Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.03.2023, Az. IX ZR 122/22

9. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 2130

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Gegenstand

Insolvenzanfechtung bei gutgläubigem Dividendenempfänger


Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 25. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Rückgewähr von Dividendenzahlungen für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 verurteilt worden ist. Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 12. November 2013 am 1. April 2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (nachfolgend: Schuldnerin). Der [X.] ist [X.] der Schuldnerin. Der Kläger nimmt den [X.]n unter dem Gesichtspunkt der Schenkungsanfechtung nach § 134 [X.] auf Rückgewähr von Dividendenzahlungen für die Geschäftsjahre 2009 bis 2012 in Anspruch.

2

Die vorinsolvenzlich erstellten und festgestellten Jahresabschlüsse der Schuldnerin für die streitbefangenen Jahre wiesen Gewinne aus. [X.] wurden gefasst. Auf der Grundlage der [X.] erhielt der [X.] die angefochtenen Dividendenzahlungen.

3

Der Kläger erhob Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und der [X.]. Für die [X.] und 2010 wurde lediglich die Nichtigkeit der [X.] festgestellt. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse für die [X.] und 2010 hielt das (dortige) Berufungsgericht für unzulässig, da der Kläger die Jahresabschlüsse zwischenzeitlich ersetzt hatte. Die Feststellung der Nichtigkeit der [X.] begründete das Gericht damit, dass diesen durch die Ersetzung der Jahresabschlüsse die Grundlage entzogen worden sei. Dass die [X.] von Anfang an nichtig gewesen sein könnten, blieb offen. Für die [X.] und 2012 wurde die ursprüngliche Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und [X.] festgestellt.

4

Nach einseitiger Teilerledigungserklärung des [X.], mittels derer er einer Entreicherung des [X.]n Rechnung getragen hatte, hat das (hiesige) Landgericht der Klage nur hinsichtlich der für das [X.] erfolgten Dividendenzahlungen stattgegeben. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] der Klage auch für die [X.] bis 2011 stattgegeben, mit Ausnahme eines Teils des geltend gemachten [X.], und die Anschlussberufung des [X.]n zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der [X.] die vollständige Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat teilweise Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit der [X.] zur Rückgewähr von Dividendenzahlungen für die [X.] und 2010 verurteilt worden ist. Unbegründet ist die Revision im Hinblick auf die Dividendenzahlungen für die [X.] und 2012.

I.

6

Das Berufungsgericht hat die Dividendenzahlungen für alle vier Jahre nach § 134 [X.] für anfechtbar gehalten. Unentgeltlich seien die Zahlungen gewesen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Die maßgeblichen [X.] seien nichtig. Dies sei rechtskräftig mit Wirkung erga omnes (§ 248 AktG) durch die Urteile festgestellt worden, die auf die vom Kläger erhobenen [X.] ergangen seien. Durch die Nichtigerklärung sei der Dividendenanspruch rückwirkend vernichtet worden, so dass der [X.] die Dividenden ohne Rechtsgrund erhalten habe. Ob auch die Jahresabschlüsse selbst nichtig seien, was nur für die [X.] und 2012 festgestellt worden sei, sei unerheblich. Erst durch den Gewinnverwendungsbeschluss verwandle sich das mitgliedschaftliche Recht des Aktionärs auf Gewinnbeteiligung in einen Zahlungsanspruch gegen die Aktiengesellschaft.

7

Durch die rechtsgrundlosen Dividendenzahlungen seien keine anderen Vermögenswerte in das Vermögen der Schuldnerin gelangt. Ein Anspruch aus § 62 Abs. 1, § 278 Abs. 3 AktG bestehe nicht, weil der [X.] unstreitig keine Kenntnis von der Nichtigkeit der den Dividendenzahlungen zugrundeliegenden Jahresabschlüsse und [X.] gehabt habe und auch eine grob fahrlässige Unkenntnis nicht ersichtlich sei. Daher sei der [X.] nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht zur Rückzahlung verpflichtet und falle ein solcher Rückzahlungsanspruch nicht in das Vermögen der Schuldnerin. Auch [X.] nach den §§ 812 ff BGB griffen nicht durch. Jedenfalls sei die Schutzvorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechend auf etwaige [X.] anzuwenden.

