Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2011, Az. XII ZB 263/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 3147

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]/11

vom

21. September 2011

in der Unterbringungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG § 26; BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 103
Eine Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB ist unzulässig,
wenn durch sie lediglich die regelmäßige Einnahme verordneter Medikamente sichergestellt werden soll, anstelle der Unterbringung jedoch auch eine Überwachung der Einnahme im häuslichen Umfeld durch einen ambulanten Pflegedienst möglich wäre.

[X.], Beschluss vom 21. September 2011 -
XII [X.]/11 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 21.
September 2011
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Hahne, die Richterin [X.] sowie die Richter Dr.
Klinkhammer, Dr.
Günter
und Dr.
Nedden-Boeger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerden des
Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 3.
Zivilkammer des [X.] vom 28.
April 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gebührenfrei (§
128
b [X.]). Die notwendigen Auslagen des Betroffenen für das Ver-fahren in allen Instanzen werden der Staatskasse auferlegt (§
337 Abs.
1 FamFG).
Beschwerdewert: 3.000

Gründe:
I.
Der Betroffene leidet seit 1989 unter einer [X.]
Schizophrenie mit fortschreitendem Residuum, wegen derer er mehrfach statio-när in der [X.] behandelt wurde.
Nachdem der Be-troffene die ihm verordnete Medikation eigenmächtig abgesetzt hatte, [X.] das Amtsgericht mit Beschluss vom 10.
August 2010 auf Antrag des
Be-treuers die geschlossene Unterbringung des Betroffenen längstens bis zum 9.
August 2011, um auf diese Weise die Medikamenteneinnahme
sicherzustel-len.
1
-
3
-
Auf nachfolgenden Antrag des Betroffenen, die
Genehmigung seiner Un-terbringung vorzeitig aufzuheben, hat das Amtsgericht sich in der
Einrichtung über den Sachstand unterrichten lassen, den Betroffenen persönlich angehört und ein
fachpsychiatrisches Gutachten eingeholt.
Der Sachverständige hat
ausgeführt, dass zu befürchten sei, dass der Betroffene die ihm verordneten Medikamente bei fehlender Beaufsichtigung nicht oder nicht regelmäßig ein-nehme. Daraus resultiere die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes mit Eigen-
und Fremdgefährdung sowie weiterer Chronifizie-rung.
Daher sei zu empfehlen, die Unterbringung beschlussgemäß fortzuführen.
Durch
Beschluss vom 17.
März 2011 hat das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen abgelehnt; das [X.] hat die Beschwerde des [X.] zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich seine
Rechtsbeschwerde.

II.
Die zulässig eingelegte Rechtsbeschwerde ist in der Sache begründet. Der angefochtene Beschluss hat
den Betroffenen in seinen Rechten
verletzt.
1. Hat sich die angefochtene Entscheidung -
wie hier
-
durch Fristablauf in der Hauptsache erledigt, kann das Beschwerdegericht gemäß §
62 Abs.
1 FamFG aussprechen, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten [X.] den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat. Diese
Vorschrift ist im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden (Senatsbeschluss vom 8.
Juni 2011 -
XII
ZB
245/10
-
MDR 2011, 935
Rn.
8; [X.] Beschluss vom 25.
Februar 2010 -
V
ZB
172/09
-
FGPrax 2010, 150 Rn.
9). Voraussetzung ist -
neben einem auf die Feststellung gerichteten Antrag
-, dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung vorliegt.
2
3
4
5
-
4
-
Das Feststellungsinteresse ist in der Regel anzunehmen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt (§
62 Abs.
2 Nr.
1 FamFG) oder eine konkrete
Wiederholungsgefahr (§
62 Abs.
2 Nr.
2 FamFG) besteht.
Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer
freiheitsentziehenden Maß-nahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff
(vgl. [X.] NJW 2011, 1931 Rn.
98). Dasselbe gilt für einen Beschluss, der die vorzeitige Aufhebung einer solchen Maßnahme
ablehnt
und dadurch die Fortdauer des Grundrechtseingriffs bewirkt.
2. Das [X.]
hat seine Entscheidung auf Eigengefährdung gemäß §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB gestützt und sie wie folgt begründet:
Nach den
fachärztlichen Gutachten leide der Betroffene unter einer chro-nifizierten [X.] Schizophrenie.
Er sei weder krankheits-
noch therapieeinsichtig. In der Vergangenheit habe der Betroffene seine Medi-kation mehrfach eigenmächtig abgesetzt und sowohl mündlich wie schriftlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Medikamente nicht mehr nehmen möchte. Die Erkrankung erfordere jedoch eine langjährige medikamentöse Behandlung. Aktuell sei eine ausreichende Stabilität der Befindlichkeit des Betroffenen nicht gegeben, weshalb bei fehlender Beaufsichtigung zu befürchten sei, dass er die Medikation absetze und es zu weiteren Schäden komme. Der Nutzen der Un-terbringung überwiege daher die
negativen Auswirkungen, weshalb die Frei-heitsbeschränkung hinzunehmen sei.
3. Die Entscheidung des [X.]s
hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB setzt eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder

