigkeit des klägerischen Vortrags gewertet werden ([X.]surteil in [X.]E 232, 40, m.w.[X.]). Da weder das [X.] noch das [X.] die Sachkunde besitzen, um die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Maßnahme zu beurteilen, ist das [X.] aufgrund seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 [X.]O) gehalten, gegebenenfalls von Amts wegen ein entsprechendes Gutachten zu erheben.

c) Deshalb kann das [X.] auch nicht länger dahinstehen lassen, ob die Klägerin und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann mit Schreiben vom 10. Januar 2007 ihr ursprüngliches Klagebegehren im Rahmen ihrer Dispositionsbefugnis wirksam auf die doppelte Erfassung der Rentenbezüge beschränkt haben. Neben der Beschränkung des Einspruchsantrags liegt es in der Verfügungsbefugnis des Steuerpflichtigen, bei einem [X.]bescheid das Einspruchsverfahren durch eine Rücknahme des Einspruchs oder durch eine formlose (vgl. [X.]-Urteil vom 4. November 1981 II R 119/79, [X.]E 134, 510, [X.] 1982, 270, 272) Erledigungserklärung abzuschließen. Das [X.] hat deshalb zunächst festzustellen, ob die Klägerin und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann zweifelsfrei zu erkennen gegeben haben, dass sie nach der angekündigten [X.] an der Fortführung des Verfahrens nicht interessiert seien. In diesem Fall stellt der Änderungsbescheid vom 24. Januar 2007 nicht lediglich einen [X.]bescheid, sondern eine das Einspruchsverfahren wegen Einkommensteuer 2005 beendende --weil vollständige-- [X.] dar, so dass die Klage ohne weitere Sachprüfung als unbegründet abzuweisen wäre (vgl. Urteil des [X.] München vom 17. April 2007  6 K 598/05, juris).

3. Angesichts dessen braucht der [X.] nicht zu entscheiden, ob dem [X.] die von der Revision gerügten Verfahrensfehler unterlaufen sind ([X.]surteil vom 11. Februar 2010 [X.]/08, [X.]E 228, 421, [X.] 2010, 628, m.w.[X.]).

Meta

VI R 14/11

05.10.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 19. November 2010, Az: 14 K 2520/10 E, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2002, § 96 Abs 1 FGO, § 76 FGO, § 367 AO, § 33 Abs 2 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.10.2011, Az. VI R 14/11 (REWIS RS 2011, 2716)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2716

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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