8

Eine Anfechtung nach § 134 [X.] werde durch § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht gesperrt. Dass § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG im Gegensatz zu § 31 Abs. 2 GmbHG keinen Vorbehalt der Rückforderung vom gutgläubigen Empfänger vorsehe, sei kein tragfähiges Argument, weil § 31 Abs. 2 GmbHG sich nicht auf die [X.] beziehe, sondern bereits im Vorfeld eingreife. Auch der Normzweck des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG gebiete keine insolvenzrechtliche Privilegierung über den durch § 143 Abs. 2 [X.] gewährten Schutz hinaus. Darüber hinaus sei zu beachten, dass Aktionäre als Eigenkapitalgeber mit ihren finanziellen Interessen in der Insolvenz hinter die Interessen der Gläubiger zurücktreten müssten, was aus § 199 [X.] folge.

9

Umstände, die zu einer Entreicherung gemäß § 143 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 818 Abs. 3 BGB führen könnten, die über den vom Kläger einseitig für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreits hinausginge, habe der [X.] nicht dargelegt. Dies gelte insbesondere für den Erwerb weiterer Aktien oder Schuldverschreibungen der Schuldnerin.

II.

Das hält rechtlicher Prüfung nur zum Teil stand.

1. Mit Recht hat das Berufungsgericht erkannt, dass die Dividendenzahlungen für die [X.] und 2012 nach § 134 [X.] anfechtbar sind. Mit Urteil vom heutigen Tage ([X.], [X.]) hat der Senat im Einzelnen begründet, warum die Dividendenzahlungen für die Geschäftsjahre 2011 und 2012 unentgeltlich im Sinne des § 134 Abs. 1 [X.] waren ([X.], Urteil vom 30. März 2023 - [X.], [X.] Rn. 20 ff) und warum § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG der Anfechtbarkeit nach § 134 Abs. 1 [X.] nicht entgegensteht ([X.], Urteil vom 30. März 2023, aaO Rn. 32 ff). Diese Ausführungen gelten auch für den vorliegenden Fall. Auf die Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

2. Die bisher getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen nicht die Annahme, auch die Dividendenzahlungen für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 seien gemäß § 134 Abs. 1 [X.] anfechtbar. Es kann insbesondere nicht angenommen werden, dass es in den maßgeblichen Zeitpunkten des § 140 [X.] keinen Anspruch des [X.]n auf Auszahlung der Dividende gab.

Zur Begründung wird auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Senats vom heutigen Tage in der Sache [X.] ([X.] Rn. 29 ff) Bezug genommen.

3. Soweit die streitgegenständlichen Dividendenzahlungen als unentgeltliche Leistungen nach § 134 Abs. 1 [X.] anfechtbar sind, ist der [X.] gemäß § 143 [X.] zur Rückgewähr verpflichtet. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine Entreicherung im Sinne des § 143 Abs. 2 Satz 1 [X.], die über den vom Kläger teilweise für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreits hinausgeht, nicht anzunehmen ist. Das Berufungsgericht hat die Behauptung des [X.]n, die vorgetragenen (Neu-)Investitionen in Wertpapiere der Schuldnerin wären ohne die streitgegenständlichen Ausschüttungen "nicht, jedenfalls nicht in der jeweiligen Höhe" vorgenommen worden, für nicht hinreichend substantiiert gehalten. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

III.

Das Urteil ist danach im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat insoweit nicht treffen, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die weitergehende Revision ist unbegründet.

Schoppmeyer     

  

Lohmann     

  

Schultz

  

Selbmann     

  

Weinland     

  

Meta

IX ZR 122/22

30.03.2023

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 25. Mai 2022, Az: 4 U 168/19

§ 134 Abs 1 InsO, § 62 Abs 1 S 2 AktG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.03.2023, Az. IX ZR 122/22 (REWIS RS 2023, 2130)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2130

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IX ZR 121/22

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