Leben des Betreuten voraus (Senatsbeschlüsse vom 18.
Mai 2011 6
7
8
9
10
-
5
-

XII
ZB
47/11
-
FamRZ 2011, 1141 Rn.
12 und vom 13.
Januar 2010

XII
ZB
248/09
-
FamRZ 2010, 365 Rn.
14 mwN). Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (Bienwald/[X.]/[X.] Betreuungsrecht 4.
Aufl. §
1906 Rn.
91).
Die Genehmigung einer Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB muss zudem erforderlich sein (vgl. Senatsbeschluss vom 23.
Januar 2008

XII
ZB
185/07
-
FamRZ 2008, 866 Rn.
23). Wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht in Betracht (Senatsbe-schlüsse
vom 18.
Mai 2011 -
XII
ZB
47/11
-
FamRZ 2011, 1141 Rn.
12 und vom 13.
Januar 2010 -
XII
ZB
248/09
-
FamRZ 2010, 365 Rn.
14 mwN).
Die Freiheit der Person nimmt -
als Grundlage und Voraussetzung der Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen
-
einen hohen Rang unter den Grund-rechten ein. Das
kommt darin
zum Ausdruck, dass Art.
2 Abs.
2 Satz
2 GG sie als "unverletzlich" bezeichnet, Art.
104 Abs.
1 Satz
1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art.
104 Abs.
2 bis
4 GG be-sondere Verfahrensgarantien statuiert. Präventive Eingriffe in das Freiheits-grundrecht sind daher nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert (vgl. [X.] NJW 2011, 1931 Rn.
98 mwN).
b) Ob die weitere Unterbringung nach diesen Maßstäben zu rechtfertigen war, hat das [X.] unzureichend geprüft. Zwar hat das [X.] in Übereinstimmung mit den Ausführungen des
Sachverständigen festgestellt, dass der
Betroffene unter einer
chronifizierten [X.] Schizophrenie
leidet, und dass diese Erkrankung einer langfristigen Medikation 11
12
13
-
6
-
bedarf, um weiteren gesundheitlichen Schaden von ihm
abzuwenden. Ebenso fehlerfrei
hat das [X.] festgestellt, dass der Betroffene nicht über die nötige Krankheits-
und [X.] verfügt, um die notwendigen Medika-mente dauerhaft aus eigenem Antrieb einzunehmen, und dass die [X.] Unterbringung grundsätzlich ein geeignetes Mittel sein kann, um eine medi-zinisch notwendige Behandlung sicherzustellen.
Das [X.] hat jedoch verfahrensfehlerhaft nicht die fortdauernde Erforderlichkeit der Unterbringung überprüft.

Die befragte Mitarbeiterin der Einrichtung hatte
angegeben, nach ihrer Ansicht benötige der Betroffene keine geschlossene Unterbringung, sofern er seine Medikamente nehme. Daher käme eine überwachte Wohnform in [X.]. Der Betroffene selbst hat erklärt, dass er mit einer Überwachung der Medikamenteneinnahme durch den Pflegedienst des [X.] oder einen anderen Pflegedienst einverstanden sei. Er sehe ein, dass er Medi-kamente einnehmen müsse.
Somit hatte der Betroffene erkannt, dass
seine Unterbringung dadurch bedingt war, dass außerhalb der Einrichtung die Medikamenteneinnahme nicht gesichert
war. Auch hatte er nach eigenem
Bekunden in der Zwischenzeit
ein-gesehen, dass er sich der Medikamenteneinnahme nicht würde entziehen [X.]. Auf dieser Einsicht beruht offenbar sein mehrfach vorgebrachter Wunsch, die regelmäßige häusliche Medikamenteneinnahme durch einen Pflegedienst überwachen zu lassen. Zwar mag dieses Ansinnen nicht
aus einer inzwischen gewonnenen Krankheits-
und [X.], sondern aus dem schlichten Verlangen geboren sein, aus der
geschlossenen
Unterbringung
frei zu kom-men. Auf das Motiv für die Kooperationsbereitschaft des Betroffenen kommt es 14
15
16
-
7
-
jedoch nicht an, sondern nur darauf, die medizinisch notwendigen Maßnahmen sicherzustellen.
Das [X.] hätte daher -
gegebenenfalls
auf der Grundlage einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen
-
prüfen müssen, ob der neuerliche Vorschlag des Betroffenen, die regelmäßige [X.] in häuslicher Umgebung durch einen Pflegedienst überwachen zu lassen, hinreichend tragfähig war. Wäre dies der Fall, war
die weitere Unterbringung nicht mehr erforderlich und deshalb
unzulässig. Indem das [X.] diese Prüfung unterlassen hat, hat es den Sachverhalt unvollständig aufgeklärt und damit zugleich
den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör in ent-scheidungserheblicher Weise verletzt.
Hahne

[X.]

Klinkhammer

Günter

Nedden-Boeger

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 17.03.2011 -
6 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 28.04.2011 -
3 [X.] (3) -

17

Meta

XII ZB 263/11

21.09.2011

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2011, Az. XII ZB 263/11 (REWIS RS 2011, 3147)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3147

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 263/11

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